Fleischkonsum und Tierwohl

Weniger tut gut: zurück zum Sonntagsbraten

Fleisch aus Massentierhaltung hat zunehmend ein Imageproblem. Wie kann ein zukunftsfähiger Fleischkonsum aussehen?
Es muss nicht immer Fleisch sein: es gibt viele Alternativen, ob vegetarisch oder vegan.
Bis vor wenigen Jahrzehnten war Fleisch ein Nahrungsmittel für besondere Anlässe. Heute ist es – in unseren Breiten – ein Billigprodukt, das täglich leistbar ist. Möglich macht dies die Massentierhaltung, die möglichst billig möglichst viel produziert, aber damit unermessliches Tierleid, die Zerstörung von Regenwald, den massiven Einsatz von genmanipulierten Pflanzen und Pestiziden und klimaschädliche Treibhausgasemissionen verursacht.
In Deutschland und Österreich liegt der jährliche Pro-Kopf-Verzehr derzeit bei 57 bzw. 63 Kilogramm Fleisch und Fleischwaren. Das ist mit rund 1,2 Kilogramm pro Woche zwei bis vier Mal so viel, wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung als Obergrenze für einen gesunden Fleischkonsum empfiehlt (300 bis 600 Gramm pro Woche). Ein zu hoher Fleischkonsum wird mit zahlreichen Erkrankungen in Verbindung gebracht. Die Planetarische Ernährung (Planetary Health Diet) hat den Anspruch, die Gesundheit aller Menschen auf der Erde und die Gesundheit des Planeten zu erhalten: Gemüse, Obst, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen bilden die Basis der Ernährung, Fleisch kann in geringen Mengen (maximal 15 Kilogramm pro Kopf und Jahr) gegessen werden. Denn wenn mehr pflanzliche und weniger tierische Produkte auf den Teller kommen, wird weniger Fläche für die Erzeugung von Futtermitteln benötigt. Es steht mehr Fläche für den Anbau von pflanzlichen Nahrungsmitteln zur Verfügung und und es werden weniger klimaschädliche Treibhausgase emittiert. Außerdem könnten Millionen von Todesfällen verhindert werden.
Auf individueller Ebene wählen immer mehr Menschen eine vegetarische oder vegane Ernährung. Auch auf globaler Ebene muss eine zukunftsfähige Ernährung mit deutlich weniger Fleisch auskommen, als heute in den reichen Ländern üblich ist.
Das Riesenschnitzel hat ausgedient
Der ungehemmte Konsum von billigem Fleisch fragwürdiger Herkunft und Qualität verursacht tierquälerische Haltungsbedingungen, heizt die globale Erwärmung an und schädigt die eigene Gesundheit. Das Lebensmittel Fleisch sollte wieder mehr Wert erhalten und auf dem Teller zur „Nebensache“ werden: kleine Portionen, weniger oft. Eine bis zwei Portionen Fleisch pro Woche sind ausreichend – ein Zurück zum Sonntagsbraten ist angesagt.
Klasse statt Masse
Wird Fleisch weniger oft und in geringeren Mengen gekauft, dann sind qualitativ hochwertige Produkte aus tiergerechter Haltung leistbar. Wenn nicht mehr so viel Masse produziert werden „muss“, wird es möglich, auf Produktionsweisen umzusteigen, die die Umwelt weniger stark belasten und den natürlichen Bedürfnissen der Tiere besser entsprechen.
Qualität hat ihren Preis
Ein Tier benötigt Platz, gute Bedingungen im Stall, regelmäßigen Auslauf ins Freie. Bis zur Schlachtung muss es monatelang gefüttert werden. Die Schlachtung sollte möglichst schonend für das Tier ablaufen. Das alles ist mit Kosten verbunden und nicht zu Dumping-Preisen zu haben. Extrem niedrige Preise sind ein Hinweis auf Tierleid, schlechte Futtermittelqualität und Ausbeutung des Personals in den Schlachthöfen.
Tiere sind mehr als nur Filet und Brust
Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden alle essbaren Teile von Tieren genutzt. Heute landen fast nur Edelteile wie Filet und Brust auf unseren Tellern. „Minderwertige“ Fleischteile werden aus Europa teilweise in afrikanische Länder exportiert, wo sie den Markt für lokal erzeugtes Fleisch ruinieren. „Nose to tail“ („Nase bis Schwanz“) nennt man heute die Verwendung möglichst aller essbaren Teile eines geschlachteten Tieres – als Ausdruck einer höheren Wertschätzung gegenüber dem Tier.
„Made in Südtirol“?
Die Verfügbarkeit von Fleisch aus lokaler Produktion ist in Südtirol begrenzt. Bio-Rindfleisch aus lokaler Mutterkuhhaltung, Südtiroler Qualitätsfleisch vom Rind, „ethisches“ Rindfleisch aus mobiler hofnaher Schlachtung und Rindfleisch aus konventioneller lokaler Mast sind immerhin in ausgewählten Metzgereien, Geschäften und Supermarktfilialen erhältlich. Schwein und Geflügel sind jedoch praktisch nicht aus lokaler Produktion verfügbar. Für vorverpacktes, unverarbeitetes Fleisch von Rind, Schwein, Geflügel, Schaf und Ziege müssen in der EU das Land der Aufzucht und das Land der Schlachtung angegeben werden, für Rindfleisch zusätzlich das Land der Geburt und das Land der Zerlegung. Für echte Transparenz ist das jedoch zu wenig.
Die Haltungsbedingungen bleiben im Dunkeln
Bei Fleisch aus dem Supermarkt ist mehrheitlich davon auszugehen, dass das Fleisch aus italienischer oder ausländischer Massentierhaltung stammt. Angaben zur Tierhaltung sucht man meist vergeblich. Tatsächlich fristen die meisten Tiere ihr Leben im Dauerstress, eng aneinander gedrängt in riesigen Ställen, auf Vollspaltenböden über den eigenen Exkrementen, und bekommen gentechnisch veränderte Futtermittel. Wer Wert auf hohe Tierwohlstandards legt, sollte zu Produkten aus kontrolliert biologischer Landwirtschaft greifen. Erkennbar sind diese am Hinweis „Bio“, „biologisch“ oder „ökologisch“ sowie am EU-Biozeichen.
Jenseits von Fleisch
Veggie-Burger sehen wie Fleisch aus, riechen, schmecken und fühlen sich wie Fleisch an, bestehen jedoch aus pflanzlichen Proteinen, die mit Wasser, Gewürzen und Zusatzstoffen (Aromen, färbende Stoffe, Stabilisatoren) unter Hitze und hohem Druck zu einer fleischartigen Konsistenz gepresst werden. Menschen, die ihren Fleischkonsum reduzieren möchten, sind jedoch keineswegs auf hochprozessierte Fleischimitate angewiesen. Hülsenfrüchte sind von Natur aus reich an Proteinen und sehr gut dazu geeignet, Fleischmahlzeiten zu ersetzen. Bohnen, Erbsen und Linsen lassen sich auf vielfältige Weise zu Salaten, Pürees, Suppen, Eintöpfen und Bratlingen verarbeiten.
Mehlwurm statt Schwein?
In Asien, Afrika, Lateinamerika und Australien werden schon seit Jahrtausenden essbare Insekten verspeist. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO möchte Nahrungsmittel aus oder mit Insekten nun auch in der westlichen Welt salonfähig machen. Denn Grillen, Heuschrecken und Co. sind reich an hochwertigen Proteinen, Vitaminen, Mineralstoffen und Ballaststoffen. Im Vergleich zu Schweinen oder Rindern verbrauchen sie weniger Wasser, weniger Futter und weniger Land und verursachen weniger Treibhausgasemissionen. In der EU wurde 2021 der Gelbe Mehlwurm als erstes Insekt als neuartiges Lebensmittel zugelassen, und auch in Südtirol versucht die Insektenzucht Fuß zu fassen.
Auch die Politik soll mitgestalten
Trotz der vorhandenen Handlungsspielräume darf die Frage nach einer zukunftsfähigen Ernährung nicht auf das einzelne Individuum abgewälzt werden. Die Politik hat eine Verantwortung als Gestalterin. Dabei sollten bessere Tierwohlstandards ebenso eine Rolle spielen wie eine verpflichtende Kennzeichung der Haltungsform oder die Einführung von fleischfreien Tagen in öffentlichen Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung.
Silke Raffeiner ist Ernährungswissenschaftlerin bei der Verbraucherzentrale Südtirol (www.verbraucherzentrale.it) und engagiert sich ehrenamtlich für die Kampagne „MahlZeit“ und im Südtiroler Ernährungsrat.
TEXT: Silke Raffeiner

Fleischkonsum und Tierwohl

Ethische Aspekte des Fleischkonsums

„Sag mir: Wie hältst du’s mit dem Fleischessen?“
Der heiligen Franz von Assisi hatte eine besondere Beziehung zu den Tieren, er sieht die Welt und alle Lebewesen als Schöpfung Gottes.
Bei vielen Vorträgen über Tierethik wird in der anschließenden Diskussion die Frage gestellt, ob Fleischkonsum ethisch (noch) verantwortbar sei. Das Essen von Fleisch ist nicht nur eine Frage des persönlichen Geschmacks oder der gesunden Ernährung, sondern spielt auch eine politische und umweltethische Rolle.
Martin M. Lintner,
Mitglied des Serviten­ordens, Professor für Moraltheologie und Spirituelle Theologie
an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Brixen
In den Diskussionen werden verschiedene Gründe genannt, die gegen den Fleischkonsum sprechen. Drei möchte ich nennen und kurz auf sie eingehen.
Intensive Landwirtschaft und industrialisierte Nutztierhaltung
Erstens: Die intensive Landwirtschaft und industrialisierte Nutztierhaltung, ohne die der hohe Fleischkonsum auch bei uns von rund 60 Kilogramm Fleisch pro Kopf und Jahr nicht möglich ist, verursachen ein Viertel bis die Hälfte der jährlichen Treibhausgasemissionen weltweit (je nachdem, ob man nur die unmittelbaren oder auch die mittelbar mit der Tierhaltung verbundenen Emissionen zählt) und sind somit wesentlich mitverantwortlich für die globale Erderwärmung. Zweitens: Es gibt in der intensiven Nutztierhaltung zum Teil gravierende Missstände in tierethischer Hinsicht, die gesellschaftlich mehr und mehr kritisch hinterfragt werden. Drittens stellt sich die grundsätzliche Frage, mit welchem Recht wir Tiere überhaupt töten und damit ihr fundamentales Lebensinteresse verletzen.
Zum ersten Punkt: Es geht hier nicht darum, die Landwirtschaft oder die Tierhaltung als solche an den Pranger zu stellen, sondern auf die Treibhausgasemissionen in den industrialisierten Agrarsystemen hinzuweisen. Über 60 Prozent der lebenden Biomasse von Wirbeltieren sind Nutz- und Haustiere. Weltweit werden jährlich über 80 Milliarden Tiere gemästet und geschlachtet. Allein in Italien werden jährlich über 600 Millionen Tiere geschlachtet (Fische ausgenommen), also das Zehnfache der Einwohnerzahl. Um diese enorme Menge an Nutztieren zu ernähren, werden weltweit riesige Flächen von Urwäldern gerodet oder gebrandschatzt, um Futtermittel für die Tiere zu produzieren. Für die Produktion der interkontinental transportierten Futtermittel ist ein enormer Einsatz von synthetischen Düngern und Energie vonnöten.
Grausames Tierleid für Milliarden von Nutztieren
Zum zweiten Punkt: Sowohl aus nutztierwissenschaftlicher wie tier­ethischer Sicht ist unbestritten, dass die Haltungs- und Schlachtungsbedingungen dieser zig Milliarden Nutztiere mit einem unermesslichen Maß an grausamem Tierleid verbunden sind. Der derzeitige hohe Konsum von tierischen Produkten im Allgemeinen und von Fleisch im Besonderen ist nur möglich aufgrund von Formen von Haltung, Transport und Schlachtung von Tieren, die tierethischen Standards nicht gerecht werden. Diesbezügliche Recherchen und Dokumentationen können im Internet abgerufen werden. Sie stellen nicht Ausnahmen, sondern die tägliche Wirklichkeit dar. Auch in Südtirol sind wir keine Insel der Seligen. Durch den Import von Kraftfutter, den Handel mit Mast- und Schlachtvieh sowie die Produktion und den Konsum von Fleischprodukten sind wir in internationale Abläufe eingebunden, die dem Idyll der glücklich weidenden Tiere auf einem Südtiroler Bergbauernhof widersprechen. Das neue Gütesiegel zum Tierwohl „ClassyFarm“ bringt manche Bauern unter Druck, weil sie die Tierwohlkriterien nur schwer erfüllen können. Die derzeitige Milchwirtschaft funktioniert auf der Basis, dass die Kälbchen unmittelbar nach ihrer Geburt von der Mutterkuh getrennt werden. Die muttergebundene Aufzucht bleibt nach wie vor die große Ausnahme. Die meisten der bei uns geborenen Stierkälbchen werden zur Mast außer Landes verkauft und abtransportiert. Umgekehrt wird über 90 Prozent des in Südtirol verarbeiteten und konsumierten Fleisches importiert, wobei Speck einen hohen Anteil davon ausmacht.
Viehbestand in Südtirol 2020
QUELLE: Agrar- und Forstbericht 2020
Welches Leben haben Tiere, wie werden sie getötet?
Über die dritte Frage, ob wir Tiere überhaupt töten dürfen, können sich sehr emotionale und kontroverse Diskussionen entfachen, bei denen es auch um grundsätzliche philosophische Positionen geht. Um mich kurz zu fassen: Entscheidend ist meines Erachtens nicht die Frage, ob wir Tiere töten, sondern wie: dass sie schmerz- und stressfrei getötet werden und dass wir ihnen zuvor ein Leben ermöglichen, das ihren artspezifischen und individuellen Bedürfnissen entspricht. Dahinter steht die Position, dass wir Tiere zwar nutzen dürfen, aber nur dann, wenn wir zugleich auch bereit sind, ihre artspezifischen und individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten, besonders auf der sensitiven, emotionalen und auch kognitiven Ebene, zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass wir Tiere nie nur auf ihren Nutzen für uns Menschen reduzieren, sondern dass wir sie unabhängig von ihrer Nützlichkeit für uns immer auch in ihrem Eigenwert achten und respektieren. Dies ist übrigens der Standpunkt, den Papst Franziskus in der Umweltenzyklika „Laudato si’“ vertritt. Die Evangelischen Kirchen fordern in der Studie „Nutztier und Mitgeschöpf! Tierwohl, Ernährungsethik und Nachhaltigkeit aus evangelischer Sicht“ von Landwirtschaft, Handel und Konsument:innen mehr Wertschätzung für Tiere und unter dem Schlagwort „Rückkehr zur alten Tradition des Sonntagsbratens“ eine deutliche Reduktion des Fleischkonsums.
Beim Fleischkonsum stellen sich einige ethische Fragen: Dürfen wir Tiere überhaupt töten? Darf Nutztierhaltung industrialisiert werden? Wie werden Tiere gehalten, wie werden sie geschlachtet?
Es ist zu begrüßen, dass für immer mehr Konsument:innen das Tierwohl eine Rolle spielt und dass sie Transparenz fordern über die Bedingungen, unter denen Tiere gehalten und geschlachtet werden. Wachsen muss aber auch die Bereitschaft, für Produkte aus einer ökologisch nachhaltigen und tierwohlfreundlichen Landwirtschaft einen gerechten Preis zu bezahlen, während andere tierische Produkte – etwa das vieldiskutierte Billigfleisch wie die Brathendln, die bei jedem Dorf- und Vereinsfest serviert werden – mit einem Aufpreis zu belegen sind, die hinsichtlich der Verursachung von Umweltschäden die Kostenwahrheit widerspiegeln. Doch allein über den Preis lässt sich das Problem nicht steuern. Es braucht ein radikales Umdenken im Agrarsystem sowie die Bereitschaft von immer mehr Konsument:innen, ihren Ernährungsstil zu ändern: erstens den Fleischkonsum merklich zu reduzieren und zweitens ausschließlich Fleisch aus einer ökologischen Landwirtschaft mit hohen tierethischen Standards zu kaufen. (Das wäre übrigens für die heimische Landwirtschaft eine meines Erachtens immer noch verkannte Chance.) Drittens: Vegetarische und vegane Gerichte stehen konsequent auf jeder Speisekarte. Bei Empfängen, Pfarr- und Vereinsfesten, Hochzeiten etc. werden fleischfreie Gerichte als die normalen Hauptgerichte serviert. Das sind meines Erachtens notwendige Schritte in die richtige Richtung.
TEXT: Martin M. Lintner