Intern
ST. MARTIN IN PASSEIER

Jahresversammlung

Der KVW St. Martin in Passeier hielt in seiner Jahresversammlung Rück- und Vorschau auf seine Aktivitäten. Er freute sich besonders darüber, dass er mit seinen 350 Mitgliedern der größte soziale Verein des Dorfes ist, und ehrte langjährige Mitglieder.

Fleischkonsum und Tierwohl

Weniger tut gut: zurück zum Sonntagsbraten

Fleisch aus Massentierhaltung hat zunehmend ein Imageproblem. Wie kann ein zukunftsfähiger Fleischkonsum aussehen?
Es muss nicht immer Fleisch sein: es gibt viele Alternativen, ob vegetarisch oder vegan.
Bis vor wenigen Jahrzehnten war Fleisch ein Nahrungsmittel für besondere Anlässe. Heute ist es – in unseren Breiten – ein Billigprodukt, das täglich leistbar ist. Möglich macht dies die Massentierhaltung, die möglichst billig möglichst viel produziert, aber damit unermessliches Tierleid, die Zerstörung von Regenwald, den massiven Einsatz von genmanipulierten Pflanzen und Pestiziden und klimaschädliche Treibhausgasemissionen verursacht.
In Deutschland und Österreich liegt der jährliche Pro-Kopf-Verzehr derzeit bei 57 bzw. 63 Kilogramm Fleisch und Fleischwaren. Das ist mit rund 1,2 Kilogramm pro Woche zwei bis vier Mal so viel, wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung als Obergrenze für einen gesunden Fleischkonsum empfiehlt (300 bis 600 Gramm pro Woche). Ein zu hoher Fleischkonsum wird mit zahlreichen Erkrankungen in Verbindung gebracht. Die Planetarische Ernährung (Planetary Health Diet) hat den Anspruch, die Gesundheit aller Menschen auf der Erde und die Gesundheit des Planeten zu erhalten: Gemüse, Obst, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen bilden die Basis der Ernährung, Fleisch kann in geringen Mengen (maximal 15 Kilogramm pro Kopf und Jahr) gegessen werden. Denn wenn mehr pflanzliche und weniger tierische Produkte auf den Teller kommen, wird weniger Fläche für die Erzeugung von Futtermitteln benötigt. Es steht mehr Fläche für den Anbau von pflanzlichen Nahrungsmitteln zur Verfügung und und es werden weniger klimaschädliche Treibhausgase emittiert. Außerdem könnten Millionen von Todesfällen verhindert werden.
Auf individueller Ebene wählen immer mehr Menschen eine vegetarische oder vegane Ernährung. Auch auf globaler Ebene muss eine zukunftsfähige Ernährung mit deutlich weniger Fleisch auskommen, als heute in den reichen Ländern üblich ist.
Das Riesenschnitzel hat ausgedient
Der ungehemmte Konsum von billigem Fleisch fragwürdiger Herkunft und Qualität verursacht tierquälerische Haltungsbedingungen, heizt die globale Erwärmung an und schädigt die eigene Gesundheit. Das Lebensmittel Fleisch sollte wieder mehr Wert erhalten und auf dem Teller zur „Nebensache“ werden: kleine Portionen, weniger oft. Eine bis zwei Portionen Fleisch pro Woche sind ausreichend – ein Zurück zum Sonntagsbraten ist angesagt.
Klasse statt Masse
Wird Fleisch weniger oft und in geringeren Mengen gekauft, dann sind qualitativ hochwertige Produkte aus tiergerechter Haltung leistbar. Wenn nicht mehr so viel Masse produziert werden „muss“, wird es möglich, auf Produktionsweisen umzusteigen, die die Umwelt weniger stark belasten und den natürlichen Bedürfnissen der Tiere besser entsprechen.
Qualität hat ihren Preis
Ein Tier benötigt Platz, gute Bedingungen im Stall, regelmäßigen Auslauf ins Freie. Bis zur Schlachtung muss es monatelang gefüttert werden. Die Schlachtung sollte möglichst schonend für das Tier ablaufen. Das alles ist mit Kosten verbunden und nicht zu Dumping-Preisen zu haben. Extrem niedrige Preise sind ein Hinweis auf Tierleid, schlechte Futtermittelqualität und Ausbeutung des Personals in den Schlachthöfen.
Tiere sind mehr als nur Filet und Brust
Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden alle essbaren Teile von Tieren genutzt. Heute landen fast nur Edelteile wie Filet und Brust auf unseren Tellern. „Minderwertige“ Fleischteile werden aus Europa teilweise in afrikanische Länder exportiert, wo sie den Markt für lokal erzeugtes Fleisch ruinieren. „Nose to tail“ („Nase bis Schwanz“) nennt man heute die Verwendung möglichst aller essbaren Teile eines geschlachteten Tieres – als Ausdruck einer höheren Wertschätzung gegenüber dem Tier.
„Made in Südtirol“?
Die Verfügbarkeit von Fleisch aus lokaler Produktion ist in Südtirol begrenzt. Bio-Rindfleisch aus lokaler Mutterkuhhaltung, Südtiroler Qualitätsfleisch vom Rind, „ethisches“ Rindfleisch aus mobiler hofnaher Schlachtung und Rindfleisch aus konventioneller lokaler Mast sind immerhin in ausgewählten Metzgereien, Geschäften und Supermarktfilialen erhältlich. Schwein und Geflügel sind jedoch praktisch nicht aus lokaler Produktion verfügbar. Für vorverpacktes, unverarbeitetes Fleisch von Rind, Schwein, Geflügel, Schaf und Ziege müssen in der EU das Land der Aufzucht und das Land der Schlachtung angegeben werden, für Rindfleisch zusätzlich das Land der Geburt und das Land der Zerlegung. Für echte Transparenz ist das jedoch zu wenig.
Die Haltungsbedingungen bleiben im Dunkeln
Bei Fleisch aus dem Supermarkt ist mehrheitlich davon auszugehen, dass das Fleisch aus italienischer oder ausländischer Massentierhaltung stammt. Angaben zur Tierhaltung sucht man meist vergeblich. Tatsächlich fristen die meisten Tiere ihr Leben im Dauerstress, eng aneinander gedrängt in riesigen Ställen, auf Vollspaltenböden über den eigenen Exkrementen, und bekommen gentechnisch veränderte Futtermittel. Wer Wert auf hohe Tierwohlstandards legt, sollte zu Produkten aus kontrolliert biologischer Landwirtschaft greifen. Erkennbar sind diese am Hinweis „Bio“, „biologisch“ oder „ökologisch“ sowie am EU-Biozeichen.
Jenseits von Fleisch
Veggie-Burger sehen wie Fleisch aus, riechen, schmecken und fühlen sich wie Fleisch an, bestehen jedoch aus pflanzlichen Proteinen, die mit Wasser, Gewürzen und Zusatzstoffen (Aromen, färbende Stoffe, Stabilisatoren) unter Hitze und hohem Druck zu einer fleischartigen Konsistenz gepresst werden. Menschen, die ihren Fleischkonsum reduzieren möchten, sind jedoch keineswegs auf hochprozessierte Fleischimitate angewiesen. Hülsenfrüchte sind von Natur aus reich an Proteinen und sehr gut dazu geeignet, Fleischmahlzeiten zu ersetzen. Bohnen, Erbsen und Linsen lassen sich auf vielfältige Weise zu Salaten, Pürees, Suppen, Eintöpfen und Bratlingen verarbeiten.
Mehlwurm statt Schwein?
In Asien, Afrika, Lateinamerika und Australien werden schon seit Jahrtausenden essbare Insekten verspeist. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO möchte Nahrungsmittel aus oder mit Insekten nun auch in der westlichen Welt salonfähig machen. Denn Grillen, Heuschrecken und Co. sind reich an hochwertigen Proteinen, Vitaminen, Mineralstoffen und Ballaststoffen. Im Vergleich zu Schweinen oder Rindern verbrauchen sie weniger Wasser, weniger Futter und weniger Land und verursachen weniger Treibhausgasemissionen. In der EU wurde 2021 der Gelbe Mehlwurm als erstes Insekt als neuartiges Lebensmittel zugelassen, und auch in Südtirol versucht die Insektenzucht Fuß zu fassen.
Auch die Politik soll mitgestalten
Trotz der vorhandenen Handlungsspielräume darf die Frage nach einer zukunftsfähigen Ernährung nicht auf das einzelne Individuum abgewälzt werden. Die Politik hat eine Verantwortung als Gestalterin. Dabei sollten bessere Tierwohlstandards ebenso eine Rolle spielen wie eine verpflichtende Kennzeichung der Haltungsform oder die Einführung von fleischfreien Tagen in öffentlichen Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung.
Silke Raffeiner ist Ernährungswissenschaftlerin bei der Verbraucherzentrale Südtirol (www.verbraucherzentrale.it) und engagiert sich ehrenamtlich für die Kampagne „MahlZeit“ und im Südtiroler Ernährungsrat.
TEXT: Silke Raffeiner