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„Wir sind am Ende des unüberlegten Reisens angekommen“

Nachhaltiger Tourismus berücksichtigt seine gegenwärtigen und zukünftigen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen und geht auf die Bedürfnisse der Gäste, der Branche, der Umwelt und der lokalen Bevölkerung ein. Was das für die nachhaltige Entwicklung in Südtirol bedeutet, bespricht Harald Pechlaner, wissenschaftlicher Direktor der Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus in Südtirol und Leiter des Center for Advanced Studies von Eurac Research im Interview.
Foto: IDM Südtirol / Alex Moling
Herr Pechlaner, als Wirtschaftswissenschaftler sind Sie seit vielen Jahren in der Tourismusforschung tätig. Wann und wie wurde für Sie der Wendepunkt der Branche hin zur Nachhaltigkeit sichtbar?
Der Tourismussektor hat schon vor 10 bis 15 Jahren damit begonnen, sich mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen – allerdings wurde das Konzept lange sehr oberflächlich verstanden. Zunächst stand der ökologische Aspekt in den Betriebsabläufen im Fokus – Fragen wirtschaftlicher und sozialer Nachhaltigkeit wurden erst später gestellt.
Wo muss der Tourismussektor in Südtirol nachbessern? Wo liegen seine Stärken?
Südtirol ist zwar nicht Pionierregion, aber gut unterwegs. Es gilt nun, die Anstrengungen weiter zu verschärfen - vor allem, was den Klimadiskurs betrifft. Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Digitalisierung müssen stärker ineinandergreifen. Vor allem im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit fehlen ernsthafte Projekte. Eine aktuelle Bevölkerungsbefragung von Eurac Research und dem Landesinstitut für Statistik ASTAT zeigt, dass die Südtirolerinnen und Südtiroler sich gezielteres Handeln wünschen. Das betrifft im Sinne der Lebensraumentwicklung auch den Tourismus.
Im Landestourismusentwicklungskonzept 2030+ betonen Sie, dass Tourismus ohne die Akzeptanz der lokalen Bevölkerung nicht zukunftsfähig sein kann. Inwiefern muss diese
miteinbezogen werden?
Wir alle sind Teil des Tourismusangebots – ob wir wollen oder nicht. Unbewusst hat man die Bevölkerung in Südtirol schon früh in die touristische Entwicklung eingebunden. Viele Südtirolerinnen und Südtiroler haben mit Privatzimmervermietung, Urlaub auf dem Bauernhof oder sonstigen Aktivitäten vom Tourismus profitieren können. Dadurch, dass der Tourismus so breit aufgestellt war, war auch die Akzeptanz in der Gesellschaft hoch. Heute schaut die Sache anders aus. Wir haben sehr viele Betriebe verloren – vor allem Klein- und Kleinstbetriebe. Vier- und Fünf-Sterne-Häuser sind die Regel. Der Drei-Sterne-Betrieb, der immer das Rückgrat des Südtiroler Tourismus war, kommt zunehmend unter Druck. Es ziehen nun also deutlich weniger Südtirolerinnen und Südtiroler ökonomische Vorteile aus dem Tourismus und damit tut sich die Branche schwer, ihre gesellschaftliche Bedeutung zu erklären. Südtirol ist absolut en vogue. Man hat die richtigen Lifestyles getroffen, man hat ein attraktives Angebot geschaffen. Trotzdem wird aus dem Erfolg irgendwann der größte Feind. Man erkennt nun, dass die Sensibilität für Wachstumsfragen urplötzlich gesellschaftlich relevant wird. Der Tourismus hat den Wohlstand ins Land gebracht, so das lange geltende Narrativ. Generationen von Tourismustreibenden und Generationen von Südtirolerinnen und Südtirolern waren davon überzeugt. Für die jungen Menschen ist das aber keine relevante Erzählung mehr. Sie wollen einen Tourismus, der nachhaltig ist.
Nun werden viele soziale Probleme mit dem Tourismus verknüpft. Etwa Tourismus und leistbares Wohnen.
Auch Verkehr und Wasserverbrauch. Der Tourismus kann dieser Wahrnehmung nur gegensteuern, indem er selbst extrem nachhaltig wird, also die Flucht nach vorn antritt. Das Fehlen an Wohnraum ist gewiss nicht die alleinige Schuld des Tourismus, und das hohe Verkehrsaufkommen genauso wenig, aber entziehen kann man sich dieser Diskussion deshalb nicht.
Wie bewerten Sie die mediale Aufmerksamkeit, die dem Thema gewidmet wird?
An der Intensität der Diskussion wird deutlich, wie wichtig der Tourismus für Südtirol ist. Wir befinden uns mitten in einer Transformation. Südtirol ringt um seine Zukunft und der Tourismus spielt dabei eine große Rolle. Solche Transformationsprozesse bewegen sich immer im Wechselspiel zwischen defensivem und proaktivem Verhalten. Die Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus in Südtirol, die am Center for Advanced Studies von Eurac Research angesiedelt ist, kann eine Objektivierung in die Diskussion einbringen. Evidenz ist der Schlüssel, um gute Entscheidungen zu treffen und die Branche tut gut daran, das zu verinnerlichen, um nicht immer in der Defensive zu sein. Dadurch, dass der Tourismus so differenziert ist, kommt hinzu, dass sich sehr viele Stimmen zu Wort melden. Das sorgt nicht unbedingt für ein geschlossenes Bild in der Öffentlichkeit. Es geht darum, das Gemeinsame und die besonderen Vorteile des Tourismus in einem ausgewogenen Sinne in den Blick zu nehmen. Nachhaltigkeit heißt auch Ausgewogenheit.
Jetset versus Flug- oder Reisescham. In einem Sektor, der stark auf Wellness und Sorglosigkeit ausgerichtet ist, ist ein schlechtes Gewissen Gift für das Geschäft. Ist dieser Wertewandel gekommen, um zu bleiben?
Ich glaube, er wird sich verfestigen. Wir sind am Ende des unüberlegten Reisens angekommen. Flugscham ist ein Zeichen dafür, dass wir selbst bereit sind, auf bestimmte Freiheiten zu verzichten. Die Menschen werden immer reisen wollen, aber die Reiseströme und Bedürfnisse ändern sich. Nur mit Wellnesstempeln ist es nicht getan.
Da braucht es schon auch eine Nachhaltigkeit im Sinne von völlig unterschiedlichen Tourismusangeboten: günstigeren und teureren. Um die Tourismusgesinnung wäre es schlecht bestellt, wenn wir nur mehr Großhotels hätten.
Wie kann ein nachhaltiges Tourismusangebot für Südtirol aussehen?
Es braucht ein Angebot, das auch kleineren Portemonnaies zugänglich ist und es dürfen am Ende auch nicht zu viele Gäste kommen. Tragfähigkeit bedeutet tatsächlich, dieses Wachstum zu verlangsamen, was wir jetzt schon mit dem sogenannten Bettenstop tun. Es braucht Spielräume, um sich den Gästen zu widmen - denn dafür sind diese auch bereit, zu zahlen. Die Herausforderung im Tourismus ist es außerdem, die gesamte Dienstleistungskette – von der Buchung, Anreise, Ankunft, Beherbergung, Gastronomie und Verpflegung, zu den verschiedenen Aktivitäten in der Destination bis hin zu Ab- und Rückreise – so zu gestalten, dass man soziale, wirtschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit gleichermaßen berücksichtigt. Nachdem die Nachhaltigkeit ein dermaßen schwammiger Begriff ist, geht es darum, Glaubwürdigkeit zu schaffen: das kann über Zertifizierungen funktionieren.
Worauf achten Sie selbst beim Reisen?
Es ist ein bewussteres Reisen. Ich bin berufsbedingt viel unterwegs, achte aber sehr darauf, wie, wohin und vor allem warum ich reise.
Foto: Eurac Research / Tiberio Sorvillo
Harald Pechlaner
ist Leiter am Center for Advanced Studies von Eurac Research in Bozen und Professor für Tourismus an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt sowie Leiter des dort angesiedelten Zentrums für Entrepreneurship. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der nachhaltigen Destinationsentwicklung sowie ausgewählter Fragen der Global
Governance in der Verknüpfung zu Wirtschaft und Politik. Seit 2014 ist er ständiger Forschungsgastprofessor an der Curtin Business School in Perth, Australien und Präsident der AIEST (Association Internationale d‘Experts Scientifiques du Tourisme), der weltweit ältesten Vereinigung von Experten der Tourismuswissenschaften mit Sitz an der Universität St. Gallen. Seit fünf Jahren begleitet Harald Pechlaner das Kompetenzzentrum Tourismus des Bundes in Berlin als wissenschaftlicher Leiter. Er ist außerdem Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste.
Interview: Valeria von Miller
Die Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus in Südtirol
Südtirol ist Teil des internationalen Netzwerks der Beobachtungsstellen für nachhaltigen Tourismus (INSTO) der Welttourismusorganisation – UNWTO. Die Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus in Südtirol (STOST) ist am Center for Advanced Studies von Eurac Research angesiedelt und überwacht, analysiert und kommuniziert die Tourismusentwicklung in der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol. Sie untersucht den sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Nutzen sowie die Kosten des Tourismussektors in Südtirol und gibt Empfehlungen zur Unterstützung eines nachhaltigen Tourismusmanagements.
Weitere Infos:
sustainabletourism.eurac.edu

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Reisen im Zeichen der Nachhaltigkeit

Der Leitfaden des EVZ (Europäischen Verbraucherzentrum)
Foto: IDM Südtirol / Benjamin Pfitscher
Einige Anregungen dafür, wie man das eigene Reiseverhalten nachhaltiger gestalten kann, versucht das Europäische Verbraucherzentrum (EVZ) hier darzulegen.
An- und Abreise und Mobilität vor Ort
Es ist eine Binsenweisheit: Wer konsequent sein will, sucht sein Urlaubsziel nach dem Kriterium “Erreichbarkeit mit dem Zug” aus und schont damit die Umwelt. Auch Busreisen und sogar die Anfahrt mit dem eigenen PKW sind immer noch klimaschonender als das Fliegen. Besonders viel Co2 wird bei Start und Landung ausgestoßen, somit sind Direktflüge weniger belastend, als Flüge mit einem oder gar mehreren Zwischenstopps. Um Emissionen zu sparen, ist es besser länger aber seltener in den Urlaub zu fahren, als viele Kurztrips zu unternehmen. Sinnvoll kann es auch sein, seine durch einen Flug erzeugten Emissionen durch Spenden an eine Organisation zu kompensieren, die Klimaprojekte unterstützt. Der Mechanismus dahinter: Die durch den Flug produzierten Co2 Emissionen werden anderswo auf der Welt wieder eingespart, z. B. durch das Aufforsten von Wäldern oder durch Förderung erneuerbarer Energien. Es gibt unzählige Anbieter von Co2-Kompensation, nicht alle sind aber transparent, was die Nutzung der Gelder angeht. Gütesiegel können hier eine Orientierung bieten. Auch am Urlaubsort sollte man auf klimaschonende Mobilität Wert legen.
Die Wahl der Unterkunft
Bevor Sie sich für eine Unterkunft entscheiden, versuchen Sie herauszufinden, ob die Unterkunft auf den sparsamen Umgang mit Ressourcen Wert legt. Produziert sie vielleicht selbst Strom und nutzt sie erneuerbare Energien? Gibt es ein Büfett, bei welchem viel zurückbleibt und entsorgt werden muss oder werden Speisen auf Bestellung serviert? Kommt das Essen aus der Region? Werden Einwegverpackungen beim Essen und im Bad genutzt oder wird auf Mehrweg gesetzt? Gibt es für Gäste die Möglichkeit, ihren Müll zu trennen? Überlegen Sie, ob Sie eine Unterkunft auch ohne Pool buchen können, dies spart Wasser. In der Unterkunft selber können Sie wie zu Hause darauf achten, wenig Strom und Wasser zu verbrauchen, die Klimaanlage möglichst wenig zu beanspruchen und Ihre Handtücher nicht sofort wechseln zu lassen. Camping ist ressourcenschonend, aber wer wild campt - wo dies erlaubt ist – sollte selbstverständlich darauf achten, keinen Müll zurückzulassen und kein Feuer zu machen.
Umweltfreundliche Lebensweise auch im Urlaub
Vergessen Sie nicht eine wiederverwendbare Trinkflasche und Einkaufstaschen aus Stoff in Ihr Reisegepäck zu geben. Auch am Urlaubsort kann man wie zu Hause darauf achten, Verpackungsmüll beim Einkauf zu vermeiden. Meiden Sie nach Möglichkeit Lokale, die noch auf Einwegbesteck und Becher setzen. Regionales einkaufen und konsumieren ist auch im Urlaub wichtig: Saisonales, Regionales, fair Gehandeltes möglichst ökologisch Hergestelltes belastet die Umwelt weniger und reduziert die Transportwege am Urlaubsort und unterstützt die lokale Wirtschaft.
Souvenirs oder Kleidung gefertigt aus Teilen geschützter Tierarten sind natürlich nicht nur nicht nachhaltig, sondern schlichtweg verboten. Übrigens: Auch Muscheln und Sand gehören an den Strand und sind kein Souvenir. Kunsthandwerk von lokalen Anbietern, Nutzgegenstände oder Dekoration, die wirklich Freude macht, oder lokal angebaute Lebensmittel können die bessere Wahl sein.
Problem Greenwashing
Für Verbraucher:innen ist es nicht einfach, ökologische Angebote auch zu erkennen. Greenwashing ist auch im Tourismus ein Problem. Wie kann man erkennen, ob eine Unterkunft, ein Veranstalter, ein Transportunternehmen wirklich umweltfreundlich arbeitet oder dies nur behauptet oder nur wage Angaben zum Umweltengagement macht? Transparenten Betrieben, die sich über die Schultern schauen lassen und deren Maßnahmen auch nachprüfbar sind, sollte man den Vorzug geben. Offizielle Label und Gütesiegel wie das EU Ecolabel können Orientierung bieten.
Nach der Reise
Erzählen Sie Freunden und Bekannten von Ihrer Reise, Ihren Eindrücken und Erlebnissen und inspirieren Sie auch andere dazu, nachhaltig zu reisen, indem Sie erklären, worauf Sie Ihr Augenmerk gelegt haben. Natürlich kann das Handeln Einzelner nicht die Welt verändern, aber jeder kleine Schritt in die richtige Richtung ist ein guter Anfang.
Das Europäische Verbraucherzentrum Italien steht für weitere Informationen zur Verfügung:
Tel. 0471 980 939
E-Mail: info@euroconsumatori.org