Kommentar

50. Grenzpendlertagung in Schluderns

Knapp 1500 Vinschger pendeln aus Arbeitsgründen in die nahe gelegene Schweiz. Über 100 dieser Grenzpendler trafen sich am 20. Mai in Schluderns zur bereits 50. Grenzpendlertagung.
Grenzpendlertagung heute
und in den späten 70ernInformierte Arbeitnehmende sind auch sichere Arbeitnehmende
Zur 50. Ausgabe der Grenzpendlertagung gratulierte auch der Landesvorsitzende des KVW Werner Steiner, der seine Grußworte an die Grenzpendler:innen richtete, die sich gemäß des KVW Jahresthemas „Gemeinsam in Bewegung“ auf den Weg gemacht haben, damit sich etwas bewegt. Zahlreiche Ehrengäste wie etwa Landeshauptmann Arno Kompatscher und dessen Stellvertreterin Waltraud Deeg, sowie die Abgeordnete Renate Gebhard, wohnten der Veranstaltung bei.
Vorstandsmitglied der „Südtiroler in der Welt“ Erich Achmüller, gab zum runden Geburtstag einen Rückblick auf die vergangenen 50. Tagungen. Dabei unterstrich er, dass der Bedarf der Tagung und im Allgemeinen die Beratungen rund um Grenzpendlerfragen immer noch groß ist, wenn nicht sogar zunimmt.

Das sind die Ergebnisse der Tagung:
„Steuerabkommen Italien – Schweiz für Grenzpendler:innen“
Das Gesetz zur Ratifizierung des neuen Steuerabkommens mit der Schweiz ist am 31. Mai 2023 durch den Senat endgültig verabschiedet worden. Danach wird es durch den Staatspräsidenten ratifiziert.Inkrafttreten wird das Abkommen mit dem Austausch der Ratifizierungsurkunden (Notenwechsel) zwischen den Regierungen Italiens und der Schweiz. D.h. es wird ab dem 1.1.2024 Anwendung.
Familiengeld – Formular E411
Arbeitet ein Elternteil im Ausland wendet sich im Normalfall die ausländische Kindergeldstelle an die INPS, um von der INPS auf behördlichem Weg zu erfahren, wieviel Kindergeld die Familie bereits in Italien bezieht.
Die INPS stellt aber seit einem Jahr kein Formular E411 aus, das die Grundlage für die ausländischen Kindergeldstellen ist, um die Höhe des zustehenden ausländischen Kindergeldes zu berechnen.
Große Kindergeldstellen in der Schweiz wie die SVA Graubünden zahlen dennoch weiterhin das Kindergeld aus, sofern die Familien über einen Kontoauszug und weitere Dokumente nachweisen kann, wieviel Kindergeld (inklusive Assegno Unico) sie in Italien bezieht.
Kleinere Kindergeldstellen behalten sich die Weiterzahlungen teilweise vor, bis die INPS wieder offizielle Bestätigung ausstellen kann. Berechtigte Kindergelder werden nachgezahlt. Österreich handhabt die Thematik ähnlich.
Homeoffice
Dies ist derzeit über eine Übergangsregelung geregelt zwischen 1. Februar – 30. Juni 2023. Diese Übergangsregelung ist im aktuellen Abänderungsantrag zum Ratifizierungsgesetz zwischen Italien und der Schweiz enthalten.
Dabei darf Homeoffice höchstens 40 % der Arbeitszeit ausmachen. D.h. in der Praxis 2 Tage die Woche. Bis zu diesem Ausmaß bleibt der Status als Grenzpendler aufrecht. Dies sollte auch für die derzeit in der Schweiz zu versteuernden Arbeitsverhältnissen gelten. Es handelt sich um eine besondere Ausnahmeregelung.
Man geht davon aus, dass aufgrund weiterer Gespräche zwischen der Schweiz und Italien diese 40 % Regelung auch für die Zukunft festgelegt wird.
Was aber bereits jetzt gilt und auch weiterhin so bleiben wird, ist die Regelung, dass Grenzpendler an max. 45 Tagen nicht an den Wohnort zurückkehren müssen (ohne Urlaub und Zeitausgleich). Bis zu dieser Spanne bleiben sie dennoch echte Grenzpendler.

Kommentar

Genießbar bleiben

Essay von Claudia Plaikner, Obfrau des Heimatpflegeverbands Südtirols
Foto: IDM Südtirol / Manuel Ferrigato
Das „Genussland Südtirol“ steht vor der Herausforderung, weiterhin genießbar zu bleiben. Dafür bedarf es der Erkenntnis, dass „Genuss“ und „genug“ enger verwandt sind als gemeinhin angenommen. Verzicht ist eine unabdingbare Voraussetzung.
„Woher kommen Sie?“ Wenn die Antwort „Südtirol“ lautet, so schlagen die Herzen lauter und in der Regel einem entgegen. Viele Reisende schätzen das verheißungsvolle Land an der Schnittstelle von deutschem und romanischem Kulturkreis, das alles bietet: hochalpine bis mediterrane Landschaften, vielfältige Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, schönes Wetter, Kultur, Kulinarik auf hohem Niveau, Gastfreundschaft.
Aber als Gastgeberland muss Südtirol viele Herausforderungen bewältigen: einen regelrechten Ansturm von Touristen aufnehmen und kanalisieren und verkehrs- und freizeittechnische Infrastrukturen bereitstellen. Wird dieses kleine Land diesen ständig wachsenden Ansprüchen noch gerecht?
„Genuss“ und „genug“ sind eng verwandt
Geht es nach der Tourismuswerbung, dann bietet Südtirol das ultimative Genusserlebnis: Kultur, Kulinarik, Bewegung, Landschaft und mehr: Raus aus dem Alltag und hinein in das Verwöhnt-Werden. Aber wo liegt die Grenze zwischen Genuss und Hedonismus? Schon Christian Morgenstern monierte: „Genuss kann unmöglich das Ziel des Lebens sein. Genuss ohne etwas darüber ist etwas Gemeines.“ So kann man sich kaum des Verdachts erwehren, dass „Genuss“ und „genug“ – obwohl nicht etymologisch verwandt, mehr miteinander gemeinsam haben als vermutet.
In einer Welt, in der der Welterschöpfungstag immer weiter nach vorne rückt, hat wohl selbst der gedankenlose, selbstoptimierte Egozentriker das ungute Gefühl, dass sich vieles ändert und dass eingeschliffene Lebensweisen einer Korrektur bedürfen. Dass es auch in Südtirol in vielerlei Hinsicht genug ist, davon sprechen die steigenden CO2-Emissionen, die unerschwinglichen Immobilienpreise, die Überbeanspruchung der Naturräume, der Verlust der Biodiversität, die Vereinsamung, die Entsolidarisierung.
Eine Beschränkung, ein Verzicht scheint mehr denn je eine unabdingbare Voraussetzung, um als Wirtschafts- und Solidargemeinschaft in die Zukunft zu kommen. Südtirol muss um genießbar zu bleiben, „es ist genug“ sagen.
Das Kostbarste bekommen wir geschenkt
Denn das, was wirklich zählt, bekommen wir immer noch geschenkt: Freundschaft, Liebe, Zeit, Schönheit, Gesundheit, Freiheit und vieles mehr. Was kann schon damit aufgewogen werden? Was beglückt mehr als ein bereichernder, gedanklicher Austausch? Wann lebe und erlebe ich intensiver als in der Stille?
Die Ruhe der Wälder, die Farben der Jahreszeiten, die hohen Bergesgipfel, die Kulturlandschaft mit historischen Bauernhöfen: so viel Klischee und doch – noch – so real in Südtirol! Freilich – immer mehr Ziel von Begehrlichkeiten, Siedlungsräume verunstaltet, Lebensräume gestört, unwegsamste Gegenden erschlossen, historische Bauten abgerissen, Täler mit großen Verkehrsadern durchzogen.
Genuss hat mit Langsamkeit und Achtsamkeit zu tun. Nur so können wir wichtigere Ziele erreichen: Freiheit statt Forderung, Genuss statt Konsum; Authentizität statt Surrogat; Reduzierung statt Menge; Freundlichkeit statt Vereinnahmung.
Auf die Frage, woher ich komme, würde ich gerne antworten: „Aus dem Genussland Südtirol, in dem sich alle – Einheimische wie Touristen – ihrer Verantwortung für Natur, Kultur und Mitmensch bewusst sind, diese wahrnehmen und sich wie rücksichtsvolle Gäste aufführen.“
Foto: Armin Huber