Editorial

Liebe Leserinnen, lieber Leser!

Werner Atz


Ferienzeit ist Reiszeit! Viele Menschen machen sich wieder auf den Weg und genießen ein paar Tage fernab vom Alltag. Auch Inflation und Nachhaltigkeit können uns da nicht stoppen: man gönnt sich ja sonst nichts. Geht dies auch nachhaltig? Man kann das Wort schon fast nicht mehr hören: dennoch gibt es einige Dinge, die wir beachten können. Unser Titelthema ist diesmal dem nachhaltigen Reisen gewidmet.
Nachhaltig ist es auch, wenn auch jene, die es sonst nicht immer leicht haben, ein paar Tage irgendwo anders verbringen können. Nicht alle haben aber das dafür notwendige Budget und die Möglichkeit. Um den Wunsch vieler Menschen mit Beeinträchtigung nach einem erholsamen Tapetenwechsel zu erfüllen, organisiert beispielsweise die Lebenshilfe Ferien, Familienwochen und Reisen. Und das bunte Urlaubsprogramm ist sehr gefragt und wird ständig ausgebaut. Gut angenommen werden auch die Ferienwochen für Kinder und Jugendliche, Senioren und Familien am Meer der Caritas. Im letzten Jahr haben in den Strukturen in Caorle und Cesenatico über 6.000 Gäste ihre Ferien verbracht.
Gedanken über das „Genießbar bleiben“ hat sich die Obfrau des Heimat­pflegeverbands Claudia Plaikner in unserem Kommentar gemacht. Unsere KVW Reisen GmbH stellen sich und ihr Angebot genauer vor und in unserem Spezial gibt uns Ernährungswissenschaftlerin Hanna Thuile Tipps für heiße Sommertage.
Freuen wir uns auf den Sommer, auf Reisen oder daheim. Wir haben schließlich das große Glück dort zu leben, wo andere Urlaub machen!
Ihr Werner Atz

Thema

„Wir sind am Ende des unüberlegten Reisens angekommen“

Nachhaltiger Tourismus berücksichtigt seine gegenwärtigen und zukünftigen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen und geht auf die Bedürfnisse der Gäste, der Branche, der Umwelt und der lokalen Bevölkerung ein. Was das für die nachhaltige Entwicklung in Südtirol bedeutet, bespricht Harald Pechlaner, wissenschaftlicher Direktor der Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus in Südtirol und Leiter des Center for Advanced Studies von Eurac Research im Interview.
Foto: IDM Südtirol / Alex Moling
Herr Pechlaner, als Wirtschaftswissenschaftler sind Sie seit vielen Jahren in der Tourismusforschung tätig. Wann und wie wurde für Sie der Wendepunkt der Branche hin zur Nachhaltigkeit sichtbar?
Der Tourismussektor hat schon vor 10 bis 15 Jahren damit begonnen, sich mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen – allerdings wurde das Konzept lange sehr oberflächlich verstanden. Zunächst stand der ökologische Aspekt in den Betriebsabläufen im Fokus – Fragen wirtschaftlicher und sozialer Nachhaltigkeit wurden erst später gestellt.
Wo muss der Tourismussektor in Südtirol nachbessern? Wo liegen seine Stärken?
Südtirol ist zwar nicht Pionierregion, aber gut unterwegs. Es gilt nun, die Anstrengungen weiter zu verschärfen - vor allem, was den Klimadiskurs betrifft. Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Digitalisierung müssen stärker ineinandergreifen. Vor allem im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit fehlen ernsthafte Projekte. Eine aktuelle Bevölkerungsbefragung von Eurac Research und dem Landesinstitut für Statistik ASTAT zeigt, dass die Südtirolerinnen und Südtiroler sich gezielteres Handeln wünschen. Das betrifft im Sinne der Lebensraumentwicklung auch den Tourismus.
Im Landestourismusentwicklungskonzept 2030+ betonen Sie, dass Tourismus ohne die Akzeptanz der lokalen Bevölkerung nicht zukunftsfähig sein kann. Inwiefern muss diese
miteinbezogen werden?
Wir alle sind Teil des Tourismusangebots – ob wir wollen oder nicht. Unbewusst hat man die Bevölkerung in Südtirol schon früh in die touristische Entwicklung eingebunden. Viele Südtirolerinnen und Südtiroler haben mit Privatzimmervermietung, Urlaub auf dem Bauernhof oder sonstigen Aktivitäten vom Tourismus profitieren können. Dadurch, dass der Tourismus so breit aufgestellt war, war auch die Akzeptanz in der Gesellschaft hoch. Heute schaut die Sache anders aus. Wir haben sehr viele Betriebe verloren – vor allem Klein- und Kleinstbetriebe. Vier- und Fünf-Sterne-Häuser sind die Regel. Der Drei-Sterne-Betrieb, der immer das Rückgrat des Südtiroler Tourismus war, kommt zunehmend unter Druck. Es ziehen nun also deutlich weniger Südtirolerinnen und Südtiroler ökonomische Vorteile aus dem Tourismus und damit tut sich die Branche schwer, ihre gesellschaftliche Bedeutung zu erklären. Südtirol ist absolut en vogue. Man hat die richtigen Lifestyles getroffen, man hat ein attraktives Angebot geschaffen. Trotzdem wird aus dem Erfolg irgendwann der größte Feind. Man erkennt nun, dass die Sensibilität für Wachstumsfragen urplötzlich gesellschaftlich relevant wird. Der Tourismus hat den Wohlstand ins Land gebracht, so das lange geltende Narrativ. Generationen von Tourismustreibenden und Generationen von Südtirolerinnen und Südtirolern waren davon überzeugt. Für die jungen Menschen ist das aber keine relevante Erzählung mehr. Sie wollen einen Tourismus, der nachhaltig ist.
Nun werden viele soziale Probleme mit dem Tourismus verknüpft. Etwa Tourismus und leistbares Wohnen.
Auch Verkehr und Wasserverbrauch. Der Tourismus kann dieser Wahrnehmung nur gegensteuern, indem er selbst extrem nachhaltig wird, also die Flucht nach vorn antritt. Das Fehlen an Wohnraum ist gewiss nicht die alleinige Schuld des Tourismus, und das hohe Verkehrsaufkommen genauso wenig, aber entziehen kann man sich dieser Diskussion deshalb nicht.
Wie bewerten Sie die mediale Aufmerksamkeit, die dem Thema gewidmet wird?
An der Intensität der Diskussion wird deutlich, wie wichtig der Tourismus für Südtirol ist. Wir befinden uns mitten in einer Transformation. Südtirol ringt um seine Zukunft und der Tourismus spielt dabei eine große Rolle. Solche Transformationsprozesse bewegen sich immer im Wechselspiel zwischen defensivem und proaktivem Verhalten. Die Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus in Südtirol, die am Center for Advanced Studies von Eurac Research angesiedelt ist, kann eine Objektivierung in die Diskussion einbringen. Evidenz ist der Schlüssel, um gute Entscheidungen zu treffen und die Branche tut gut daran, das zu verinnerlichen, um nicht immer in der Defensive zu sein. Dadurch, dass der Tourismus so differenziert ist, kommt hinzu, dass sich sehr viele Stimmen zu Wort melden. Das sorgt nicht unbedingt für ein geschlossenes Bild in der Öffentlichkeit. Es geht darum, das Gemeinsame und die besonderen Vorteile des Tourismus in einem ausgewogenen Sinne in den Blick zu nehmen. Nachhaltigkeit heißt auch Ausgewogenheit.
Jetset versus Flug- oder Reisescham. In einem Sektor, der stark auf Wellness und Sorglosigkeit ausgerichtet ist, ist ein schlechtes Gewissen Gift für das Geschäft. Ist dieser Wertewandel gekommen, um zu bleiben?
Ich glaube, er wird sich verfestigen. Wir sind am Ende des unüberlegten Reisens angekommen. Flugscham ist ein Zeichen dafür, dass wir selbst bereit sind, auf bestimmte Freiheiten zu verzichten. Die Menschen werden immer reisen wollen, aber die Reiseströme und Bedürfnisse ändern sich. Nur mit Wellnesstempeln ist es nicht getan.
Da braucht es schon auch eine Nachhaltigkeit im Sinne von völlig unterschiedlichen Tourismusangeboten: günstigeren und teureren. Um die Tourismusgesinnung wäre es schlecht bestellt, wenn wir nur mehr Großhotels hätten.
Wie kann ein nachhaltiges Tourismusangebot für Südtirol aussehen?
Es braucht ein Angebot, das auch kleineren Portemonnaies zugänglich ist und es dürfen am Ende auch nicht zu viele Gäste kommen. Tragfähigkeit bedeutet tatsächlich, dieses Wachstum zu verlangsamen, was wir jetzt schon mit dem sogenannten Bettenstop tun. Es braucht Spielräume, um sich den Gästen zu widmen - denn dafür sind diese auch bereit, zu zahlen. Die Herausforderung im Tourismus ist es außerdem, die gesamte Dienstleistungskette – von der Buchung, Anreise, Ankunft, Beherbergung, Gastronomie und Verpflegung, zu den verschiedenen Aktivitäten in der Destination bis hin zu Ab- und Rückreise – so zu gestalten, dass man soziale, wirtschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit gleichermaßen berücksichtigt. Nachdem die Nachhaltigkeit ein dermaßen schwammiger Begriff ist, geht es darum, Glaubwürdigkeit zu schaffen: das kann über Zertifizierungen funktionieren.
Worauf achten Sie selbst beim Reisen?
Es ist ein bewussteres Reisen. Ich bin berufsbedingt viel unterwegs, achte aber sehr darauf, wie, wohin und vor allem warum ich reise.
Foto: Eurac Research / Tiberio Sorvillo
Harald Pechlaner
ist Leiter am Center for Advanced Studies von Eurac Research in Bozen und Professor für Tourismus an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt sowie Leiter des dort angesiedelten Zentrums für Entrepreneurship. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der nachhaltigen Destinationsentwicklung sowie ausgewählter Fragen der Global
Governance in der Verknüpfung zu Wirtschaft und Politik. Seit 2014 ist er ständiger Forschungsgastprofessor an der Curtin Business School in Perth, Australien und Präsident der AIEST (Association Internationale d‘Experts Scientifiques du Tourisme), der weltweit ältesten Vereinigung von Experten der Tourismuswissenschaften mit Sitz an der Universität St. Gallen. Seit fünf Jahren begleitet Harald Pechlaner das Kompetenzzentrum Tourismus des Bundes in Berlin als wissenschaftlicher Leiter. Er ist außerdem Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste.
Interview: Valeria von Miller
Die Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus in Südtirol
Südtirol ist Teil des internationalen Netzwerks der Beobachtungsstellen für nachhaltigen Tourismus (INSTO) der Welttourismusorganisation – UNWTO. Die Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus in Südtirol (STOST) ist am Center for Advanced Studies von Eurac Research angesiedelt und überwacht, analysiert und kommuniziert die Tourismusentwicklung in der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol. Sie untersucht den sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Nutzen sowie die Kosten des Tourismussektors in Südtirol und gibt Empfehlungen zur Unterstützung eines nachhaltigen Tourismusmanagements.
Weitere Infos:
sustainabletourism.eurac.edu