KVW Aktuell

Kein Dach übern Kopf

Obdachlosigkeit in Südtirol
Foto: unsplash/Jon Tyson
Genaue Zahlen dazu gibt es nicht, aber besonders in Südtirols Landeshauptstadt gibt es mehr als 130 Personen, die Abend für Abend keinen angemessenen Wohnraum haben und sich irgendwo einen Platz für die Nacht suchen müssen. Landesweit wird die Zahl auf 1.500 geschätzt, Tendenz steigend. Obdachlos und wohnungslos sind aber nicht gleichzusetzen: viele Menschen kommen eine Zeit lang ­bei Bekannten und Freunden und in Strukturen unter.
Ebenso vielfältig wie der Werdegang der Menschen, ist auch die Ursache, wieso sie kein Dach über dem Kopf haben und meist sind es auch mehrere Gründe. Häufig findet man bei Menschen, die auf der Straße leben müssen, strukturelle, individuelle oder systematische Gründe. Arbeitslosigkeit, geringe Einkommen, teure Wohnungen und Lebenshaltungskosten, können eine Wohnungslosigkeit ebenso verursachen, wie eine Trennung, familiäre Probleme oder der Tod einer nahestehenden Person. Besonders viele Betroffene können auch soziale Hilfen nicht in Anspruch nehmen, weil ihnen ohne Identitätsausweis oder Aufenthaltsgenehmigung die Berechtigung fehlt sich an öffentliche Institutionen zu wenden. Auch die mengelnde Sprachkenntnisse lassen Menschen, die sich auf der Flucht befinden, schneller in die Obdachlosigkeit abrutschen.
Dies hat dann auch zur Folge, dass diese Menschen nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können und körperliche und seelische Krankheiten chronisch werden. Ohne Adresse gibt es auch keine Aussicht auf Arbeit und die Möglichkeit wieder Anschluss zu finden, um sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und ein „normales“ Leben zu leben. Die meisten Obdachlosen, auch in Südtirol, sind Männer, die aufgrund einer Notlage in eine schwierige Situation geraten.
Kurzfristige Hilfe ist nötig, aber langfristig soll Hilfe mehr sein als Nahrung, Kleidung oder auch ein Bett für eine Nacht sein. Diesen Ansatz verfolgen mehrere Projekte, so wie zum Beispiel das dormizil in Bozen. Es ist ein Nachtquartier für 25 obdachlos Frauen und Männer im Zentrum von Bozen, dass von Freiwilligen getragen wird. Neun Privatpersonen haben 2020 den Verein housing first bozen EO gegründet und das domizil aufgesperrt. Ab Mitte 2023 wird das dormizil umgebaut und zum langfristigen Stützpunkt für obdachlose Menschen. Neun Personen ohne Dach über dem Kopf erhalten eine kleine Wohnung. Im Dachgeschoss können bis zu fünf weitere wohnungslose Menschen in einer vorübergehenden Notunterkunft schlafen.
Die Vinzenzgemeinschaft hat in der Bozner Kapuzinergasse vor kurzem ein Hygienezentrum eröffnet, wo Menschen eine Waschgelegenheit haben. Über Nacht ist es geschlossen.
Auch in Meran möchte man mit dem sog. Chancenhaus neue Wege gehen. Die Gemeinde Meran möchte obdachlosen Menschen in Zukunft eine begleitete Unterkunftsmöglichkeit anbieten. Damit nicht pünktlich mit Einbruch des Winters der Aufschrei wieder groß ist, braucht es langfristige Konzepte und Projekte. Die Politik ist gefragt, aber auch die Gesellschaft als Ganzes ist gefordert.
Das Konzept Housing first verfolgt den Ansatz Menschen unmittelbar eine eigene Wohnung anzubieten - mit Mietvertrag und ohne Vorbedingungen. Dieses „zu Hause“ soll den Menschen Kraft geben, all ihre anderen Probleme aktiv anzugehen. In Finnland hat man damit erstaunliche Erfolge erzielt: während im Rest Europas die Kurve der Obdachlosen steil nach oben steigt, ist die Zahl in Finnland rückläufig. Trotz der hohen Anfangsinvestitionen, Wohnungen anmieten und bauen, statt Notunterkünfte, sind die Kosten langfristig geringer, da der Sozialstaat durch resozialisierte Bewohner weniger belastet wird. Die Versorgung von Obdachlosen, bzw. Migranten auf der Durchreise, wird uns auch weiterhin beschäftigen. Nicht gedient ist den Menschen, die schon am Rand der Gesellschaft stehen, wenn weiterhin auf hektische Notlösungen für die kalten Wintermonate gesetzt wird, anstatt langfristige Lösungen zu suchen auch den Ausgegrenzten eine Chance zu geben. Um Menschen von der Straße zu holen, muss genügend Wohnraum zur Verfügung gestellt werden.
Text: Iris Pahl

Soziales

Mehr als nur Essen

Das erste Jahr der Tafel in Mals
Marion Januth, Gertrud Schwabl und Irmgard Moriggl (v.l.) gehören zur Gruppe der Freiwilligen der „Tafel“ in Mals
Foto: Der Vinschger/Josef Laner
Man kennt es auf den Nachrichten: Menschen stehen Schlange und werden von Freiwilligen mit gespendeten Lebensmitteln versorgt. Ganz so ist es in Mals nicht, aber auch im Vinschger Oberland gibt es eine Tafel, die bedürftige Menschen aus den umliegenden Ortschaften einmal wöchentlich mit Essen versorgt. Nun wird die Tafel ein Jahr alt und die Einrichtung hat sich bewährt und wird dankbar angenommen. Die Tafel in Mals ist die jüngste, der derzeit 10 Tafeln die, die Vinzenzgemeinschaft betreibt.
Einmal die Woche, immer donnerstags, sperren freiwillige Helfer die Türen des von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Raums auf und erwarten dort ihre Kunden. Diese müssen bedürftig sein um überhaupt Zugang zur Tafel zu bekommen. Erst dann dürfen, die in Kartone und Taschen gepackten Lebensmittel, mitgenommen werden. „ Wir kennen die Familien, die zur Tafel kommen und es werden entsprechend der Anzahl der Famililemitglieder Pakete zusammengesetzt“, so Gertrud Telser Schwabl. Sie ist ehemalige Sozialreferentin der Gemeinde Mals, in verschiedensten Gremien des KVW aktives Mitglied (Vorsitzende KVW Frauen Vinschgau, Bezirksausschuss und Landesausschuss) und nicht zuletzt die Frau der ersten Stunde bei der Tafel in Mals. Sie bringt sich aktiv bei der Planung und Ausgabe von Lebensmitteln ein.
Vor der Gründung der Tafel wurden die Menschen, die die Tafel besuchen, alle von der Tafel in Prad mitversorgt. Damit die Menschen die Tafel leichter mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen können, aber auch aus Platzgründen und gestiegenem Bedarf, wurde schließlich die Tafel in Mals eingerichtet. „Dafür braucht es die Hilfe und Unterstützung vieler: die Gemeinde Mals hat einen Raum zur Verfügung gestellt, die Freiwillige Feuerwehr vor Ort hat die Aufgabe übernommen einmal im Monat beim Banco Alimentare haltbare Lebensmitteln wie Nudeln, Reis, Mehl, Thunfisch…von Bozen nach Mals zu bringen“, so Vizebürgermeisterin Marion Januth. Mittlerweile kann man in Mals auf ein 16 köpfiges Freiwilligenteam zählen, das die Lebensmittel auspackt und gerecht verteilt. Auch die Dorfbevölkerung hilft mit und steuert Lebensmittel und Hygieneartikel bei, die in den Geschäften vor Ort in bereitgestellte Körbe gelegt werden können. Jede Woche liefert der Bäcker einen Sack Brot, die lokale Obstgenossenschaft stellt regelmäßig Äpfel zur Verfügung. Lebensmittel, die nicht mehr verkäuflich sind, da sie kurz vor dem Verfallsdatum stehen, werden von den Geschäften gespendet. „Außerdem werden wir auch immer wieder von der Großzügigkeit von Spender:innen überrascht. Gestern hat ein Mann frische Eier vorbeigebracht und so konnten wir unseren mehr als 30 Familien einige mitgeben“, freut sich Gertrud Telser Schwabl. Auch an die Freiwilligen sei schon gedachtt worden: eine Frau habe für alle Mitarbeiter der Tafel zu Weihnachten eine kleine Überraschung vorbeigebracht. Viele der Menschen sind Stammkunden, einige brauchen aber auch oft nur kurzfristig eine Überbrückung wegen Verdienstausfall bei Corona beispielsweise oder krankheitsbedingt. Das Angebot wird vor allem von kinderreichen Familien, Menschen mit Migrationshintergrund und prekär Beschäftigten in Anspruch genommen. Ein Drittel davon sind Einheimische. Die Tafel in Mals wird gebraucht: damit die Menschen, die sonst schon oft am Rande der Gesellschaft stehen und nicht immer selbst Schuld daran sind, Unterstützung erfahren.
Neben dem Essen, spendet die Tafel und alle die sich dafür engagieren auch ein kleines Stück Würde und Erleichterung im oft herausfordernden Alltag.
Text: Iris Pahl