KVW Aktuell

Solidarität - ein „Medikament“ mit hoher Wirksamkeit!

Karl Brunner,
geistlicher Assistent im KVW
Lockdowns, Ausgangssperren, Besuchsverbote, geschlossene Restaurants und Theater, Maskenpflicht, unzählige Tests … Als Gesellschaft haben wir in den letzten eineinhalb Jahren Dinge erlebt, die sich davor kaum jemand hätte vorstellen können. Wenn man den hoffnungsvollen Tönen glauben kann, dürfen wir vorsichtig davon ausgehen, dass diese Einschnitte zur Vergangenheit gehören. Wie kommt es dazu? Eine Erkenntnis der letzten Monate lautet auf den Punkt gebracht: Der Weg durch eine Pandemie gelingt nur mit Solidarität. Diese lässt sich nicht verordnen und schon gar nicht umfassend kontrollieren. Am Verhalten des*r Einzelnen entscheidet sich wesentlich mit, wie der Verlauf der Infektionen sich entwickelt. Alle Bemühungen der (politisch) Verantwortlichen, alle Tests, Medikamente und Schutzausrüstungen … all das sind wichtige Hilfsmittel. Sie können jedoch die verantwortliche Entscheidung der Menschen nicht ersetzen. Wird die Pandemie überwunden, dann durch unzählige Momente gelebter Solidarität.
Es braucht mehr Steuergeld für die anstehenden sozialen Aufgaben!
Die Folgen der Pandemie sind noch nicht absehbar. Wir wissen noch nicht einmal von allen Belastungen und allem Leid. Ohne das „Heilmittel“ Solidarität werden wir auch hier die anstehenden Aufgaben nicht bewältigen können. Es gilt jetzt mit unseren Steuergeldern nicht nur auf den ohne Zweifel wichtigen Start der Betriebe zu achten, sondern besonders auf die leisen Schreie des Leids und der sozialen Herausforderung. Wir haben nicht umsonst in der Pandemie gelernt, dass es beim Wohlergehen unserer Gesellschaft auf jede*n Einzelne*n ankommt!

TEXT: Karl Brunner

KVW Aktuell

Menschen altern in unterschiedlichen Geschwindigkeiten

Eine Studie der Uni Bozen untersucht den Prozess des Alterns
Wie ist der Stand der Forschung über den Alterungsprozess? Die Wissenschaftler*innen Barbara Plagg und Stefan Zerbe haben bestehendes Wissen zusammengeführt. In ihrer Studie „Wie beeinflusst die Umwelt das Altern des Menschen? Ein interdisziplinärer Rückblick“ haben Plagg und Zerbe bestehendes Wissen aus Medizin und Ökologie zusammengeführt. „Allein in Italien beträgt der „Alters-Gap“ zwischen der ärmeren und reicheren Bevölkerung circa zehn Jahre“, so die Verfasser der Studie. Ihre Zusammenschau soll als gesundheits- und umweltpolitische Grundlage dienen, diese Schere zu verringern.
„Der Alterungsprozess kann nicht aufgehalten werden, wohl aber kann ein gesundes Altern gefördert werden“, resümieren Plagg und Zerbe. In Südtirol gleich wie weltweit ist das Bild dasselbe: die Menschen altern unterschiedlich schnell. Da lohnt es sich, genauer hinzuschauen, um zu verstehen: Welche Gruppen altern besonders schnell? Was beeinflusst unsere Lebenserwartung und was erhält beziehungsweise beeinträchtigt unsere Gesundheit und einen gesunden Alterungsprozess? In der Übersichtsarbeit ging es unter Zusammenführung von Kenntnissen aus den Disziplinen Medizin und Ökologie darum, diese Fragen zu beantworten.
Nachhaltig geplante Städte senken den Stresspegel und verlangsamen das Altern
Die Haupttodesursachen in den Industrieländern stellen nach wie vor chronische Erkrankungen dar – also solche, die lange andauern, schwer oder gar nicht heilbar sind und im Gegensatz zu infektiösen Erkrankungen schleichend über längere Zeit hinweg entstehen. Welche Faktoren den Ausbruch sogenannter „altersassoziierter Erkrankungen“ (wie z.B. Demenz, Krebs oder kardiovaskuläre Erkrankungen) begünstigen, haben die Forscher­*innen in ihrer Arbeit zusammengetragen. Gesundes Altern bedeutet dabei weder das Altern aufzuhalten noch der Leistungsgesellschaft zuzuspielen, sondern es geht darum, die psychische wie physische Gesundheit so lange als möglich zu erhalten und bis ins hohe Alter autonom zu leben. „Wie schnell wir altern, ist nur zum kleinen Teil in unseren Genen festgelegt, Umweltfaktoren wie etwa Toxine in Luft, Wasser und Boden und soziale wie ökonomische Faktoren wie Bildungshintergrund, Wohnsituation, Arbeitsleben und Lebensstil spielen eine zentrale Rolle“, so Plagg und Zerbe.
Wenn man bedenkt, dass in Europa mittlerweile über 60 Prozent der Bevölkerung in Städten lebt, so rücken urbane Lebensraumfaktoren wie Luftverschmutzung, Hitzewellen und Lärmbelästigung ganz besonders ins Blickfeld. Prof. Stefan Zerbe, der im Südtiroler TER-Netzwerk organisiert ist, welches an der Schnittstelle von Umwelt und Gesundheit forscht, sieht in einer nachhaltigen Stadt- und insbesondere der Grünraumplanung einen wichtigen Hebel, um dem stressbedingten Altern entgegenzuwirken: „Das Individuum kann zwar selbst seinen Lebensstil ändern und auf Ernährung, Sport und soziale Kontakte achten, aber seine Umgebung, vielfach geprägt von urbanem Lebensraum, liegt weitgehend außerhalb seines direkten Einflusses. Die zusammenfassende Studie zeigt, dass sorgfältig geplantes Grün und eine Verringerung von Staub und Lärm den Stresspegel senken können, was wiederum den Altersprozess verlangsamen kann“, so der Professor für Interdisziplinäre Landschaftsökologie an der Fakultät für Naturwissenschaften und Technik der unibz, der auch Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der deutschen Berg-Stiftung für eine gesunde Stadt ist. „Generell ist es in der Medizin und den Gesundheitswissenschaften schwierig, kausale Zusammenhänge von Krankheiten und Alterungsprozessen mit Umweltfaktoren herzustellen, weswegen das interdisziplinäre Zusammenarbeiten so bedeutsam ist.“
Reichere Menschen leben länger als ärmere, auch in Südtirol
In dieselbe Kerbe schlägt Barbara Plagg, die an der Fakultät für Bildungswissenschaften der unibz lehrt und am Institut für Allgemeinmedizin an der Claudiana als Wissenschaftlerin tätig ist. Ihr Schwerpunkt liegt auf Alters- und Versorgungsforschung. „Das Thema „Health Equity“, also die Gesundheitsgerechtigkeit ist dabei zentral, denn wir können den Altersprozess und die Lebenserwartung nicht unabhängig von der sozioökonomischen Lebenswelt eines Individuums verstehen: Ein einkommensstarker Manager kann sich im Vergleich zu einem Arbeiter etwa eine bessere Wohnsituation, gesündere Ernährung, einen einfacheren Zugang zu Gesundheitsleistungen ermöglichen, gleichzeitig ist seine Arbeit physisch weniger anstrengend als schwere körperliche Tätigkeiten oder jahrelange Nachtschichten. Die Statistiken zeigen es Jahr für Jahr – die reichere Bevölkerung lebt circa acht bis zehn Jahre länger als die ärmere. Das gilt auch für Südtirol.“
Dass Frauen derzeit länger leben als Männer (Frauen: 86,1 Jahre und Männer 81,7 Jahre, Quelle: Gesundheitsbericht 2019 Südtirol) ist erst in jüngster Zeit zu verzeichnen, waren sie doch früher durch die hohe Anzahl an Geburten und der hohen Sterberate im Wochenbett gefährdeter als Männer. Betrachtet werden Umweltfaktoren wie Klima, Wasser und Luft, aber auch menschengemachte Settings und Faktoren wie urbanes Grün, sozioökonomische Faktoren oder das Einkommen. All dies spielt den Möglichkeiten, die die Vorsorge bietet, in die Hand. „Der Alterungsprozess ist komplex, viele zelluläre Vorgänge sind zwar inzwischen gut beschrieben, was diese jedoch auslöst, ist noch nicht vollständig verstanden“, so Barbara Plagg. „Was die Prävention angeht, weiß zwar jede*r um die Bedeutung von gesunder Ernährung, schimmelfreier Wohnungen und sportlicher Betätigung, allein, was nützt mir diese Information, wenn ich aufgrund meines Bildungs- bzw. Einkommensniveaus auf das billige Hackfleisch im Discounter zurückgreifen muss und in einem dicht besiedelten Viertel mit wenig Grünarealen zur körperlichen Betätigung wohne?“
In Gesundheit und Wohlergehen der Menschen investieren
Die Review, also die Zusammenschau der Studien, soll über das gebündelte Wissen helfen, gesellschaftspolitische Schritte zu setzen, gemäß dem englischen Slogan: „Make the healthier choice the easier choice“, dass also die gesunde gleichzeitig die naheliegendste und einfachste Lösung werde, und zwar für jedermann, unabhängig von Einkommen und Bildungsgrad, um Barrieren in Richtung Gesundheitsvorsorge abzubauen und den Wissenstransfer einzuleiten. „Die Studie zeigt die signifikanten Beziehungen von Umweltfaktoren und menschlicher Gesundheit bzw. Alterungsprozessen auf, die von exogenen ökologischen und sozialen Faktoren gesteuert werden“, resümiert Stefan Zerbe. Diese möglichst positiv und gesunderhaltend für alle zu gestalten, sollte ein wichtiges gesellschaftspolitisches Anliegen sein, denn am Ende kostet ein Langzeitkranker mehr als Menschen, in deren Gesundheit und Wohlergehen vorsorglich investiert wird.