Kommentar

Was hat der Fall Tönnies mit uns zu tun?

Im Juni wurden 1550 Mitarbeiter des Schlachthofs Tönnies in Nordrhein-Westfalen positiv auf den Coronavirus Covid-19 getestet. Tönnies ist der größte Fleischproduzent Europas. Der Betrieb wurde geschlossen, die Mitarbeiter mussten in Quarantäne.
DIETER MAYR
Landessekretär des SGB-Cisl
Nun staunen alle mit offenem Mund, schütteln den Kopf und fragen sich, wie ist das nur möglich in einem hochentwickelten und demokratischen Vorzeigeland wie Deutschland? Die Rede ist vom Corona-Ausbruch in der Großschlachterei Tönnies. Der Fall wurde zum Symbol für horrende Arbeitsbedingungen, für Ausbeutung, den Wettbewerb um den billigsten Preis und die Gier nach dem maximalen Profit.
Dass ausländische Arbeitskräfte mit Werkverträgen von Sub-Unternehmen zu sehr schlechten Bedingungen beschäftigt werden, um Knochenarbeit zu verrichten, ist lange bekannt; unternommen wurde aber nichts. Die Unternehmen wurden nicht müde, auf wenige schwarze Schafe hinzuweisen, weshalb nicht die gesamte Branche bestraft werden dürfte. Es gab dann „freiwillige Selbstverpflichtungen“ an die sich am Ende aber bis heute niemand hält. Es besteht kein Interesse an Veränderung. Es geht nämlich um sehr viel Geld. Lebens- und Arbeitsbedingungen sind da zweitrangig.
In Italien gibt es die schlimmsten Arbeitsbedingungen im Süden. Dort sind es skrupellose Mafia-Organisationen die mit den Methoden des „caporalato“, der illegalen Beschaffung unterbezahlter Landarbeiter, ausländische Arbeitnehmer quasi in die Sklaverei zwingen.
Wer jetzt meint, dass das alles sehr weit weg sei, der sollte einfach nur die Augen aufmachen und schon findet man auch im schönen Südtirol Arbeitsbedingungen, die eines wohlhabenden Landes nicht würdig sind. Unser Wohlstand wird leider allzu häufig von den Schwächsten geschultert.
Da sind z.B. die Kurierdienste mit Fahrrad oder Auto: Als Scheinselbständige haben sie kein Anrecht auf die Bezahlung von Überstunden, Krankheit oder Urlaub; für die Benutzung des Lieferautos müssen sie bezahlen. Leistungsdruck und Stress sind an der Tagesordnung, denn sie haften persönlich für jede Zustellung.
Wehren können sich die Betroffenen kaum. Die Hilfe der Gewerkschaften anzunehmen ist schwierig für die fast ausnahmslos ausländischen Arbeiter. Eine Arbeit zu haben ist oft die Voraussetzung für eine Aufenthaltsgenehmigung. Sie können es sich deshalb gar nicht leisten, sich mit ihren Arbeitgebern anzulegen.
Auch die Auslagerung von Diensten (Reinigung, Mensen und Betreuung usw.) ist problematisch. Der Dienst muss billig sein. Ist er das aber am Ende auch? Die Dienste werden qualitativ oft schlechter und die Beschäftigen erhalten weniger Lohn als wenn sie direkt angestellt wären. Für die Gesellschaft überwiegen die Nachteile, einige Wenige profitieren. Zudem wird die Verantwortung für die Arbeitskräfte ausgelagert.
Auch Missbrauch durch Arbeit auf Abruf und durch befristete Verträge kommt vor. Sehr problematisch ist die laxe Handhabung des Gesundheitsschutzes und der Arbeitssicherheit.
Die Unternehmen müssen wieder mehr in die Pflicht genommen werden, auch in Südtirol. Es braucht mehr Schutz für die Beschäftigten, höhere Löhne und teils auch strengere Regeln, um zu mehr Gerechtigkeit zu kommen. Der marktwirtschaftliche Wettbewerb darf nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgetragen werden; Arbeit ist keine Ware, die dem „freien Markt“ ausgesetzt sein darf.
Das Argument der Wirtschaft, es käme zu Wettbewerbsnachteilen und Arbeitsplätze seien in Gefahr stimmt nicht: Wenn alle dieselben Bedingungen vorfinden, gibt es keine Nachteile. Vor der Einführung des Mindestlohnes in Deutschland sind Horrorszenarien an die Wand gemalt worden. Passiert ist nichts, außer, dass viele Menschen mehr Geld in der Tasche haben. Gute Arbeitsbedingungen bedeuten am Ende, dass die Verteilungsgerechtigkeit zunimmt und somit mehr Menschen besser leben können. Das sollte es uns eigentlich wert sein.
TEXT: Dieter Mayr

KVW Soziales

Die Gemeinderatswahlen

Es braucht sachkundige Menschen, die sozial denken
Am 20. und 21. September finden in 113 Südtiroler Gemeinden Neuwahlen des Gemeinderats statt. Nicht gewählt wird in Deutschnofen, Sarntal und Freienfeld.
Die anstehenden Gemeinderatswahlen bieten eine gute Gelegenheit, sich mit den zentralen Themen des Verbandes eingehender auseinanderzusetzen. Damit sich Gemeinwohl, Solidarität und Nachhaltigkeit umsetzen lassen, braucht es Frauen und Männer in den Gemeinderäten, die sachkundig und sozial denkend sind. Ansonsten laufen wir Gefahr, dass gar einige, die sich der Wahl stellen, später als „Wölfe im Schafspelz“ enttarnt werden. Deswegen ersuche ich Sie, sich mit den Kandidatinnen und Kandidaten in Verbindung zu setzen und entsprechende Vorgespräche zu führen.
Wie ist die Einstellung zum Gemeinwohl?
Das Gemeinwohl ist ein zentrales Anliegen des KVW. Im Gemeinwohl sind alle Mitglieder einer Gesellschaft in die Pflicht genommen: niemand ist ausgenommen, jede und jeder hat nach ihren/seinen Möglichkeiten und Verantwortlichkeiten an der Verwirklichung und Entfaltung mitzuarbeiten. Es kann niemals in der Verantwortung einer einzelner Personen liegen, sich für das Gemeinwohl stark zu machen. Es ist immer Aufgabe der Gemeinschaft, dafür Sorge zu tragen, dass jeder Mensch ein gutes Leben führen kann und befähigt wird sein Leben eigenverantwortlich zu gestalten. Deshalb ist es dem KVW ein Anliegen, dass in den Gemeindestuben Südtirols Menschen mit einem klaren Blick auf das Gemeinwohl sitzen. Sich als sozial im Sinne eines freundlichen Wesens zu erklären, ist zu wenig. Echte soziale Einstellung bedeutet, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es ermöglichen, dass jeder Mitmensch ein Leben in Würde führen kann.
Weiters zählt der Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung, auch dies ein zentrales Anliegen des KVW. Ich möchte daran erinnern, dass wir mit dem Raubbau an unserem Planeten schon weit fortgeschritten sind und uns nur in der Achtsamkeit eine einschneidende Besserung gelingen kann. Die Rodung von Auwäldern, die Verbauung wertvollen Kulturgrundes, die beinahe grenzenlose Mobilität, um nur einiges zu nennen, brauchen Eindämmung. Nur wenn wir mit den Politikern gemeinsam Zukunft denken, wird es uns gelingen, die Umwelt den nachkommenden Generationen lebbar zu hinterlassen.
Es geht um die Würde aller Menschen
Die zukünftigen Vertreter*innen in den Gemeindestuben müssen sich für die Würde aller Menschen aussprechen und einsetzen. Dabei darf es kein „Wir zuerst“ geben. Diese in letzter Zeit salonfähig gewordene Aussage widerspricht der christlichen Einstellung und muss deshalb entschieden zurückgewiesen werden.
Das Prinzip der Subsidiarität muss wieder mehr an Wert erhalten. Was die oder der Einzelne oder die kleine Gemeinschaft selber leisten kann, darf nicht an übergeordnete Stellen delegiert werden.
Die Ehrenamtlichen im KVW sehen es als ihre Aufgabe, die Anliegen unserer Mitglieder zu vertreten. Daraus ergibt sich die Forderung nach Präsenz von KVW-nahen Politi­ker*innen in den Gemeindestuben. Ob Bürgermeister*in, Referent*in oder Gemeinderatsmitglied – jede Person mit echter sozialer Prägung ist für den KVW ein*e wertvolle*r Ansprechpartner*in.
Den Blick auf gute Lösungen richten
Nutzen wir diese Gelegenheit der Neuwahlen um dafür zu sorgen, dass viele Menschen die Zeichen der Zeit erkennen und der soziale Gedanke wieder mehr in den Vordergrund rücken kann: sozial bedeutet den Blick immer wieder auf gute Lösungen zu richten und bereit zu sein, sich auf Mitmenschen einzulassen und sich für unser aller Wohl einzusetzen.
TEXT: Werner Steiner