Thema

Es geschieht nicht von alleine

Eine menschengerechte Gesellschaft als Ziel konsequent verfolgen
Die Christinnen und Christen sollen sich für eine Gesellschaft einsetzen, in der die Würde des Menschen stets geschützt ist. Am Tag der Solidarität am 19. März wird der KVW in den Pfarreien dazu auffordern.

Werner SteinerWerner Steiner

Als Katholischer Verband der Werktätigen haben wir uns das Gestalten in unserem Land immer schon als Ziel gesetzt. Wieder neu unterstreichen wollten wir unser Handeln aber mit unseren vergangenen Jahresthemen: „Kritisch, konstruktiv, gestalten“. Allzuviele Mitmenschen verschließen ihre Augen und bestehen auf überkommenen Privilegien und Rechten. Andere lassen sich gar von Irrlichtern blenden. Wir als KVW wollen nicht nur kritische Anmerkungen zur sozialen Situation in unserem Land einbringen, sondern auch konkrete Handlungen aufweisen. Wir können wir dabei aber vorgehen? Ein Verband mit mehr als 3000 ehrenamtlichen MitarbeiterInnen ist mindestens so bunt, wie ein Harlekin. In vielen unserer Gremien sitzen Menschen guten Willens. Jede und jeder ist dabei von den eigenen Wertvorstellungen und Idealen im ehrenamtlichen Einsatz geprägt.
Christliche Soziallehre
Als zentrales Leitmotiv gilt allen die Verwirklichung der christlichen Soziallehre. Doch die Vorgangsweisen dazu sind vielfältig. Wir stufen uns als Mitglieder eines großen Sozialverbandes ein, doch bereits bei der Solidarität den schwächeren Mitmenschen gegenüber kommt es bereits zu kontroversen Ansichten. Dabei sollte es primär überall um dieselbe Frage gehen: Was passiert mit den Menschen? Die Würde des Menschen darf nicht Schaden leiden. Dieser Grundgedanke muss uns als Christinnen und Christen kompromisslos antreiben. Bereits 1891 wurde z. B. das Anliegen nach gerechtem Lohn in der Enzyklika Rerum novarum eingefordert und wir müssen bekennen, bis heute in weiten Teilen der Erde nicht verwirklicht. Uns allen sind die menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen in vielen Ländern der Erde bekannt und trotzdem schaffen wir es nicht auch nur durch bewussteres Einkaufen eine kleine Abhilfe zu schaffen. Als Christen sollten wir uns aber über die persönliche Nächstenliebe hinaus auch um konkrete Beiträge für eine bessere und lebenswerte Welt für alle Menschen einsetzen. Gerade als Christen bedeutet das: sich informieren und Stellung zu beziehen für die Schwachen in unserer Gesellschaft.
Eigenverantwortung
Wir sind uns schnell einig, dass wir als Christen zusammenstehen müssen, wir verstehen, dass der Bischof, der Landesvorsitzende im KVW dies und jenes zu sagen habe. Doch wie schaut es mit unserer Eigenverantwortung aus? Eine menschengerechte Gesellschaft entsteht nicht von allein. Sie ist auch nicht irgendwann mal fertig. Sie ist ein Ziel, für dessen Erreichung wir alle als KVW uns einsetzen: als Mitglied, in der Ortsgruppe, in den Bezirks- und Landesgremien. Das Soziale ist etwas Offenes. Wir leben in einer Welt, deren Bedingungen sich völlig verändert haben. Themen wie Arbeit, Wohnung, Familie, Krankheit und Alter prägen unser Denken. Es wird entscheidend für die Zukunft welche Weichen wir heute stellen.
Das soziale Bewusstsein muss wieder neu gelernt werden. Es ist eine Kernaufgabe unseres Verbandes hier weiter bewusstseinsbildend unterwegs zu sein. Dafür sind wir alle verantwortlich: jedes Mitglied ist verpflichtet, seine Verantwortung wahrzunehmen und dem modernen Pluralismus der Meinungen und Haltungen durch christliches Engagement entgegenzutreten.
Für ein gutes Zusammenleben
Während wir ein sehr differenziertes Gespür für unsere Umwelt aufgebaut haben und es auch in Sachen Konsum einiges zum positiven wendet, finde ich im mitmenschlichen Bereich immer schlimmer werdende Auswüchse: geradezu eine Verschmutzung der Mitwelt. Das gesellschaftliche Zusammenleben in unserem Land wird bewusst madig gemacht und das ist für mich weit schlimmer als wenn jemand ein Zigarettenschachtel achtlos wegwirft. Politische Parteien berufen sich oft auf die Grundwerte wie Freiheit, Gerechtigkeit oder Solidarität. Wenn wir diese Werte aus christlicher Sicht betrachten, sind sie es, die uns ein Leben in Würde ermöglichen. Da wir aber allzu oft unsere Grundwerte durch weitgehendste Abstraktionen zur Diskussion stellen, gibt es eine sehr freie Auslegung und damit verbunden keine klaren Ziele mehr.
Die Inhalte der katholischen Soziallehre müssen in die Tat umgesetzt werden, darin lag unsere Aufgabe als KVW in den Jahren seit der Gründung im Jahre 1948 und es wird weiterhin unsere zentrale Aufgabe sein: Die Zeichen der Zeit deuten und Wege aufzeigen, unsere Aufgabe entsprechend erfüllen zu können.

TEXT: Werner Steiner

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Christ sein heißt gestalten

Wie politisch muss eine Sozialbewegung sein?
Der „Tag der Solidarität“ ruft jedes Jahr neu dazu auf, die Gesellschaft mitzugestalten. Die Synode nennt den Grund: „Weil Gottes- und Nächstenliebe nicht voneinander zu trennen sind, muss sich das Doppelgebot der Liebe außer in karitativen Tätigkeiten auch in der strukturellen Dimension auswirken, im Ringen um den Aufbau einer Gesellschaft, die niemanden ausschließt und allen Lebenschancen ermöglicht.“

Nach meiner Einschätzung ist die Kirche heute zwei Gefahren ausgesetzt: Der Rückzug in die private Frömmigkeit und eine Debattenkultur, die sehr stark um innerkirchliche Themen kreist. Der gesellschaftspolitische Einsatz der Christen wird, wenn überhaupt, lediglich am Rande behandelt. Schon der 1945 von den Nazis ermordete Jesuitenpater Alfred Delp beklagte, dass sich Christen immer neu der Gestaltungsverantwortung für die Welt entziehen – sei es durch Scheu, sich dem Wind und Wetter der Geschichte auszusetzen, sei es durch eine latente Weltverachtung. Im Jahre 1941 stellte Alfred Delp in einer Predigt die Frage, ob die Kirche nicht Gefahr laufe, „eine Kirche der Selbstgenügsamkeit zu werden, die ihre Gesetze, Büros und Verordnungen, ihre Klugheit und Taktik hat, ihren Bestand wahrt, von ihrer Vorsicht überzeugt ist?“ Und dann: „Warum haben wir dem Leben nichts mehr zu sagen oder besser, da wir was zu sagen haben, warum sagen wir ihm nichts?“
Nicht nur in der Kirche, auch auf der Ebene der Gesellschaft ist die Stimmungslage eher depressiv, geprägt von Politikverdrossenheit, von Resignation, von Angst. Tatsache ist, dass der Fokus der Interessen sehr vieler Bürger gegenwärtig eher im Bereich der privaten Lebensbewältigung als in dem der Politik liegt. Dafür gibt es gewiss Gründe. Die großen gesellschaftspolitischen Zukunftsentwürfe der Vergangenheit haben sich erschöpft; sie beflügeln und motivieren nicht mehr. Das Leben in einer rasant sich verändernden Welt ist so komplex geworden, dass die Menschen auf Hilfe angewiesen sind, um die vielschichtigen Anforderungen einigermaßen zu bewältigen im Berufsleben, im Umgang mit Medien, mit Gesundheit, mit Bildung ect. Zugleich ahnen die Menschen, dass die gesellschaftliche Entwicklung eine tief greifende ethische Neuorientierung und Richtungsbestimmung braucht. Aber dann verhalten sich die meisten wie Zuschauer, die zwar beklagen, dass Vieles falsch läuft, sehen sich aber außer Stande, den Lauf der Dinge zu ändern.
Strukturelle Probleme
Lebenswichtige Probleme sind nun einmal nicht individueller, sondern struktureller Natur, z. B. die auseinander klaffende Schere zwischen arm und reich, die rapide Zunahme prekärer Beschäftigung, die neuen Problemlagen in der Sozial- und Gesundheitspolitik, der Klimawandel.
Es gibt in der Geschichte, Gott sei Dank, auch ermutigende Beispiele. Sternstunden, wo Politik und Zivilgesellschaft in Jahrzehnten harten Ringens und Bemühens es zustande brachten, soziale Sicherungssysteme auf die Gerade zu bringen, die sich sehen lassen können. Die Entstehung des Sozialstaates, zu der die Kirche einen substanziellen Beitrag geleistet hat, war so eine Sternstunde der aktiven Übernahme gesellschaftspolitischer Verantwortung durch die Laien.
Intervenieren, und dann?
Eine typische Interventionsform kirchlicher aber auch weltlicher Verbände ist es, Stellungnahmen zu verabschieden, die nicht selten jede Menge Forderungen enthalten. Das Problem ist nicht, dass Erklärungen abgegeben werden, sondern dass man dabei stehen bleibt. Es müsste meines Erachtens politischer gedacht werden: Wie kann man Forderungen durchbringen? Welche Organisationen haben ähnliche Ziele und Überzeugungen? Diese Schritte werden ganz selten gesetzt.


TEXT: Josef Stricker