KVW Aktuell

Der Konzertpianist

Aus der Sicht eines Flüchtlingskindes
Mit dem heurigen „Professor Claus Gatterer-Preis“ wird der 27 Jahre alte NEWS-Redakteur Yilmaz Gülüm, ausgezeichnet. Seine Rede in Bruneck anlässlich der Überreichung des Preises passt gut zum KVW Jahresthema „Südtirol wird bunter“. Yilmaz Gülüm hat trotz seiner Jugend eine besonders einfühlsame Sprache bei der Behandlung sensibler journalistischer Themen entwickelt, begründete die Jury ihre Entscheidung.

Yilmaz Gülüm wurde 1989 in Wien geboren. Nach der Matura studierte er an der Universität Wien Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Internationale Entwicklung und Politikwissenschaft. Gülüm ist seit 2009 journalistisch tätig, unter anderem für die Wiener Zeitung, Falter, APA, Puls4 und im Politikressort von NEWS.Yilmaz Gülüm wurde 1989 in Wien geboren. Nach der Matura studierte er an der Universität Wien Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Internationale Entwicklung und Politikwissenschaft. Gülüm ist seit 2009 journalistisch tätig, unter anderem für die Wiener Zeitung, Falter, APA, Puls4 und im Politikressort von NEWS.

Es gibt viele Menschen, bei denen ich mich heute bedanken möchte. Aber zu allererst, möchte ich mich bei meiner Familie bedanken. Denn wissen Sie, dass ich heute ausgezeichnet werde für sozial engagierten Journalismus, insbesondere auch für Artikel über Flüchtlinge, das ist schon etwas Besonderes. Denn ich bin selbst auch ein Flüchtlingskind.

Meine Eltern kamen nach ihrem Studium aber vor meiner Geburt als politische Flüchtlinge nach Österreich. Mein Bruder war damals noch ein Baby, wenige Monate alt. Schon in den ersten Tagen nach der Ankunft bekam er eine Lungenentzündung. Das muss man sich so vorstellen: Meine Eltern hatten praktisch kein Geld, kannten das Land nicht, die Sprache nicht, wussten nicht, wo das nächste Krankenhaus ist und selbst wenn: Woher hätten Sie wissen sollen, wie hier irgendetwas funktioniert? Sie hatten lediglich ein Baby im Arm, mit Fieber, das nicht aufgehört hat zu weinen. So war ihre Ankunft.
Ein Jahr später bin dann ich auf die Welt gekommen. Und fast 27 Jahre später sind meine Eltern heute hier. Und ich auch. Und dafür sage ich danke.
Als Journalist mit so einem komischen Namen wie meinem leidet man manchmal ein wenig darunter, dass man automatisch in das Integrations/Migrationseck gestellt wird und dadurch in den Hintergrund gerät, dass man auch andere Kompetenzen hat.
Aber natürlich hat mich unsere Familiengeschichte geprägt, auch beruflich. Wir reden heute bei Themen wie Armut oder Flucht sehr oft über Zahlen. Zahlen sind wichtig, keine Frage, aber hinter diesen Zahlen stehen Menschen und stehen Schicksale, und ich denke, das sollten wir uns immer vor Augen führen.

Fast 90.000 Aslywerber hat Österreich vergangenes Jahr aufgenommen, und die Wahrheit ist: Über die meisten von ihnen werden wir nie ein Wort erfahren. Wir erfahren in Medien zwar sehr oft etwas über Flüchtlinge, aber wir erfahren meistens nur Extremfälle. Das hat jetzt gar nicht so sehr etwas mit Flüchtlingen speziell zu tun, sondern viel mehr mit Medienlogik.
Denken Sie zum Beispiel an Berichte über Flugzeuge. Wenn wir alles, was wir über Flugzeuge wissen, ausschließlich aus den Medien wüssten, dann müssten wir davon ausgehen, dass praktisch jedes Flugzeug abstürzt, verschwindet oder abgeschossen wird. Weil Flugzeuge, die pünktlich abheben und sicher landen, über die berichtet man halt nicht.

Aber niemand von uns glaubt wirklich, dass fast jedes Flugzeug abstürzt, verschwindet oder abgeschossen wird. Und der Grund dafür ist, dass wir eigene, persönliche Erfahrungen mit Flugzeugen haben und daher wissen, dass wir in den Medien nur einen kleinen Teil der Wirklichkeit zu sehen bekommen.
Wie ist das aber, wenn wir keine eigenen, persönlichen Erfahrungen haben, wenn zum Beispiel Boulevardmedien unsere einzigen Quellen sind und wir in diesen Medien nur Extremfälle sehen? Chimamanda Adichie, eine Schriftstellerin aus Nigeria nennt das eine Single Story: Wir hören über Afrika ausschließlich im Kontext von Armut, wir hören über Flüchtlinge ausschließlich im Kontext von Kriminalität und Gefahr, und wir hören über die Mindestsicherung und Sozialhilfeempfängern im Kontext von Sozialschmaraotzern. Und Chimamanda Adichie sagt, das Problem an diesen Single Stories ist nicht, dass sie per se falsch sind. Das Problem ist, dass sie zur einzigen Story werden. Das verzerrt die Sicht auf die Wirklichkeit und ist gerade im Hinblick auf Minderheiten ein großes Problem.

Es überrascht daher nicht, wenn die Abneigung gegen Flüchtlinge dort am größten ist, wo die wenigsten Flüchtlinge leben. Dort also, wo die Menschen die wenigsten direkten Erfahrungen machen und von Flüchtlingen nur die Extremfälle aus den Medien kennen. Oder noch schlimmer: Gerüchte aus den sozialen Netzwerken.
Sozial verantwortungsvoller Journalismus kann vieles sein. Ich denke aber, gerade bei Minderheiten kann es manchmal schon reichen, weniger über Extremfälle und mehr über das ganze normale Leben zu berichten. Ich bin froh und dankbar bei einem Medium zu arbeiten, dass solche Berichte nicht nur akzeptiert, sondern immer wieder einfordert.

Nach meiner Erfahrung gibt es unter Flüchtlingen alles, was es auch im Rest der Gesellschaft gibt. Es gibt die Anständigen, und es gibt die Unanständigen. Es gibt die, die schnell ihren Platz finden, und es gibt die, die sich schwer tun. Es gibt die, die in kürzester Zeit Deutsch lernen, weil sie sprachbegabt sind. Und es gibt die, die auch nach 20 Jahren noch Schwierigkeiten mit der Sprache haben werden, weil sie sich mit Fremdsprachen eben schwer tun.
Es wird Probleme geben, keine Frage. Viele sogar. Manche zeichnen sich schon ab, andere werden uns überraschen. Wir werden viel damit zutun haben, diese Probleme so früh es geht in den Griff zu bekommen oder präventiv tätig zu sein. All das wird es geben. Aber es wird auch die Flüchtlinge geben, die uns beeindrucken, uns inspirieren. Es wird auch diejenigen geben, von denen wir viel mehr lernen können, als sie von uns. Die meisten werden allerdings einfach nur versuchen, hier ein normales, anständiges und gutes Leben zu führen.

Als ich letzten Sommer in Traiskirchen war, habe ich einen afghanischen Jugendlichen gefragt, was er einmal werden möchte. Er hat geantwortet: Konzertpianist, wie sein Vater. In seiner Heimat würden Islamisten Musik verbieten und Musiker verfolgen, daher sei er nach Österreich geflohen. Da habe ich mir gedacht: Was wenn? Was wenn in 10 oder 20 Jahren Österreichs erfolgreichster Konzertpianist ein Flüchtling aus Afghanistan ist? Oder was wenn in zehn Jahren der Kapitän der österreichischen Nationalmannschaft ein Flüchtling ist? Aber gut. Vielleicht ist das übertrieben, es muss ja nicht gleich die oberste Stufe sein. Aber vielleicht steht ja in ein paar Jahren wieder einmal ein Flüchtling hier, das wäre doch auch schon was. Vielen Dank.

KVW Aktuell

Erwartungen an Flüchtlinge

Quelle: www.ksta.de/23728544 ©2016
Der syrisch-stämmige Schriftsteller Rafik Schami hat einen Zehn-Punkte-Katalog mit Ratschlägen für Flüchtlinge formuliert.


1. Die Zeit ist hier in Deutschland reif für sie, um in Freiheit nachzudenken, selbstkritisch und ohne Angst und Tabu, was sie zu dieser Misere geführt hat. Ich gebe ein paar Stichpunkte: die Sippe, das Erdöl, die Diktatur, die Vermischung von Religion und Politik.

2. Die Flüchtlinge sollten zur Kenntnis nehmen, dass sie im christlichen Abendland aufgenommen worden sind. Und sie werden dieses weder kurz- noch langfristig verändern. Wollen aber sie sich verändern und damit am zivilisatorischen Prozess teilnehmen, dann müssen sie die Sprache dieses Landes ernsthaft lernen.

3. In diesem Land sind Frauen und Männer gleichberechtigt.

4. Die reichen arabischen Länder haben sie im Stich gelassen. Diese Länder spielen sich auf als Hüter des Islams und handeln gegen den Koran und seinen Propheten.

5. Sie sollten wissen, ein Gast in der arabisch-islamischen Welt ist ein edler Gefangener seines Gastgebers. Die bürgerliche Gesellschaft achtet die Würde, auch die des Fremden, daher sind sie keine Gefangenen, sondern Gäste mit beschränkten Rechten. Ein Weiser wirft keinen Stein in den Brunnen, aus dem er trank.

6. Dankbarkeit besteht nicht darin, unterwürfig und schleimig gegenüber den Deutschen zu sein, um insgeheim rassistisch über sie zu denken, sondern Dankbarkeit besteht in erster Linie im Respekt den Helferinnen und Helfern gegenüber. Diese tapferen Frauen und Männer sind ein Garant für die Flüchtlinge gegen die Rassisten und Populisten.

7. Die deutsche Gesellschaft ist eine demokratische, freiheitliche Gesellschaft, die nicht selten schwächer erscheint, als sie ist. Sie ist aber wehrhaft. Die Flüchtlinge sollen sich von keinem Kriminellen zur Dummheit verführen lassen, die Abwesenheit von Militärs und Polizei auf der Straße bedeute Gesetzlosigkeit.

8. In diesem Land gilt ein einziges Gesetz: Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Alle anderen Gesetze der Sippe, der Ehre, der Scharia gelten hier nicht. Wer den Flüchtlingen etwas anderes erzählt, will ihnen nur schaden.

9. Sie sollen nicht heucheln, die Homosexualität existiere in den islamisch-arabischen Ländern nicht. Hier in Deutschland haben die Homosexuellen ihr Recht auf Gleichheit und Normalität im Umgang erkämpft. Nichts wurde ihnen geschenkt.

10. Sie sollen nicht zu gelähmten Zuschauern werden, sondern aktiv am Leben teilnehmen und mit allen demokratischen Kräften dafür kämpfen, dass die Zustände und Ursachen, die zu ihrer Vertreibung führten, verschwinden.