Kommentar

Südtirols Autonomie

Das neue Statut für soziale Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich
Südtirol und die Region haben die Autonomie gut genützt. Die Regelungen für Bildungsförderung, sozialen Wohnbau, Gesundheit, Sozialhilfe, Pflegesicherung, Zusatzvorsorge, Familie, Integration, öffentliche Betreuungs- und Pflegedienste und Sanitätskörperschaften sind auf gutem Niveau. Das Statut hat sich bewährt.

Der Andrang beim ersten Open Space zum Autonomiekonvent in Bozen war groß. Foto: Südtiroler LandtagDer Andrang beim ersten Open Space zum Autonomiekonvent in Bozen war groß. Foto: Südtiroler Landtag
Karl TragustKarl Tragust

Trotzdem: das neue Statut kann und muss besser werden. Die Gegebenheiten der sozialen Sicherheit ändern sich rasant. Bewährtes ist unter Druck. Viele glauben, dass nur der Abbau der Leistungsstandards uns im internationalen Wettbewerb überleben lässt. Das Soziale wird aus dem öffentlichen Raum herausgenommen und in den privaten und individuellen Raum zurückgegeben. So ist die derzeitige Orientierung der politischen Mehrheit, die nicht unmittelbar mit dem Statut zu tun hat. Dieses stellt aber wichtige Weichen für die lokalen Gegebenheiten.


Aufgaben des Statuts


Das Statut sollte a) soziale Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich als Grundwerte vorgeben, b) die Zuständigkeiten für Gesetzgebung beim Land konzentrieren und c) Mitbestimmung und Betroffenenbeteiligung stärken.
a) Präambel:
Das Statut soll eine Präambel über die Grundwerte der Autonomie haben. Soziale Gerechtigkeit und sozialer Ausgleich sind solche Grundwerte. In einer Solidaritätsklausel wird festgeschrieben, dass Südtirol Einnahmen der öffentlichen Betriebe zu einem in den Gesetzen zu definierenden Anteil für soziale Bedürfnisse zur Verfügung stellt (z.B. Einnahmen aus Energie). Gesetze über die Befriedigung sozialer Grundbedürfnisse sehen einen mehrjährigen Finanzierungsplan vor. Bei Steuerreduzierungen sichert eine statutarische Garantieklausel die Finanzierung sozialer Grundbedürfnisse. Die Verteilung der Ressourcen nach Proporz braucht es nicht. Ausschlaggebend ist das Bedürfnis.


b) Zuständigkeiten:
Auf dem Gebiete der Region Trentino-Südtirol sind heute vier Gesetzgeber: EU, Staat, Region und autonome Provinzen. Das ist zu viel. Es ist fast unmöglich, alle vier Gesetzgeber für ein organisches Ganzes zu koordinieren. Ich plädiere für die Übertragung der Gesetzgebungsbefugnisse der Region an die Länder, für die primäre Zuständigkeit des Landes im Gesundheitswesen und für die sekundäre Zuständigkeit bei Vorsorge und Sozialversicherung. Die Übertragung der sog. Ordnungskompetenz an die Länder würde das Gesamtsystem stimmiger, organischer und einfacher machen. Die Gesetze für Wirtschaft, Bildung, Wohnbau, Gesundheit, Soziales, Familie, Arbeit, Migration können gut aufeinander abgestimmt und mit den Ordnungsbestimmungen, also dem institutionellen und organisatorischen Rahmen der Lokal-, Sozial- und Gesundheitskörperschaften, direkt verbunden werden. Das steigert Wirksamkeit und Effizienz des Gesamten. Auch die Verwaltungszuständigkeiten von Land und Lokalkörperschaften sind im Statut klarer zu regeln, damit die heutige Grauzone zwischen Landes- und Gemeindezuständigkeiten, z.B. bei der Sozialhilfe, aufgelöst wird.


c) Sozialbereich:
Im Sozialbereich ist die Ausrichtung auf die Betroffenen wichtig. Nach dem Grundsatz: Nichts ohne uns, nichts über uns. Mitbestimmungs- und Anhörungsmechanismen sind statutarisch zu verankern.


Soziales wird grenzüberschreitend


Was tun mit der Region? Aus der Sicht der Sozialgesetzgebung brauchen wir sie nicht. Interessant ist hingegen eine Klammer im europäischen und grenzüberschreitenden Sinne mit den Nachbarstaaten und Regionen. Das Modell der Europaregion ist weiterzuentwickeln. Soziale Sachverhalte werden immer grenzüberschreitender und die Regelung des lokalen Gemeinwesens muss dem Rechnung tragen. Trotz und gerade wegen der neuesten Migrationsbewegungen.

Text: Karl Tragust



KVW Aktuell

Kritisch und konstruktiv - im KVW und in der Gesellschaft

Landesversammlung des KVW - Flüchtlinge und Grenzzaun
Ein Sozialverband mit dem „K“ im Namen soll wie ein Scheinwerfer dunkle Stellen beleuchten. Aufbauend auf die ureigenen Aufgaben wie Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung, Frieden und Solidarität sollen die Menschen im Mittelpunkt stehen. Auf der Landesversammlung machten Werner Steiner und Josef Stricker den Ehrenamtlichen im KVW Mut, kritisch hinzuschauen und konstruktiv nach Lösungen zu suchen.



Podiumsdiskussion, v.l. Karl H. Brunner, Werner Steiner, Philipp Achammer, Waltraud Deeg, Martha Stocker und Josef MatznellerPodiumsdiskussion, v.l. Karl H. Brunner, Werner Steiner, Philipp Achammer, Waltraud Deeg, Martha Stocker und Josef Matzneller

Die Landesversammlung des Katholischen Verbands der Werktätigen (KVW) stand unter dem Motto „Konstruktiv, kritisch gestalten“. KVW Landesvorsitzender Werner Steiner erinnerte an die ureigenen Aufgaben der Sozialbewegung: der KVW „entstand aus dem Ruf nach Gerechtigkeit, nach Bewahrung der Schöpfung, nach Frieden unter den Volksgruppen“. Daran können sich die 3000 Ehrenamtlichen in den 250 Ortsgruppen auch heute noch orientieren. Werner Steiner machte den anwesenden Vertreterinnen und Vertreter der Ortsgruppen aus dem ganzen Land Mut, die Themen aus christlicher Sicht zu beleuchten und einen wachen Sinn für die Mitmenschen einzufordern. „Eine noch nie dagewesene Herausforderung trifft uns mit den Flüchtlingen“, sagte Steiner. KVW Ortsgruppen und Bezirke nehmen diese Herausforderung an, sind bereit einen Teil der Verantwortung mitzutragen.
Die Sensibilisierungskampagne des KVW Bezirks Bozen mit der Wanderausstellung „Wir in Südtirol“ empfing die Besucher schon vor dem Waltherhaus. Die Aufsteller, die zum Nachdenken anregen sollen, stellen den Menschen in den Mittelpunkt, egal ob Einheimischer, Zugezogener oder Flüchtling, es geht um Hobbies, Vorlieben, Gemeinsamkeiten.
Werner Steiner appellierte an die Politik, sich beim Thema Flüchtlinge nicht mit einfachen Lösungen zufrieden zu geben. „Es ist nicht leicht, in dieser Situation die richtigen Lösungen parat zu haben. Ich finde, dass die Politik noch große Anstrengungen auf sich nehmen muss“, richtete der KVW Landesvorsitzende mahnende Worte an die anwesenden Gäste.


Bürgerrechte beschnitten


Mahnende Worte gab es auch in Bezug aufs Patronat. Die italienische Regierung hat in den vergangenen Jahren wiederholt versucht, die Patronate zu schwächen. Sie sind aber wertvolle Zwischenschalter, die den Menschen helfen, zu ihren Rechten zu kommen. Kein Bürger kann sich selbst seine Rente berechnen, es baucht professionelle Beratung und Hilfeleistung und das leisten die Patronate. Der Zugang übers Internet kann dies nicht ersetzen. Abgesehen davon, dass es Menschen gibt, die nicht über die nötige Ausrüstung und die notwendigen Kenntnisse verfügen, fehlt die Beratung völlig. „Dieser Weg stellt eine eindeutige Beschneidung der Bürgerrechte dar“, warnte KVW Landesvorsitzender Werner Steiner.

Wie ein Schweinwerfer sein


Der geistliche Assistent Josef Stricker sieht die Aufgabe des Sozialverbandes mit dem „K“ im Namen darin, verdeckte Seiten des Lebens sichtbar zu machen. „Die Schweinwerfer sollen die dunklen Seiten anleuchten und ins Rampenlicht bringen“, so Stricker. Dort, wo die öffentliche Dikussion einseitig verläuft, soll sich der KVW einmischen. Gerade bei drei Themen braucht es Widerspruch, meinte Stricker: gegen die wachsende Polarisierung im Land, gegen einfache Lösungen bei komplexen Problemlagen und gegen das politische Geschäft mit der Angst.
Dunkle Flecken, die beleuchtet werden sollten sind einmal die Flüchtlinge, wo der KVW eindeutig für Humanität steht und nicht für Härte.
Aber auch bei den Steuern und Sozialabgaben müsste das Licht auf Widersprüche gelenkt werden. Es wird über den hohen Steuerdruck und die Sozialabgaben gejammert und gleichzeitig werden Forderungen nach neuen Ausgaben gestellt. „Weniger Einnahmen auf der einen Seite bedeuten aber, dass weniger‚ Geld für Soziales, Bildung, Renten und Infrastrukturen zur Verfügung steht“, machte Stricker auf einen Widerspruch aufmerksam.


Konsens suchen


Ums kritisch und konstruktiv Sein ging es in der von Thomas Angerer, KVW Bezirksvorsitzender von Bozen, moderierten Podiumsdiskussion. Angerer stellte die Frage, wie Kritik ankommt und ob sie auch konstruktiv sei. Generalvikar Josef Matzneller nannte als ein Beispiel die Synode, bei der Kritik geäußert wurde, die jedoch aus einer sehr positiven Einstellung heraus stattfand.
Die Landesrätinnen Martha Stocker und Waltraud Deeg beteuerten, dass sie Kritik ernst nehmen, sie seien froh und dankbar für Rückmeldungen, über einen möglichen Kurswechsel werde im offiziellen Rahmen und darüber hinaus beraten. Neben der Kritik sei die Bereitschaft zu Konsens und Kompromissen wichtig. „Dies sind wir noch nicht so gewohnt“, stellte Landesrat Philipp Achammer fest. KVW Werner Steiner meinte in der Diskussion, dass es leider oft so sei, dass die großen Schreier schneller gehört werden. „Der KVW ist aber nicht der große Schreier“, meinte Steiner in Richtung Politik. Um Netzwerke zu bilden und die eigenen Aktivitäten darzustellen bedient sich der KVW Bezirksvorsitzende Karl H. Brunner der neuen, sozialen Medien. Er findet, sie sind für den KVW eine gute Möglichkeit, jüngere Menschen anzusprechen und den Dialog zu suchen.


Grenzzaun der KVW Jugend


Ein Zaun aus Stacheldraht mit der Aufschrift „Grenze“ - vor dem Waltherhaus aufgebaut -, erinnerte die KVW­‚ler aus dem ganzen Land an einen dunklen Fleck. Europa dürfe nicht zu einer Festung werden, in der es offene Grenzen nur für uns, für die Touristen und Waren gibt.

Text: Ingeburg Gurndin