Kommentar
Vor und nach dem Ausschreibeorkan
Das neue Vergabegesetz des Landes
Kürzlich hat der Landtag das neue Vergabegesetz verabschiedet. Es soll nicht nur die öffentliche Vergabe von Bauaufträgen und Dienstleistungen regeln, sondern auch jene von sozialen Diensten.
Wolfgang Obwexer
Bekanntlich hat die Ausschreibungswut der öffentlichen Vergabestellen dem lokal gewachsenen privaten, nicht-gewinnorientierten Sozialwesen (in der Folge als privates Sozialwesen bezeichnet) arg zugesetzt. Wie sah aber eigentlich die Situation vorher aus?
Die öffentlichen Sozialdienste und ihre Vertreter auf politischer wie auch auf Verwaltungsebene haben diese Initiativen über Beiträge oder Verträge finanziell unterstützt. Der starke Ausbau des öffentlichen Sozialwesens war in den letzten Jahrzehnten für das private Sozialwesen zwar immer wieder eine Herausforderung, dessen gewachsene Strukturen wurden aber meist (nicht immer!) respektiert. Mit anderen Worten: Die Politik und die Verwaltung auf Landes- und Bezirksebene hatten Gestaltungsspielräume, um im Sinne der Subsidiarität private soziale Initiativen von allgemeinem Interesse zu fördern.
Politik, Verwaltung und Rechtsberater schienen blind dafür zu sein, dass die Ausschreibungen die Organisationen des privaten Sozialwesens in ihrer Identität und schließlich auch in ihrer Existenz bedrohten. Diese sahen sich plötzlich in einen Wettbewerb mit großen, überregionalen Genossenschaften und Firmen geworfen, mit denen sie um Dienste ringen mussten, die sie als ihr geistiges Eigentum betrachteten. Der Verlust von Einrichtungen und Diensten wurde für einige, vor allem kleinere Genossenschaften und Verbände, existenzbedrohend. Es hat lange Zeit wenig genutzt, der Politik warnende Stimmen wie jene von Felice Scalvini, eines Pioniers des italienischen Genossenschaftswesens und jetzigen Sozialassessors von Brescia, zu Gehör zu bringen: „Vi sono molteplici storie di servizi sociali devastati dal sistema delle gare.“ Dann aber wurde von der neuen Landesregierung das neue Vergabegesetz angekündigt. Bei dessen Erstellung wurden die Vertreter des privaten Sozialwesens miteinbezogen und angehört, aber nicht immer kontinuierlich und in entscheidenden Momenten nur unter Druck und Protest.
Um die Chancen zu nutzen, die das Vergabegesetz bietet, braucht es in Zukunft einen Dialog zwischen allen Akteuren: dem Land, den Bezirksgemeinschaften, den Gemeinden, dem privaten Sozialwesen und nicht zuletzt dem Nutzer der Dienste selbst. Eine der entscheidenden Fragen sollte dabei sein, wie man den Nutzer der Dienste in seiner Autonomie, seinen Wahlmöglichkeiten und seinen Teilhabemöglichkeiten am Gesellschaftsleben stärken kann.
TEXT: Wolfgang Obwexer
Vor dem Orkan
Vor dem Orkan war die Situation für die nicht-gewinnorientierten Trägerorganisationen nicht immer ideal, aber jedenfalls besser als heute. Viele der heute existierenden Einrichtungen und Dienstleistungen wurden von Vereinen, Stiftungen und Genossenschaften als Ausdruck des Engagements der Südtiroler Zivilgesellschaft aufgebaut. Meist ehrenamtlich tätige Personen setzten sich für unterstützungsbedürftige Gruppen wie beispielsweise Menschen mit Beeinträchtigungen, Menschen mit psychischen Erkrankungen, Menschen mit Suchtproblematiken oder Obdachlose ein.Die öffentlichen Sozialdienste und ihre Vertreter auf politischer wie auch auf Verwaltungsebene haben diese Initiativen über Beiträge oder Verträge finanziell unterstützt. Der starke Ausbau des öffentlichen Sozialwesens war in den letzten Jahrzehnten für das private Sozialwesen zwar immer wieder eine Herausforderung, dessen gewachsene Strukturen wurden aber meist (nicht immer!) respektiert. Mit anderen Worten: Die Politik und die Verwaltung auf Landes- und Bezirksebene hatten Gestaltungsspielräume, um im Sinne der Subsidiarität private soziale Initiativen von allgemeinem Interesse zu fördern.
Der Orkan
Plötzlich fegte der Ausschreibungssturm übers Land. Die öffentlichen Verwaltungen beriefen sich auf staatliche und europäische Normen, die eine Direktvergabe von sozialen Diensten scheinbar unmöglich machten. Die Rechtsberater des Landes empfahlen den öffentlichen Verwaltern auf Nummer sicher zu gehen und auf jeden Fall die Ausschreibung von sozialen Diensten den anderen Vergabeformen vorzuziehen.Politik, Verwaltung und Rechtsberater schienen blind dafür zu sein, dass die Ausschreibungen die Organisationen des privaten Sozialwesens in ihrer Identität und schließlich auch in ihrer Existenz bedrohten. Diese sahen sich plötzlich in einen Wettbewerb mit großen, überregionalen Genossenschaften und Firmen geworfen, mit denen sie um Dienste ringen mussten, die sie als ihr geistiges Eigentum betrachteten. Der Verlust von Einrichtungen und Diensten wurde für einige, vor allem kleinere Genossenschaften und Verbände, existenzbedrohend. Es hat lange Zeit wenig genutzt, der Politik warnende Stimmen wie jene von Felice Scalvini, eines Pioniers des italienischen Genossenschaftswesens und jetzigen Sozialassessors von Brescia, zu Gehör zu bringen: „Vi sono molteplici storie di servizi sociali devastati dal sistema delle gare.“ Dann aber wurde von der neuen Landesregierung das neue Vergabegesetz angekündigt. Bei dessen Erstellung wurden die Vertreter des privaten Sozialwesens miteinbezogen und angehört, aber nicht immer kontinuierlich und in entscheidenden Momenten nur unter Druck und Protest.
Nach dem Orkan?
Das neue Gesetz eröffnet Spielräume für die Vergabestellen. Uns lag bei Redaktionsschluss zwar noch nicht der endgültige Gesetzestext vor, aber die öffentliche Hand ist mit dem Gesetz dazu aufgerufen, vor der Vergabe durch Ausschreibungen alle anderen Vergabeformen zu prüfen: Unterstützung durch Beitragsvergabe, durch Erteilung von Erlaubnissen und Ermächtigungen oder durch vereinfachte Verhandlungsverfahren im Unterschwellenbereich (Verträge im Wert unter 750.000 Euro). Erst wenn diese Vergabeformen rechtlich nicht angewandt werden können, erfolgt – und dies allein im Oberschwellenbereich – eine Ausschreibung, die Qualitäts- und Nachhaltigkeitskriterien sowie die Bedürfnisse der Nutzer höher bewertet als den Preis. Wenn es der öffentliche Auftraggeber als sinnvoll erachtet, kann er sogar gänzlich von einem Preiswettbewerb absehen, indem er einen Festpreis bekannt gibt und nur das beste Qualitätsprojekt bewertet.Um die Chancen zu nutzen, die das Vergabegesetz bietet, braucht es in Zukunft einen Dialog zwischen allen Akteuren: dem Land, den Bezirksgemeinschaften, den Gemeinden, dem privaten Sozialwesen und nicht zuletzt dem Nutzer der Dienste selbst. Eine der entscheidenden Fragen sollte dabei sein, wie man den Nutzer der Dienste in seiner Autonomie, seinen Wahlmöglichkeiten und seinen Teilhabemöglichkeiten am Gesellschaftsleben stärken kann.
Zur Person
Wolfgang Obwexer ist Geschäftsführere des Landesverbandes Lebenshilfe für Menschen mit BehinderungTEXT: Wolfgang Obwexer