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Angst vor Islamisierung

Für ein echtes Miteiander sind Begegnungen notwendig
Wenn man in der Suchmaschine Google „Islamisierung“ eingibt, dann kommen über 500.000 Ergebnisse heraus. Bewegungen wie Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes), die große Anzahl der Muslime in Deutschland und Österreich, die neue Flüchtlingspolitik und die vergangenen Terroranschläge in Europa haben sicher dazu beigetragen, dass bei viele Menschen die Angst größer geworden ist. Fragen, die sich anfangs nur Experten gestellt haben, sind jetzt Fragen der Allgemeinheit geworden.
Guter Boden für diese Auseinandersetzungen und für die wachsenden Ängste stellen auch die ökonomische Krise und die Wertunsicherheit unserer Gesellschaften dar. Eine zusätzliche Schwierigkeit ist auch die Tatsache, dass oft zu schnell diese Ängste und Bedenken gleich als Islamophobie (Feindlichkeit gegen den Islam) oder Rassismus bezeichnet werden und eine echte und sachliche Auseinandersetzung nur schwer möglich ist.
14.000 Muslime in Südtirol
Nach der Entdeckung einer mutmaßlichen islamischen Terrorzelle in Südtirol ist auch bei uns die Frage der Bedrohung durch den Islam aufgetaucht. Auch die sogenannte Islamisierung wurde zum Thema. Seit mehreren Jahrzehnten leben in Südtirol Tausende von Muslimen, die jetzt die Zahl von ungefähr 14.000 erreicht haben. Man kann wohl sagen, dass es keine größeren Probleme gibt, und dass die Schwierigkeiten mehr mit kulturellen Traditionen zu tun haben. Eine Tatsache ist aber, dass zu oft das Leben von Einheimischen und den neue Bürgern mehr ein Leben nebeneinander als ein Leben miteinander ist.
Um ein echtes Miteinander zu gestalten, ist eine neue Investition an Kraft und Begegnungen notwendig. Nicht nur die Einheimischen brauchen Gelegenheiten um die neuen Bürger nicht nur aus Nachrichten und Büchern zu kennen, sondern auch den „Neuen“ muss es ermöglicht werden, ihre Vorurteile abzubauen. Jeder bewegt sich mit dem eigenen „Koffer“ voll von Erwartungen und Bildern der Wirklichkeit und des Landes, wohin man geht. Nur durch eine echte Begegnung, wo man nicht die Angst haben muss gleich in die Verteidigungsecke gedrängt zu werden, kann Integration sich positiv entwickeln. Wenn wir uns ganz gezielt mit den muslimischen Mitbürgern auseinandersetzen, werden wir bald feststellen, dass für viele von ihnen die Erfahrung Minderheit zu sein, eine ganz neue Erfahrung ist. Die Begegnung mit der westlichen und christlichen Mehrheit ist für sie völlig neu und bringt auch bei ihnen Ängste mit sich. Sie kommen aus einer mehrheitlich muslimischen Gesellschaft. Sie haben Angst die eigene kulturelle und religiöse Identität zu verlieren, da sie es nicht gewohnt sind, diese in Frage zu stellen. Eine positive und gute Begegnung, die nicht gleich auf Probleme fokussiert ist, kann dazu beitragen, dass diese Ängste langsam überwunden werden. Sie kann dazu beitragen, dass sich die eigene Religion in positivem Dialog mit der westlichen Kultur vielleicht verändert und anpasst, aber nicht radikalisiert.
Teil der Gesellschaft werden
Auch in Südtirol gibt es mittlerweile junge Muslime, die hier aufgewachsen sind und unseren Bildungsweg mit Erfolg gegangen sind. Als junge Erwachsene, nach Abschluss der Lehre oder nach der Matura, fragen sie sich, ob sie von der Gesellschaft gleichwertig gesehen werden, auch wenn sie mit Kopftuch unterwegs sind oder ihren islamischen Namen nennen. Eine Ausgrenzung würde solche Menschen der Radikalisierung und der Versuchung einer Parallelgesellschaft ausliefern.
Aufwand für beide Seiten
Oft stellen wir uns Dialog und Begegnung als ein Weg ohne Mühe und ohne großen Aufwand vor. Dies ist es aber nicht und ich glaube, dass es eine große Arbeit für beide Seiten bedeutet. Ich bin überzeugt, dass, auch wenn der Vorwurf von Blauäugigkeit immer wieder ausgesprochen wird, Dialog möglich und notwendig ist. Und auch die kleinen Schritte, die wir tagtäglich tun können, zeigen einen Weg für alle die, die guten Willens sind. Wenn wir nicht bereit sind die Begegnung und das Miteinander zu fördern, bleiben nur die, die trennen, übrig.
Zur Person
Don Mario Gretter, stammt aus Meran, Studium in Brixen, Rom, Kairo (zwei Jahre) und ein Jahr an der PISAI (Päpstliches Institut für Islam-Studien) in Rom.
Mario Gretter ist Beauftragter
für Ökumene und interreligiösen Dialog am bischöflichen
Ordinariat in Bozen.

TEXT: Don Mario Gretter

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Woher kommt die Angst

Damit die Angst nicht einengt, ist ein kluger Umgang mit ihr gefragt
Warum haben manche Menschen Angst, wenn in ihrer Nachbarschaft Flüchtlinge untergebracht werden und andere nicht? Roger Pycha erklärt, woher die Angst kommt und macht Mut, sich den neuen Situationen zu stellen. Es liegt an jedem einzelnen selbst, jeder kann bei sich selber anfangen, mit einfachen, kleinen Dingen.

Die direkte 
Begegnung ist der beste Weg, um Ängste abzubauen. - FOTO: Dieter Schütz / pixelio.deDie direkte 
Begegnung ist der beste Weg, um Ängste abzubauen. - FOTO: Dieter Schütz / pixelio.de

»Haben wir doch den Mut,
zu sagen,
dass wir Christen sind:
Haben wir doch den Mut,
dass wir da in einen
Dialog treten ...«
Angela Merkel
Was ist Angst? Woher kommt dieses Gefühl und was macht es mit uns?
Roger Pycha: Angst ist ein wertvolles und überlebensnotwendiges Gefühl. Die Vorfahren, von denen wir abstammen, sind auf Bäume geklettert, sobald etwas geraschelt hat. Die, die am Feuer sitzen geblieben sind, haben nicht überlebt. Die Angst ist nur eines der negativen Gefühle, im ganzen Spektrum. Sie ist sehr hilfreich, da sie dafür sorgt, dass wir Gefahren ausweichen oder – wenn man nicht fliehen kann – sich auf den Kampf vorbereitet. Angst ist also ein ganz normales Gefühl.
In allen Kulturen wird Angst durch Rituale gebannt. Sie kommen immer dann vor, wenn der Mensch vor neuen Situationen steht, vor etwas Fremdem. Die alten Römer haben den Buben mit 16 Jahren die Männertoga angezogen. In manchen Stämmen werden Mädchen mit der ersten Regelblutung im Frauenhaus aufgenommen.
Auch unsere religiösen Feiern sind Stärkungsrituale: die Taufe, die Firmung, die Ehe. Bei der Ehe mischt sich die Angst vor dem neuen Leben mit der Lust auf Neues und der Angst vor Veränderung.
Im Spektrum unserer Gefühle braucht es auch positive. Die Angst muss pausieren. Der Mensch sollte imstande sein, der Angst etwas entgegenzuhalten. Es ist nämlich so, dass sich mit kleinen, positiven Erlebnissen lange, schwierige Erlebnisse kompensieren lassen. Das Gefühl der Geborgenheit, der Zuneigung und Fürsorge sind Fähigkeiten, die wir entwickeln.
Nimmt die Angst in der Bevölkerung zu? Ist sie in den vergangenen Jahren mehr geworden?
Pycha: Angststörungen als Krankheitsbild nehmen zu. Die Menschen sind mittels der Medien über Risiken besser informiert. Die Risiken sind bekannt, sind quantifiziert, werden diskutiert, vergrößert und stark verbreitet. Es lässt sich sagen, dass die Angst in der Bevölkerung zunimmt. Niemand kann mehr ruhig fliegen nach dem absichtlich herbeigeführten Flugzeugabsturz in den französischen Alpen. Wir müssen mit mehr Angst leben als unsere Vorfahren. Das einzige, was wirklich hilft, ist rationale Verarbeitung.
Wie kann der Angst rational begegnet werden?
Pycha: Es hilft das Wissen, dass wir jede der bisherigen Angstsituationen überlebt haben. Dieses Wissen hilft, Angst zu überstehen. Wenn ich ganz rational rangehe, dann weiß ich nach zum Beispiel 50 gehaltenen Vorträgen, was mich erwartet, ich weiß, dass Angst dazu gehört. Sich der Angst stellen ist die beste Strategie.
Wer ist anfällig für Ängste und was kann er dagegen tun?
Pycha: Weil wir so viel haben, können wir auch viel verlieren: Gesundheit, Sicherheit, Wohlstand. Wir können zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden: entweder sind wir dankbar und zufrieden und glücklich oder wir haben dauernd Angst, das zu verlieren, was wir haben.
Ein kluger Umgang mit Angst ist also gefragt. Es liegt an mir selbst durch positives Denken es zu beeinflussen, es zu üben. Entspannung und Meditation können helfen und auch soziale Kontakte. Wichtig ist, dass die Angst klein gehalten wird um handlungsfähig zu bleiben. Natürlich helfen auch Wissen und Kenntnisse.
Großer Reichtum schützt nicht vor Ausländerfeindlichkeit, da die Angst etwas zu verlieren vermehrt vorhanden ist. Hohe Bildung hingegen schon, da die Angst kognitiv angegangen wird (Anmerkung: intellektuell, mit dem Verstand).
Was sehr wohl hilft sind Ideale, ethische Weltanschauung und religiöses Empfinden.
Die christliche Religion hat sich nie gegen Muslime gestellt, dies ist eine große Leistung der Toleranz. Das zeigt, dass sich das christliche Abendland seiner Werte besinnt. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gesagt, es sei besser selber die christlichen Werte zu leben als sich über den Untergang des christlichen Abendlandes zu beschweren. Mir scheint, dass die Mehrheit der Verantwortungsträger dieser Meinung ist.
Wie erklären Sie die Angst vor Fremden, vor Ausländern?
Pycha: Cartsen Karel Willem De Dreu von der Universität Amsterdam hat Versuche mit dem Bindungshormon als Nasenspray gemacht. Dabei wurde entdeckt, dass damit zwar die Solidarität zur Kleingruppe zunimmt, aber die Feindseligkeit anderen gegenüber größer wird. Wir kennen dieses Prinzip der Liebe und Zuneigung und das Prinzip der Abgrenzung aus unserem alltäglichen Leben: für die Familie tu ich alles.
Das, was bekannt ist, ist verständlich, ist nahe. Vorurteilen im Kopf kann nur kognitiv entgegengewirkt werden. Wir Menschen können mit dem Kopf gegensteuern, Gefühle teilen, auf Werte und Verständigung setzen, so dass sich die Scheu erübrigt.
Helfen Argumente, hilft reden und erklären gegen die Angst?
Pycha: Informationen kommen an. Wichtig sind positive Informationen, denn über die Medien kommen sie an und werden zum Gesprächsthema. Seit dem Leichenfund im LKW in Österreich sind wir empathisch geworden. Das Mitgefühl hat begonnen, Empathie bedeutet, dass wir mitweinen.
Welche Rolle spielt die Politik? Kann sie einen Beitrag leisten, dass Angst erst gar nicht aufkommt?
Pycha: Politik kann Probleme verschärfen, vor allem durch Führungspersönlichkeiten. Sie waren oft Ursache für Kriege. Die sogenannte große Politik kann sich entscheiden zwischen: Afrika bei uns einbauen oder uns im Abwehrkampf verbrauchen; aus Vertriebenen Tote machen oder sie bei uns leben lassen.
In den Gemeinden sollte offen diskutiert werden, ob man sich abschotten und eine Ausschlussgemeinde sein möchte. Oder ob man für eine humanitäre Lösung ist. Falls die Entscheidung fürs zweite fällt, dann kommt auf den Bürgermeister und die Gemeinderäte eine ganz neue Aufgabe und neue Rolle zu. Sie sind nun Fürsprecher für die Machtlosen und nicht mehr Lobby für eine starke, mächtige Gruppe.
Die Schicksale der Flüchtlinge, Bilder von überfüllten Schiffen und gestrandeten Menschen lösen große Betroffenheit aus. Was kann der Einzelne tun?
Pycha: Was ich tun kann, ist bei mir selber anfangen, mit einfachen, kleinen Dingen.
Meine Haltung überdenken, Ausländer grüßen, ein paar Worte wechseln, nach der Sprache fragen. Die Ausländer haben Angst, nicht gesehen zu werden, so wie alle Minderheiten.
Wir treffen auf Verzweifelte, Sprachlose, Verstummte, dem Tod Entronnenen, Traumatisierte. Sie können sich nicht kommunikativ äußern, da sie in einer Krise sind.
Nach der Freundlichkeit sind Hilfsbereitschaft und Spenden nächste Schritte. Soziale Unterstützung ist gefragt, die Menschen brauchen Unterkunft und Arbeit. Es braucht eine Intoleranz dem prekären Leben gegenüber, es braucht positive Gedanken, dies sind Dinge, die bei mir im Inneren stattfinden.
Wichtig ist es, Flüchtlinge rasch einzubauen, als wertvolle Menschen. Über die Arbeit kommen sie in die Gesellschaft, da darf man ruhig ein bisschen unkonventionell denken. Es gibt viele Jobs, die niemand machen will. Dadurch würden sie Anerkennung erhalten und die Hilfeleistung wäre für beide Seiten wertvoll.
Verstehen Sie die Angst der Menschen vor einer Islamisierung?
Pycha: Die Kirche hier könnte pro-aktiv werben, warum nicht eine Mission hier in Europa starten? Den Flüchtlingen könnte erklärt werden, dass sie als Christen mehr Chancen hier in dem Land haben, wo sie jetzt sind. Die Menschen in den kirchlichen Organisationen können den Flüchtlingen sagen, dass sie im Auftrag des Christentums helfen. Zur Zeit ist die Mission ausgelagert, zum Beispiel nach Afrika. Es ist aber so, dass Afrika zu uns kommt. Aus dem religiösen Bewusstsein könnte man die Menschen einladen beim Christentum mitzutun.
Was können die Menschen hier tun, die helfen wollen? Wie können die Ehrenamtlichen des KVW in den Dörfern sich einbringen?
Pycha: In den Dörfern könnte man überlegen, welche Jobs Ausländern zumutbar sind. Welche einfachen Arbeiten können sie übernehmen, wie können die Menschen eingebaut werden, natürlich gegen Bezahlung. Auch in der Betreuung älterer Menschen wird es Bedarf geben. Die sogenannten „Badante“ aus dem Osten wird es in 15 Jahren auch nicht mehr geben, vielleicht sind dann die Afrikaner ein Geschenk für uns. Durch eine Basis-Qualifikation im sozialen Bereich können diese Menschen uns helfen, bei der Betreuung älterer Menschen einen Schritt weiter zu kommen.
Zur Person
Roger Pycha, Primar des Psychiatrischen Dienstes Bruneck, Veranstalter, Moderator und Referent auf Tagungen, Kongressen und Ausbildungskampagnen zu Themen der psychischen Gesundheit, vor allem Depression.

INTERVIEW: Ingeburg Gurndin