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Woher kommt die Angst

Damit die Angst nicht einengt, ist ein kluger Umgang mit ihr gefragt
Warum haben manche Menschen Angst, wenn in ihrer Nachbarschaft Flüchtlinge untergebracht werden und andere nicht? Roger Pycha erklärt, woher die Angst kommt und macht Mut, sich den neuen Situationen zu stellen. Es liegt an jedem einzelnen selbst, jeder kann bei sich selber anfangen, mit einfachen, kleinen Dingen.

Die direkte 
Begegnung ist der beste Weg, um Ängste abzubauen. - FOTO: Dieter Schütz / pixelio.deDie direkte 
Begegnung ist der beste Weg, um Ängste abzubauen. - FOTO: Dieter Schütz / pixelio.de

»Haben wir doch den Mut,
zu sagen,
dass wir Christen sind:
Haben wir doch den Mut,
dass wir da in einen
Dialog treten ...«
Angela Merkel
Was ist Angst? Woher kommt dieses Gefühl und was macht es mit uns?
Roger Pycha: Angst ist ein wertvolles und überlebensnotwendiges Gefühl. Die Vorfahren, von denen wir abstammen, sind auf Bäume geklettert, sobald etwas geraschelt hat. Die, die am Feuer sitzen geblieben sind, haben nicht überlebt. Die Angst ist nur eines der negativen Gefühle, im ganzen Spektrum. Sie ist sehr hilfreich, da sie dafür sorgt, dass wir Gefahren ausweichen oder – wenn man nicht fliehen kann – sich auf den Kampf vorbereitet. Angst ist also ein ganz normales Gefühl.
In allen Kulturen wird Angst durch Rituale gebannt. Sie kommen immer dann vor, wenn der Mensch vor neuen Situationen steht, vor etwas Fremdem. Die alten Römer haben den Buben mit 16 Jahren die Männertoga angezogen. In manchen Stämmen werden Mädchen mit der ersten Regelblutung im Frauenhaus aufgenommen.
Auch unsere religiösen Feiern sind Stärkungsrituale: die Taufe, die Firmung, die Ehe. Bei der Ehe mischt sich die Angst vor dem neuen Leben mit der Lust auf Neues und der Angst vor Veränderung.
Im Spektrum unserer Gefühle braucht es auch positive. Die Angst muss pausieren. Der Mensch sollte imstande sein, der Angst etwas entgegenzuhalten. Es ist nämlich so, dass sich mit kleinen, positiven Erlebnissen lange, schwierige Erlebnisse kompensieren lassen. Das Gefühl der Geborgenheit, der Zuneigung und Fürsorge sind Fähigkeiten, die wir entwickeln.
Nimmt die Angst in der Bevölkerung zu? Ist sie in den vergangenen Jahren mehr geworden?
Pycha: Angststörungen als Krankheitsbild nehmen zu. Die Menschen sind mittels der Medien über Risiken besser informiert. Die Risiken sind bekannt, sind quantifiziert, werden diskutiert, vergrößert und stark verbreitet. Es lässt sich sagen, dass die Angst in der Bevölkerung zunimmt. Niemand kann mehr ruhig fliegen nach dem absichtlich herbeigeführten Flugzeugabsturz in den französischen Alpen. Wir müssen mit mehr Angst leben als unsere Vorfahren. Das einzige, was wirklich hilft, ist rationale Verarbeitung.
Wie kann der Angst rational begegnet werden?
Pycha: Es hilft das Wissen, dass wir jede der bisherigen Angstsituationen überlebt haben. Dieses Wissen hilft, Angst zu überstehen. Wenn ich ganz rational rangehe, dann weiß ich nach zum Beispiel 50 gehaltenen Vorträgen, was mich erwartet, ich weiß, dass Angst dazu gehört. Sich der Angst stellen ist die beste Strategie.
Wer ist anfällig für Ängste und was kann er dagegen tun?
Pycha: Weil wir so viel haben, können wir auch viel verlieren: Gesundheit, Sicherheit, Wohlstand. Wir können zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden: entweder sind wir dankbar und zufrieden und glücklich oder wir haben dauernd Angst, das zu verlieren, was wir haben.
Ein kluger Umgang mit Angst ist also gefragt. Es liegt an mir selbst durch positives Denken es zu beeinflussen, es zu üben. Entspannung und Meditation können helfen und auch soziale Kontakte. Wichtig ist, dass die Angst klein gehalten wird um handlungsfähig zu bleiben. Natürlich helfen auch Wissen und Kenntnisse.
Großer Reichtum schützt nicht vor Ausländerfeindlichkeit, da die Angst etwas zu verlieren vermehrt vorhanden ist. Hohe Bildung hingegen schon, da die Angst kognitiv angegangen wird (Anmerkung: intellektuell, mit dem Verstand).
Was sehr wohl hilft sind Ideale, ethische Weltanschauung und religiöses Empfinden.
Die christliche Religion hat sich nie gegen Muslime gestellt, dies ist eine große Leistung der Toleranz. Das zeigt, dass sich das christliche Abendland seiner Werte besinnt. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gesagt, es sei besser selber die christlichen Werte zu leben als sich über den Untergang des christlichen Abendlandes zu beschweren. Mir scheint, dass die Mehrheit der Verantwortungsträger dieser Meinung ist.
Wie erklären Sie die Angst vor Fremden, vor Ausländern?
Pycha: Cartsen Karel Willem De Dreu von der Universität Amsterdam hat Versuche mit dem Bindungshormon als Nasenspray gemacht. Dabei wurde entdeckt, dass damit zwar die Solidarität zur Kleingruppe zunimmt, aber die Feindseligkeit anderen gegenüber größer wird. Wir kennen dieses Prinzip der Liebe und Zuneigung und das Prinzip der Abgrenzung aus unserem alltäglichen Leben: für die Familie tu ich alles.
Das, was bekannt ist, ist verständlich, ist nahe. Vorurteilen im Kopf kann nur kognitiv entgegengewirkt werden. Wir Menschen können mit dem Kopf gegensteuern, Gefühle teilen, auf Werte und Verständigung setzen, so dass sich die Scheu erübrigt.
Helfen Argumente, hilft reden und erklären gegen die Angst?
Pycha: Informationen kommen an. Wichtig sind positive Informationen, denn über die Medien kommen sie an und werden zum Gesprächsthema. Seit dem Leichenfund im LKW in Österreich sind wir empathisch geworden. Das Mitgefühl hat begonnen, Empathie bedeutet, dass wir mitweinen.
Welche Rolle spielt die Politik? Kann sie einen Beitrag leisten, dass Angst erst gar nicht aufkommt?
Pycha: Politik kann Probleme verschärfen, vor allem durch Führungspersönlichkeiten. Sie waren oft Ursache für Kriege. Die sogenannte große Politik kann sich entscheiden zwischen: Afrika bei uns einbauen oder uns im Abwehrkampf verbrauchen; aus Vertriebenen Tote machen oder sie bei uns leben lassen.
In den Gemeinden sollte offen diskutiert werden, ob man sich abschotten und eine Ausschlussgemeinde sein möchte. Oder ob man für eine humanitäre Lösung ist. Falls die Entscheidung fürs zweite fällt, dann kommt auf den Bürgermeister und die Gemeinderäte eine ganz neue Aufgabe und neue Rolle zu. Sie sind nun Fürsprecher für die Machtlosen und nicht mehr Lobby für eine starke, mächtige Gruppe.
Die Schicksale der Flüchtlinge, Bilder von überfüllten Schiffen und gestrandeten Menschen lösen große Betroffenheit aus. Was kann der Einzelne tun?
Pycha: Was ich tun kann, ist bei mir selber anfangen, mit einfachen, kleinen Dingen.
Meine Haltung überdenken, Ausländer grüßen, ein paar Worte wechseln, nach der Sprache fragen. Die Ausländer haben Angst, nicht gesehen zu werden, so wie alle Minderheiten.
Wir treffen auf Verzweifelte, Sprachlose, Verstummte, dem Tod Entronnenen, Traumatisierte. Sie können sich nicht kommunikativ äußern, da sie in einer Krise sind.
Nach der Freundlichkeit sind Hilfsbereitschaft und Spenden nächste Schritte. Soziale Unterstützung ist gefragt, die Menschen brauchen Unterkunft und Arbeit. Es braucht eine Intoleranz dem prekären Leben gegenüber, es braucht positive Gedanken, dies sind Dinge, die bei mir im Inneren stattfinden.
Wichtig ist es, Flüchtlinge rasch einzubauen, als wertvolle Menschen. Über die Arbeit kommen sie in die Gesellschaft, da darf man ruhig ein bisschen unkonventionell denken. Es gibt viele Jobs, die niemand machen will. Dadurch würden sie Anerkennung erhalten und die Hilfeleistung wäre für beide Seiten wertvoll.
Verstehen Sie die Angst der Menschen vor einer Islamisierung?
Pycha: Die Kirche hier könnte pro-aktiv werben, warum nicht eine Mission hier in Europa starten? Den Flüchtlingen könnte erklärt werden, dass sie als Christen mehr Chancen hier in dem Land haben, wo sie jetzt sind. Die Menschen in den kirchlichen Organisationen können den Flüchtlingen sagen, dass sie im Auftrag des Christentums helfen. Zur Zeit ist die Mission ausgelagert, zum Beispiel nach Afrika. Es ist aber so, dass Afrika zu uns kommt. Aus dem religiösen Bewusstsein könnte man die Menschen einladen beim Christentum mitzutun.
Was können die Menschen hier tun, die helfen wollen? Wie können die Ehrenamtlichen des KVW in den Dörfern sich einbringen?
Pycha: In den Dörfern könnte man überlegen, welche Jobs Ausländern zumutbar sind. Welche einfachen Arbeiten können sie übernehmen, wie können die Menschen eingebaut werden, natürlich gegen Bezahlung. Auch in der Betreuung älterer Menschen wird es Bedarf geben. Die sogenannten „Badante“ aus dem Osten wird es in 15 Jahren auch nicht mehr geben, vielleicht sind dann die Afrikaner ein Geschenk für uns. Durch eine Basis-Qualifikation im sozialen Bereich können diese Menschen uns helfen, bei der Betreuung älterer Menschen einen Schritt weiter zu kommen.
Zur Person
Roger Pycha, Primar des Psychiatrischen Dienstes Bruneck, Veranstalter, Moderator und Referent auf Tagungen, Kongressen und Ausbildungskampagnen zu Themen der psychischen Gesundheit, vor allem Depression.

INTERVIEW: Ingeburg Gurndin

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In Prissian klappt es gut

Viele Freiwillige kümmern sich um Bewohner im „Haus Noah“
Als bekannt wurde, dasss Flüchtlinge nach Prissian kommen, war die Skepsis und Ablehnung groß. Die Sache nahm eine überaus positive Wende, das Engagement und die Offenheit der Bevölkerung sind überwältigend.

Gemeinsamer Ausflug in die Gärten von Trauttmansdorff - FOTO: Gemeindeinfo TisensGemeinsamer Ausflug in die Gärten von Trauttmansdorff - FOTO: Gemeindeinfo Tisens

Im Haus Noah in Prissian bei Tisens leben seit 13. Juli 40 junge Männer, sie kommen aus Nigeria, Gambia, Mali und Guinea. Am Anfang war die Skepsis der Bevölkerung groß. Es gab viele negative Stimmen, eine Facebookgruppe forderte sogar die Schließung des Heimes. Befürchtet wurden auch negative Auswirkungen auf den Tourismus und die Wirtschaft.
Es gab auch Gegenstimmen:„Ein traditionell gastfreundliches und offenes Dorf kann doch nicht jene ablehnen, die von weit her kommen und Hilfe brauchen. Im Gegenteil, unsere Gäste wären wohl empört, wenn wir bedürftigen Menschen die Unterstützung verweigern würden“, lautet die öffentliche Stellungnahme des Direktors von Meran Marketing, Thomas Aichner.
50 Tage miteinander
Nach 50 Tagen zogen die Verantwortlichen der Caritas, die das Haus leiten, und Vertreter der Gemeinde Bilanz. Das Bild, das sie Anfang September der Öffentlichkeit präsentieren, war ein überaus positives. Tisens Bürgermeister Christian Matscher gab zu, dass auch er am Anfang zu den Skeptikern zählte. Nun stehe die Gemeinde voll hinter dem Projekt und er sei überwältigt vom Engagement und der Offenheit, mit der die Bevölkerung an die Sache herangehe. „Der Einsatz der Freiwilligen war jedoch unsere Stärke. Ich bin stolz auf mein Dorf.“
Auch Vizebürgermeister Thomas Knoll bestätigt: „Die Kraft unserer Freiwilligen ist unsere Stärke. Die jungen Menschen haben uns gezeigt, dass Dinge geändert werden können.“ Knoll betonte, er sehe das Neue und Andere als Chance für eine positive Entwicklung der Gemeinde. Er bedankt sich für die allgemeine positive Resonanz im Dorf.
Eine Gruppe von Freiwilligen aus der Dorfgemeinschaft, die bunt zusammengewürfelt ist, bemüht sich, die Zeit der Bewohner des „Hauses Noah“ so sinnvoll wie möglich zu gestalten.
Initiativen der Freiwilligen
Die Initiativen reichen vom Sport über Sprachentreffs (neben den Sprachkursen der Caritas), Spielenachmittagen mit der Jungschar, Instrumente bauen, interkulturelles Kochen und einem Gartenprojekt bis zum Theaterprojekt für das Weihnachtsspiel, bei dem fünf Bewohner einen aktiven Part übernehmen werden.
Flüchtlingshilfe des Staates
Der Staat bezahlt pro Flüchtling: 35 Euro am Tag für Miete, Verpflegung; das Geld geht meist direkt an die Aufnahmeeinrichtung.
Der Flüchtling erhält 2,50 Euro/Tag Taschengeld und kostenlosen Sprachunterricht.
Nach Erteilung der Asylerlaubnis gibt es keine weiteren staatlichen Zahlungen, der Flüchtling erhält eine Arbeitsgenehmigung.