Kommentar
Chancengleichheit 2.0
Plädoyer für ein nachhaltiges Miteinander
Integration hat für mich viel mit Geborgenheit zu tun. Der Einzelne sehnt sich nach Geborgenheit, während die Gesellschaft auf Integration und Zusammenhalt bedacht ist. Aber es gibt einen Unterschied.
Philipp Frener
Geborgenheit ist nicht selbstverständlich; es basiert auf Gegenseitigkeit und deshalb wissen wir es zu schätzen. Mit Integration ist es dasselbe. Nur schätzen tun wir Integration oft nur halbherzig.
Vielleicht liegt es am Begriff selbst. Integration hängt zwangsläufig mit Ausgrenzung zusammen. Wo nicht ausgegrenzt wird, braucht es auch keine Integration. Uns fällt es oft schwer, einzugestehen, dass unsere Gesellschaft einige ihrer Mitglieder ausgrenzt und wir anderen manchmal jene Integration in die Gesellschaft verweigern, die wir für uns selbst beanspruchen.
Menschen mit Migrationshintergrund sind davon besonders betroffen. In vielerlei Hinsicht haben Menschen mit Migrationshintergrund – in der oew nennen wir sie Zweiheimische – dieselben Sorgen und Hoffnungen, Probleme und Träume, Schwierigkeiten und Erfolge wie Menschen ohne Migrationshintergrund. Insofern könnte man dem ehemaligen CDU-Oberbürgermeister von Stuttgart, Wolfgang Schuster, beipflichten, als er meinte: „Jeder, der in Stuttgart lebt, ist ein Stuttgarter“.
Aber im Gegensatz zu ihren Mitbürger*innen, werden Zweiheimische viel zu oft ausgegrenzt (auch verbal durch Ressentiments) und übersehen. Wird man ausgegrenzt und übersehen, ist man kein gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft; die eigenen Anliegen werden ignoriert.
Das muss nicht sein. Die Politik hat durchaus Möglichkeiten, diese Blockaden auf dem Weg der Integration ganz offen anzusprechen und zu verringern. Joachim Wolbergs, SPD-Oberbürgermeister von Regensburg, hat es 2014 vorgemacht: „Wir machen ernst mit Integration. Menschen mit Migrationshintergrund sind uns herzlich willkommen.“
In vielen Südtiroler Gemeinden wurde inzwischen das Thema Integration zur Kompetenz erhoben und ein Ausschussmitglied damit betraut. Das ist ein klares Zeichen, dass das Thema Integration ernst genommen wird. Gleichzeitig erhielten Zweiheimische damit jene politischen Ansprechpersonen, die ihnen durch Unter- oder Nichtvertretung in den Gemeinderäten fehlen.
„Integration beginnt vor Ort“, schrieb Landesrat Philipp Achammer in einen Brief an Südtirols Bürgermeister*innen Anfang Juni. Damit hat er Recht. Gemeinden können wichtige Anstöße geben, die Zweiheimischen das Gefühl geben, dass sie sich in der Öffentlichkeit zeigen dürfen wie sie sind, ohne sich dafür schämen zu müssen oder dafür schief angeschaut zu werden. Dabei geht es vor allem um drei Arten von Maßnahmen: Momente der Begegnung, kreative Entfaltungsräume und Chancengleichheit.
Diese Maßnahmen sind vor allem an zwei Bevölkerungsgruppen zu richten: Frauen und Jugendliche. Wenn wir uns eingestehen, dass Zweiheimische vor großen Herausforderungen stehen, dann trifft dies auf Frauen mit Migrationshintergrund ganz besonders zu. In diesem Sinne könnte der Kampf um Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen auf den Kampf für Chancengleichheit zwischen Ein-, Zwei- und Mehrheimischen ausgeweitet werden. Name des Projekts: Chancengleichheit 2.0.
Dann gibt es noch die jungen Zweiheimischen und die zweite Generation, also Jugendliche, deren Eltern eingewandert sind. Diese jungen Menschen kennen oft nichts anderes als ein Leben in Südtirol, und dennoch scheint es mir oft, als ob wir uns mit diesen jungen Südtiroler*innen sehr, sehr schwer tun, ihnen einen positiven Blick auf ihre Zukunft in Südtirol zu vermitteln. Diese Generation braucht Zuspruch, Mut, aber in erster Linie in allen Lebensbereichen dieselben Chancen wie ihre Altersge-noss*innen.
Gemeinden sind sich dabei nicht selbst überlassen. „Vor Ort“ sind auch einschlägige Organisationen, Einrichtungen und Migrant*innenvereine, die mit ihrem Knowhow für Projekte, die Schritte in Richtung Integration setzen, zur Verfügung stehen.
Es gehört zu den zentralen Aufgaben der Politik, Gemeinschaft zu stiften. Dabei kann die Politik zwischen Veränderung und Starre, zwischen Integration und Ausgrenzung entscheiden. Eine Gesellschaft, in der Ausgrenzung und Ignoranz praktiziert oder toleriert werden, stellt sich auf ein prekäres Fundament, das ihre Zukunftsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt. Ein klares Bekenntnis zur Integration hingegen ist Ausdruck von Nächstenliebe und Zivilcourage und ein klares Bekenntnis zu einem nachhaltigen Miteinander in unserer Gesellschaft – damit sich jede*r Einzelne geborgen fühlt.
Text: Philipp Frener
Philipp Frener ist Vorsitzender der Organisation für Eine solidarische Welt oew und Mitherausgeber von Zebra, der Straßenzeitung für Südtirol. Er ist Autor von „Wegweiser für neue Südtirolerinnen und Südtiroler“.
Vielleicht liegt es am Begriff selbst. Integration hängt zwangsläufig mit Ausgrenzung zusammen. Wo nicht ausgegrenzt wird, braucht es auch keine Integration. Uns fällt es oft schwer, einzugestehen, dass unsere Gesellschaft einige ihrer Mitglieder ausgrenzt und wir anderen manchmal jene Integration in die Gesellschaft verweigern, die wir für uns selbst beanspruchen.
Einheimische und Zweiheimische
Menschen mit Migrationshintergrund sind davon besonders betroffen. In vielerlei Hinsicht haben Menschen mit Migrationshintergrund – in der oew nennen wir sie Zweiheimische – dieselben Sorgen und Hoffnungen, Probleme und Träume, Schwierigkeiten und Erfolge wie Menschen ohne Migrationshintergrund. Insofern könnte man dem ehemaligen CDU-Oberbürgermeister von Stuttgart, Wolfgang Schuster, beipflichten, als er meinte: „Jeder, der in Stuttgart lebt, ist ein Stuttgarter“.
Aber im Gegensatz zu ihren Mitbürger*innen, werden Zweiheimische viel zu oft ausgegrenzt (auch verbal durch Ressentiments) und übersehen. Wird man ausgegrenzt und übersehen, ist man kein gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft; die eigenen Anliegen werden ignoriert.
Das muss nicht sein. Die Politik hat durchaus Möglichkeiten, diese Blockaden auf dem Weg der Integration ganz offen anzusprechen und zu verringern. Joachim Wolbergs, SPD-Oberbürgermeister von Regensburg, hat es 2014 vorgemacht: „Wir machen ernst mit Integration. Menschen mit Migrationshintergrund sind uns herzlich willkommen.“
Integration beginnt vor Ort
In vielen Südtiroler Gemeinden wurde inzwischen das Thema Integration zur Kompetenz erhoben und ein Ausschussmitglied damit betraut. Das ist ein klares Zeichen, dass das Thema Integration ernst genommen wird. Gleichzeitig erhielten Zweiheimische damit jene politischen Ansprechpersonen, die ihnen durch Unter- oder Nichtvertretung in den Gemeinderäten fehlen.
„Integration beginnt vor Ort“, schrieb Landesrat Philipp Achammer in einen Brief an Südtirols Bürgermeister*innen Anfang Juni. Damit hat er Recht. Gemeinden können wichtige Anstöße geben, die Zweiheimischen das Gefühl geben, dass sie sich in der Öffentlichkeit zeigen dürfen wie sie sind, ohne sich dafür schämen zu müssen oder dafür schief angeschaut zu werden. Dabei geht es vor allem um drei Arten von Maßnahmen: Momente der Begegnung, kreative Entfaltungsräume und Chancengleichheit.
Maßnahmen besonders für Frauen
Diese Maßnahmen sind vor allem an zwei Bevölkerungsgruppen zu richten: Frauen und Jugendliche. Wenn wir uns eingestehen, dass Zweiheimische vor großen Herausforderungen stehen, dann trifft dies auf Frauen mit Migrationshintergrund ganz besonders zu. In diesem Sinne könnte der Kampf um Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen auf den Kampf für Chancengleichheit zwischen Ein-, Zwei- und Mehrheimischen ausgeweitet werden. Name des Projekts: Chancengleichheit 2.0.
Dann gibt es noch die jungen Zweiheimischen und die zweite Generation, also Jugendliche, deren Eltern eingewandert sind. Diese jungen Menschen kennen oft nichts anderes als ein Leben in Südtirol, und dennoch scheint es mir oft, als ob wir uns mit diesen jungen Südtiroler*innen sehr, sehr schwer tun, ihnen einen positiven Blick auf ihre Zukunft in Südtirol zu vermitteln. Diese Generation braucht Zuspruch, Mut, aber in erster Linie in allen Lebensbereichen dieselben Chancen wie ihre Altersge-noss*innen.
Politik soll Gemeinschaft stiften
Gemeinden sind sich dabei nicht selbst überlassen. „Vor Ort“ sind auch einschlägige Organisationen, Einrichtungen und Migrant*innenvereine, die mit ihrem Knowhow für Projekte, die Schritte in Richtung Integration setzen, zur Verfügung stehen.
Es gehört zu den zentralen Aufgaben der Politik, Gemeinschaft zu stiften. Dabei kann die Politik zwischen Veränderung und Starre, zwischen Integration und Ausgrenzung entscheiden. Eine Gesellschaft, in der Ausgrenzung und Ignoranz praktiziert oder toleriert werden, stellt sich auf ein prekäres Fundament, das ihre Zukunftsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt. Ein klares Bekenntnis zur Integration hingegen ist Ausdruck von Nächstenliebe und Zivilcourage und ein klares Bekenntnis zu einem nachhaltigen Miteinander in unserer Gesellschaft – damit sich jede*r Einzelne geborgen fühlt.
Text: Philipp Frener
Philipp Frener ist Vorsitzender der Organisation für Eine solidarische Welt oew und Mitherausgeber von Zebra, der Straßenzeitung für Südtirol. Er ist Autor von „Wegweiser für neue Südtirolerinnen und Südtiroler“.