Thema

Die Erde ist für alle da

„Die Erde ist für alle da”: das ist das Thema des heurigen Tags der Solidarität. Damit lädt die Diözese dazu ein, in den eigenen Überlegungen und im Gebet die Aufmerksamkeit auf den Nächsten zu richten. Die Solidarität, die Freude am Wissen, dass wir Menschen uns um den anderen kümmern können, stehen im Mittelpunkt.

Michele TomasiMichele Tomasi

„Die Erde ist für alle da“. Dieser Satz stammt aus einem Kommentar des heiligen Ambrosius, Bischof in Mailand, zur Bibelstelle vom Weinberg in Nabot (ein Fall von sozialer Ungerechtigkeit, erzählt in Kön. 21,1-9), aufgeschrieben wahrscheinlich 395 nach Christi. Ambrosius half seinen Gläubigen beim Nachdenken über das Verhältnis zwischen Armen und Reichen, über den Umgang mit Reichtum. Schon damals war das Thema alt, der Bischof von Mailand musste seine Zuhörer davon überzeugen, dass es trotzdem noch von einer dringenden Aktualität war.
Es überrascht nicht, dass dieser Ausdruck im Laufe der Jahrhunderte immer wieder auftaucht, bis zur Enzyklika von Papst Paul VI, die er 1967 der Entwicklung der Völker widmete („Populorum progressio“). Sehr prägnant schreibt Paul VI: „Es ist bekannt, mit welcher Entschiedenheit die Kirchenväter gelehrt haben, welche Haltung die Besitzenden gegenüber den Notleidenden einzunehmen haben: »Es ist nicht dein Gut«, sagt Ambrosius, »mit dem du dich gegen den Armen großzügig weist. Du gibst ihm nur zurück, was ihm gehört. Denn du hast dir herausgenommen, was zu gemeinsamer Nutzung gegeben ist. Die Erde ist für alle da, nicht nur für die Reichen.«“ (Papst Paul VI, Populorum Progressio, 23).
Es ist eine so einfache Anweisung, dass es überrascht, sie im Laufe der Zeit in den Lehren und Verkündigungen der Kirche immer wieder zu hören. Sie überrascht und beunruhigt immer von neuem. Wenn man genau hinschaut, ist es das Fundament fürs Prinzip der weltweiten Bestimmung der Güter: die Güter der Erde sind von Gott geschaffen, zum Unterhalt für alle Menschen und damit sie ein Leben in Würde führen können. Eine Folge davon ist, dass „die christliche Überlieferung das Recht auf privates Eigentum nie als absolut und unantastbar verstanden hat: Ganz im Gegenteil, sie hat es immer im größeren Rahmen des gemeinsamen Rechtes aller auf die Nutzung der Güter der Schöpfung insgesamt gesehen: das Recht auf Privateigentum als dem gemeinsamen Recht auf Nutznießung untergeordnet, als untergeordnet der Bestimmung der Güter für alle.“ (Kompendium der Gesellschaftslehre de Kirche, 171). Das Recht auf privates Eigentum ist sicherlich anerkannt, es ist ein wichtiges Prinzip im sozialen Zusammenleben und in der Wirtschaft, aber es ist nicht ein absolutes Prinzip, das keine Grenzen kennt: es muss geregelt sein, es muss allen dienen, nicht nur denen, die besitzen.
Besitz muss allen dienen
„Die Erde ist für alle da, nicht nur für die Reichen”, dies bedeutet, dass das, was ich besitze, mir gehört, aber ich kann damit nicht alles tun, was ich will. Die Bedürfnisse und die Rechte anderer müssen berücksichtigt werden. Ich muss damit dem Gemeinwohl dienen, ich muss sie zum Wohl des Nächsten einsetzen. Da es eine Menschenwürde gibt, die uns alle verbindet, muss ich mein Vermögen nicht nur zu meinem alleinigen Vorteil einsetzen: dies ist originell, wichtiger als jedes Prinzip und jede Regel, die es mir erlaubt, ein großes Vermögen zu besitzen zur Befriedigung meiner Bedürfnisse, während zum Beispiel ein Kind im Afrika südlich der Sahara, sich in so großer Armut befindet, dass es an Hunger stirbt.
Wenn Papst Franziskus in den Ermahnungen im Evangelii Gaudium an dies alles erinnert, greift er auf das Argument des heiligen Ambrosius zurück: „Der private Besitz von Gütern rechtfertigt sich dadurch, dass man sie so hütet und mehrt, dass sie dem Gemeinwohl besser dienen; deshalb muss die Solidarität als die Entscheidung gelebt werden, dem Armen das zurückzugeben, was ihm zusteht” (Franziskus, Evangelii Gaudium, 189).
Wenn wir darüber nachdenken, wie stark wir am Eigentum hängen, wie bedeutend privater Besitz in unsere ganzen sozialen Beziehungen ist, von denen in der Familie bis zur globalen Ebene, verstehen wir, wie sehr uns diese einfache, scheinbar triviale Aussage in Krise bringt. Wir müssen neue Methoden der Produktion finden, des Arbeitens, des Konsums; das Wort Solidarität muss einen neuen und tieferen Sinn bekommen; wir müssen lernen neu zu definieren, was richtig und notwendig ist.
Gedanken:
Wenn die Erde für alle da ist,
ist die gerechte Verteilung der Güter an alle keine Gabe von Almosen, sondern Gerechtigkeit. Wir geben dem Armen das, was ihm zusteht.
Wenn die Erde für alle da ist,
dürfen wir sie nicht zerstören, wir dürfen Rohstoffe nicht verbrauchen, ohne an die Folgen auf der Welt und für die kommenden Generationen zu denken.
Wenn die Erde für alle da ist,
müssen wir gemeinsam für sie Sorge tragen.
Wenn die Erde für alle da ist,
darf es uns nicht egal sein, wohin es jene verschlägt, die ihr Haus und ihr Land verlassen müssen: die ganze Erde kann Heimat werden, für jeden (auch für uns, aber nicht nur für uns),
Wenn die Erde für alle da ist,
wird das, was wir geben, auch uns ernähren, wir ernähren uns von dem, was wir verschenken; Ambrosius lehrt: „wer mit dem Armen Mitleid hat, nährt sich selbst”.
Wenn wir es schaffen zu spenden,
ist dies ein Beitrag zu einer gerechteren und barmherzigeren Welt, in der die Güter sich vermehren und alle sie genießen können. Nur Gott, der uns alles schenkt, was sein ist, kann uns helfen in Tiefe und Wahrheit dieses Wort zu leben: wenn wir es wirklich wollen, wird er uns dazu befähigen.


TEXT: Michele Tomasi, Generalvikar

Thema

Was heißt Solidarität?

Am 8. März ist der „Tag der Solidarität“
„Solidarität“ bedeutet ... Auszüge aus dem Rundschreiben ‚EVANGELII GAUDIUM’ von
Papst Franziskus.

… Man kann nicht mehr behaupten, die Religion müsse sich auf den Privatbereich beschränken und sie existiere nur, um die Seelen auf den Himmel vorzubereiten. Wir wissen, dass Gott das Glück seiner Kinder, obwohl sie zur ewigen Fülle berufen sind, auch auf dieser Erde wünscht, denn er hat alles erschaffen, damit wir uns daran freuen können, damit alle sich daran freuen können. Daraus folgt, dass die christliche Umkehr verlangt, all das zu überprüfen, was das Sozialwesen ausmacht und zur Erlangung des Allgemeinwohls beiträgt … (§ 182)
Die Erde ist unser gemeinsames Haus
… Wir lieben diesen herrlichen Planeten, auf den Gott uns gesetzt hat, und wir lieben die Menschheit, die ihn bewohnt, mit all ihren Dramen und ihren Mühen, mit ihrem Streben und ihren Hoffnungen, mit ihren Werten und ihren Schwächen. Die Erde ist unser gemeinsames Haus, und wir sind alle Brüder. Obwohl die gerechte Ordnung der Gesellschaft und des Staates zentraler Auftrag der Politik ist, kann und darf die Kirche im Ringen um Gerechtigkeit nicht abseits bleiben. Alle Christen, auch die Hirten, sind berufen, sich um den Aufbau einer besseren Welt zu kümmern. Darum geht es, denn die Soziallehre der Kirche ist in erster Linie positiv und konstruktiv, sie bietet Orientierung für ein verwandelndes Handeln, und in diesem Sinn hört sie nicht auf, ein Zeichen der Hoffnung zu sein, das aus dem liebevollen Herzen Jesu Christi kommt… (§ 183)

Um über jene verschiedenen Themenkreise nachzudenken, verfügen wir mit dem Kompendium der Soziallehre der Kirche über ein sehr geeignetes Instrument, dessen Gebrauch und Studium ich nachdrücklich empfehle … (§ 184)

… Jeder Christ und jede Gemeinschaft ist berufen, Werkzeug Gottes für die Befreiung und die Förderung der Armen zu sein, so dass sie sich vollkommen in die Gesellschaft einfügen können; das setzt voraus, dass wir gefügig sind und aufmerksam, um den Schrei des Armen zu hören und ihm zu Hilfe zu kommen. … der Mangel an Solidarität gegenüber seinen Nöten beeinflusst unmittelbar unsere Beziehung zu Gott. Immer kehrt die alte Frage wieder: Wenn jemand Vermögen hat und sein Herz vor dem Bruder verschließt, den er in Not sieht, wie kann die Gottesliebe in ihm bleiben? … (§ 187)

… Die Forderung, auf diesen Ruf zu hören, folgt aus der Befreiung, die die Gnade in jedem von uns wirkt, und deshalb handelt es sich nicht um einen Auftrag, der nur einigen vorbehalten ist: Die Kirche, die dem Evangelium von der Barmherzigkeit und der Liebe zum Menschen folgt, hört den Ruf nach Gerechtigkeit und möchte mit allen ihren Kräften darauf antworten. In diesem Rahmen versteht man die Aufforderung Jesu an seine Jünger: » Gebt ihr ihnen zu essen! « (Mk 6,37), und das beinhaltet sowohl die Mitarbeit, um die strukturellen Ursachen der Armut zu beheben und die ganzheitliche Entwicklung der Armen zu fördern, als auch die einfachsten und täglichen Gesten der Solidarität angesichts des ganz konkreten Elends, dem wir begegnen. Das Wort „Solidarität“ hat sich ein wenig abgenutzt und wird manchmal falsch interpretiert, doch es bezeichnet viel mehr als einige gelegentliche großherzige Taten. Es erfordert, eine neue Mentalität zu schaffen, die in den Begriffen der Gemeinschaft und des Vorrangs des Lebens aller gegenüber der Aneignung der Güter durch einige wenige denkt … (§ 188)
Solidarische Gewohnheiten
… Die Solidarität ist eine spontane Reaktion dessen, der die soziale Funktion des Eigentums und die universale Bestimmung der Güter als Wirklichkeiten erkennt, die älter sind als der Privatbesitz. Der private Besitz von Gütern rechtfertigt sich dadurch, dass man sie so hütet und mehrt, dass sie dem Gemeinwohl besser dienen; deshalb muss die Solidarität als die Entscheidung gelebt werden, dem Armen das zurückzugeben, was ihm zusteht. Wenn diese Einsichten und eine solidarische Gewohnheit uns in Fleisch und Blut übergehen, öffnen sie den Weg für weitere strukturelle Umwandlungen und machen sie möglich. Eine Änderung der Strukturen, die hingegen keine neuen Einsichten und Verhaltensweisen hervorbringt, wird dazu führen, dass ebendiese Strukturen früher oder später korrupt, drückend und unwirksam werden … (§ 189)

… Manchmal geht es darum, den Schrei ganzer Völker, der ärmsten Völker der Erde zu hören, denn der Friede gründet sich nicht nur auf die Achtung der Menschenrechte, sondern auch auf die Achtung der Rechte der Völker. Bedauerlicherweise können sogar die Menschenrechte als Rechtfertigung für eine erbitterte Verteidigung der Rechte des Einzelnen oder der Rechte der reichsten Völker genutzt werden. Bei allem Respekt vor der Unabhängigkeit und der Kultur jeder einzelnen Nation muss doch immer daran erinnert werden, dass der Planet der ganzen Menschheit gehört und für die ganze Menschheit da ist und dass allein die Tatsache, an einem Ort mit weniger Ressourcen oder einer niedrigeren Entwicklungsstufe geboren zu sein, nicht rechtfertigt, dass einige Menschen weniger würdevoll leben. Es muss noch einmal gesagt werden: Die am meisten Begünstigten müssen auf einige ihrer Rechte verzichten, um mit größerer Freigebigkeit ihre Güter in den Dienst der anderen zu stellen. … Wir haben es nötig, in der Solidarität zu wachsen. Sie muss es allen Völkern erlauben, ihr Geschick selbst in die Hand zu nehmen so, wie jeder Mensch gerufen ist, sich zu entwickeln … (§ 190)
Wohlstand in vielfältigen Aspekten
… Wir sprechen nicht nur davon, allen die Nahrung oder eine menschenwürdige Versorgung zu sichern, sondern dass sie einen Wohlstand in seinen vielfältigen Aspekten erreichen. Das schließt die Erziehung, den Zugang zum Gesundheitswesen und besonders die Arbeit ein, denn in der freien, schöpferischen, mitverantwortlichen und solidarischen Arbeit drückt der Mensch die Würde seines Lebens aus und steigert sie. Der gerechte Lohn ermöglicht den Zugang zu den anderen Gütern, die zum allgemeinen Gebrauch bestimmt sind. (§ 192)