Thema

Reformwut hinterlässt Ratlosigkeit

Das Soziale ist nicht Kostenfaktor und Wachstumsbremse
„Das Reformspektakel – Warum der menschliche Faktor mehr Respekt verdient“ so lauten Titel und Untertitel eines Buches des Frankfurter Jesuiten Friedhelm Hengsbach. Das Buch ist zwar mit Blick auf die Bundesrepublik geschrieben, gibt aber treffend das Unbehagen vieler Italiener mit der Reformpolitik ihrer Regierungen wieder.
Die Reformen, wie sie seit Jahren in Italien und in anderen Staaten der EU vorangetrieben werden, leiden nicht nur unter einem Defizit an Gerechtigkeit. Genauso schlimm ist ihre Unwirksamkeit. Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft der Europäischen Gemeinschaft, wird seit Jahren auf neoliberale Weise reformiert. Ohne nachhaltigen Erfolg. Die wirtschaftliche Lage ist schlechter geworden, die Arbeitslosigkeit höher, die Realeinkommen der kleinen Leute schmaler.
„Reform“ bedeutet immer auch Veränderung. Aber sollten sich die Verhältnisse nur verändern und nicht auch verbessern? In früheren Zeiten waren Reformen in der Regel Veränderungen zugunsten breiter Kreise der Bevölkerung (z.B. Einführung der einheitlichen Mittelschule 1962, die staatliche Gesundheitsreform 1978 …). Heute gehen Reformen vor allem zu Lasten der mittleren und unteren Einkommen. Diese Art von Politik kommt nicht von ungefähr. Seit gut dreißig Jahren versuchen Ökonomen, ein Heer von Wirtschaftsjournalisten, von unternehmerischen Führungskräften die Bürger mit ihren wirtschaftsliberalen Bekenntnissen zu faszinieren. Wie die Entwicklung in Europa und jetzt auch in Italien zeigt, mit einem gewissen Erfolg. Von Berlusconi über Mario Monti bis hin zu Matteo Renzi haben die Regierungen neoliberale Spuren gezogen und ziehen sie weiter. Die Arbeitsmarktreform, neuerdings Job Act genannt, ist ein Beispiel von mehreren. Reformen dieser Art beruhen auf einer Fehldiagnose. Sie sehen „das Soziale“ nahezu ausschließlich als Kostenfaktor und Wachstumsbremse, nicht jedoch als wichtigen Produktionsfaktor, der zur Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen beiträgt, die wirtschaftliche Stabilität und den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert. Ein Wort zur aktuellen Debatte rund um den Arbeitsmarkt. Dieser braucht Flexibilität. Keine Frage. Aber Flexibilität ist etwas anderes als das Schaffen einer Unzahl von prekären Arbeitsverhältnissen.

TEXT: Josef Stricker

Kommentar

Volksabstimmungen in Mals

Volksabstimmung – das müssen wir in Südtirol erst lernen. Mit der Art und Formulierung von Fragestellungen, mit der Art und Weise der Diskussionen im Vorfeld, mit dem Umgang und mit dem Umsetzen des jeweiligen Ergebnisses. Die Gemeinde Mals bzw. die dortige Bevölkerung hat mit Volksabstimmungen bereits Erfahrungen gemacht.

Erwin BernhartErwin Bernhart

Zwei Volksabstimmungen – eine über die hydroelektrische Nutzung des Rambaches und eine über ein Pestizidverbot auf dem Gemeindegebiet – sind über die Bühne gegangen.
Verschiedener hätten diese Volksabstimmungen nicht sein können, im Inhalt und vor allem auch in der Wahrnehmung nach außen.
Während es bei der Abstimmung über ein E-Werk beim Rambach um eine begrenzt lokale Angelegenheit gegangen ist, hat die „Pestizidabstimmung“ in Summe eine gigantische Diskussionswelle ausgelöst, die wohl noch einige Zeit andauern wird. Auch weil die Abstimmung über ein Pestizidverbot elementare wirtschaftliche Interessen des gesamten Bauernstandes – weit über die Gemeindegrenzen von Mals hinaus – betreffen.
„Pestizidabstimmung“ zieht weite Kreise
Die Promotoren der Volksabstimmung haben für ihr Anliegen des Pestizidverbotes eine „einführende Volksabstimmung“ gewählt – das heißt, dass der Text, über den abgestimmt wird bzw. worden ist, bei entsprechendem Ausgang der Volksabstimmung in der Gemeindesatzung aufgenommen werden soll.
Die Fragestellung lautete nämlich: „Sind Sie dafür, dass in die Satzung der Gemeinde Mals folgender Artikel eingefügt wird: ... “ In der Fragestellung bzw. in der Formulierung waren die Promotoren radikal – mit einem in der öffentlichen Wahrnehmung und in den der Volksabstimmung vorausgehenden Diskussionen verkürzten Schlagwort eines „Pestizidverbotes auf dem Gemeindegebiet“.
Rechtliche Bedenken – ein Gutachten der Staatsadvokatur von Trient bewertete die Fragestellung mit Hinweisen auf die staatliche und europäische Gesetzgebung als nicht zulässig auf dem Gemeindegebiet – gab es bereits vor der Genehmigung der Fragestellung durch eine dreiköpfige Kommission. Die Entscheidung fiel in dieser Kommission auch nicht einstimmig.
Erst einen Tag vor der Abstimmung wurden die rechtlichen Bedenken in einer außerordentlichen Gemeinderatssitzung etwas entschärft. Man wolle „im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten“ den Ausgang der Volksabstimmung umsetzen.
Durch die Zulassung der Fragestellung war a priori ein „Schwarz oder Weiß“ gegeben, eine radikale Einteilung in „Pestizidgegner“ und in „Pestizidbefürworter“. Graustufen, eine Art langsames Mitnehmen der konventionell wirtschaftenden Bauern auf den Diskussionsweg, waren aufgrund dieser Ausgangslage nicht zugelassen.
Ein „Aber“ wurde im Laufe der Diskussionen deshalb auch als „Pestizidbefürworter“ eingeteilt. Die Bevölkerung der Gemeinde Mals hat bei einer 70%igen Wahlbeteiligung mit einer 75%igen Mehrheit einem „Pestizidverbot“ zugestimmt. Nimmt man die Intention des Promotorenkomitees zum derzeitigen Wortlaut des Gemeindestatutes (Art. 40 (Die Volksabstimmungen) Abs. 1 „Volksabstimmungen haben bindende Wirkung ...“) und nimmt man das eindeutige Abstimmungsergebnis der Malser Bevölkerung – dürfte es wohl keine Zweifel geben, dass der Bürgermeister Ulrich Veith und der Gemeinderat von Mals den Abstimmungstext eins zu eins in die Gemeindesatzung aufnehmen müssen. Oder? Volksabstimmung – von der Fragestellung der Promotoren über die Diskussionen im Vorfeld bis zum Umgang mit Abstimmungsergebnissen – wird man in Südtirol erst lernen müssen..

TEXT: Erwin Bernhart