Kommentar
Mindeslohn - eine Perspektive für Südtirol
Warum die Diskussion über einen gesetzlich festgelegten Mindestlohn auch in Südtirol sinnvoll ist.
Werner Pramstrahler, Mitarbeiter des AFI (Arbeitsförderungsinstituts) Dieser Kommentar gibt die persönliche Meinung des Autors wieder
Südtirols Sozialpolitik ist mit einem vergleichsweise neuen Phänomen konfrontiert: Immer mehr Menschen nehmen finanzielle Unterstützungsleistungen wie das soziale Mindesteinkommen in Anspruch, obwohl sie erwerbstätig sind. Anlass für das AFI, im Rahmen einer international besetzten Tagung, ein Instrument zur Diskussion zu stellen, das nunmehr auch in Deutschland eingeführt wird: branchenübergreifende gesetzliche Mindestlöhne.
Diese Art der Festlegung von Lohnuntergrenzen wird in Südtirol wie in ganz Italien zwar erst ansatzweise diskutiert. Allerdings schiebt die Einführung eines gesetzlich festgelegten Mindestlohnes in Deutschland ab Jänner 2015 die Diskussion auch hier zu Lande an. Italien ist nunmehr das einzige der großen EU-Länder, in denen kein solcher Mechanismus vorgesehen ist. Allerdings bestehen auf Seiten der italienischen und lokalen Kollektivvertragsparteien Vorbehalte gegen eine gesetzliche Festlegung des Mindestlohnes: Befürchtet wird unter anderem eine Aushöhlung der kollektivvertraglichen Autonomie, die Entlohnungshöhe festzulegen und eine Stärkung des politischen Einflusses auf die Lohnpolitik.
Die Diskussion über die Mindestlöhne wie über die Modelle der finanziellen Mindestsicherung hat es deutlich gezeigt: Auf die Verbände der ArbeitnehmerInnen wie der ArbeitgeberInnen kommen neue Herausforderungen zu. Weder Lohn- noch Sozialpolitik sind ohne eine ständige Überprüfung der Auswirkungen machbar. Die gegenwärtige Krise ist auch eine Chance für die Interessensverbände, in zukunftsfähiges Know-how zu investieren. Denn eine zeitgemäße und demokratische Lohn- und Sozialpolitik muss verstärkt über Diskussions- und Evaluierungsprozesse gesteuert werden. Dies entspräche für Südtirol einem grundlegenden Paradigmenwechsel.
Infos unter: www.afi-ipl.org
TEXT: Werner Pramstrahler
Diese Art der Festlegung von Lohnuntergrenzen wird in Südtirol wie in ganz Italien zwar erst ansatzweise diskutiert. Allerdings schiebt die Einführung eines gesetzlich festgelegten Mindestlohnes in Deutschland ab Jänner 2015 die Diskussion auch hier zu Lande an. Italien ist nunmehr das einzige der großen EU-Länder, in denen kein solcher Mechanismus vorgesehen ist. Allerdings bestehen auf Seiten der italienischen und lokalen Kollektivvertragsparteien Vorbehalte gegen eine gesetzliche Festlegung des Mindestlohnes: Befürchtet wird unter anderem eine Aushöhlung der kollektivvertraglichen Autonomie, die Entlohnungshöhe festzulegen und eine Stärkung des politischen Einflusses auf die Lohnpolitik.
Kollektivverträge allein erfüllen ihre Aufgabe immer weniger
Tatsache ist allerdings, dass die kollektivvertragliche Festlegung von Entlohnungen in den vergangenen Jahrzehnten empfindlich geschwächt worden ist: Durch die Atypisierung des Arbeitsmarktes verringert sich der Geltungsbereich von Kollektivverträgen. Kollektivvertragsabschlüsse sind – in Italien wie in fast ganz Europa – meist defensiv: Zunächst unter dem Schlagwort der Wettbewerbsfähigkeit, dann unter dem Damoklesschwert der Krise wurden und werden den abhängig Beschäftigten immer neue Konzessionen abgerungen; die Lohnsteigerungen waren in den vergangenen Jahren kaum wahrnehmbar und blieben unter dem Verteilungsspielraum (Produktivitätszuwachs und Inflation). Hinzu kommt die Auslagerung und Ausschreibung bestimmter öffentlicher Dienstleistungen (Reinigungsdienste, Transport, Pflege): Dies ist sehr häufig mit einem starken Kostendruck und einer damit einhergehenden Verringerung der Löhne verbunden. Auch die lokale und die betriebliche Verhandlungsebene sind von diesen Entwicklungen betroffen; zu einer durchgreifenden und anhaltenden Verbesserung der Situation haben sie nur ansatzweise etwas beitragen können. Ein ungenutztes Potenzial in den Händen der Kollektivvertragsparteien.
Ein stabiles und funktionierendes Kollektivvertragssystem als wichtiger Standortfaktor
Wenn die gesetzlichen Regelungen sachgerecht eingeführt werden, kann das Kollektivvertragssystem stabilisiert werden. Eine gesetzlich eingeführte Lohnuntergrenze verringert die Möglichkeiten unfairen Wettbewerbs über niedrige Entlohnungen und sich daraus ergebende schlechte Arbeitsbedingungen. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände wären entlastet und könnten sich auf andere Themen konzentrieren: organisatorische und technologische Innovationsprozesse, Weiterbildung, Arbeitszeitregelungen und Arbeitsorganisation, die Mitsprache der Beschäftigten und die Verteilung der Gewinne. Gesetzlich fixierte Lohnuntergrenzen würden dazu beitragen, dass die eigentliche Lohnpolitik, nämlich günstige Rahmenbedingungen für die Arbeit und Entwicklung der Produktivität zu schaffen, weiterhin die gewerkschaftliche Kernaufgabe bleiben kann.
Viel Know-how notwendig
Es stimmt: Ein Allheilmittel sind gesetzlich festgelegte Mindestlöhne keineswegs. Wie aber Reinhard Bispinck, Experte des gewerkschaftsnahen WSI (Wirtschafts und Sozialwissenschaftliches Institut Düsseldorf), anlässlich der Tagung erläutert hat: Allgemein verbindliche gesetzliche Mindestlöhne sind geeignete Instrumente, den Niedriglohnsektor einzugrenzen, die Binnennachfrage zu stützen und das Kollektivvertragssystem zu stabilisieren. Auf diese Weise tragen sie zu einer Entlastung der öffentlichen Sozialbudgets bei. Entscheidend sind die Art und Weise, wie die gesetzliche Untergrenze eingeführt wird. Prinzipiell sind auch territoriale Differenzierungen möglich.Die Diskussion über die Mindestlöhne wie über die Modelle der finanziellen Mindestsicherung hat es deutlich gezeigt: Auf die Verbände der ArbeitnehmerInnen wie der ArbeitgeberInnen kommen neue Herausforderungen zu. Weder Lohn- noch Sozialpolitik sind ohne eine ständige Überprüfung der Auswirkungen machbar. Die gegenwärtige Krise ist auch eine Chance für die Interessensverbände, in zukunftsfähiges Know-how zu investieren. Denn eine zeitgemäße und demokratische Lohn- und Sozialpolitik muss verstärkt über Diskussions- und Evaluierungsprozesse gesteuert werden. Dies entspräche für Südtirol einem grundlegenden Paradigmenwechsel.
Infos unter: www.afi-ipl.org
TEXT: Werner Pramstrahler