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Schreckensbilanz Erster Weltkrieg

Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts
Der 28. Juni 1914 war ein Sonntag. Er begann als ein Tag wie jeder andere, doch er sollte nicht so enden. Am Mittag fielen an der Lateinerbrücke in Sarajevo Schüsse: ein Bosnier serbischer Nationalität, Gavrilo Princip, erschoss den österreichisch-ungarischen Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand, und dessen Frau, Herzogin Sophie.

Soldaten an der Ortlerfront im Jahr 1917 - FOTO: wikimediaSoldaten an der Ortlerfront im Jahr 1917 - FOTO: wikimedia

Diese Schüsse vor 100 Jahren machten Weltgeschichte. Sie führten am 28. Juli zur österreichischen Kriegserklärung an Serbien und lösten einen Weltkrieg aus, den Großen Krieg, wie er später genannt wurde. Die Österreicher dachten an eine kurze Strafexpedition in Serbien, die Deutschen an Kavallerie- und Bajonett-Attacken und einen schnellen Sieg in Frankreich und Russland-Munition hatte man ja nur bis Oktober gehortet. Weihnachten wollte man wieder zu Hause feiern. Es kam bekanntlich anders. Nach vier Jahren eines mörderischen Krieges musste man 1918 aufgeben.
Die Urkatastrophe
Die Bilanz: etwa neun Millionen tote Soldaten, davon zwei Millionen aus Deutschland und 1,2 Millionen aus Österreich-Ungarn, unter ihnen ca. 40.000 aus Tirol und Vorarlberg. 21 Millionen verwundete Soldaten, davon 4,2 Millionen aus Deutschland und 3,6 Millionen aus Österreich-Ungarn. Sieben Millionen tote Zivilisten, davon eine Million aus Deutschland und 100.000 aus Österreich-Ungarn. Der Große Krieg war der Urknall, die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, wie der wohl bekannteste amerikanische Diplomat, George F. Kennan, den Krieg einmal genannt hat. Er führte zum Untergang derMonarchien in Deutschland, in Österreich-Ungarn und in Russland und zum Zerfall des Osmanischen Reiches – und zur Teilung Tirols – und hatte Folgen für den Rest des Jahrhunderts. Einige sind noch heute direkt spürbar, etwa wenn wir auf Tirol oder den Nahen Osten schauen.
Die k. u. k. Monarchie Österreich-Ungarn war ein Vielvölkerstaat. Das Manifest von Kaiser Franz Joseph I. „An meine Völker!“ zu Beginn des Krieges war in elf Sprachen abgefasst. Am Ballhausplatz war man überzeugt, dass die Monarchie einen entschlossenen Schritt setzen musste, um die Grenzen und den Bestand des Reiches zu sichern. In der kaiserlichen Proklamation war nur von Serbien die Rede – nicht etwa von Russland. Serbien war das Kriegsziel Wiens; mit einem militärischen Schlag sollte das Balkanproblem ein für alle Mal gelöst werden. Diese Bereitschaft war von Anfang an da. Man wiegte sich dabeiin der Illusion, einen lokal begrenzten Krieg führen zu können; mit Rückendeckung aus Berlin nahm man gleichzeitig einen Krieg mit Russland in Kauf.
Propaganda für den Krieg
Als der Krieg da war, war die Begeisterung genauso wie im deutschen Kaiserreich auch in der k.u.k.- Monarchie groß: In Wien, Böhmen, Galizien, Bosnien und Ungarn. In Agram, der Hauptstadt des zu Ungarn gehörenden Kroatien, wurde für den Krieg demonstriert und der Krieg gegen Serbien bejubelt.In Prag veranstalteten Tschechen und Deutsche eine gemeinsame Kundgebung für den Krieg. Überall wurde der Sieg beschworen. Die Erfüllung der „Pflicht“, die Betonung der „Unvermeidlichkeit“ und „Einigkeit“ sowie die wiederholte Bezugnahme auf „Gott den Allmächtigen“ ließen die Opposition verstummen. Die Arbeiter-Zeitung in Wien schrieb vom Krieg des Zaren und von der „heiligen Sache des deutschen Volkes“. Und Siegmund Freud notierte:
„Ich fühle mich vielleicht zum erstenmal seit 30 Jahren als Österreicher und möchte es noch einmal mit diesem wenig hoffnungsvollen Reich versuchen … Die Stimmung ist überall eine ausgezeichnete. Das Befreiende der mutigen Tat; der sichere Rückhalt an Deutschland tut auch viel dazu.“ Soldaten, die an die Front transportiert wurden, formulierten dies damals auf ihre Weise: auf den Eisenbahnwaggons prangten Aufschriften wie „Russen und Serben müssen alle sterben!“ Oder: „Serbien muß sterbien.“ Allenthalben war man von einem schnellen Sieg überzeugt.
Tirol, das Hinterland
Standschützen in Gries bei Bozen vor dem Abmarsch an die Dolomitenfront, 1915 - FOTO: wikimediaStandschützen in Gries bei Bozen vor dem Abmarsch an die Dolomitenfront, 1915 - FOTO: wikimedia
Bis Ende 1914 wurden in Tirol an die 85.000 erwerbstätige Männer eingezogen, rund 15 Prozent der Erwerbstätigen insgesamt. Die Hälfte davon war verheiratet. Das bedeutete, dass von einem Tag auf den anderen an die 40.000 Familien in schwere Nöte gestürzt wurden. Die damit verbundenen Probleme und die drastische Verschlechterung der Lebensverhältnisse wären wohl leichter zu verkraften gewesen, wenn der erwartete schnelle Sieg eingetroffen wäre. Sein Ausbleiben konnte von der Propaganda und zensierten Presse nur mühsam kaschiert werden. Im schroffen Gegensatz zu den Parolen vom„unaufhaltsamen Vordringen“ stand die dürre Statistik der Verlustlisten. Die Tiroler Kaiserjäger-Regimenter wurden in Galizien verheizt; der Tod von fast 10.000 ließ sich in der Heimat nicht verheimlichen. Dort sank die Stimmung auf einen ersten Tiefpunkt. Da half auch die beste Propaganda nicht mehr.
Mit dem Jubel und dem „reinigenden Gewittersturm“, der in wenigen Wochen mit einem Sieg über die Feinde vorüber sein sollte, war das so eine Sache. Gejubelt wurde schon sehr bald nicht mehr, weder an der Front noch im Hinterland. Tirol wurde ab 1915 zugleich Operationsgebiet und Hinterland, und im Hinterland gab es den Kampf ums tägliche Überleben. Es gab Arbeitslosigkeit, Inflation, die die eingefrorenen Löhne auffraß, Militärdiktatur, Versorgungskrisen, Liquidierung von Vieh, Abgabepflicht von Lebensmitteln, hohe Kindersterblichkeit und immer wieder Hunger und Tod durch Seuchen und Krankheiten. Vor allem das war der Erste Weltkrieg in Tirol, nicht nur der heroische Kampf in den Bergen.
Mit Fortdauer des Krieges wurde klar, dass eine gesamte Gesellschaft aus den Angeln gehoben wurde. Es gab hunderttausende Flüchtlinge, Evakuierte und „Konfinierte“ (114.000aus dem Trentino), die die Möglichkeiten der staatlichen Fürsorge in vielen Fällen überforderten. Tirol und Vorarlberg konnten sich zu Beginn des Krieges noch glücklich schätzen, da sie von der Unterbringung mittelloser Kriegsflüchtlinge weitgehend freigehalten wurden. Dabei ging es allerdings weniger um militärstrategische Überlegungen des Armeeoberkommandos als vielmehr um Bedenken der Kriegszentrale hinsichtlich der bahntechnischen Bewältigung des Lebensmittelnachschubs für ein derartig großes Versorgungsgebiet.
Und jenen, die an der Front standen und überlebten, ging es auch in anderer Hinsicht immer schlechter: die Unterernährung wurde mit zunehmender Dauer des Krieges ein Problem. Im Frühjahr 1918 erhielt ein Soldat als Tagesration eine halbe Fleischkonserve, etwas Dorrgemüse und einen Maisklumpen als Brot; das Durchschnittsgewicht der Frontsoldaten sank auf 55 kg ab. Dazu kamen Seuchen und andere Krankheiten in erschreckendem Ausmaß.
Zur Person
Rolf SteiningerRolf Steininger
Rolf Steininger, Em. Ordentlicher Universitätsprofessor, 1984 - 2010 Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck, seit 2008 auch an der Freien Universität Bozen tätig, geb. in Plettenberg/Westfalen; Studium der Anglistik und Geschichte in Marburg, Göttingen, München, Lancaster und Cardiff.

TEXT: Rolf Steininger

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Gottes- und Nächstenliebe

Josef StrickerJosef Stricker

Das Neue Testament hat die Gottes- und Nächstenliebe eng zusammengerückt. Jesus wird gefragt, welches das größte, das wichtigste Gebot sei, gewissermaßen der Schlüssel zum Ganzen. Er antwortet auf diese Frage aller Fragen mit dem Doppelgebot der Gottes- und der Nächstenliebe:
„Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben aus deinemganzen Herzen und deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand. Das ist das erste und größte Gebot. Das zweite aber ist ihm gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängen das ganze Gesetz und die Propheten.“
Gottesliebe führt zur Nächstenliebe – jedenfalls dann, wenn Gott so gedacht wird wie ihn Jesus verkündet hat, wie ein Vater der nach seinem verlorenen Sohn Ausschau hält und seinen ältesten Sohn, der voll Zorn über so viel Güte des Vaters die Teilnahme am Fest zunächst verweigert, auch noch umstimmen kann.
Von Nächstenliebe ist schon im Alten Testament die Rede. Der Nächste im Alten Bund ist ein Mitglied des Gottesvolkes. Jesus leugnet das nicht. Aber er weitetden Begriff des Nächsten auf alle Menschen aus. Der barmherzige Samariter ist dafür ein vorzügliches Beispiel. Als Samaritaner gehört er nicht zum jüdischen Volk, trotzdem hilft er dem, der unter die Räuber gefallen ist - ein für den Samariter im wahrsten Sinn des Wortes ganz fremder Mensch - und macht sich damit selbst zu dessen Nächsten.
Jesus versteht Nächstenliebe viel radikaler; er dehnt sie sogar auf die Feinde aus. Bei Lukas heißt es: „Ihr aber sollt eure Feinde lieben und sollt Gutes tun und teilen, auch wo ihr nichts dafür erhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein, und ihr werdetSöhne und Töchter des Höchsten sein, denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen.“ Der Nächste kann unsympathisch, ja abweisend sein. Das ist, sagt Jesus, kein Grund, ihn links liegen zu lassen.

TEXT: Josef Stricker