KVW Soziales

Ein soziales Europa in weiter Ferne?

Schieflage der Einkommens- und Vermögensverteilung
„Nie wieder Krieg, nie wieder Diktatur, nie wieder Kapitalismus!“ Ein solches Bekenntnis hat sechs europäische Staaten 1957 dazu gedrängt, die Römischen Verträge zu unterzeichnen. Doch was den Regierungschefs damals vorschwebte, ist bis heute ein Torso geblieben. Der Wirtschaftsgemeinschaft,dem gemeinsamen Binnenmarkt und der Währungsunion fehlen die politische Architektur und eine gleichwertige soziale Dimension.

Friedhelm Hengsbach, Jesuit und SozialethikerFriedhelm Hengsbach, Jesuit und Sozialethiker

Die Römischen Verträge bekunden zwar die Absicht, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt zu stärken. Ein Kohäsionsfonds soll die regionalen Ungleichgewichte verringern. Und die Kommission beschließt verbindliche Richtlinien zur Arbeitszeitgestaltung und zur Gleichstellung der Frauen. Aber über die Gestaltung der Sozialpolitik und das Profil des Sozialstaats entscheiden die Mitgliedsländer selbst. Sie vergleichen allenfalls in der offenen Methode der Koordination ihre sozialen Systeme miteinander und tauschen Erfahrungen aus. Folglich bleibt es vorerst beim nationalen Sozialstaat, derden Auftrag erfüllt, die Bürgerinnen und Bürger vor gesellschaftlichen Risiken zu schützen, deren Eintritt ihnen selbst nicht zuzurechnen ist. Nun sind die europäischen Staaten markt- und erwerbswirtschaftlich organisierte Demokratien. Folglich soll der Sozialstaat die Individuen, damit sie nicht zur bloßen Ware werden, gegen Marktrisiken absichern: gegen Arbeitslosigkeit, Armut und Erwerbsunfähigkeit sowie – in einer patriarchalen Gesellschaft – die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht.
In Europa konkurrieren zwei Typen des Sozialstaats miteinander. Der „Bismarck“-Typ beispielsweise in Deutschland, Österreich und Italien gewährleistete eine gesetzliche Alterssicherung, die an eine kontinuierliche Erwerbsbiografie gekoppelt war, durch Beiträge finanziert wurde und ein komfortables Niveau erreichte. Allerdings unterstellt er ein Familienmuster, das den Männern die Erwerbsarbeit, den Frauen die Familienarbeit zuwies. Der „Beveridge“-Typ dagegen in Skandinavien, Großbritannien und den Niederlanden garantierte jeder Person ein steuer-finanziertes erwerbsunabhängiges Existenzminimum und verpflichtete die Unternehmen zu einer betrieblichen Zusatzversicherung. Die Erwerbsquote der Frauen liegt nicht erheblich unter derjenigen der Männer.
Unter dem Vorwand globaler Standortkonkurrenz und demografischen Wandels haben die Regierenden in den 1990er Jahren die sozialen Sicherungssysteme demontiert. In den Ländern des Bismarck-Typs wird sich das gesetzliche Rentenniveau selbst bei langjähriger Erwerbsarbeit dem Niveau der Fürsorge annähern. Das amtliche Werben um eine freiwillige private Altersvorsorge geht an der Lebenslage der atypisch, unsicher und prekär Beschäftigten vorbei. So ist das Risiko einer dramatischen Altersarmut insbesondereder Frauen vorprogrammiert.
Wie ist die wachsende Polarisierung innerhalb der europäischen Staaten und zwischen ihnen zu stoppen? Erwerbsarbeit, Arbeit in der Privatsphäre und ziviles Engagement müssen auf Männer und Frauen fair verteilt werden – Frauen wünschen mehr Erwerbsarbeit, Männermehr Familienarbeit. Die Erwerbsarbeit ist kollektiv zu verkürzen und auf personennahe Dienste im Bildungs-, Gesundheits- und Pflegebereich umzuschichten. Der Staat muss die Umverteilung von unten nach oben stoppen und die Schieflage der Einkommens- und Vermögensverteilung rückgängig machen. Erst wenn der Sozialstaat der Mitgliedsländer wiederbelebt wird, rückt ein soziales Europa näher.

Text: Friedhelm Hengsbach SJ
Zur Person
Friedhelm Hengsbach SJ, geboren 1937, ist Mitglied des Jesuitenordens. Er hat Philosophie, Theologie und Wirtschaftswissenschaften studiert und war Professor für Christliche Gesellschafts­ethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main sowie Leiter des Oswald von Nell-Breuning Instituts für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik.

Sozialfürsorge

Neue regionale Unterstützungs­maßnahmen
für Arbeitslose und Bezieher der Lohnausgleichskasse

Ab März 2014 kann um regionale Unterstützungsmaßnahmen angesucht werden, die die staatlichen Leistungen wie ASPI und Lohnausgleich erweitern.
Ergänzungszulage zur ASPI (früher Arbeitslosengeld)
1. Voraussetzungen
Wohnsitz und Aufenthaltsort des Antragstellers in der Provinz Bozen;
Betriebszugehörigkeit im Betrieb von mehr als zwölf Monaten und ein unbefristetes Arbeitsverhältnis in den letzten drei Monaten vor Arbeitsbeendigung;
Bezug der ASPI oder des landwirtschaftlichen Arbeitslosengeldes; kein Bezug der staatlichen Mobilität;
Entlassung aus objektiv gerechtfertigtem Grund in Zusammenhang mit der Reduzierung, Veränderung oder Beendigung der Tätigkeit oder Arbeit;
Anerkennung des Arbeitslosenstatus und die Unterzeichnung der Leistungsvereinbarung beim zuständigenArbeitsservice.
2. Einreichtermine
Bezieher der ASPI: innerhalb 90 Tage nach Ende der ASPI;
Bezieher des landwirtschaftlichen Arbeitslosengeldes: innerhalb 90 Tage nach Entlassung;
Übergangsbestimmung: Jene BürgerInnen, die das Arbeitsverhältnis ab dem Jänner 2013 beendet haben, können bis zum 30. Juni 2014 ansuchen.
3. Höhe der Unterstützungsmaßnahme
Monatlicher Bruttobetrag im Verhältnis zur Arbeitszeit von 850 Euro als Integrierung zur ASPI oder landwirtschaftlichen Arbeitslosengeldes bzw. als Ergänzungszulage für vier bzw. zwei Monate nach Ende der ASPI oder landwirtschaftlichen Arbeitslosengeldes.
4. Verlust
Neues Arbeitsverhältnis wird aufgenommen; man verliert daher auch das Anrecht auf die staatliche finanzielle Leistung;
Neues Arbeitsverhältnis für die Dauer von mehr als sechs Monaten während der Auszahlung der Ergänzungszulage;
Andere Gründe für den Verlust des Arbeitslosenstatus.
Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise
1. Voraussetzungen
Wohnsitz und Aufenthaltsort in der Provinz Bozen bei der Antragstellung;
Beschäftigungsdauer von mindestens 180 Tagen; Angestellte von Leiharbeitsagentur können den Zeitraum von 180 Tagen auch durch Zusammenlegung mehrerer Arbeitsverhältnisse in den letzten zwölf Monaten errechnet werden;
Entlassung wegen Wirtschaftskrise; dem Antrag muss die Erklärung des letzten Arbeitgebers beigelegt werden in der bestätigt wird, dass der Vertrag wegen Wirtschaftskrise aufgelöst oder nicht erneuert wurde;
Anerkennung des Arbeitslosenstatus und die Unterzeichnung der Leistungsvereinbarung beim zuständigen Arbeitsservice;
Entlassung aus objektiv gerechtfertigten Grund mit Berechtigung zur ASPI, aber ohne Voraussetzung für die regionale Ergänzungszulage;
Zum Zeitpunkt der Entlassung muss der Antragsteller unter 50 Jahre alt sein oder das 55. Lebensjahr erreicht oder überschritten haben.
Diese Alterseinschränkung gilt nicht für
Lehrverträge, wenn die Entlassung aus einem objektiv gerechtfertigten Grund erfolgt ist, aber ohne die Beitragsvoraussetzungen für die ASPI.
Entlassungen aus objektiv gerechtfertigten Grund ohne Beitragsvoraussetzungen für die ASPI.
Freiwillige Kündigung aus wichtigem Grund, weil mindestens drei Monatsgehälter nicht mehr ausgezahlt worden sind.
2. Die Regelung gilt nicht für
Arbeitsverhältnisse als Hausangestellte;
Saisonale Arbeitsverhältnisse im Tourismus oder in der Landwirtschaft;
Arbeitsverhältnisse, die wegen regelmäßig wiederkehrender Zunahme der Produktionstätigkeit begründet wurden;
Bezieher von direkten Renten;
Arbeitsverhältnisse als Ersatz für abwesendes Personal, das Anrecht auf Beibehaltung der Arbeitsstelle hat;
Selbständig Erwerbstätige mit Mehrwertsteuernummer;
Projektarbeitsverträge oder Mitarbeitsverträge.
3. Verlust
Neues Arbeitsverhältnis wird aufgenommen; man verliert daher auch das Anrecht auf die staatliche finanzielle Leistung;
Neues Arbeitsverhältnis für die Dauer von mehr als sechs Monaten während der Auszahlung der Ergänzungszulage;
Andere Gründe für den Verlust des Arbeitslosenstatuses.
4. Einreichtermine
Bezieher der ASPI: innerhalb 90 Tage nach Ende der ASPI.
Wenn keine ASPI ausbezahlt wird: innerhalb 90 Tage nach Entlassung.
5. Höhe der Unterstützungsmaßnahme
die Zulage wird für höchstens vier Monate und im Falle einer Entlassung bis zu 850 Euro im Monat ausgezahlt. Für jene, welche in Lohnausgleichkasse sind, steht die Begünstigung pro Stunde zu und im Rahmen von drei Jahren können höchstens 1.056 Euro ausgezahlt werden.
Lohnausgleichskasse
1. Voraussetzungen
Mindestens 320 Stunden im Halbjahr vor der Antragstellung in der Lohnausgleichskasse oder
mindestens 480 Stunden in den zwei Halbjahren vor der Antragstellung in der Lohnausgleichskasse.
Arbeitsplatz in der Provinz Bozen.
Der Antragsteller muss unter die erste Einkommensstufe für den Lohnausgleich fallen.
2. Einreichtermine
Vom 1.1.2013 bis 31.12.2013: bis 30. Juni 2014
Vom 1.1.2014 bis 30.6.2014: bis 30. September 2014
Vom 1.7.2014 bis 31.12.2014: bis 31. März 2015
Vom 1.1.2015 bis 30.6.2015: bis 30. September 2015
Vom 1.7.2015 bis 31.12.2015: bis 31. März 2016

Text: Elisabeth Scherlin
Jahr Dauer der Leistung für Antragsteller jünger als 50 Jahre Dauer der Leistung für Antragsteller zwischen 50 und 55 Jahren Dauer der Leistung für Antragsteller älter als 55 Jahre
2013 8 Monate ASPI +
4 Monate regionale Maßnahme
12 Monate ASPI 12 Monate ASPI +
4 Monate regionale Maßnahme
2014 8 Monate ASPI +
4 Monate regionale Maßnahme
12 Monate ASPI 12 Monate ASPI +
4 Monate regionale Maßnahme
Übersicht Bezug ASPI und Ergänzungszulage / Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise