KVW Aktuell

Eine gute Lebensqualität sichern

Interview mit Landesrätin Martha Stocker

Kompass: Sie haben mit Gesundheit, Sozialem, Arbeit und Sport ein wichtiges Ressort und viel Verantwortungübertragen bekommen. Was sind für Sie die drei größten Herausforderungen?

Martha Stocker: Ja, das ist in der Tat eine große Verantwortung. In der politischen Verantwortung und in der Verwaltung meines Ressorts habe ich viele Herausforderungen zu bestehen, die ich alle zusammen in einer großen zusammenfassen möchte: Wie sind angesichts immer geringerer öffentlicher Mittel und immer größerer Bedürfnisse der Menschen die wirklich wichtigen Dienste zu erhalten und zu gestalten, so dass man auch noch in fünf Jahren sagen kann: Wir haben alles unternommen, um unseren Nächsten und uns selbst eine gute Lebensqualität zu sichern, wir sind zufrieden, mit dem, was wir haben, und wir sind stolz auf das, was geleistet wurde.

Kompass: Der KVW fordert, dass soziale Zuwendungen im Bereich der Fürsorge nach dem Prinzip der Bedürftigkeit vergeben werden. Sehen Sie in der EEVE ein geeignetes und gerechtes Mittel, um Einkommen und Vermögen zu ermitteln?

Martha Stocker: Die Maßnahmen für das Soziale, die aus den Mitteln des Landeshaushaltes bezahlt werden, müssen grundsätzlich drei Dimensionen im Blick haben: die Hilfe in den Notlagen des Lebens, die jeden jederzeittreffen können (Bsp. Sozialhilfe), dann die Fürsorge für Menschen mit Beeinträchtigung einschließlich der Ermöglichung eines möglichst selbstbestimmten Lebens (Bsp. Pflegesicherung), und drittens die Förderung von Chancengleichheit in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens (Bsp. Arbeitseingliederung). Die Beiträge des Landes brauchen grundsätzlich nicht diejenigen, die aus eigener Kraft für sich selber sorgen können, die ein Sparkonto haben, eine Eigentumswohnung, einen Betrieb oder einen Bauernhof, ich glaube, da sind wir uns einig. Die EEVE erfasst alle Vermögens- und Einkommenspositionen und ist deshalb aussagekräftiger als zuvor die Steuererklärungen. Auf der anderen Seite wird eine soziale Bedürftigkeit nicht ausgeschlossen, auch wenn ein kleines Sparguthaben oder Vermögen da ist. Deshalb ist die EEVE sicher ein Instrument, das die Zielgenauigkeit für die Zuwendungen öffentlicher Mittel verbessert.

Kompass: Die Forderungen nach Einsparungen nehmen zu. Ist für Sie die Gesundheit ein Bereich, in dem es Sparpotentiale gibt? Wo liegt für Sie die Grenze, was ist tolerierbar?

Martha Stocker: Die Forderungen nach Einsparungen sind daseine, aber viel ernster ist, dass der überschuldete Staat alle seine Haushalte ganz real und ohne mit der Wimper zu zucken kürzt! Der Landeshaushalt bleibt davon leider nicht verschont, auch die Kapitel Gesundheit und Soziales nicht. Für den Landeshaushalt 2014 zum Beispiel schrumpft das Budget für den Landesgesundheitsdienst um 1,7 Prozent. Wir als Landesregierung glauben, dass dieses Minus durch Verbesserungen in der Organisation wettgemacht werden kann. Klar ist aber auch, dass man allein mit organisatorischen Umstellungen im öffentlichen Dienst nicht jede Budgetkürzung verdauen kann.Nur möchte ich in diesem Zusammenhang nicht von Sparpotentialen reden, sondern die Entwicklungspotentiale sehen, die meiner Meinung nach gegeben sind.

Kompass: In Südtirol steigt die Zahl der Arbeitslosen. Wird sich das wieder ändern? Oder braucht es andere Modelle statt der alleinigen Ausrichtung auf eine bezahlte Erwerbsarbeit?

Martha Stocker: Ja, die aktuelle Entlassungswelle (Hoppe, Würth, Memc) ist wirklich dramatisch und fordert uns heraus. Wir sehen, wie stark Südtirol mit dem Weltmarkt und mit den Exportmärkten verbunden ist, so dass auch unsere bisher ausgezeichneteBeschäftigungslage eine Krise erlebt. Die bezahlte Erwerbsarbeit ist für die meisten Menschen nicht nur Einkommensquelle sondern auch Sinnstiftung für ein erfülltes Leben. Über andere Modelle nachzudenken ist sicher interessant, doch im Moment vielleicht noch verfrüht. Wichtig hingegen erscheint mir, dass wir eventuelle Zeiten von Arbeitslosigkeit mit sinnbringenden sozialen Tätigkeiten füllen. Und hier könnten sich unsere vielen ehrenamtlich arbeitenden und gemeinnützig organisierten Verbände und Vereine wie z.B. der KVW sehr wertvoll einbringen.
Zur Person
Martha Stocker, Landesrätin für Gesundheit und Sport, Arbeit, Soziales und Chancengleichheit.

KVW Aktuell

Sozialstaat ist nicht an der Krise schuld

Podiumsdiskussion des KVW zu sozialer Gerechtigkeit
Der Sozialstaat und seine Leistungen werden seit einigen Jahren schlechtgeredet. Sie sind jedoch notwendig und wir müssen sie uns weiterhin leisten, so die einhellige Meinung bei einer Diskussionsrunde des KVW in Brixen. Es braucht Transferleistungen an schwächere Menschen, damit die Gesellschaft nicht auseinanderdriftet.

Auf Einladung des KVW fand in Brixen eine Podiums­diskussion zum Thema „Soziales heute“ stattAuf Einladung des KVW fand in Brixen eine Podiums­diskussion zum Thema „Soziales heute“ statt

„Soziales heute“ war Thema auf einer Podiumsdiskussion des KVW in Brixen. Es ging dabei um die Finanzierung des Sozialstaates und um die gerechte Umverteilung. KVW Landesvorsitzender Werner Steiner appellierte an die Eigenverantwortung des Einzelnen. Was der einzelne leisten kann, soll er auch leisten. Erst wenn das nicht mehr möglich ist, ist der Sozialsaat gefragt. Steiner nannte als Schwächen Südtirols das hohe Anspruchsdenken und die Unzufriedenheit. „Es braucht eine neue Denkweise“, sagte Steiner. „Das Ziel sollte sein: besser leben statt mehr haben wollen“.
Stärken und Schwächen Südtirols
Südtirol stehe aber auch gut da, als Stärken des Landes nannte Steiner die Autonomie, den Landeshaushalt, das ausgewogene Wirtschaftssystem und die gut ausgebauten Infrastrukturen.
Das hohe Anspruchsdenken der Südtiroler bestätigte auch Bürgermeister Albert Pürgstaller. Er sprach davon, dass es Kürzungen bei den Diensten geben werde. So werde man darüber nachdenken müssen, ob es bei der Schneeräumung, der Straßenreinigung oder dem Schülertransport auch mit weniger ginge.
Wirtschaftsberater Karl Florian und Afi-Direktor Stefan Perini appellierten daran, dass es die Leistungendes Sozialstaates brauche. Karl Florian warnte vor Kürzungen, da sie den allgemeinen Wohlstand in Gefahr bringen. Der Sozialstaat hat nicht Schuld an der Krise. „Es braucht Gerechtigkeit in der Umverteilung“, so Florian. Das lebenslange Lernen hat durch die Krise am Arbeitsmarkt an Bedeutung gewonnen. Die Bildung ist zu einer wichtigen Ressource geworden, bei der nicht gespart werden dürfe.
Sozialstaat muss bleiben
Den Sozialstaat müssen wir uns weiter leisten, so Stefan Perini. Es gebe sicher andere Bereiche, bei denen gespart werden könne. „Die Einkommensschere geht auseinander und es besteht die Gefahr, dass die Gesellschaft auseinanderdrifte“. Ziel des Sozialstaates ist es, möglichst vielen Menschen ein vernünftiges Leben zu ermöglichen. Transferleistungen sollen Menschen und Familien vor Armut schützen.
Ausgaben im europäischen Durchschnitt
Perini erklärte, dass Italien 30 Prozent des Bruttoinlandprodukts für den Sozialstaat ausgebe und damit im europäischen Durchschnitt liege. Von den Ausgaben des Sozialstaates machen die Renten jedoch rund die Hälfte aus und das sei sehr viel. Auf EU-Ebene liegt dieser Wert um ein Drittel desBIP. Dies bedeute, dass Italien für Familien, für die Arbeitslosen usw. weniger Geld zur Verfügung habe als andere Staaten in Europa. Perini regte an, eine Umverteilung innerhalb der Renten anzudenken, auch über eine Deckelung nach oben wäre nachzudenken.
Vor sozialem Zündstoff und Neid warnte Bauernbundobmann Leo Tiefenthaler. In den vergangenen Jahren habe es bei den Förderungen eine Umverteilung von den Obst- und Weinbauern hin zu den Bergbauern gegeben. Dadurch habe man es geschafft, dass die Bergbauern bei uns – im Gegensatz zu anderen Provinzen - nicht abgewandert sind.

Text: IngebUrg gurndin