Thema

Arm sein im reichen Südtirol

Plädoyer für die bedarfsorientierte Grundsicherung

Die Themen Rente und Altersarmut sorgten im Vorfeld zu den Landtagswahlen für Schlagzeilen. Die wahlwerbenden Parteien – alle – entdeckten ihre soziale Ader und forderten in geradezu historisch anmutender Einmütigkeit Maßnahmen zur Eindämmung von Armut im Alter. Von anderen Maßnahmen etwa zu Gunsten von Hilfsbedürftigen aller Altersstufen und Lebenslagen war im Wahlkampf so gut wie nie die Rede. Nun ist es so, dass beide Themen hochaktuell und gesellschaftspolitisch geradezu brisant sind - heute und noch viel mehr in Zukunft. Dahinter steckt die aktuelle Frage: Wie sichern wir bei angespannten öffentlichen Finanzen und einer brüchig gewordenen Rentenabsicherung eine menschenwürdige Versorgung Hilfsbedürftiger? In einer Gesellschaft, in der Arbeit zur Mangelware wird, wo familiäre Bindungen abnehmen, Mobilität und Vereinsamung zunehmen, wird der Anteil der Hilfsbedürftigen in jedem Alter tendenziell steigen. Davon haben wir auszugehen. Was soll,was kann dagegen unternommen werden? Schade, dass dieser Fragenkomplex im Wahlkampf nicht grundsätzlich diskutiert worden ist. Mehr als ein paar Forderungen mit eher kosmetischem Charakter sind den Parteien und ihren Kandidaten nicht eingefallen.
Grundsatzentscheidung steht an
Die Politik steht vor zwei wichtigen Fragen, die irgendwann zu beantworten sind. Erste Frage: Konzentrieren wir uns auf die Eindämmung der Altersarmut oder begreifen wir Armut als ein Risiko, das in jedem Lebensalter und in allen Lebenslagen auftreten kann? Zweite Frage: Erfolgt die Absicherungdes Einkommensverlustes im Alter über eine Aufstockung der Mindestrenten (wie in Südtirol von allen Parteien gefordert) oder über den Aufbau einer bedarfsorientierten Grundsicherung für alle Lebensalter. In beiden Fällen handelt es sich um zwei völlig entgegengesetzte Sicherungskonzepte. Ich mache kein Hehl daraus, dass ich aus einer ganzen Reihe von Gründen für das zuletzt genannte Sicherungssystem, das der bedarfsorientierten Grundsicherung, bin. Dieses Instrument hat den Vorzug, dass es allumfassend eingesetzt werden kann. Armutsgefährdete Personen in jedem Lebensalter, sowie ältere Menschen ohne Rentenanspruch oder mit einer sehr kleinen Pension könnten aufgefangen werden.
Aufstockung von Mindestrenten– eine Mogelpackung
Das Pensionssystem, so wie wir es in Italien kennen, taugt schon von seiner Konstruktion her als Instrument zur Vermeidung von Armut nur begrenzt. Der Grund ist folgender: Die Rentenversicherung beruht auf Beitragsleistungen. Wer nichts oder sehr wenig an Beiträgen eingezahlt hat, hat keinen Anspruch auf Rente. In dieser Lage befinden sich schon jetzt gar nicht wenige ältere Menschen. In Zukunft dürfte ihre Zahl nicht zuletzt wegen der äußerst ungünstigen Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt rapide ansteigen. Was tun mit Menschen, wenn sie alt werden und über kein oder zu geringesEinkommen verfügen? Werden sie links liegen gelassen? Ein Blick auf die Statistik der Rentenbezieher genügt, um zu erkennen, dass das Pensionssystem, das ja auf Vorsorgeleistungen beruht, allein schon aus diesem Grunde einen umfassenden Schutz vor Armut im Alter nicht gewährleisten kann. Ein Teilder hilfsbedürftigen, älteren Menschen wird immer auf der Strecke bleiben, weil es für sie keinen Anspruch auf Rente gibt. Daran ändert auch nichts die von verschiedenen Seiten geforderte Aufstockung der Mindestrenten mit Landesgeldern. In den Genuss einer solchen Aufstockung kämen lediglich Bezieher von Mindestrenten. Wer keinen Anspruch auf Rente geltend machen kann, aber dennoch einkommensschwach ist, ginge leer aus. Spätestens an diesem Punkt meldet sich mit Vehemenzdie Gerechtigkeitsfrage zurück.
A propos Mindestrenten. In Südtirol sollen monatlich rund 28.000 Mindestrenten ausbezahlt werden. Nach Aussage von Arno Kompatscher könnten etwa Fünftausend von
ihnen mit einer Aufstockung auf 700 Euro pro Monat rechnen. Es handle sich um Personen, die älter als siebzig sein müssen,über keinen Besitz oder sonstige Unterstützungsmöglichkeiten verfügen. Im Wahlkampf medial herübergekommen ist allerdings eine andere Botschaft, nämlich Aufstockung aller Mindestrenten. Damit ist eine Erwartungshaltung erzeugt worden, die in dieser Form nicht zu befriedigen sein wird.
Armutsfeste Grundsicherung muss das Ziel sein
Zu Vermeidung von Armut in allen Lebenslagen (Alter mit eingeschlossen) brauchen wir ein wirksameres Instrument, als es die Aufstockung der Mindestrenten je sein kann. Ein Instrument, das nicht nach Vorleistungen fragt, sondern danach, ob ein im Einzelfall gegebener Bedarf mit eigenen Anstrengungen und mit eigenen Mitteln gedeckt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so wird die Lücke zwischen Bedarf und eigenen Mitteln durch steuerfinanzierte Transfers geschlossen. Ein derartiges Instrument beruht auf einem anderen Konstruktionsprinzip als die Rentenversicherung, nämlich dem der Fürsorge. Eine vorleistungsunabhängige, jedoch bedarfsbezogene Absicherung des Armutsrisikos kann sehr viel zielgenauer auf Armutslagen reagieren. Zum Zwecke der Armutsvermeidung braucht die Gesellschaft mehrere Instrumente. Eines ist und bleibt die Rentenversicherung. Dieses hat sich in der Nachkriegszeit hinsichtlich der Vermeidung von Altersarmut für die Mehrheit der berufstätigen Menschen als hoch wirksam erwiesen. Aber eben nur für sie. Dieses Ergebnis dürfte jedoch für die Zukunft immer weniger zutreffen. Wenn wir Verarmung umfassend vermeiden wollen, brauchen wir mehr denn je das Zusammenspiel unterschiedlicher Instrumente.
Stigmatisierung von Armut - ein uraltesÜbel
Der Aufbau einer armutsfesten Grundsicherung ist nur möglich, wenn es in der Bevölkerung zu einem Umdenken kommt. Wer sozial Benachteiligte zu Sündenböcken stempelt, wer Leute in Armutsverhältnissen pauschal mit dem Etikett „Sozialschmarotzer“ belegt, wer nach Repressionsinstrumenten ruft, der vergiftet nicht nur das soziale Klima im Lande, sondern trägt entscheidend zur Aufrechterhaltung und Verfestigung von Armut und Benachteiligung bei. Zwischen der Situation „arm zu sein“ und „abgestempelt zu werden“ besteht ein enger Zusammenhang. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass nicht wenige Menschen aus Unkenntnis oder aus Scham auf Sozialleistungen verzichten, weil sie das Unverständnis der Nachbarn befürchten. Es liegt in der Verantwortung der gesamten Gesellschaft, Stigmatisierungen und Schuldzuweisungen zu vermeiden, damit sich Menschen auch getrauen, den Rechtsanspruch auf Grundsicherung in Anspruch zu nehmen.
Gewiss, Missbrauch bei Sozialleistungen ist zu bekämpfen. Dafür gibt es bereits Instrumente. Eine totale Verhinderung von Missbräuchen wird nie zur Gänze gelingen, es sei denn, die Grundsicherung als Instrument würde abgeschafft. Weil dann niemand mehr etwas bekäme, würde es auch keinen Missbrauch mehr geben. Allerdings würden da die Falschen bestraft, nämlich die tatsächlich Hilfsbedürftigen. Wollen wir so eine Gesellschaft?

Text: Josef Stricker

KVW Aktuell

Klausurtagung des Verbandes

Die Menschheit hängt am Schutz der Schwächeren

Auf Einladung des Landesvorsitzenden Werner Steiner traf sich der im Frühjahr neu gewählte Landesausschuss zur Klausurtagung im Hotel Masatsch in Kaltern um gemeinsam Werte und Leitsätze des KVW zu diskutieren. Kennenlernen, Austausch und Gemeinschaft bilden – das waren die Ziele, die sich der Landesausschuss für dieses Treffen gesetzt hatte.
Die am Vormittag gehaltenen Referate von Josef Stricker und den Vorstandsmitgliedern zur christlichen Sozialpolitik und zu den KVW Leitsätzen regten eine konstruktive Diskussion und Auseinandersetzung in den nachmittags durchgeführten Arbeitsgruppen an.
Werner Steiner betonte die Bedeutung des Leitbildes, das als Grundlage für die Arbeit und Bewegung des Verbandes dient. Das Leitbild schafft Identifikation und ist Orientierung im täglichen Handeln sowohl für ehrenamtliche als auch hauptamtliche MitarbeiterInnen im KVW. Die in den vier Arbeitsgruppen gesammelten Ideen und Anregungen sind Grundlage für die zukünftige Weiterentwicklung des Verbandes.
Josef Stricker unterstrich nochmals die Wichtigkeit des KVW als Sozialverband. Als Christen haben wir die Aufgabe, uns für gesellschaftspolitische Fragen einzusetzen. Dies geschieht in zweifacher Weise: indem aufs Gemeinwohl geachtet wird und auf die Schwachen in der Gesellschaft, die Schutz brauchen. Einer der markantesten Unterschiede zwischen der Tierwelt und den Menschen besteht darin, dass bei den Tieren sich der Starke durchsetzt und der Schwache eingeht. Bei den Menschen sollte es umgekehrt sein. Das Menschsein hängt am Schutz des Schwachen.
Diese Stimme für sozial Schwache, Benachteiligte, Ausgegrenzte, aber auch gegen allgemeine Missstände erheben erfordert Mut und Zivilcourage. Zivilcourage bedeutet im Verband nicht, keine Ängste zu haben. Zivilcourage bedeutet, sich mit den Ängsten auseinanderzusetzen, trotzdem zu handeln und sich aktiv einzubringen sowohl auf Orts- als auch auf Landesebene. Der KVW will nicht wegschauen, wenn Schwächeren Unrecht geschieht.
Unsere Leitsätze:
Wir treten für eine solidarische Gesellschaft ein.
Wir greifen die aktuellen Nöte der Menschen auf und bieten Hilfen an.
Wir initiieren und unterstützen sozialpolitische Aktionen.
Durch Weiterbildung fördern wir Eigenständigkeit und Qualifikation von Menschen.
Durch professionelle Dienstleistungen bieten wir Beratung und Unterstützung an
Wir schaffen Orte sozialer Begegnung.