KVW Aktuell

Im Westen viel Neues

KAB Schweiz Christliche Sozialbewegung
Armin Huerner
In der letzten Ausgabe des Kompass haben wir die EBCA, die europäische Bewegung der christlichen Arbeitenehmer:innen genauer kennengelernt und nun werden wir fortlaufend die einzelnen Mitgliedsorganisationen vorstellen. Der Reigen wird durch die KAB Schweiz Christliche Sozialbewegung in der Schweiz eröffnet, kurz KAB Schweiz.
Die Südtiroler schielen gerne zu ihren Nachbarn und so tun sie dies auch in die angrenzende Schweiz. Seit der Gründung des Katholischen Arbeitervereins St. Gallen im fernen Jahr 1899, aus dem die heutige KAB entstanden ist, ist die Aufgabe die materielle und geistige Besserstellung der Arbeiter:innen. Im Vergleich mit vielen andern Ländern hat die Schweiz ein gut ausgebautes Sozialsystem; dennoch gibt es auch hier einiges zu tun. Viele Menschen haben Schwierigkeiten mit ihrem Einkommen über die Runden zu kommen, Einwanderern aus fremden Kulturen wird mit Ablehnung begegnet, der Einfluss der katholischen Kirche schwindet. Die KAB und katholische Soziallehre will den Bürger:innen Orientierung bieten, die Gesellschaft mitgestalten und sich für eine lebendige Kirche einsetzen. Leitmotiv der KAB Schweiz ist „Sehen-Urteilen-Handeln“. Hervorstechend sind dabei auch das Hilfswerk Brücke Le Pont und das Institut für christliche Sozialethik, Trägerverein von ethik22.
Wir haben mit Armin Huerner, den KAB –Schweiz Vertreter in der EBCA gesprochen.
Kompass: Gemeinsam mit unserem geistlichen Assistenten Charly Brunner sitzen Sie im Leitungsgremium der EBCA. Wir kommt KAB Schweiz, bekanntermaßen kein EU Mitglieder, sich dazu in der europäischen Arbeitnehmerbewegung zu engagieren?
Die KAB Schweiz schaute schon immer gern über den Tellerrand hinaus. So kam es, dass die KAB Schweiz vorerst nur Mitglied der EBCA war. Auslöser zur engeren Zusammenarbeit war dann das sog. Bodenseetreffen. Seit ca. 60 Jahren treffen sich KAB-Vertreter der an den Bodensee angrenzenden Bistümer einmal jährlich zu einem Austausch. Es sind dies St. Gallen, Basel (der an den Bodensee angrenzende Kanton Thurgau gehört zum Bistum Basel), Vorarlberg, Freiburg, Augsburg und Rottenburg-Stuttgart. Über diesen Kontakt kam die Anfrage aus Freiburg, ob ich an einer Mitarbeit in der EBCA interessiert sei.
Kompass: Genau wie Südtirol ist auch die Schweiz mehrsprachig. Ist die KAB Schweiz Ansprechpartner für alle Sprachgruppen? Wie schaut das in der Praxis aus?
Jede Sprachregion hat eine eigene Organisation mit wenig Kontakt untereinander: deutsche Schweiz: KAB Schweiz, französische Schweiz: CTC (Communauté de Travailleurs Chrétiens) – Kanyamibwa Melchior, Vorstandsmitglied CTC ist Koordinator der EBCA und schliesslich noch die italienische Schweiz: ACLI, Niederlassung der italienischen ACLI.
Kompass: Können Sie unseren Lesern jeweils ein herausragendes, aktuelles Projekt der beiden Initiativen Brücke- Le Pont und Ethik22 nennen und ein wenig darüber berichten?
Weltweit leben heute mehr als 700 Millionen in extremer Armut. Die Brücke Le Pont setzt sich in über 30 Projekten in Afrika und Lateinamerika ein. Die Arbeitsweise fußt auf folgende Grundsätze für eine nachhaltige Veränderung der Bedingungen vor Ort: Förderung der beruflichen Kompetenzen, Einhaltung der Arbeits- und Menschenrechte und existenzsicherndes Einkommen. Beispielhaft dafür ist das Projekt Karité: 3600 Frauen aus dem armen Norden Benins stellen Sheabutter her. Sie lernen in Schulungen Techniken um die Nüsse des Karitébaums effizienter, umweltschonender und hygienischer zu Butter zu verarbeiten. Das Projekt hilft ihnen auch sich in Kooperativen zusammenzuschließen. So können sie sich gemeinsam weiterbilden, neue Käufer:innen ansprechen und bessere Preise für ihre Produkte aushandeln.
Die Projektteilnehmerinnen konnten ihr Einkommen im ersten Projektjahr durch die verbesserte Qualität des Produkts bereits um 20 Prozent steigern. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zum kargen Einkommen ihrer Familien. Viele der Frauen berichten außerdem, dass sie durch das Projekt selbstbewusster geworden sind und ihre Arbeit in ihren Gemeinden stärker anerkannt wird.
Das Institut für Sozialethik, ethik 22, organisiert christlich fundierte Impulsveranstaltungen (z.B. Sozialtag) und räumt drängenden gesellschaftlichen Fragen breiten Raum ein und macht sie sichtbar. Ethik22 ist auf vielen Kanälen vertreten: Bei „radioEinfluss“ (www.ethik22.ch/einfluss) wird regelmäßig zu aktuellen Fragen diskutiert. Solche greift auch das gedruckte Magazin auf. Mit dem Newsletter erhalten viele Interessierte u.a. jeweils vertiefte Informationen zu den Themen der Volksabstimmungen in der Schweiz. Ethik22 hilft, die richtigen Fragen zu stellen, wenn aus sozialethischer Sicht ein Ja oder Nein zu Fragen zum Tierschutz, zum Klimawandel oder zur Ehe für alle oder auch zum Asylrecht auf der politischen Agenda stehen.
Text und Interview: Iris Pahl

KVW Aktuell

Kein Dach übern Kopf

Obdachlosigkeit in Südtirol
Foto: unsplash/Jon Tyson
Genaue Zahlen dazu gibt es nicht, aber besonders in Südtirols Landeshauptstadt gibt es mehr als 130 Personen, die Abend für Abend keinen angemessenen Wohnraum haben und sich irgendwo einen Platz für die Nacht suchen müssen. Landesweit wird die Zahl auf 1.500 geschätzt, Tendenz steigend. Obdachlos und wohnungslos sind aber nicht gleichzusetzen: viele Menschen kommen eine Zeit lang ­bei Bekannten und Freunden und in Strukturen unter.
Ebenso vielfältig wie der Werdegang der Menschen, ist auch die Ursache, wieso sie kein Dach über dem Kopf haben und meist sind es auch mehrere Gründe. Häufig findet man bei Menschen, die auf der Straße leben müssen, strukturelle, individuelle oder systematische Gründe. Arbeitslosigkeit, geringe Einkommen, teure Wohnungen und Lebenshaltungskosten, können eine Wohnungslosigkeit ebenso verursachen, wie eine Trennung, familiäre Probleme oder der Tod einer nahestehenden Person. Besonders viele Betroffene können auch soziale Hilfen nicht in Anspruch nehmen, weil ihnen ohne Identitätsausweis oder Aufenthaltsgenehmigung die Berechtigung fehlt sich an öffentliche Institutionen zu wenden. Auch die mengelnde Sprachkenntnisse lassen Menschen, die sich auf der Flucht befinden, schneller in die Obdachlosigkeit abrutschen.
Dies hat dann auch zur Folge, dass diese Menschen nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können und körperliche und seelische Krankheiten chronisch werden. Ohne Adresse gibt es auch keine Aussicht auf Arbeit und die Möglichkeit wieder Anschluss zu finden, um sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und ein „normales“ Leben zu leben. Die meisten Obdachlosen, auch in Südtirol, sind Männer, die aufgrund einer Notlage in eine schwierige Situation geraten.
Kurzfristige Hilfe ist nötig, aber langfristig soll Hilfe mehr sein als Nahrung, Kleidung oder auch ein Bett für eine Nacht sein. Diesen Ansatz verfolgen mehrere Projekte, so wie zum Beispiel das dormizil in Bozen. Es ist ein Nachtquartier für 25 obdachlos Frauen und Männer im Zentrum von Bozen, dass von Freiwilligen getragen wird. Neun Privatpersonen haben 2020 den Verein housing first bozen EO gegründet und das domizil aufgesperrt. Ab Mitte 2023 wird das dormizil umgebaut und zum langfristigen Stützpunkt für obdachlose Menschen. Neun Personen ohne Dach über dem Kopf erhalten eine kleine Wohnung. Im Dachgeschoss können bis zu fünf weitere wohnungslose Menschen in einer vorübergehenden Notunterkunft schlafen.
Die Vinzenzgemeinschaft hat in der Bozner Kapuzinergasse vor kurzem ein Hygienezentrum eröffnet, wo Menschen eine Waschgelegenheit haben. Über Nacht ist es geschlossen.
Auch in Meran möchte man mit dem sog. Chancenhaus neue Wege gehen. Die Gemeinde Meran möchte obdachlosen Menschen in Zukunft eine begleitete Unterkunftsmöglichkeit anbieten. Damit nicht pünktlich mit Einbruch des Winters der Aufschrei wieder groß ist, braucht es langfristige Konzepte und Projekte. Die Politik ist gefragt, aber auch die Gesellschaft als Ganzes ist gefordert.
Das Konzept Housing first verfolgt den Ansatz Menschen unmittelbar eine eigene Wohnung anzubieten - mit Mietvertrag und ohne Vorbedingungen. Dieses „zu Hause“ soll den Menschen Kraft geben, all ihre anderen Probleme aktiv anzugehen. In Finnland hat man damit erstaunliche Erfolge erzielt: während im Rest Europas die Kurve der Obdachlosen steil nach oben steigt, ist die Zahl in Finnland rückläufig. Trotz der hohen Anfangsinvestitionen, Wohnungen anmieten und bauen, statt Notunterkünfte, sind die Kosten langfristig geringer, da der Sozialstaat durch resozialisierte Bewohner weniger belastet wird. Die Versorgung von Obdachlosen, bzw. Migranten auf der Durchreise, wird uns auch weiterhin beschäftigen. Nicht gedient ist den Menschen, die schon am Rand der Gesellschaft stehen, wenn weiterhin auf hektische Notlösungen für die kalten Wintermonate gesetzt wird, anstatt langfristige Lösungen zu suchen auch den Ausgegrenzten eine Chance zu geben. Um Menschen von der Straße zu holen, muss genügend Wohnraum zur Verfügung gestellt werden.
Text: Iris Pahl