Editorial

Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Mit dieser Ausgabe wird der Kompass Sie durch die Monate November und Dezember begleiten.
Die Welt steht Kopf und viele fühlen sich manchmal demotiviert, unsicher und haben Angst wie es weitergehen soll. Dabei geht es den allermeisten Südtiroler:innen relativ gut. Denn sie haben ein Dach über dem Kopf, ausreichend Nahrung und Wasser und vor allem verfügen die meisten über ein gutes soziales Netz, das auch dann trägt, wenn es einmal schwierig wird.
Woran wir feilen können, ist es die Lasten gerechter zu verteilen, in ein Gleichgewicht zu bringen und den neuen Herausforderungen der letzten Zeit im Sozialbereich Rechnung zu tragen. Der neue Landesozialplan ist ein Instrument dafür und wir als KVW setzen uns aktiv dafür ein, dass jene, die Unterstützung brauchen, diese auch erhalten. Wer mehr leisten kann, soll auch mehr in die Pflicht genommen werden, ganz im Sinne des Solidaritätsprinzips. Der Landessozialplan wird ähnlich wie seine Vorgängerdokumente aus den Jahren 2000-02 und 2007-09, Richtlinien zu unterschiedlichen Themenbereichen aus dem Sozialwesen vorgeben.
In Südtirol wird Nachbarschaftshilfe und Solidarität immer noch groß geschrieben, bauen wir darauf und helfen wir gemeinsam jenen, welche unsere Unterstützung brauchen.
Viel Freude beim Lesen!
Ihr Werner Atz
Geschäftsführer KVW

Thema

Starke Schultern können mehr tragen

Einmischen für soziale Gerechtigkeit
Steigende Preise: der Einkauf muss überlegt sein - FOTO: pexels – kampus-production-8422685
Wir erleben das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Alles scheint in Bewegung zu geraten, mit tiefen Erschütterungen und Einschnitten. Der Krieg in der Ukraine nimmt kein Ende. Der Klimawandel zeitigt katastrophale Folgen. Energie- und Lebensmittelpreise steigen. Bauern geben ihre Höfe auf, weil sie die steigenden Kosten nicht mehr bewältigen können. Insolvenzen, Entlassungen und damit steigende Arbeitslosigkeit sind an der Tagesordnung. Die Inflation erreicht ein bisher ungekanntes Ausmaß. Dementsprechend sinkt die Kaufkraft und die Lebenshaltungskosten steigen.
Michael Schäfers
Vor allem für diejenigen, die bisher schon am Rande der Gesellschaft und am Existenzminimum lebten und zusätzlich durch die Coronapandemie in den letzten Jahren gebeutelt worden sind, ist die Lage verzweifelt. Die Schlangen an den Ausgaben der sogenannten „Tafeln“ und Suppenküchen in Deutschland werden immer länger und gleichzeitig werden die Lebensmittelspenden der Geschäfte weniger. Die Krise erreicht nicht nur in Deutschland längst auch die Mittelschicht, die sich lange Zeit in Sicherheit wähnte. Armut und die Angst, Preise schlicht nicht mehr bezahlen zu können, breiten sich aus. Und kein Ende in Sicht.
In diesen Umbruch- und Krisenzeiten ist an das Prinzip der Gerechtigkeit der Soziallehre der Kirche zu erinnern. Es fordert eine gerechte Verteilung der Lasten ein, um die sozialen Spaltungen und Gräben zu überwinden. Soziale Gerechtigkeit heißt, dass die Chancen, Lebensbedingungen und Möglichkeiten für alle Menschen in einer Gesellschaft zumindest annähernd gleich sein sollten. Politisch gewendet geht es um Verteilungsgerechtigkeit. Die Politik muss für einen wirksamen Ausgleich sorgen zwischen denen, die mehr haben, mehr leisten können und denen, die weniger oder nichts haben und – aus welchen Gründen auch immer – weniger leisten können. Kurz: Starke Schultern können und müssen mehr tragen als schwache. Ziel sozialer Gerechtigkeit ist der soziale Ausgleich in einer Gesellschaft. Er ist notwendig, um den sozialen Frieden zu erhalten und die Demokratie zu stärken, gerade angesichts der in Europa sich auf dem Vormarsch befindenden rechtsradikalen, populistischen und antidemokratischen Bewegungen und Parteien, die aus der Krise Kapital zu schlagen versuchen.
Zunehmend mehr Menschen sind der Meinung, dass es in unserer Gesellschaft nicht gerecht zugeht. In profaner Wende stellt die Aussage des Matthäus-Evangeliums (Mt 25,29) für viele eine Realität dar: „Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben, wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat.“ In einer Umfrage des ZDF-Politbarometers vom Juli 2022 beurteilten 62 Prozent der Befragten die soziale Lage in Deutschland als (sehr) ungerecht.
Papst Franziskus hat die Forderung nach Gerechtigkeit zu einem Markenzeichen seines Pontifikats gemacht. Ohne Gerechtigkeit keine soziale und solidarische Überwindung bzw. Abmilderung der Krisen. Der Papst betont angesichts des Klimawandels: „Es gibt keine Ökologie ohne Gerechtigkeit und es gibt keine Gerechtigkeit ohne Ökologie.“ Der Kirchenvater Augustinus hat es drastisch(er) auf den Punkt gebracht: „Fehlt einem Staate die Gerechtigkeit, was ist er denn anderes als eine große Räuberbande.“ Darüber, wie soziale Gerechtigkeit hergestellt werden kann, wird politisch derzeit heftig gestritten. Wir sollten uns einmischen, auf der Grundlage der Soziallehre der Kirche, mit einer klaren Option: für die Armen, Ausgegrenzten und die vom Abstieg bedrohten.
Info
Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) ist ein Sozialverband in Deutschland, Österreich und der Schweiz, der seine Wurzeln in der christlichen Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts hat. Die KAB ist Teil der Weltbewegung Christlicher Arbeiter (WBCA). Auch der KVW Südtirol ist Mitglied.
TEXT: Michael Schäfers (Referent Für Politik und Strategie bei KAB)