Kommentar

In Verbindung bleiben

Der Dialog als Möglichkeitsraum zur Zukunftsgestaltung
blufink – Katherina Longariva und Katharina Erlacher – arbeiten seit Jahren mit Menschen und Gruppen in Beteiligungs- und Veränderungsprozessen. Ihre Erfahrung ist die: Wo Gedanken, Sichtweisen, Wahrnehmungen und Gefühle ihren Platz haben und jede und jeder gehört wird, kann Berührung und Begegnung stattfinden.
Katherina Longariva

Katharina Erlacher 

Wir sind der festen Überzeugung, dass es in diesen Zeiten der Unsicherheit und der Angst Dialog und Dialogräume braucht. Diese können einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, damit wir wieder miteinander ins Gespräch kommen und uns neu, frisch, anders zuhören. Es entsteht die Möglichkeit, Grautöne, Nuancen zu entdecken, die zwischen dem Richtig und Falsch liegen. Der Dialog kann heilend wirken, zaghafte Brücken bauen und sogar Gräben schließen.
Herausforderungen und Probleme unserer Zeit
Die Corona-Pandemie hat zu einer Spaltung in unserer Gesellschaft geführt, das Thema Krieg ist auf einmal ganz präsent in unserem Leben, der Klimawandel schwingt immer besorgniserregend im Hintergrund mit. Viel Unausgesprochenes und Diffuses liegt in der Luft und trennt. Gespräche bleiben oft oberflächlich, und ein Gefühl von Leere und Ohnmacht macht sich breit. Der Dialog ermöglicht hier eine Annäherung, Begegnung als Menschen mit verschiedenen Sichtweisen und Erfahrungen.
Der Dialog ist mehr als eine Methode
Dialog bedeutet Zuhören, einen möglichen Resonanzraum schaffen, sich Begegnen. In erster Linie ist es eine Auseinandersetzung mit sich selbst und dem Gegenüber. Vom Wortsinn her bedeutet Dia-Logos etwa: der Logos, das heißt, das Verstehen der Wortbedeutungen, fließt durch das Denken und Sprechen der Einzelnen und durch das Gespräch hindurch (dia = durch, hindurch). Der Dialog, den wir meinen, ist ein modernes, an David Bohm (Quantenphysiker) und Martin Buber (Philosoph) angelehntes Kommunikationsverfahren, das seine Wurzeln in den Kreisgesprächen verschiedenster Kulturen hat. Die vier Grundpraktiken im Dialog sind: Zuhören – Respektieren – Suspendieren (Verlangsamen, Gedanken in der Schwebe halten) – Artikulieren.
Dialog ist einfach, aber nicht leicht
Jede und jeder kann Dialog lernen. Dabei wesentlich sind eine lernende Haltung, Offenheit und Neugierde. Dazu liegt unglaublich viel Potential in uns, das wir dringend brauchen, um resilient und zukunftsfähig zu werden. Aus unserer Erfahrung macht die Haltung den Unterschied, wie wir etwas machen.
Wenn wir Zukunft gemeinsam gestalten wollen, dann müssen wir bei uns selbst beginnen und die anderen ernst nehmen. Dafür braucht es Verständnis für Kollaboration und Beteiligung. Es braucht Überzeugung, Kontinuität und Verbindlichkeiten.
Der Dialog als Raum für das, was jetzt ist
Ein Sich-Begegnen in Ruhe, ohne unterbrochen zu werden. Ein Gespräch, in dem ich ganz zuhören kann, dem Gegenüber und mir selbst. Der Dialog ermöglicht uns, unsere Vielschichtigkeit zu zeigen. Er ermutigt, gemeinsam zu denken, Altes kann wertschätzend losgelassen werden und Neues kann entstehen. Er ermöglicht uns, als Menschen gemeinsam zu wachsen. Wir erleben Verbundenheit und entwickeln Vertrauen. Er gelingt in Zweiergesprächen wie in Redekreisen.
Frieden und Zukunftsgestaltung
Wenn wir davon ausgehen, dass Friede in uns selbst bzw. in der kleinsten Einheit unserer Gemeinschaft beginnt, dann kann der Dialog als Kommunikationsform als friedensstiftend gesehen werden. Dialog schafft Verständigung und Verständnis und zeigt auf, was wirklich von Bedeutung ist. Er kann einen Möglichkeitsraum öffnen und schafft den Nährboden, den es braucht, Zukunft gemeinsam gestalten zu können. Die dialogischen Prinzipien sind die Basis für den dringend nötigen Paradigmenwechsel in der Führungs- und Unternehmenskultur, in Verbänden und Politik. Veränderung beginnt auf persönlicher Ebene. Der dialogische Ansatz unterstützt dabei, ein neues Mindset zu entwickeln, das es braucht, um die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern.
TEXT: Katherina Longariva und Katharina Erlacher

KVW Aktuell

Die Frage der sozialen Gerechtigkeit

Immer mehr Menschen kommen schlecht über die Runden
Sozial schwächere Gruppen in unserer Gesellschaft laufen Gefahr, in die Armutsspirale zu rutschen und an den Rand gedrängt zu werden.
Die Corona-Pandemie hat viele soziale und finanzielle Probleme in unserer Gesellschaft verstärkt – eine gewaltige Herausforderung für die Gemeinschaft wie die Entscheidungsträger gleichermaßen. Der KVW Landesvorsitzende Werner Steiner dazu im Gespräch.
Werner Steiner,
Landesvorsitzender des KVW
Die Lebenshaltungskosten steigen, die Wirtschaft erholt sich, die Löhne bleiben jedoch gleich: Kann man so die momentane Lage beschreiben?
Werner Steiner: Im Großen und Ganzen würde ich das bejahen. Täglich erfahren wir von neuen Preissteigerungen in lebensnotwendigen Bereichen und von einer zunehmenden Inflation. Das macht vielen Menschen zu schaffen; sie werden von Angstgefühlen geplagt. Sie gehen einer geregelten Arbeit nach und müssen trotzdem um ihr Auskommen mit dem Einkommen bangen. Das ist eine klare Fehlentwicklung.
In den vergangenen zwei Jahren stand der Erhalt des Arbeitsplatzes im Vordergrund. Allgemein gab es großes Verständnis für die schwierige Lage vieler Arbeitgeber:innen. Gilt dies immer noch? Oder braucht es nun eine Anpassung der Löhne?
Steiner: Die Zeit der Pandemie hat große Veränderungen in unserem Leben und besonders in unserem Arbeitsleben mit sich gebracht. Der Lockdown hat alles stillgelegt und es war für viele von uns eine völlig neue Situation: Wir durften etwa die eigenen vier Wände nicht mehr verlassen. Wer das Glück eines „systemrelevanten“ Berufes hatte, konnte weiterhin seiner Arbeit nachgehen – alle anderen standen von einem Tag auf den anderen in einer unbekannten Lage, die auch finanzielle Veränderungen mit sich brachte. Nun sind wir so weit, dass sich die Wirtschaft wieder erholt und in einigen Bereichen schon fast wieder Normalwerte erreicht; darüber sind wir froh. Jetzt braucht es aber eine Anpassung der Löhne, vor allem wegen der steigenden Verbraucherpreise. Die Lösung kann nicht sein, den Bruttolohn gleich zu lassen und Abgaben an den Staat umzuleiten. Dies trifft uns dann wieder, wenn in den öffentlichen Haushalten die Mittel fehlen und die Staatseinnahmen mit Steuergeldern aufgestockt werden müssen.
Beim KVW und vor allem im Patronat suchen Menschen Hilfe, wenn sie um finanzielle und soziale Hilfeleistungen ansuchen. Wie schätzen Sie die soziale Situation der Menschen in Südtirol ein?
Steiner: Immer mehr Menschen werden auch in Südtirol an den Rand der Gesellschaft gedrückt: Es gibt sozial schwache Menschen, alte und pflegebedürftige Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Beeinträchtigung, kinderreiche Familien. Die Aufzählung ließe sich noch leicht weiterführen. Das gibt mir das Gefühl, dass die Randbereiche unserer Gesellschaft immer breiter werden. Als Sozialverband sehen wir das mit Besorgnis. Es ist eine unserer Aufgaben, auf Fehlentwicklungen hinzuweisen und eine Korrektur anzumahnen. Es ist für eine Gesellschaft und deren Zusammenhalt nicht gut, wenn Ungleichheiten zunehmen und sie sich in Richtung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft bewegt.
Wo kann und soll die Politik ansetzen, um für mehr Gerechtigkeit und einen Ausgleich zu sorgen?
Steiner: Immer mehr Menschen droht die Armut, deshalb braucht es einen gut ausgestatteten Landeshaushalt in den Bereichen Soziales und Gesundheit. Die großen Einsparungen der letzten Jahre im Gesundheitswesen haben gezeigt, wie schnell der Schuss nach hinten losgehen kann. Leistbares Wohnen und eine flächendeckende Gesundheitsversorgung müssen auch weiterhin für alle gewährleistet werden. Ich finde es bedenklich, wenn junge Familien einen großen Teil ihres Einkommens für private Zusatzversicherungen ausgeben müssen, da das öffentliche Gesundheitssystem keine ausreichende Versorgung mehr bietet.
Auch im Bildungsbereich hat die Pandemie gezeigt, dass längst nicht alle mit den neuen Anforderungen zurechtkommen. So hat zum Beispiel der Ankauf von digitalen Medien im Pflichtschulbereich viele Familien finanziell zusätzlich belastet. Bildung muss für alle verfügbar sein! Nur dadurch können wir gewährleisten, dass Chancengerechtigkeit erhalten bleibt und alle Menschen in unserer Gesellschaft eine gleichwertige Möglichkeit der Weiterentwicklung haben. Nur so kann der soziale Frieden auch in Zukunft erhalten bleiben.