Thema

Christliche Soziallehre gibt die Richtung vor

Auf das ökologische Gewissen hören
Werner Steiner,
Landesvorsitzender
des KVW
In letzter Zeit begegnet uns immer öfter der Begriff „Nachhaltigkeit“. Im Grunde scheint es eine recht einfache Angelegenheit zu sein: verbrauche nicht mehr als an nachhaltiger Nutzung für das gesamte Jahr zur Verfügung steht. Und dennoch tun wir uns schwer: bereits im Juli eines Kalenderjahres sind die Ressourcen des laufenden Jahres verbraucht. Für den Rest des Jahres leben wir auf Kosten der nachfolgenden Generationen. Die Menschheit verbraucht „1,74 Erden“. Ich denke, dass uns das allen zwar bewusst ist, die Bequemlichkeiten oder auch ein angeborenes Streben nach maximalem Gewinn gehen aber bei zu vielen Menschen vor. Ein Verzicht kommt eher nicht in Frage. Dabei wäre die Zeit der Pandemie eine sehr gute Gelegenheit, sich auf die wichtigen Dinge zu konzentrieren. Wir merken aber wie schwer wir uns mit persönlicher Einschränkung tun. Auch wenn es um unsere Gesundheit geht, sind viele nicht imstande Entscheidungen im Sinne des Gemeinwohls zu akzeptieren. Wie schwer sie sich dann mit wirtschaftlichen Maßnahmen tun, ist leicht nachvollziehbar.
Ich sehe die soziale Nachhaltigkeit in großer Gefahr. Als KVW bemühen wir uns seit der Gründung im Jahre 1948 um soziale Gerechtigkeit. Unzählige Aktionen dazu hat es gegeben und eigentlich sollte in unserem Land eine große Sensibilität für dieses Thema da sein. Die konkrete Entwicklung zeigt allerdings, dass uns das Hemd dann doch näher ist als der Rock. Wenn es um die eigenen Vorteile geht, schweigt unser ökologisches Gewissen sehr schnell.
Im KVW haben wir uns durch unseren Einsatz für die Verwirklichung der christlichen Soziallehre immer schon für Nachhaltigkeit eingesetzt. Personalität und Solidarität können nur in einem nachhaltigen Menschenbild sinnvoll gedeihen. Die daraus resultierende Menschenwürde, die lebenswerte Gemeinschaft bedeuten ein gutes und somit nachhaltiges Miteinander.
Text: Werner Steiner

Thema

So soll Nachhaltigkeit in Südtirol aussehen

Über Visionen, Ziele, Handlungsfelder und Umsetzungsstrategien
Für die Erhaltung unseres Planeten: Sieben Handlungsfelder und über 80 Maßnahmen werden im Strategiepapier zur Nachhaltigkeit in Südtirol angeführt.


Für die Landesregierung besteht kein Zweifel, dass weder Südtirol noch die Welt derzeit nachhaltig lebt und wirtschaftet. Im Gegenteil, wir leben weit über unsere Verhältnisse hinaus und damit auf Kosten unserer Kinder. Mit der Nachhaltigkeitsstrategie gibt die Landesregierung den Rahmen vor, in welchem nachhaltige Entwicklung in Südtirol stattfinden kann und soll.
Landeshauptmann,
Arno Kompatscher
Nachhaltigkeit ist ein strapazierter Begriff, den jede und jeder so interpretiert, wie es gerade besser passt. Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie als Landeshauptmann?
Arno Kompatscher: Nachhaltigkeit ist seit 1987 klar definiert. „Eine nachhaltige Entwicklung bezeichnet eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der jetzigen Generation dient, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden.“ Abseits von den klassischen drei Säulen der Nachhaltigkeit, Ökologie, Ökonomie und Soziales, steckt für mich in diesem Satz aber vor allem die Frage der Gerechtigkeit. Wie gerecht ist eine Gesellschaft, wenn sie nicht an ihre Nachkommen, ihre Kinder denkt? Und wie gerecht kann eine Gesellschaft sein, die auch es zu großen Teilen verfehlt, der „jetzigen Generation“ Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Über 80 Prozent der Weltbevölkerung lebt nicht auf dem Niveau, wie wir es in Südtirol gewohnt sind. Wenn wir die Frage der Gerechtigkeit unter uns Menschen ernst nehmen, klären sich viele Zweifel bei der Nachhaltigkeit und wir merken, dass wir noch lange nicht da sind, wo wir hinmüssen.
Die Nachhaltigkeit wird gerne in einem Spannungsdreieck zwischen Ökologie, Ökonomie und Sozialem gesehen. Gelingt es der Politik, einen Ausgleich zwischen den drei Bereichen zu schaffen?
Kompatscher: Ein vollständiger Ausgleich ist im aktuellen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zu sehr großen Teilen nur schwer möglich. Wir haben es in den letzten 250 Jahren geschafft, ökonomischen und sozialen Wohlstand bis zu einem gewissen Grad für sehr viele Menschen zu erreichen. Dabei haben wir leider außer Acht gelassen, dass dieses Schaffen unser ökologisches System an seine Grenzen bringt und somit wieder uns als Spezies Mensch gefährdet. Ein Gleichgewicht ist somit im Moment nicht vorhanden, aber wir müssen alles dafür tun, um dahin zu gelangen. Der Ausgleich wird das Ziel sein. Bis dahin müssen wir aber viele Parameter im ökonomischen und sozialen Bereich verändern.
Der Südtiroler Klimaforscher Georg Kaser fordert ein negatives Wirtschaftswachstum und eine deutliche Reduzierung des Konsums. Schließen Sie sich diesen Forderungen an? Kann das gelingen?
Kompatscher: Es gilt als gesichert, dass wir den Problemen, die auf uns zukommen, nicht mehr nur auf wirtschaftlicher Ebene entwachsen können. Mehr noch - gerade im allein auf positives Wachstum ausgerichteten Modell liegt eine der Wurzeln des zu lösenden Problems. Wir müssen unsere Ansprüche so verändern oder besser gesagt reduzieren, dass wir gut leben können, ohne den Raubbau an den vorhandenen Ressourcen voranzutreiben. Das ist das große Ziel. Bis dahin ist es ein weiter Weg und wir haben nur wenig Zeit.
Verzicht muss in einer Überflussgesellschaft wie der unseren nicht unbedingt ein Einschnitt, ein großer Verlust sein. Wenn weniger konsumiert wird, muss auch weniger produziert werden. Ob das die einzige Lösung ist, bleibt jedoch fraglich. Die Frage ist nämlich weniger, ob der Konsum oder die Produktion steigen darf oder nicht, sondern eher auf welche Art. Wenn eine Landwirtschaft regenerativ ist, d.h. sie gibt der Natur in Summe mehr zurück als sie ihr nimmt, warum soll sie dann nicht wachsen? Wenn eine Bauwirtschaft in Kreislaufmodellen immer wieder auf die gleichen Ressourcen zurückgreifen kann und kaum neue verbraucht, warum soll sie nicht bestehen? Wir haben immer noch lineare Wirtschaftsmodelle im Kopf, die seit der Industrialisierung in uns prägend sind. In einer Welt, die sich wirklich nachhaltig entwickelt, erleben wir ganz neue Ansätze und Paradigmenwechsel. Und somit werden wir auch das Wort „Wachstum“ und „Konsum“ neu definieren müssen. Vieles ist teilweise noch gar nicht klar erfassbar, aber in Frage stellen müssen wir im Prinzip alles.
Was sind die größten Herausforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit für Südtirol? Wo müssen wir beginnen? Wer soll beginnen?
Kompatscher: Wir haben in unserer Nachhaltigkeitsstrategie „Everyday for future“ sieben Handlungsfelder für Südtirol formuliert, die angegangen werden müssen. Arbeiten müssen wir leider bei allen gleichzeitig, wobei auch dazu zu sagen ist, dass wir nicht überall bei Null starten. Diese Handlungsfelder sind: „Beitrag zur Reduktion von Treibhausgasemissionen“, „Eine neue Wettbewerbsfähigkeit mithilfe der Kreislaufwirtschaft“, „Soziale Absicherung und Chancengerechtigkeit“, „Erhaltung des Naturraumes und der Artenvielfalt“, „(Bewusstseins)Veränderung von Konsum und Produktion“, „Transparenz und Gerechtigkeit“ sowie „Hochwertige öffentliche Dienste“. Diese Handlungsfelder könnten zu der Annahme verleiten, dass diese keine oder nur geringfügige Zielkonflikte untereinander bergen. Dem ist aber leider nicht so, und zahlreiche Diskussionen und Kompromisse werden nötig sein, um den Prozess auf dem Weg zur Nachhaltigkeit voranzubringen.
Beginnen müssen wir alle gleichzeitig. Es braucht die politischen Rahmenbedingungen, es braucht aber auch den Willen der Wirtschaft und der Gesellschaft, liebgewonnene Gewohnheiten in Frage zu stellen. Und somit müssen wir alle unser eigenes Verhalten hinterfragen. Müssen wir jedes Mal unser Auto nehmen, oder ginge auch mal eine Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln? Muss es immer Fleisch sein, oder teste ich mal die Möglichkeit von vegetarischen Varianten? Mache ich mir beim Einkauf Gedanken, ob ich das Gut „wirklich“ brauche, und hinterfrage somit meinen Konsum? Muss das nächste Urlaubsziel mit dem Flugzeug angesteuert werden? Es gibt unendlich viele Gedanken, die jeder von uns sich stellen kann und muss. Nachhaltigkeit fängt bei jedem von uns selbst an.
Was plant das Land Südtirol? Was soll sich bis wann ändern?
Kompatscher: Geplante Maßnahmen aus den sieben Handlungsfeldern sind sehr viele definiert worden. Über 80 konkrete Maßnahmen finden sich im Strategiepapier, welches auch online einsehbar ist. Alle sind bis 2030 geplant, sehr viele davon in den nächsten Jahren und noch viele werden dazu kommen. Einige Beispiele: die Anschaffung von batteriebetriebenen und H2-Bussen (Zeitraum 2020-2030), die Versorgung sämtlicher Gesundheitseinrichtungen mit nachhaltiger Energie (2025), die Erreichung der Klimaneutralität der Landesverwaltung (2025), die Entwicklung eines Tourismusentwicklungskonzepts zur Förderung des nachhaltigen Tourismus (2021), der Ausbau von Smart Working durch die Schaffung der technologischen Voraussetzungen (2020-2023), die Erstellung des Landessozialplans, die Ausarbeitung des Familienförderplans, die Erarbeitung von Maßnahmen zum leistbaren Wohnen (2021), verpflichtendes Pflanzenschutzprogramm in der Weinwirtschaft (2021), Ausbau von Fotovoltaik (2030), Ausarbeitung und Umsetzung von Artenschutzprogrammen über den Vertragsnaturschutz (2022), Ausweisung eines UNESCO MAB-Biosphärenreservates bis zum Jahr 2030 und vieles mehr.
Diese Liste könnte man in allen Handlungsfeldern noch lange fortsetzen, teils mit strategischen Maßnahmen, die als Voraussetzung notwendig sind, teils mit ganz konkreten Maßnahmen, die umgesetzt werden. Alle aufzuzählen würde aber den Rahmen dieses Interviews sprengen.
Was tun Sie selber konkret, um nachhaltig zu leben?
Kompatscher: Nachhaltigkeit ist in meiner Familie ein großes Thema. Unsere Kinder machen sich große Gedanken um ihre Zukunft und sehen das Verhalten der älteren Generationen durchaus auch kritisch. Die Jungen haben längst einen Weg eingeschlagen, der in eine andere Richtung führt als der meiner Generation. Von mir selbst (und meiner Familie) würde ich behaupten, ein relativ bescheidenes Leben zu führen, sei es was den Konsum als auch das Mobilitäts- und Freizeitverhalten betrifft. Aber wir versuchen jeden Tag, unser Verhalten im Sinne der Nachhaltigkeit zu ändern.