Thema

Digital - kompetent - menschlich

Jahresthema des KVW bis 2022
Die Digitalisierung ist eine Herausforderung, der wir uns stellen. Unser aller Einsatz bleibt aber weiterhin der Einsatz für den Menschen. Nur wenn es uns als Menschen in unserer Gemeinschaft gut geht, werden wir ein zufriedenes und erfülltes Leben führen können. In diesem Sinne zitiere ich die Bibel: „Prüft alles und behaltet das Gute“ (1 Thess 5,22)
Werner Steiner,
KVW Landesvorsitzender
Schon vor der Zeit des Corona-Virus und der folgenden Lockdowns verspürten wir eine zunehmende Digitalisierung der Welt. Aus dem Handy wurde ein Smartphone und beinahe jeder besitzt mittlerweile ein internetfähiges Gerät. Während die ältere Generation noch von Kaufhäusern wie „Standa“ oder „rinascente“ beeindruckt war, ist es heute der weltumfassende Internethandel. Vermeintlich günstigere Preise verlocken viele zum Einkauf im Netz. Wie so oft ist es allerdings nur ein Teilaspekt, der zum eigenen Vorteil überbewertet wird. Während unser Geldbeutel zunächst geschont wird, sind die Folgekosten nicht abschätzbar. Wir ärgern uns über die vielen Lkws auf unseren Straßen und vergessen, dass alles im Netz bestellte ja auch umgehend geliefert werden muss. Die Auslieferung mit Drohnen ist noch Zukunftsmusik – ich bin mir nicht sicher ob selbstfahrende Fahrzeuge und ferngesteuerte Paketzusteller nicht allzu bald unseren Alltag kennzeichnen werden.
Gemeinwohl mitdenken
Die davon ausgehende Faszination hat vor allem die jungen Menschen angesprochen und nur zu leicht wurde ein Einhergehen mit diesem technischen Fortschritt auch mit Zeitgeist gleichgesetzt. Neoliberal denkende Menschen achten auf ihren persönlichen Vorteil und tun sich zusehends schwerer, das Gemeinwohl von Entscheidungen mitzudenken. Im Jahre 2018 haben Geschäftsführer Werner Atz und ich an einem Kongress der ACLI in Neapel teilgenommen. Dabei wurden die Veränderungen einer digitalisierten Welt für einen Sozialverband thematisiert. Stellen wir die Kosten in den Mittelpunkt, werden wir als Menschen immer den Kürzeren ziehen. Maschinen und Roboter arbeiten nun einmal viel effizienter und lassen sich auch nicht ablenken. Roboter mähen den Rasen, saugen die Wohnung, kochen unser Essen und mancher ist schon so weit, dass die Armbanduhr ihn auffordert, Fitnessübungen zu machen. Aus Kostengründen werden schon verschiedenste Helferlein in vielen Bereichen eingesetzt. Als Beispiel ist mir der Begleiter für Menschen mit Demenz in Erinnerung geblieben. Er kennt einen vorprogrammierten Spazierweg und führt die Person zuverlässig wieder nach Hause zurück. Diese Möglichkeit mag zunächst spannend klingen, ist es aber das, was wir uns für unsere Zukunft vorstellen? Für uns ist es wichtig, den Menschen im Mittelpunkt zu sehen und der soziale Kontakt ist unser Kapital. Wollen wir uns weiter in diese Richtung entwickeln und uns vielleicht nur mehr von „Maschinen“ bedienen lassen? Die Zeit der Isolation während des Lockdowns ist vielen als unerträglich in Erinnerung geblieben. Das könnte aber in einer digitalen Zukunft zum Alltag werden. Als soziale Wesen sind wir aufeinander angewiesen und wir können nur im menschlichen Kontakt ein erfülltes Leben führen. Als KVW wollen wir uns der digitalen Welt nicht verschließen, wir wollen aber auch die mitmenschliche Komponente im Auge behalten.
Jahresthema wird fortgesetzt
Aus diesen Überlegungen heraus hat
der Koordinierungsausschuss dieses Jahresthema formuliert. Da es nicht vollständig umgesetzt werden konnte, hat der neue Vorstand entschieden, das Thema noch ein weiteres Jahr aufrecht zu erhalten und den Ortsgruppen die Möglichkeit zu bieten, das Thema zu vertiefen. Es wäre wünschenswert, wenn sich alle Ortsgruppen mit dem Thema befassen. Eine Sitzung mit Planungsinhalten zum Jahresthema wäre für alle interessant. Schon allein das Einsammeln der Mitgliedbeiträge könnte in diesem Zusammenhang gesehen werden. Wir haben alle Möglichkeiten geschaffen: vom Kassieren an der Haustür bis zum Bankeinzug ist alles möglich. Es liegt also an den Ausschüssen der Ortsgruppen, ob sie beim Einsammeln der Mitgliedsbeiträge den persönlichen Kontakt zum Mitglied suchen oder die digitalen Möglichkeiten nutzen. Ohne zu werten hat beides seine Vorteile.
In den „Bildungsratschern“ der KVW-Bildung konnte ich feststellen, dass es viele Ortsgruppen gibt, die sich die digitalen Formen der Kommunikation zu Nutze machen und auf diesem Wege völlig neue Zielgruppen ansprechen. Die Aussage einer Teilnehmerin: „Fein, jetzt kann ich problemlos an den Kursen im ganzen Land teilnehmen.“ hat mich tief beeindruckt. Dass sogar gemeinsam gekocht werden kann, ist ein weiterer positiver Aspekt dieser Form der Online-Bildung
TEXT: Werner Steiner

Thema

Überlegter Umgang ist gefragt

Digitalisierung kann nur Mittel zum Zweck sein
Impuls, die Zeitschrift der katholischen Arbeitnehmerbewegung Deutschlands, hat mit der IT-Expertin Marie-Luise Wolff ein Interview zur Digitalisierung geführt. Dies ist eine gekürzte Version des Gespräches, das unter dem Titel „Smartphones sind die Ikonen von heute“ veröffentlicht wurde.
Marie-Luise Wolff,
Vorstandsvorsitzende der ENTEGA (Anbieter von
klimaneutralen Energien in Darmstadt).
Derzeit finden Unternehmensgründungen nicht mehr in der Garage oder in einer Werkstatt statt, sondern am Laptop oder Smartphone. Wie unterscheiden sich diese Unternehmen von herkömmlichen, wo noch eigentliche Produktion stattfindet?
Wolff: Sie unterscheiden sich ganz gewaltig. Es gibt in den USA, in China und anderswo Unternehmen, die noch nie einen Euro verdient haben und trotzdem an der Börse Milliarden und Abermilliarden wert sein sollen. Die meisten dieser sogenannten Startups verkaufen nur eine Idee, einen Mythos und sammeln so Investorengeld ein. Das ist der eine Unterschied. Der andere, gesellschaftlich noch relevantere: Viele dieser Unternehmen betreiben Wertschöpfung nur noch für sich selbst und ihre Eigentümer. Schauen Sie sich einmal die Arbeitsplätze an, die zum Beispiel durch Amazon geschaffen werden: Alle im unteren Lohnsektor und zu zum Teil ausbeuterischen Bedingungen. Unternehmer zu sein, zu Wirtschaften bedeutet für mich immer auch: Soziale und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Davon sind viele der Unternehmen, die am Laptop oder Smartphone gegründet werden, weit entfernt.
Digitalisierung ist zum Schlagwort geworden. Politiker*innen rufen nach einer breiteren und vollständigeren Digitalisierung der Wirtschaft, wenn ihnen scheinbar die Ideen ausgehen. Welche Möglichkeiten bietet die Digitalisierung wirklich?
Wolff: Digitalisierung bedeutet ja für die Wirtschaft erst einmal Automatisierung und da gibt es sinnvolle und auch unsinnige Anwendungen. Dass Sie beispielsweise heute ihren Stromzählerstand elektronisch übermitteln können, ist eine Erleichterung und vernünftig. Viele Anwendungen rund um Smart-Home – auch so einen Zauberschlagwort der vergangenen Jahre – sind aber zum Beispiel pure Spielerei. Auch das ziellose Datensammeln zählt für mich dazu. Deshalb plädiere ich für einen nüchternen und rationalen Umgang mit der Digitalisierung. Bewerten, was wirklich nutzt und nicht einfach nachmachen.
Inwieweit unterscheidet sich die Digitalisierung von vorangegangenen Automatisierungs- und Rationalisierungsprozessen in der Wirtschaft, die sich meist auf Kosten von Arbeitsplätzen vollzieht?
Wolff: Bei der Industrialisierung zum Beispiel sind zwar Arbeitsplätze weggefallen, aber auch ganz neue geschaffen worden, zum Teil sind sogar ganz neue Berufe dabei entstanden. Dies war immer daran orientiert, Prozesse zu vereinfachen und Wertschöpfung und somit Wohlstand für ganze Gesellschaften zu schaffen. Vieles was wir heute als „Digitalisierung“ verstehen ist aber gar nicht an der Lösung von Problemen orientiert, sondern nur daran, Margen, gute Arbeitsplätze und Wettbewerb lokal zu vernichten damit wenige große Spieler mit möglichst kleinem Aufwand und null Risiko immer mehr Geld verdienen.
Von der Digitalisierung erhofft man sich eine Heilswirkung. Gleichzeitig löst sie Ängste aus. Wie muss sie gestaltet werden?
Wolf: Digitalisierung kann immer nur Mittel zum Zweck, nicht der Zweck selbst sein. Sie muss geführt werden, damit sie gut wird und uns hilft. Bei jeder Anwendung muss man sich fragen, welches gegenwärtig existierende Problem sie löst. Technologie darf nicht uns Menschen treiben. Den Profiteuren der digitalen Technologien und sozialen Medien wurde viel zu lange keinerlei Einhalt geboten.
Und wir müssen gerade in Deutschland und Europa aufhören, den digitalen Heilsversprechen aus den USA und China hinterherzurennen. Unsere Unternehmen müssen sich selbstbewusst wieder der Lösung wirklicher Menschheitsprobleme wie dem Klimawandel, der Umweltzerstörung oder eben auch zunehmenden Pandemien widmen. Ist es nicht interessant, wo die Impfstoffe gegen Covid-19 erfunden wurden? In kleineren Laboren in Mainz, in Tübingen und in Oxford! Nicht im Silicon Valley. Es ist Zeit für eine Rückkehr zur Realwirtschaft.