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Überlegter Umgang ist gefragt

Digitalisierung kann nur Mittel zum Zweck sein
Impuls, die Zeitschrift der katholischen Arbeitnehmerbewegung Deutschlands, hat mit der IT-Expertin Marie-Luise Wolff ein Interview zur Digitalisierung geführt. Dies ist eine gekürzte Version des Gespräches, das unter dem Titel „Smartphones sind die Ikonen von heute“ veröffentlicht wurde.
Marie-Luise Wolff,
Vorstandsvorsitzende der ENTEGA (Anbieter von
klimaneutralen Energien in Darmstadt).
Derzeit finden Unternehmensgründungen nicht mehr in der Garage oder in einer Werkstatt statt, sondern am Laptop oder Smartphone. Wie unterscheiden sich diese Unternehmen von herkömmlichen, wo noch eigentliche Produktion stattfindet?
Wolff: Sie unterscheiden sich ganz gewaltig. Es gibt in den USA, in China und anderswo Unternehmen, die noch nie einen Euro verdient haben und trotzdem an der Börse Milliarden und Abermilliarden wert sein sollen. Die meisten dieser sogenannten Startups verkaufen nur eine Idee, einen Mythos und sammeln so Investorengeld ein. Das ist der eine Unterschied. Der andere, gesellschaftlich noch relevantere: Viele dieser Unternehmen betreiben Wertschöpfung nur noch für sich selbst und ihre Eigentümer. Schauen Sie sich einmal die Arbeitsplätze an, die zum Beispiel durch Amazon geschaffen werden: Alle im unteren Lohnsektor und zu zum Teil ausbeuterischen Bedingungen. Unternehmer zu sein, zu Wirtschaften bedeutet für mich immer auch: Soziale und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Davon sind viele der Unternehmen, die am Laptop oder Smartphone gegründet werden, weit entfernt.
Digitalisierung ist zum Schlagwort geworden. Politiker*innen rufen nach einer breiteren und vollständigeren Digitalisierung der Wirtschaft, wenn ihnen scheinbar die Ideen ausgehen. Welche Möglichkeiten bietet die Digitalisierung wirklich?
Wolff: Digitalisierung bedeutet ja für die Wirtschaft erst einmal Automatisierung und da gibt es sinnvolle und auch unsinnige Anwendungen. Dass Sie beispielsweise heute ihren Stromzählerstand elektronisch übermitteln können, ist eine Erleichterung und vernünftig. Viele Anwendungen rund um Smart-Home – auch so einen Zauberschlagwort der vergangenen Jahre – sind aber zum Beispiel pure Spielerei. Auch das ziellose Datensammeln zählt für mich dazu. Deshalb plädiere ich für einen nüchternen und rationalen Umgang mit der Digitalisierung. Bewerten, was wirklich nutzt und nicht einfach nachmachen.
Inwieweit unterscheidet sich die Digitalisierung von vorangegangenen Automatisierungs- und Rationalisierungsprozessen in der Wirtschaft, die sich meist auf Kosten von Arbeitsplätzen vollzieht?
Wolff: Bei der Industrialisierung zum Beispiel sind zwar Arbeitsplätze weggefallen, aber auch ganz neue geschaffen worden, zum Teil sind sogar ganz neue Berufe dabei entstanden. Dies war immer daran orientiert, Prozesse zu vereinfachen und Wertschöpfung und somit Wohlstand für ganze Gesellschaften zu schaffen. Vieles was wir heute als „Digitalisierung“ verstehen ist aber gar nicht an der Lösung von Problemen orientiert, sondern nur daran, Margen, gute Arbeitsplätze und Wettbewerb lokal zu vernichten damit wenige große Spieler mit möglichst kleinem Aufwand und null Risiko immer mehr Geld verdienen.
Von der Digitalisierung erhofft man sich eine Heilswirkung. Gleichzeitig löst sie Ängste aus. Wie muss sie gestaltet werden?
Wolf: Digitalisierung kann immer nur Mittel zum Zweck, nicht der Zweck selbst sein. Sie muss geführt werden, damit sie gut wird und uns hilft. Bei jeder Anwendung muss man sich fragen, welches gegenwärtig existierende Problem sie löst. Technologie darf nicht uns Menschen treiben. Den Profiteuren der digitalen Technologien und sozialen Medien wurde viel zu lange keinerlei Einhalt geboten.
Und wir müssen gerade in Deutschland und Europa aufhören, den digitalen Heilsversprechen aus den USA und China hinterherzurennen. Unsere Unternehmen müssen sich selbstbewusst wieder der Lösung wirklicher Menschheitsprobleme wie dem Klimawandel, der Umweltzerstörung oder eben auch zunehmenden Pandemien widmen. Ist es nicht interessant, wo die Impfstoffe gegen Covid-19 erfunden wurden? In kleineren Laboren in Mainz, in Tübingen und in Oxford! Nicht im Silicon Valley. Es ist Zeit für eine Rückkehr zur Realwirtschaft.

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Digitale Lösungen im Pflegebereich

Zwischen körperlicher Entlastung und Zeitgewinn
Wird Zeit durch Digitalisierung eingespart, soll dies zugunsten der Zeit am Menschen gehen.
Welche Chancen bieten digitalen Lösungen in der Pflege? Körperliche Entlastung durch Robotik ist sicher eine Erleichterung, ebenso wie Verlässlichkeit, Sicherheit und Zeitgewinn. Es gibt aber auch Bereiche, die niemals von Computern oder Maschinen übernommen werden können. Zu Pflegende brauchen den Kontakt zu Menschen, sie brauchen den Austausch, das Sprechen, Spüren, Hören und Fühlen.
Maria Oberprantacher,
Pflegedirektorin Stiftung St. Elisabeth
Alle Dienstleister in der Pflege, ambulant und stationär, verwenden bereits digitale Technologien und diese sind bereits so sehr etabliert, dass sie in der täglichen Arbeit gar nicht mehr wegzudenken sind. Ja sogar nicht mehr als digitale Techniken empfunden werden. Tastaturen, Smartphones und virtuelle Intelligenzsysteme potenzieren und modulieren oft zwar Beziehungen, aber anders ist es, wenn wir an den „Pflegeroboter“ denken, der dem Bewohner das Kuscheltier, ein Glas Wasser oder die Fernbedienung reicht. Das sind Zukunftsmodelle die sich kein Pfleger, keine Pflegerin wünscht. Pflegen heißt sich um den Menschen kümmern, mit allen seinen tageszeitabhängigen, individuellen Bedürfnissen, seiner Gebrechlichkeit und seinen Besonderheiten. Die menschliche Nähe, die Beobachtung, der Hautkontakt, die Stimme und das Zuhören können und sollen nicht durch Technik ersetzt werden. Es gibt aber eine ganze Reihe an digitalen Anwendungsmöglichkeiten, welche bereits in der Pflege ihren Raum gefunden haben, sicher auch noch ausbaufähig sind. Die Digitalisierung dient vor allem dem Informationsfluss, der Organisation und der Vernetzung, erleichtert und sichert viele Arbeitsprozesse. Hierzu zählen vor allem Pflegeplanung und -dokumentation, technische Assistenzsysteme, computergestützte Pflegehilfsmittel, Smart-Home-Systeme und für die Mitarbeiter auch E-Learning-Systeme.
Computergestützte Pflegedokumentation: Lesbarkeit und damit auch Klarheit in der Berichterstattung zwischen den Diensten oder Dienstschichten, in den ärztlichen Verordnungen und allgemein im Informationsfluss zur betreuten Person geben Sicherheit. Vor allem auch aus gesetzlicher Sicht. Wir sprechen von Qualitätssicherung bis hin zur Zeiteinsparung.
Vernetzung zwischen den Anbietern, bis hin zu den Netzwerkpartnern wie z.B. zum Gesundheitsbetrieb - Seniorenwohnheim, zu den Kontrollorganen im Land und zu den Verbänden. Das bietet Arbeitserleichterung, gibt Transparenz und steht für einen schnellen und effizienten Austausch. Wobei hier auch zu betonen ist, dass es noch viele weitere Möglichkeiten auszuschöpfen gilt.
Erleichterung und Sicherheit
Rufanlage/Hausnotruf: Die Rufanlage gibt es mittlerweile in sehr vielen Varianten vom Kabel- bis zum Funksystem und im stationären Bereich bieten fast alle die Möglichkeit, auch ohne Betreten des Zimmers, schnell nach den Bedürfnissen des Bewohners zu fragen.
Bei physischen Entlastungssystemen wie z.B. das intelligente Pflegebett, welches nicht nur alle Positionsänderungen/Bewegungen für Bewohner und Mitarbeiter erleichtert, sondern auch in der Lage ist, personenbezogene Daten wie das Gewicht des Bewohners und weitere Parameter zu monitorieren und gleich direkt in das zentrale Dokumentationssystem einzuspeisen.
Die Verblisterung der Medikamente hat sich in Südtirol leider noch nicht ganz durgesetzt. Dabei bietet diese Sicherheit für den Bewohner/ Patienten, Kosteneinsparung für den Gesundheitsbetrieb und Arbeitszeiteinsparung für die Krankenpflege, Zeit, die direkt dem Bewohner zugutekommen würde.
In der Unterstützung der Patientensicherheit: Bewohner welche z.B. von Demenz betroffen sind, oder Menschen mit hoher Sturzgefahr sind darauf angewiesen, dass die Pflege für ihren Schutz sorgt. Das kann auch bedeuten, dass sich Türen nur in Begleitung öffnen oder dass der Bewohner mittels einer digitalen Überwachung die Einrichtung kontrolliert verlassen kann. Hierzu zählen auch Lokalisierungs-, Ortungs- und Trackingsysteme, welche dem Menschen sogar ein großes Stück an Freiheit und Selbständigkeit ermöglichen
Video-Monitoring: z.B. bei psychisch kranken Menschen und Menschen mit einem hohen Selbst- oder Fremdgefährdungspotential; hier kann die Überwachungskamera sehr sinnvoll sein und gute Dienste leisten.
Anregung für geistige Fitness
Spiele und Aktivierungsprogramme: In der Aktivierung und in der Tagesgestaltung sind digitale Hilfsmittel wie Computerspiele bis hin zu den digitalen Medien eine sehr große Hilfe und Bereicherung nicht zuletzt auch, weil mittlerweile viele unserer Senioren grundsätzlich schon mit technologischen Utensilien vertraut sind.
Es braucht Weiterbildung
In einigen Bereichen wünschen wir uns ein schnelleres und kompetenteres Voranschreiten der Technologie. Aber mangelndes Wissen zu den technischen Möglichkeiten, fehlendes Knowhow der Mitarbeiter*innen im Umgang mit den digitalen Möglichkeiten, so wie das Fehlen bereits erprobter verfügbarer technischer Lösungen, verlangsamen diesen Prozess. Eine unserer Herausforderungen ist es, in naher Zukunft in diesen Bereich in Form von gezielten Weiterbildungen zu investieren. Dadurch können auch viele ethische und juridische Aspekte und Fragen schon vor der Implementierung gut aufgearbeitet werden und den Mitarbeiter*innen wird auch sensibilisiert zu intervenieren, wenn es in der Pflege zu Fehlentwicklungen bzw. nicht zielführendem Einsatz von technischen Innovationen kommt. Ziel soll immer sein, Arbeitszeiteinsparungen aufgrund von EDV unterstützten Optimierungen zugunsten von Zeit am Menschen zu schaffen.
TEXT: Maria Oberprantacher