Jugend

Ein verblühter Garten

Depression: antriebslos, innere Leere und negative Gedanken
Für den Weg aus der Depression braucht es Unterstützung.
Aus einer Depression herauszukommen ist nicht so einfach. Dies erlebte unser Interviewpartner selbst, der junge Mann möchte anonym bleiben. Jung, lebendig und offen ist er, aber es gab eine Zeit, da sah er keinen Sinn mehr, sein Leben fortzusetzen. Wie er diese schlimme Zeit durchlebte und wie er es geschafft hat, dieser Phase zu entrinnen, erzählt er im folgenden Interview David Pfattner, dem Mitarbeiter der KVW Jugend.
Wann kamst du zum ersten Mal mit Depressionen in Berührung?
Den ersten Kontakt mit Depressionen hatte ich als Angehöriger. Als ich noch ein Teenager war, litt mein Vater stark an Depressionen. Trotzdem versuchten meine Eltern, uns Kinder so wenig wie möglich in diese Krankheit miteinzubeziehen. Nach zwei harten Jahren in Therapie und Aufenthalt im Bad Bachgart, viel Rückhalt von der Familie und seinen Freunden, fand mein Vater neuen Antrieb und sein schönes Lachen kehrte wieder zurück.
Es vergingen einige Jahre und als ich 19 Jahre alt war, wurde mein Vater wieder in die Psychiatrie eingeliefert. Ich war nun voller Tatendrang ihm zu helfen, da ich kein hilfloses Kind mehr war, das nur zusehen konnte. In dieser Zeit sprach ich sehr häufig mit ihm und versuchte ständig seine Gedanken nachzuvollziehen. Ganz schnell wurde mir aber auch klar, Depressionen sind nichts, welche von heute auf morgen gelöst werden können. Im Kopf meines Vaters schwirrte immer eine unsichtbare Macht umher, die die Fäden zog. Es war ein sehr ansteckendes Gefühl und die Leere in seinen Augen verschlang Welten. Es vergingen Monate ohne wirkliche Besserung, verschiedenste Therapien bzw. Medikamente als auch die Alternativmedizin scheiterten. Jeder der Angehörigen hatte einen anderen Lösungsansatz, aber nichts konnte ihm helfen.
Die ganze Last, die ich mir durch meinen Vater aufgebunden habe, kam mir teuer zu stehen. Ich verdrängte oft, wie sehr mir das ganze zusetzte, ich achtete nicht mehr auf mein Wohlbefinden und das Resultat war eine aufgetretene Psychose. Ich hörte und fühlte Dinge, die für mein Umfeld nicht nachvollziehbar waren und endete in Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Schlussendlich musste auch ich mich in eine Psychiatrie begeben, wo ich auch wieder zu mir kam. So wie ich früher meinen Vater in der Psychiatrie besuchte, war es nun genau umgekehrt. Dies war dann auch der Augenblick, wo mein Leben eine Wendung erfuhr und die Depression seinen Lauf nahm.
Was war für dich das Schlimmste in dieser depressiven Phase?
In dieser Zeit empfand ich kaum etwas für meine Mitmenschen, für nichts mehr auf dieser Welt konnte ich mich begeistern und Suizidgedanken schwirrten in meinem Kopf umher. Schlimm war, dass die Menschen, die mir wichtig waren, sich von mir distanzierten. Ich war nicht mehr die Person, die sie kannten, vielleicht auch weil sie Angst davor hatten, sich mit dem heiklen Thema auseinanderzusetzen.
Es tat sehr weh, ohne Freunde und alleine im Leben dazustehen. Kontakte waren plötzlich nicht mehr da und auch ein Mädchen, welches mir sehr ans Herz gewachsen war, ließ mich alleine. Die negativen Gedanken gewannen Überhand, ich kam nicht mehr aus dem Bett, mein Körper war müde und wollte nur noch schlafen. Ich habe das Leben nicht mehr spüren wollen. Gespräche mit Menschen waren ständig mit viel Scham behaftet und genau dieser ständige psychische Druck zog mich immer mehr in die Einsamkeit und Taubheit.
Das Schlimmste war auch zu wissen, jetzt depressiv zu sein und sich damit abfinden zu müssen. Das muss man erst einmal für sich selbst verarbeiten. Kaum auszuhalten war auch der Gedanke, dass ich meine Familie immer belaste, daher wollte ich sie auch von dieser Last befreien. Ich konnte in der schlimmen Zeit meiner Familie einfach nie versprechen, dass es besser wird, weil ich selbst den Zeitpunkt der Besserung nicht im Geringsten erahnen konnte.
Wie wurdest du in der Gesellschaft mit dieser Krankheit angenommen?
Südtirol ist eine besondere Gesellschaft. Jeder kennt jeden, man steht sich irgendwie nahe und man nimmt sich ständig das Recht, voreilig Schlüsse über andere Menschen zu ziehen. Die eine oder andere Information wird in der „Dorfbar“ noch hinzu gedichtet und es entstehen „Märchen“, die möglicherweise ein recht interessanter Zeitvertreib sind, aber früher oder später auch bei den Betroffenen landen und diesen dann schwer verletzen.
Hat sich die Situation irgendwann gebessert? Wie geht es dir jetzt?
Irgendwo in mir habe ich immer an eine Besserung geglaubt. Es waren meine Familie und die besten Freunde, die mich nie fallengelassen und mich immer unterstützt haben. Sie gaben mir vor allem den Raum, den ich benötigte, um mein Leben zu leben. Ich musste mir mit 22 Jahren wieder eingestehen, dass ich voll und ganz auf ihre Hilfe angewiesen war. Ich wollte nicht wieder das „Kind“ sein, aber effektiv war es so, und meine Familie nahm diese Situation bedingungslos an.
Seit einem halben Jahr fühle ich mich gut, habe wieder Antrieb, neue Ziele, Träume und kann verschiedenste Dinge wieder schätzen. Durch diese schwere Zeit wurde mir klar, wie wichtig das eigene Wohlbefinden ist und wie stark die eigene Wahrnehmung davon abhängig ist. Von null beginnen, schwere Gedanken und Ängste Schritt für Schritt zur Seite legen und ein komplettes „Reset“ seines Lebens durchzuführen, verhalfen mir zu dieser Besserung.
Mein Leben füllt sich wieder langsam mit Energie und Kraft, um zum Beispiel mein Bett zu machen oder den Tisch zu decken.
Was war für dich Motivation, deine Lebenskrise zu bewältigen?
Nutze bestmöglich deine vorhandene Zeit, mache aus den wenigen Möglichkeiten, die dir dein Kopf bereitstellt das Beste, um sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Häufig begab ich mich ins Freie und atmete frische, gesunde Luft ein. Andererseits brachte mich das Online-Spiel auf die Straße der Besserung, denn dort kommunizierte ich mit Menschen, die weit von meiner unmittelbaren Umgebung entfernt waren und mich und meine Vorgeschichte nicht kannten. Beim Spielen wusste keiner, dass ich an Depressionen leide.
Natürlich halfen mir auch meine Mitmenschen, insbesondere meine Familie und engsten Freunde. Sie gaben mir immer das Gefühl, nie in Vergessenheit zu geraten. Anfangs störte es mich noch sehr, dass sie mich ständig motivierten, langfristig gesehen war genau diese Liebe und Zuneigung meine Rettung. Wenn man Mitmenschen hat, die mit dir gemeinsam den Schritt zurück in die tägliche Gesellschaft bzw. in die Sozialisation wagen, dann ist dies ein unbezahlbares Geschenk.
Welchen Einfluss hat die Corona­krise auf depressive Menschen?
Durch Corona können sich viele Menschen in unsere depressive Welt hineinversetzen und dadurch mitbekommen, wie schrecklich eigentlich die Einsamkeit bzw. die Isolierung sein kann.
Was würdest du depressiven Menschen mit auf dem Weg geben, damit sie solch schwierige Situationen, wie du sie erleben musstest, besser meistern?
Schaue auf dich und deinen Körper, geh, wenn möglich, in die Natur und meide Menschen, die negative Auswirkungen auf dich haben. Versuche immer daran zu glauben, dass jeder Tag neue Möglichkeiten und Chancen mit sich bringt. Auch wenn du zurzeit eine schlimme Phase durchmachst, es gibt noch so viele Momente, die du genießen und in denen du lachen kannst.
Kannst du die Krankheit Depression in einem Satz beschreiben?
Ein verblühter Garten, der wieder von neu gepflegt werden muss.

Editorial

Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Wer heute Erfolg haben will zeigt sich stark und unverletzlich. Er schützt sich, ist im Grunde unnahbar und inszeniert in den sozialen Medien ein Bild von sich, das er plant und bewusst steuert.
Einen Gegenentwurf dazu zeigt die Theologin und Philosophin Isabella Guanzini im Interview in dieser Ausgabe der Zeitschrift Kompass auf. Sie bricht eine Lanze für eine neue Art des Miteinander, für Mitgefühl und Nächstenliebe. Jede und jeder ist verletzlich, egal wie dick und hoch die Mauer um einen aufgebaut ist. Wenn die Menschen ein Gespür für Anzeichen von Verletzlichkeit im anderen entwickeln, würde die Schutzmauer bröckeln. Dies wäre ein erster Schritt auf dem Weg aus der gefühlsarmen Zeit, aus einer Zeit, die von Angst und Rückzug geprägt ist. Sanftheit, Nächstenliebe und Menschlichkeit tun uns besser als Härte, sich abkapseln und schützen. Dies würde unsere alltäglichen Beziehungen ändern, ich sage sogar sie vertiefen und kostbarer machen. Vielleicht können wir uns dies im Privaten gut vorstellen. Es wäre aber auch ein begrüßenswerter Weg, der im großen Miteinander, in der Gesellschaft insgesamt und in der Politik möglich ist. Die Wirkung wäre enorm!
Ingeburg Gurndin