Thema

Politik?

Das Bohren von harten Brettern, aber mit Leidenschaft
„Die Politikbedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“(Max Weber, deutscher Soziologe, (1864 - 1920) | Foto: Uschi Dreiucker/pixelio.de
Es gibt viele und verschiedene Definitionen von Politik, aber einfach sind die Erklärungen nie. Günther Pallaver ist Professor für Politologie und geht für den Kompass der Frage nach „Was ist Politik?“.
Was ist Politik? Wenn doch die Antwort so kurz wäre wie das Wort! Es gibt eine Unmenge von Begriffsbestimmungen mit unterschiedlichen Gewichtungen: Politik ist die Sicherung und Ordnung des Zusammenlebens von Menschen. Politik ist der Kampf um die Benutzung von Macht. Politik ist die Kunst der Führung von Menschen in Gruppen. Politik ist der Kampf der Klassen und ihrer Parteien, von Staaten und Staatssystemen zum Zweck der Durchsetzung ihrer Interessen und Ziele. Und so weiter und so fort.
Gemeinsamen Nenner suchen
Suchen wir Hilfe beim großen Sozialwissenschaftler Max Weber (1864-1920), der gemeint hat, Politik sei ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Übersetzt heißt das, Politik ist kein leichtes Geschäft, das mit Schnellschüssen erledigt werden kann, und dass es neben Engagement auch Augenmaß braucht. Ein bisschen bringt uns das schon weiter, aber nicht zu einem gemeinsamen Nenner, was Politik letztlich bedeutet. Viele orientieren sich an der Formulierung: Politik ist die Fähigkeit, verbindliche Entscheidungen herbeizuführen. Oder etwas ausführlicher: Politik wird verstanden als soziales Handeln, das auf Entscheidungen und Steuerungsprozesse hin orientiert ist, die allgemein verbindlich sind und letztlich das Zusammenleben von Menschen regeln. Und jetzt beginnt sich das Karussell wieder zu drehen: Wer führt die Entscheidungen herbei? Das Volk? Aber wer gehört zum Volk? Alle, oder sind einige davon ausgeschlossen? Und wer entscheidet, wer entscheiden kann. Was bedeutet verbindlich, soziales Handeln? Wie soll das Zusammenleben in einer Gemeinschaft aussehen? Gemeinschaft oder Gesellschaft?
Politik soll Konflikte lösen
Dennoch, von dieser Definition ausgehend können wir einige Grundelemente herausfiltern. Politik hat mit dem Gemeinsamen zu tun, somit mit staatlicher Ordnung, und ist darauf ausgerichtet, Konflikte zu lösen. Dabei ist der Kompromiss ein wesentliches Element der Politik und bedeutet die Miteinbeziehung der Positionen auch der politischen Gegenspieler*innen. Weiters geht es in der Politik um Herrschaft, die in Demokratien von unten legitimiert sein muss. Unten und oben: Jedes politische System gleicht einer Pyramide, weil keine Gesellschaft linear ausgerichtet ist. Es gibt gesellschaftliche Schichten, die in diesem pyramidalen Modell unten sind, andere sind weiter oben, wenige ganz oben. Die Utopie der Demokratie, die Pyramide einzuebnen, die Aufhebung von Herrschaft, die Identität von Herrschenden und Beherrschten ist wohl nicht zu erreichen, aber man kann ihr jeden Tag einen Schritt näher rücken, sich der Utopie annähern.
Nochmals: es geht in der Politik um menschliches Handeln. Dabei sind die handelnden Akteure Subjekte und Objekte des Handelns. Es geht um verbindliche Entscheidungen, die wieder geändert werden können, und das Zusammenleben von Einzelmenschen oder Gruppen betreffen.
Über Konflikte entscheiden
Beim Versuch, die Pyramide steil zu belassen oder einzuebnen, lassen sich im Sinne der Politik drei Merkmale bestimmen. Es braucht Entscheidungen und Verbindlichkeit überall dort, wo es knappe (materielle oder immaterielle) Güter gibt. Wo es eine gute Luft gibt, gibt es um diese keine Verteilungskämpfe. Wo die Luft schlecht ist, sehr wohl, weil jene, die eine schlechte Luft atmen, eine gute wollen. Das führt zu Konflikten. Die Aufgabe der Politik ist es, solche Konflikte zu entscheiden. Werden Entscheidungen mit Verbindlichkeit durchgesetzt und bleiben sie in Geltung, dann ist dies mit Macht verbunden. Macht ist die Fähigkeit, den eigenen Willen auch gegen den Widerstand anderer (mit verschiedenen Mitteln, friedlichen oder gewaltsamen) durchzusetzen. Knappheit, Konflikt, Macht, das ist das Trio, das Politik bestimmt. Ohne Knappheit gibt es keinen Konflikt, ohne Konflikt gibt es keine Politik. Politische Entscheidungen werden dann notwendig, wenn es Interessenskonflikte, Verteilungskonflikte gibt.
Ist Macht schlecht? Grundsätzlich nicht. Denn Macht ist ein zwingender und unvermeidlicher Teil der Politik. Und deshalb geht es in der Politik immer um die Gestaltung und um die Veränderung von Machtverhältnissen.
Politische Ziele verfolgen
Gehen wir einen Schritt weiter. Wie werden politischen Ziele von einzelnen oder Gruppen verfolgt, in welchen Bereichen? Wer einen weiten Politikbegriff vertritt, schließt keine Lebensbereiche aus, das gilt für das Parlament wie für die Familie, für eine Demonstration wie für einen Ausflug unter Freund*innen. Nicht alles ist politisch, aber alles ist potentiell politisch. Wer einen engen Politikbegriff bevorzugt, der schließt bestimmte Lebensbereiche aus. Politik hat in der Schule, in der Familie, am Arbeitsplatz nichts verloren. Hinter dem engen wie hinter dem weiten Politikbegriff verstecken sich immer Interessen. Wer einen weiten Politikbegriff vertritt, für den gehört auch die Schule, die Wirtschaft, die Freizeit zur Politik, ist stärker emanzipatorisch/partizipatorisch ausgerichtet und überzeugt, die Gesellschaft ändern, verbessern zu können. Wer einen engen Politikbegriff verwendet, ist tendentiell gegenemanzipatorisch orientiert, befindet sich auf defensiven Positionen, stellt Möglichkeiten der Änderung, der gesellschaftlichen Verbesserung in Abrede, bremst eher, will sie nicht.
Wahlen sind ein demokratischer Prozess: es bilden sich Mehrheiten | Foto: Uschi Dreiucker/pixelio.de
Politik ist Konflikt um die Macht
Die Austragung von Konflikten braucht in Demokratien auch den Konsens über die Regeln, wie verbindliche Entscheidungen zustande kommen. Demokratie braucht Konflikt, ja ist Konflikt um die Macht, wenn es bei demokratischen Wahlen um Machtzuweisung (z.B. parlamentarische Mehrheiten), Machtkontrolle (z.B. der Regierung) und Machtablösung geht (z.B. eine Regierung wird abgewählt). Aber es braucht auch einen Konsens über die Machtzuweisung, Machtkontrolle und Machtablösung. Es braucht nicht nur einen formellen Konsens über die Spielregeln, es braucht auch einen inhaltlichen Konsens. Das betrifft in erster Linie die Anerkennung von Grund- und Freiheitsrechten, der Würde der Person.
Was also ist die Aufgabe der Politik?
Viele werden ohne zu zögern antworten: Die Verwirklichung des Gemeinwohls! Wer aber bestimmt, was das Gemeinwohl ist? Ich kann eine bestimmte Vorstellung von Gemeinwohl haben, meine Nachbarin eine andere. Es gibt einige wenige, fast unumstrittene Bereiche, die man zum Gemeinwohl zählt, wie etwa die Gesundheit oder das Recht auf Leben. Aber welche Steuerpolitik, Verkehrs- oder Gesundheitspolitik zur Anwendung kommen soll, das kann nicht a priori, von vornherein festgelegt werden, sondern erst nachträglich. Der möglichst größte Nutzen für alle ist erst das Ergebnis eines demokratischen Prozesses, an dem möglichst alle teilnehmen sollen, wie etwa bei Wahlen (aber nicht nur), wenn sich in einer Gesellschaft Mehrheiten für eine bestimmte politische Richtung gebildet haben: z.B. für eine liberale Wirtschaftspolitik oder für die Gemeinwohl-Ökonomie. Und die Mehrheit von heute kann morgen zur Minderheit werden, weil die Bürger*innen in einer Demokratie frei sind zu entscheiden, was für ein Gemeinwohl sie verwirklicht haben möchten.
Wer somit das Gemeinwohl mitbestimmen will, sollte politisch partizipieren. Aber wollen das überhaupt alle? Hier liegt eine Grenze der Politik, denn nicht alle Menschen sind bereit, sich politisch zu engagieren. Nicht alle interessieren sich für Politik, die in Konkurrenz zu anderen Lebensbereichen steht, etwa zur Arbeit, Freizeit oder Unterhaltung. Dabei haben wir noch gar nicht von der Entpolitisierung der Politik gesprochen. Politik? Ist nur ein Wort, aber ein unendliches.
Text: Günther Pallaver

Kommentar

Der Unterschied zwischen sterben lassen und töten

Die Patientenverfügung aus moraltheologischer Sicht
Martin Lintner,
Professor für Moraltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen
Mitte Dezember hat das Parlament in Rom das Gesetz zur Patientenverfügung beschlossen. Es sieht vor, dass Patienten das Recht haben, lebensverlängernde Maßnahmen abzulehnen.
Endlich hat auch Italien ein Gesetz, dass die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen (PV) regelt. Zwar konnten Patientenverfügungen schon bislang erstellt werden, aber die Frage war offen, wie weit ein Arzt sich daran halte durfte oder musste.
Es ist ein unbestrittenes Recht des Patienten, dass medizinische Maßnahmen und Therapien an ihm nur dann durchgeführt werden, wenn er zustimmt. Das gehört gleichsam zu seinem Recht auf Selbstbestimmung und auf physische Integrität. Paternalistische Lösungsansätze, die sich über die Wünsche des Patienten hinwegsetzen, stehen dazu im Widerspruch. Der Patient hat ein Anrecht auf umfassende Informationen, um sich ein Urteil bilden und eine wohlüberlegte, freie Entscheidung treffen zu können. Deshalb spricht man vom Recht auf informierten Konsens. Auch Patienten, die zu einem konkreten Zeitpunkt nicht einwilligungs- oder kommunikationsfähig sind, haben dieses Recht. Genau für solche Situationen wird vorab eine Patientenverfügung verfasst und erst dann tritt sie in Kraft. Für die Verfassung einer Patientenverfügung ist das Gespräch mit den Angehörigen oder einer Vertrauensperons sowie mit dem eigenen Arzt wichtig. Ein solches Gespräch ist in vielen Familien eine große Hilfe, über die oft verdrängten oder nicht thematisierten Fragen, die das Lebensende, den Umgang mit Krankheit oder das Sterben betreffen, miteinander ins Gespräch zu kommen. Gerade in Akutsituationen ist es nicht nur für den Arzt oder für das Pflegepersonal hilfreich, um die Wünsche und Wertvorstellungen des Patienten zu wissen, sondern es kann besonders auch für die Angehörigen sehr entlastend sein, weil es ihnen leichter fällt, eine Entscheidung im Sinne des Kranken oder Sterbenden zu treffen.
Bei der Entscheidung, ob therapeutische Maßnahmen oder Therapien angefangen oder weitergeführt werden, ist die entscheidende Frage immer jene der medizinischen Angemessenheit in Bezug auf den konkreten Gesundheitszustand eines Patienten. Auch aus christlicher Sicht geht es dabei nicht um Lebenserhaltung um jeden Preis. Das Leben ist immer zu achten und wertzuschätzen als grundlegendes Gut, deshalb darf ein Patient auch nie getötet werden. Das Leben muss aber nicht um jeden Preis und mit allen denkbaren Mitteln erhalten werden: Ein Mensch darf sterben, wenn sein Leben zu Ende geht. Zwischen sterben lassen und töten besteht ein großer Unterschied.
Das Land Südtirol hat eine Broschüre herausgegeben, die eine Hilfestellung für diejenigen sein soll, die eine Patientenverfügung schreiben möchten.
Laut Gesetz dürfen Maßnahmen (auch künstliche Ernährung und Hydrierung) lediglich abgelehnt, jedoch nicht gefordert werden. Deshalb ist die Befürchtung, die Patientenverfügung wäre ein Türöffner für die Euthanasie, d.h. für Tötung auf Verlangen am Lebensende, meines Erachtens nicht gerechtfertigt. Zugleich wird das Recht des Arztes auf Gewissenvorbehalt ausdrücklich geschützt. Wichtig ist, dass laut Gesetz auch dann, wenn ein Patient eine Behandlung ablehnt, der Arzt verpflichtet bleibt, ihn schmerzlindernd und palliativ zu betreuen. Auch hat der Patient Anrecht auf psychologische Betreuung. Gesetzlich erlaubt wird auch die palliative Sedierung am Lebensende als letzte Möglichkeit zur Linderung unerträglicher Schmerzen, wenn sie vom Patienten gewünscht wird.
Da es der Zweck einer Patientenverfügung ist, im Zusammenspiel von Selbstbestimmung des Patienten und Fürsorge seitens des Arztes, des Pflegeteams und der Angehörigen die Würde eines Patienten am Lebensende zu schützen, ist die Erstellung einer PV jedenfalls empfehlenswert. Niemand muss jedoch eine Patientenverfügung verfassen. Sie ist ein Recht, keine Pflicht.
Text: Martin Lintner