Editorial

Zwischen Herausforderung und Hoffnung

Liebe Leserinnen, lieber Leser!
Steigende Lebenshaltungskosten bei stagnierenden Einkommen sind längst keine abstrakten Zahlen mehr, sondern prägen den Alltag vieler Menschen in Südtirol. Besonders die junge Generation erlebt erstmals, dass Ausbildung und Arbeit nicht automatisch Sicherheit und Perspektive bedeuten. Wohnen – einst ein selbstverständlicher Teil der Lebensplanung – ist für viele zur größten Hürde geworden. Wer arbeitet, aber dennoch kaum Rücklagen bilden kann, beginnt unweigerlich zu zweifeln: an der eigenen Zukunft und an jener dieses Landes.
Wer profitiert vom wirtschaftlichen Erfolg? Und wer bleibt zurück? Wenn sich ein wachsender Teil der Bevölkerung im eigenen Land nicht mehr beheimatet fühlt, ist das mehr als ein soziales Problem – es ist ein Warnsignal.
Doch gerade in dieser Spannung liegt auch eine Chance. Südtirol steht an einem Wendepunkt: zwischen Weiter-so und Neuorientierung, zwischen Verwaltung des Bestehenden und dem Mut zu echten Reformen.
Die Stärke Südtirols war immer seine Fähigkeit, Wandel zu gestalten. Historisch hat dieses Land gezeigt, dass es Krisen nicht nur überstehen, sondern aus ihnen wachsen kann. Wenn Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam Verantwortung übernehmen, kann aus Unsicherheit wieder Vertrauen entstehen.
Das Jahr 2026 markiert deshalb keinen bloßen Kalenderwechsel, sondern einen Moment der Entscheidung. Es liegt an uns, ob wir die nächste Generation in Südtirol eine Perspektive sehen lassen – oder ob sie gezwungen ist, sie anderswo zu suchen. Wir sind überzeugt: Mit Ehrlichkeit, Mut und Zusammenhalt kann Südtirol auch in Zeiten der Unsicherheit ein Land der Möglichkeiten bleiben.
Ihnen und euch alles Gute im kommenden Jahr!
Herzlichst,
Werner Steiner, Vorsitzender und Werner Atz, Geschäftsführer

Thema

Europa und die Sozialstaaten, wohin geht die Reise?

KVW – Mitglied vom Europäischen Zentrum für Arbeitnehmerfragen
Referent:innen aus ganz Europa trafen sich zur Konferenz in Leuven
Kürzlich fand unter dem Motto „Die Lage des Sozialstaates in Europa im Jahr 1992 und 30 Jahre später. Wer bezahlt den Fährmann?“, die inzwischen zur Tradition gewordene Konferenz von Fachleuten aus über 24 Ländern zur Entwicklung des Wohlfahrtsstaates in der Universitätsstadt Leuven in Belgien statt.
Veranstalter war HIVA, das fächerübergreifende Forschungsinstitut für Arbeit und Gesellschaft an der Katholischen Universität Leuven, der zweitältesten Universität in Europa. Forschungsthemen von HIVA sind unter anderem: Arbeit und Organisation, Arbeitsmarkt, Armut und soziale Integration, Klima und Nachhaltigkeit, Zivilgesellschaft und sozialer Dialog, Migration und Integration, Globale Entwicklung, Bildung und lebenslanges Lernen sowie der Sozialstaat.
Die zweitägige Konferenz wurde in enger Zusammenarbeit mit EZA, dem europäischen Zentrum für Arbeitnehmerfragen organisiert. Der KVW ist seit Juni dieses Jahres Mitglied bei EZA. Man unterscheidet zwei verschiedene Arten von Wohlfahrtsstaaten. Diese beziehen sich auf die Art und Weise, wie die finanziellen Mittel eines Staates gewonnen werden, um dann Renten, Sozialleistungen und andere unterstützende Maßnahmen finanzieren zu können.
Es gibt die Sozialversicherungssystemen nach Beveridge oder nach Bismarck. Diese beiden Finanzierungssysteme für die Sozialversicherung unterscheiden sich folgendermaßen:
Otto von Bismarck - System
1. Zu den gesicherten Personen zählen Arbeitnehmer bzw. Erwerbstätige.
2. Die Finanzierung erfolgt durch Beiträge, gestaffelt nach Einkommen.
3. Die Bemessung der Geldleistung beruht auf der Grundlage der ausgezahlten Löhne/Gehälter
William Henry Beveridge - System
1. Es deckt die gesamte Bevölkerung ab.
2. Es wird vorwiegend aus dem Staatsbudget finanziert.
3. Es sieht einheitliche Pauschalleistungen vor.
Länder wie Großbritannien und Irland sind Breveridge orientiert, während andere Länder in Europa (Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Deutschland, Italien, Österreich usw.) sich am Bismarckschen System orientieren.
Die beiden Systeme kommen, in Anbetracht der anstehenden Herausforderungen der Staaten, vermehrt gemeinsam zum Einsatz.
Zur LAGE der Nationen (am Beispiel der Altersvorsorge)
Allen Staaten gemeinsam ist die älter werdende Gesellschaft und damit einhergehend das Thema der Finanzierung der auszuzahlenden Renten. Das Umlageverfahren steht auf dem Prüfstand. Warum?
Nun wenn sich der Teil der arbeitenden bzw. einzahlenden Bevölkerung im Gegensatz zu den Begünstigten der Leistungen verringert, wird immer weniger eingezahlt bei steigendem Bedarf an finanziellen Mitteln für die Auszahlungen.
In der Regel bestehen die Lösungen im drei-Säulen-System der Rentenabsicherung:
1. die gesetzliche Rentenabsicherung
2. die Zusatzrenten (zum Beispiel in Südtirol: PensPlan, Laborfonds usw.)
3. die privaten Versicherungen
Generell kann gesagt werden, dass sich die Staaten, darunter auch Italien, der Herausforderung durchaus bewusst sind.
Was beschäftigt Italien?
Allmähliche Annäherung bei der Verteilung der Sozialausgaben zwischen Italien und der EU
Einsparungen durch Rentenreformen könnten die Ausgaben weiter an den EU – Schnitt angleichen.
Ausweitung von Arbeitslosenleistungen, Familienleistungen und Armutsbekämpfungsmaßnahmen nach den verschiedenen Krisen der letzten Jahre.
Aktive Arbeitsmarktpolitik / Kinderbetreuung / Soziale Dienste/ Langzeitpflege und Gesundheitsversorgung
Zum Schluss kann gesagt werden, dass sich die Gesellschaften in Europa sehr ähneln, nicht nur in ihrer gemeinsamen Geschichte, sondern auch in ihren zukünftigen Herausforderungen.
Wichtig dabei ist, dass die staatliche Politik versucht Lösungen zu finden, die die Menschen mit ihren täglichen Problemen ernst nimmt und dabei die europäische Einheit nicht vergisst, etwa nach dem Motto, wir haben dieselben Probleme, lasst sie uns gemeinsam lösen.
TEXT: Richard Kienzl