Gesundheit
Interview mit Primar und Autor Dr. med. Martin Steinkasserer

Dr. med. Martin Steinkasserer
Warum dauert es auch in Südtirol bis zu zehn Jahre, bis Endometriose diagnostiziert wird?
Dr. Martin Steinkasserer: Schmerzen von Frauen werden immer noch oft kleingeredet und nicht ernst genommen. Hinzu kommt: Endometriose ist komplex und medizinisch anspruchsvoll. Es ist keine Krankheit, die man mit einem raschen Rezept beheben kann. Sie verlangt Geduld und sorgfältige Betreuung. Es hat sich zwar einiges verbessert, aber leider neigen manche Kolleginnen und Kollegen immer noch dazu, Beschwerden vorschnell abzuwinken.
Was empfehlen Sie Mädchen oder Frauen?
Steinkasserer: Ich bin immer wieder beeindruckt, wie viel Schmerz und Belastung Frauen ertragen. Ich würde ihnen tatsächlich raten, ruhig etwas „wehleidiger“ zu sein – im besten Sinne. Schmerzen müssen nicht heroisch ausgehalten werden – sie gehören ernst genommen und abgeklärt. Wenn Mädchen oder Frauen der nächsten Monatsblutung mit Angst entgegenblicken, wenn sie wegen der Beschwerden regelmäßig ausfallen oder ihr Alltag kaum mehr funktioniert, dann sollten sie Hilfe suchen – und sie einfordern.
Wie können Sie Frauen mit Endometriose helfen?
Steinkasserer: Die Krankheit ist derart komplex, dass für eine erfolgreiche Behandlung ein multidisziplinärer und holistischer Ansatz erforderlich ist. Außerdem muss die Therapie auf die Patientin abgestimmt werden und sich an ihren Bedürfnissen orientieren: Für manche steht die Schmerzfreiheit im Vordergrund, für andere der Kinderwunsch. Mit einer hormonellen Behandlung, Medikamenten, Operationen und komplementärmedizinischen Methoden kann man sehr viel bewirken.
Gibt es aussichtslose Fälle?
Steinkasserer: Ich behaupte, dass jeder Frau geholfen werden kann. Viele Frauen, die jahrelang gelitten haben, verlangen gar nicht, keine Schmerzen mehr zu haben. Sie wollen ein erträglicheres und selbstbestimmtes Leben haben. Das ist möglich. Aber es braucht oft Zeit und Geduld – von der Patientin, aber auch den Ärztinnen und Ärzten.
Sie haben ein Buch über Endometriose geschrieben – an wen richtet es sich?
Steinkasserer: Das Buch richtet sich an Frauen, die eine Erklärung für ihre Schmerzen suchen, ebenso an jene, die bereits eine Diagnose erhalten haben – aber auch an Angehörige und durchaus auch an Pflegekräfte und medizinisches Personal. Ich möchte Orientierung geben und verlässliche Informationen bündeln. Gerade online stößt man oft auf verkürzte oder schlicht falsche Darstellungen. Doch Endometriose ist komplex und betrifft viele Lebensbereiche – das lässt sich nicht in einem kurzen Posting abhandeln. Ein Buch bietet den Raum, Zusammenhänge verständlich zu erklären und deutlich zu machen: Ihr seid nicht allein.
Wohin können sich Betroffene wenden?
Steinkasserer: Zuerst an die Frauenärztin bzw. den Frauenarzt. Es gibt mittlerweile einige spezialisierte Kolleginnen und Kollegen. Bei komplexen Fällen sollte man sich an ein Endometriosezentrum wie jenes in Bozen wenden. Dort behandeln wir auch schwierige Verläufe – oft operativ.


