Im Dezember 2020 einigten sich die EU Länder auf ein europaweites Lieferkettengesetz. Im nächsten Schritt ist nun das EU Parlament gefordert, sich zum Gesetzesvorschlag der Kommission zu äußern. Aus Anlass des Europatages am 9. Mai hat sich die EBCA - der europäische Zusammenschluss der „KVWs“ - dazu entschieden, heuer mit dem Lieferkettengesetzeinen Schwerpunkt zu setzen und in den unterschiedlichen Ländern gemeinsam auf eine gute Ausgestaltung dieser EU-Richtlinie hinzuwirken. Es ist ein Gesetz, das tiefgreifende weltweite Themen betrifft: Ausbeutung und Kinderarbeit in der globalisierten Wirtschaft, Einhaltung von Sicherheits-, Arbeitsschutz- oder Menschenrechts-Standards, aber auch um Umweltschutz. Wir vom Kompass haben uns dazu mit Sarah Prenger unterhalten, die sich seit Jahren mit dem Thema auseinadersetzt unterhalten.
Welche Überlegungen stehen hinter dem Lieferkettengesetz? Was ist bisher geschehen und wann kann man mit einer Verabschiedung des Gesetzes rechnen?
Wir nennen das im deutschsprachigen Raum oft „Lieferkettengesetz“ . Tatsächlich meinen wir damit oft allgemein globale Handelsketten. Im Vorschlag der EU – Kommission ist hingegen die Rede von Wertschöpfungsketten. Der Begriff legt mehr Wert auf die Umwandlung, zum Beispiel Baumwolle zum Kleidungsstück. Dieser Vorschlag der Kommission fiel nicht vom Himmel. Neben im Vorfeld bereits stattfinden Konsultationen, Bürger – u. Sozialpartnerbefragungen und politischen Aufträgen sind UN – Prinzipien ein wichtiger Hintergrund. Diese erinnern uns an die staatliche Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte und daran, dass alle verpflichtet sind, sich daran zu halten – auch Unternehmen.
Als Ziele des Vorschlags kommuniziert die Kommission unter anderem
- den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt – wobei ich sagen würde, Ökologie ist auch Schutz der Menschenrechte, es geht ja um den Schutz menschlichen Lebensraumes, gegenwärtiger und künftiger Menschen.
- Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen in der EU für Unternehmen und Investor/innen. Derzeit gelten in einigen Mitgliedsstaaten schon Gesetze, in anderen nicht und teilweise sind sie unterschiedlich. Das ist offensichtlich schwierig im Binnenmarkt, auch für Unternehmen, die in mehreren Ländern mit verschiedenen Gesetzen tätig sind.
- Sicherheit für Konsument:innen, die Wert auf Herstellungsbedingungen legen, ebenso für Investor:innen.
- Wie Sie schon gesagt haben, hat sich der Rat innerhalb des europäischen Gesetzgebungsprozesses bereits positioniert. Ende Mai geht es ins Plenum des EU Parlaments zur Abstimmung und anschließend in den Trilog (Kommission, Parlament und Ministerrat) Nach Beschluss der europäischen Richtlinie haben die Mitgliedssstaaten 2 Jahre für ihre Umsetzung ins nationale Gesetz.
Wir leben in einer globalisierten Welt und die Lieferketten sind zunehmend komplex. Für wen wird das europäische Lieferkettengesetz gelten?
Also, ich gebe jetzt einmal Antworten basierend auf dem Kommissionsentwurf. Der bezieht sich auf die gesamte Wertschöpfungskette, allerdings dabei auf „etablierte Geschäftsbeziehungen“. Es gibt auch eine Definition, was das sein soll: “ eine direkte oder indirekte Geschäftsbeziehung, die in Anbetracht ihrer Intensität oder Dauer beständig ist oder sein dürfte und die keinen unbedeutenden oder lediglich untergeordneten Teil der Wertschöpfungskette darstellt“. Es gibt Kritik an dieser Formulierung aufgrund der Befürchtung eines Anreizes für Handel auf Börsen oder zu informeller Erwerbsarbeit und damit verbundenen häufigen Menschenrechtsverletzungen. Tatsächlich finde ich es aber grundsätzlich fragwürdig, mit einem so unklaren Begriff zu operiere. Die Definition ist aber sehr unklar. Ein Ziel der Gesetzesiniative ist Rechtssicherheit für alle Beteiligten. Ich bin keine Juristin, aber ich habe die Vorstellung, dass Gerichte bei den ersten Streitfällen erstmal damit beschäftigt sein könnten zu klären, ob diese Geschäftsbeziehung etabliert war. Es wäre also weder für Unternehmen noch für Betroffene klar, ob eine Klage aussichtsreich ist. In der UN Leitlinie, auf die sich der Text bezieht, habe ich diese Formulierung auch nicht entdeckt. Warum können wir nicht, wie auch die UN Prinzipien, einfach von Geschäftsbeziehungen sprechen?
An wen richtet sich also dieses Gesetz?
In der ersten Phase soll das Gesetz für alle EU-Gesellschaften gelten, die mindestens 500 Beschäftigte und einen Nettoumsatz von mindestens 150 Mio. EUR weltweit haben. In der zweiten Phase, zwei Jahre später, soll es für Unternehmen aus bestimmten Branchen gelten, die mehr als 250 Beschäftigte haben und einen Nettoumsatz von mindestens 40 Millionen haben. Dabei geht es es um folgende Branchen: Textil, Finanz, Leder, Landwirtschaft, Rohstoffe (Öl, Gas, Bergbau), Lieferketten für Mineralien aus Konfliktgebieten und spezifisch für handwerklichen Goldabbau und Kleinbergbau. Drittens gilt das gleiche für Unternehmen aus Drittstaaten, die einen Umsatz in Höhe von Gruppe 1 und Gruppe 2 innerhalb der EU erwirtschaften. Übrigens ist diese Geltungsbereich durchaus interessant. So definiert EU -Kommission auf eur-lex ein großes Unternehmen schon ab 250 Mitarbeiter/innen und 50 Mio E Umsatz. Wenn ich also KMU von dieser Gültigkeit ausnehmen will, warum nehme ich dann nicht diese Definition großer Unternehmen?
In Südtirol haben wir mehr als 60.000 in der Handelskammer eingetragene Unternehmen. 76 % davon haben zwischen 1-9 Beschäftigten. Was bedeutet das Lieferkettengesetz konkret für Südtirols kleinstrukturierte Wirtschaft? Was müssen die Unternehmer sie beachten?
Wie Sie an den Definitionen von eben gesehen haben, nimmt der Vorschlag KMU aus. Südtirols Unternehmer:innen können aber insofern betroffen sein, wenn sie Teil einer Wertschöpfungskette eines großen Unternehmens sind. Deshalb gibt es Unterstützung für KMU und insgesamt soll es Portale und Webseiten geben. Außerdem soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten staatliche Beihilfen zu geben, damit die Umsetzung des Lieferkettengesetzes auch gewährleistet wird.
Viele Unternehmern befürchten hohe Auflagen. Was meinen sie?
Ich würde aber in Zweifel ziehen, dass eine solche Regelung richtig oder auch nur im Interesse der KMU ist. Wir sind es gewöhnt, zu denken, dass Unternehmensinteressen und gesetzliche Regelungen gegenläufig sind. Aber das schützt ja gar nicht alle Unternehmen, sondern das Recht des Stärkeren und den Vorteil der Rücksichtslosen. So lange es keine gesetzliche Regelung gibt, die Unternehmen und ihre Akteure zur Achtung der Menschenrechte und damit zur Wahrung der Ökologie zwingen, kann ethisches Handeln schnell als Wettbewerbsnachteil gesehen werden. So werden Leute sich potentiell verpflichtet fühlen, eher kurzfristig gewinnorientiert zu handeln als ethisch. Aus einem solchen Dilemma befreit ein Gesetz. Diese aus Dilemma und Wettbewerb befreiende Wirkung hat es aber nur für Unternehmen und ihre Akteure, für die es gilt – für global agierende KMU dann also nicht. Auch darüber hinaus stellt das Gesetz eine Unterstützung für alle Unternehmen, die verantwortlich handeln möchten, dar, weil es dafür sorgt, dass es kollektive Anforderungen sind und nicht nur die Iniative eines einzelnen, und es schafft die rechtliche Grundlage, um Informationen von Zulieferern zu verlangen. All dies wird KMU gerade verwehrt.
Tatsächlich zeigen Studien u. auch der Bericht für das EP, dass eine ethische Ausrichtung dem Umsatz zuträglich sein können, denn
- Investoren und Konsument:innen ist das zunehmend wichtig
- eine genaue Kenntnis der eigenen Wertschöpfungskette erlaubt genauere Voraussicht und Anpassung in Bezug auf Lieferengpässe
- sie kann mit höherer Handlungsfähigkeit u. Resilienz verbunden sein – ethische handelnde Unternehmen kamen besser durch Covid.
Nimmt man das ernst, ist eine Ausnahmeregelung eine Benachteiligung für die ausgenommenen Unternehmen. Auch ethisch ist dies in Frage zu stellen. Was heißt es denn, wenn ich eine Richtlinie auf der Basis einer UN Leitlinie mache, die richtigerweise auf unser aller Verpflichtung zur Wahrung der Menschenrechte hinweist, und dann einige Akteur:innen von ausnehme?
Es gibt übrigens auch Unternehmen, die eine starke Richtlinie ohne Ausnahmen fordern, auch KMU.
Das sind aber wenige Ausnahmen, oder?
Derzeit liegt eine Forderung von über 100 Unternehmen vor, darunter auch KMU, nach einer starken Richtlinie, die alle auf dem EU-Markt tätigen Unternehmen unabhängig von Branche und Größe erfasst. Das sind sowohl KMU Geals auch Konzerne, von denen ich persönlich das ehrlich gesagt nicht erwartet hätte, darunter.
Das soll nicht heißen, dass alles Friede Freude Eierkuchen ist und die Richtlinie überhaupt nicht umkämpft wird. Der Bundesverband der deutschen Industrie zum Beispiel hat sich mehrfach kritisch geäußert. Misereor und das global policy forum wiesen auf starke Bemühungen durch die Wirtschaftslobby auch hinter den Kulissen hin, nicht nur mit dem Ziel einer Verhinderung einer europäischen Richtlinie. Gefordert wurde auch einer derartigenAbschwächung, dass potentiell sogar bereits existierende nationale Gesetze wie das deutsche oder französische abgeschwächt werden müssten.
Ich persönlich kann mir gut vorstellen, dass diese Verschiebungen und Abschwächungen der ursprünglich geplanten Richtlinie auf Lobbyarbeit zurückzuführen sind, weil sie nicht logisch sind.
Wird dadurch das Problem an der Wurzel gepackt? Wird es tatsächlich mehr soziale Gerechtigkeit und mehr Umweltschutz in den Ländern zu Beginn der Lieferkette geben? Ihre persönliche Einschätzung?
Grundsätzlich ist es ja ganz offensichtlich ein Problem, dass Wirtschaftsbeziehungen global sind, aber Gesetzgebungen nicht. Da kann eine Richtlinie in Bezug auf diesen riesigen EU- Wirtschaftsraum wirklich signifikant etwas in dieser Weltwirtschaft verändern! Diese Iniative hat ein riesiges Potential.Selbstverständlich kann eine solche Direktive nicht die einzige Lösung sein und nicht der Anspruch erhoben werden, dass Unternehmen alles regeln oder damit Außen- u. Entwicklungspolitik ersetzt würde. Es geht ja vor allem um eine Pflicht zur Sorgfalt in Hinsicht aufs eigene Handeln. Aber eine starke Richtlinie kehrt den Wettbewerb um möglichst niedrige Sozialstandards unter Ländern um!
Insgesamt ist natürlich die Frage der Ausgestaltung der Richtlinie relevant. Sie haben ja schon einige Gretchenfragen gestellt: Für wen gilt es? Da wäre es wirklich gut, dieses „etablierte“ bei den Geschäftsbeziehungen zu lassen.
Häufig wird auch eine Ausweitung der Hochrisikosektoren im Kommissionsentwurf gefordert. Diese Diskussion sollten wir uns einfach sparen. Wir können bei keinem Sektor von vornherein sicher von Risikofreiheit ausgehen, darauf weisen auch Gutachten hin. „Hinsehen, was wir tun“ müssen wir doch alle, das ist ein erster Aspekt der Sorgfaltspflicht. Also, lasst es für alle einfach und rechtssicher machen und eine Gültigkeit für alle unabhängig von Größe und Sektor festlegen.
Inhaltlich fordern recht viele Umweltverbände eine Ausweitung der klimapolitischen Sorgfaltspflichten. Zum Beispiel wird eine verbindliche Verpflichtung der Unternehmen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen gefordert. Insgesamt sehen Sie, dass wir noch viel länger sprechen könnten und noch einiges zu tun ist! Es ist wirklich notwendig, JETZT den Moment für Einsatz für eine wirksame Richtlinie zu nutzen. Am Ende geht es um uns alle. Die Frage ist doch: Wie soll unsere Wirtschaft aussehen?
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Text: Sarah Maria Prenger
Sarah Maria Prenger
Jahrgang 1986, studierte Kultur- und Sozialanthropologie und katholische Theologie in Münster.
Großes Engagement seit ihrer Jugendzeit im Ehrenamt bei der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ). Von 2016 – 2021 war sie internationale Präsidentin der IYCW/JOCI und erhielt 2014 die Bundesverdienstmedaille der BRD.