Aktuell

Mit vereinten Kräften

Das Brustgesundheitszentrum Brixen-Meran zum wiederholten Mal zertifiziert – In Südtirol wird jede Brustkrebspatientin nach modernsten Kriterien behandelt.


Vor über zwanzig Jahren legte eine Entscheidung des Europäischen Parlaments die Basis für die moderne Behandlung von Brustkrebs. Bis zu diesem Zeitpunkt musste eine Frau mit Brustkrebs in Europa das Glück haben, für Diagnose und Behandlung am rechten Ort zu sein. Ein standardisiertes und zertifiziertes, einheitliches, interdisziplinäres und den neuesten Erkenntnissen entsprechendes Protokoll, sollte dem Abhilfe schaffen. Die Geburtsstunde des modernen Brustgesundheitszentrums.
Das Brustgesundheitszentrum Brixen und Meran war bei seiner ersten Zertifizierung 2006 ein absoluter Vorläufer in Südtirol, noch vor der Zusammenlegung der sieben Südtiroler Gesundheitsbezirke im Interesse einer besseren Koordination der Gesundheitspolitik. Nicht zuletzt auch aufgrund der guten Kontakte zwischen den beiden Krankenhäusern und vor allem der beiden Abteilungen für Gynäkologie, wurden in Befolgung der neuen europäischen Richtlinien, Abläufe, Strukturen und Prozesse gemeinsam durchdacht, strukturiert, standardisiert und durchgeführt. „Wir wussten noch nicht genau wie, waren aber überzeugt, dass nur über eine effiziente, interdisziplinäre Zusammenarbeit das bestmögliche Resultat für die Patientinnen erzielt werden kann“, erinnert sich Dr. Herbert Heidegger, Primar der Abteilung für Gynäkologie in Meran und einer der Geburtshelfer des ersten Südtiroler Brustgesundheitszentrums. Mit dabei war auch Dr.a Sonia Prader, damals Mitglied des Teams der Gynäkologie Brixen, bevor sie für mehrere Jahre an die Uniklinik in Essen ging, um dann im Januar 2020 die Leitung der Abteilung als Primarin zu übernehmen.. Recht hatten sie!
Heute ist das Brustgesundheitszentrum selbstverständliche, tägliche „best-pratice“ und hat gerade wieder erfolgreich die große, im Abstand von drei Jahren durchzulaufende Zertifizierung abgeschlossen. Hierfür reisen internationale Experten an, begleiten die Arbeit und überprüfen, ob alle Abläufe den zertifizierten Protokollen entsprechen.
Genau genommen sind es zwei Zertifizierungen: ISO und Deutsche Krebsgesellschaft. Eine kleinere Kontroll-Zertifizierung findet alle 12 Monate statt.
Während das Brustgesundheitszentrum Brixen und Meran hauptsächlich mit der Uniklinik in Innsbruck und deutschen Zentren zusammenarbeitet und die Zertifizierung über die Deutsche Krebsgesellschaft abwickelt, hat Bozen wenige Jahre später den Weg der Zertifizierung nach den Protokollen der European Society of Breastnurse Cancer Specialist, EUSOMA gewählt. Der Unterschied liegt hauptsächlich im Namen und in einigen organisatorischen Details, die Qualitätskriterien entsprechen den gleichen hohen Anforderungen. Egal wo: Frauen in Südtirol können darauf vertrauen, nach den besten internationalen Protokollen behandelt zu werden.
Der Vorteil eines Brustgesundheitszentrums liegt auf der Hand. Routinierte Zusammenarbeit von Experten aller Fachbereiche: Chirurgen, Gynäkologen, Pathologen, Radiologen, Psychologen, Breast-Care-Nurses, Physiotherapeuten und im günstigsten Fall auch Datamanager. Die im Abstand von einem, bzw. drei Jahren anstehenden Zertifizierungsaudits werden dabei nicht als Stress, sondern vielmehr als Ansporn empfunden, die tägliche Arbeit aus einem gesunden Abstand heraus zu hinterfragen und zu überprüfen. Die Zertifizierung ist der rote Faden, der alles zusammenhält, der den Abläufen eine Struktur verleiht und immer wieder zwingt, die Routine kritisch zu überdenken. Primarin Sonia Prader und Primar Herbert Heidegger sprechen von einem sportlichen Zugang: „Wo stehen wir im Vergleich zu anderen? Was passiert anderswo, was kann ich weitergeben und was kann ich übernehmen? Im Interesse der Patientinnen.“ Dass das Konzept aufgeht, belegen die Zahlen. Mit einer Überlebensrate von 87-88% nach fünf Jahren liegt das Brustgesundheitszentrum Brixen - Meran im besten mitteleuropäischen Trend. Zahlen der deutschen Krebsgesellschaft belegen zudem, dass in Tumorzentren die Sterblichkeit der onkologischen Patienten um 11% unter jener von Patienten liegt, die in einer nicht zertifizierten Struktur behandelt werden.
Die Zusammenarbeit in einem zweigeteilten Zentrum bringt natürlich auch Unterschiede zu Tage und ist dadurch ein weiterer Ansporn, nicht stehenzubleiben. Interessant ist nicht zuletzt der Aspekt des Voneinander-Lernens. Dr.a Sonia Prader: „Meran hat eine sehr gut geführte Krebs-Sportgruppe. Da müssen wir nachziehen. Dafür haben wir schon eine Sekretärin für die Dokumentation.“ Die Dokumentation ist in der Tat eine nächste Hürde für Meran, um noch besser zu werden. Ein neues Dokumentationsprogramm soll eingeführt und ein/e Dokumentations-AssistentIn angestellt werden, unterstreicht Primar Heidegger.
Ein Brustgesundheitszentrum, die Interdisziplinarität ist natürlich auch ein großer Aufwand. Zeitlich, personell und auch finanziell. „Und da“, so Primar Heidegger, „haben wir Druck gemacht! Die radiologischen Zentren in Brixen und Meran sind auf unserem Mist gewachsen, ebenso wie die psychoonkologische Behandlung und die genetische Beratung! Darauf sind wir stolz.“
Die Brustgesundheitszentren sind allerdings nicht mit einer allgemeinen Zentralisierung zu verwechseln, betonen die beiden Gynäkologen: „Ein tausend Betten Haus ist nicht besser als eines mit 300 Betten!“ Interdisziplinarität ist in jedem Fall die Voraussetzung - und nicht nur bei Brustkrebs - für eine bessere Früherkennung, eine bessere Behandlung (chirurgisch, chemotherapeutisch und/oder strahlentherapeutisch) und ein besseres Follow-Up. Und zu alldem, da sind sich Dr.a Sonia Prader und Dr. Herbert Heidegger ebenso einig: „Wir haben es einfach, weil wir es mit Frauen zu tun haben!“
Dr. Herbert Heidegger, Dr.a Sonia Prader, Dr.a Anita Domanegg und Dr.a Tanja Dalsass nach einem Qualitätszirkel des Brustkrebszentrums

Aktuell

Der lange Weg der Krebsforschung

Eurac Research eingebunden in europäisches Epigenetik-Projekt – Wirkstoff NKL54


Das Thema Epigenetik ist sehr komplex und für viele Nicht-Wissenschaftler nur schwer zugänglich. Das Interessante an einem Projekt unter der Leitung der Universität Udine, an dem das Team des Instituts für Biomedizin an der Eurac Research zusammen mit der Hochschule Darmstadt, den Universitäten La Sapienza in Rom, Padua und Venedig sowie dem European Centre for Living Technology in Venedig mitarbeiten, ist die Vorgangsweise. So funktioniert Forschung, Krebsforschung: Eine Summe vieler kleiner Schritte, die sich über Jahre hinweg zu einem vielversprechenden Ganzen zusammenfügen können. Oder auch nicht. Grundlagenforschung, die als Basis für Tests in höher entwickelten Modellorganismen und für klinische Versuche dient.
Im Frühjahr hat Eurac Research eine Pressemitteilung zur Studie über die „Umprogrammierung von Krebszellen durch neue Moleküle“ herausgegeben, die in einer international renommierten Fachzeitschrift erschienen ist. Interessant dabei ist neben den vielversprechenden Studienergebnissen die Tatsache, dass mit Eurac Research eine Südtiroler Institution auf höchstem Niveau mitarbeitet und mitforscht. Finanziert wird die Studie, die verschiedene Kompetenzen aus mehreren Standorten und Ländern zusammenbringt, durch das Projekt „EPIC“ des EU Interreg-Italien-Österreich-Förderprogramms sowie durch das italienische Forschungsprogramm PRIN.
Epigenetik klärt Wikipedia auf, „ist das Fachgebiet der Biologie, das sich mit der Frage befasst, welche Faktoren die Aktivität eines Gens und damit die Entwicklung der Zelle zeitweilig festlegen. Sie untersucht die Änderungen der Genfunktion, die nicht auf Veränderungen der Sequenz der Desoxyribonukleinsäure (DNA), etwa durch Mutation oder Rekombination, beruhen und dennoch an Tochterzellen weitergegeben werden. Grundlage sind chemische Veränderungen der Proteine, die an DNA binden, (…) die Abschnitte oder ganze Chromosomen in ihrer Aktivität beeinflussen können.“ Es geht also um die Suche nach chemischen Wirkstoffen, epigenetische Mechanismen, die Einfluss auf das Zellverhalten und damit auf die Krebsentwicklung nehmen können. Forschungsobjekt ist eine sehr seltene Krebsart, das Leiomyosarkom, das im glatten Muskelgewebe entsteht, sehr aggressiv ist, sich über die Blutgefäße schnell im Körper verbreitet und auf herkömmlichen Chemo- und Strahlentherapien nicht oder kaum anspricht. Entdeckt wird dieser Krebs meistens durch Zufallsbefunde.
Der österreichische Bioinformatiker, Christian Weichenberger und die auf Sequenzierungsanalysen spezialisierte Biologin Emanuela Kerschbamer vom Institut für Biomedizin sitzen für Eurac Research im Forschungsteam. Für die 2019 aufgenommene Studie testete das Team eine Reihe von chemischen Wirkstoffen, die das Epigenom umprogrammieren; im Labor der Universität Udine wurden diese Wirkstoffe Zellmodellen einer Leiomyosarkom-Zelllinie zugeführt und beobachtet, wie sich die Krebszellen verhalten. Dabei erwies sich das kleine chemische Molekül namens NKL54 als besonders wirksam darin, die Krebszellen dahingehend umzuprogrammieren, dass wichtige, durch den Tumor deaktivierte Gene wieder funktionieren – und zwar unter anderem jene Gene, die dafür zuständig sind, entartete Zellen in den Zelltod zu schicken, beziehungsweise beschädigte Zellen zu reparieren.
Parallel dazu wertete das Bioinformatik-Team von Eurac Research mithilfe modernster Methoden die Daten laufend aus und analysierte sie. Unter anderem wurde beobachtet, wie sich die Krebszellen und Gene mit und ohne den Einfluss bestimmter Wirkstoffe verhalten und welche Auswirkungen die Wirkstoffe auf das Epigenom in der Zelle haben konnten. Gleichzeitig glich das Team die ermittelten Daten mit Daten aus internationalen Datenbanken ab und identifizierte dabei einige Gene, die – wenn sie bei Leiomyosarkom-Patientinnen und -Patienten aktiv sind – darauf hinweisen, dass diese Patienten eine deutlich verlängerte Lebenszeit haben.
„Dieses Teilergebnis der Studie ist bemerkenswert“, unterstreicht der Bioinformatiker Christian Weichenberger vom Institut für Biomedizin von Eurac Research. „Es liefert die Grundlage, auf der Folgestudien zu wirksamen medikamentösen Therapien für diese aggressive Krebsart ansetzen können“, ergänzt seine Forscherkollegin Emanuela Kerschbamer.
All das klingt sehr komplex. Tatsache ist, dass es sich um wichtige Schritte in Richtung Entwicklung neuer Therapien handelt. Allerdings, betonen Christian Weichenberger und seine Kollegin Emanuela Kerschbaumer: „Von hier bis zu konkreten Anwendungen in Modellorganismen bzw. bis zu klinischen Versuchen, können noch viele Jahre vergehen.“ Basis für Therapien, die heute auf den Markt kommen, ist Grundlagenforschung, die oft schon zehn Jahre und mehr zurückliegt.
Für die Forscher ist ihre Arbeit wie ein extrem schwieriges Puzzle oder ein spannender Kriminalfall. Es gilt überaus geduldig kleinste Details ausfindig zu machen, Ergebnisse zu interpretieren und Hypothesen aufzustellen, Spuren zu verfolgen. Immer und immer wieder. Viele verlaufen im Sand, aber wenn die erhoffte Wirkung nachgewiesen werden kann, dann ist das Emotion pur! Und am Ende dieser Kette steht konkrete Hoffnung für viele Patienten.
Link zur publizierten Studie in Nucleic Acids Research: academic.oup.com/nar/article/50/5/2566/6527676
Hochwissenschafliches Smartworking: Der „interregionale“ Arbeitsplatz von Christian Weichenberger.