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Falsches Tabu

Vulva-Karzinom, ein seltener Tumor, dem mit Impfung vorgebeugt werden kann
Ein seltener Tumor, nur 1.200 Frauen pro Jahr in Italien und ungefähr zehn in Südtirol. Bei Früherkennung und wenn noch keine Lymphknoten befallen sind, bestehen sehr gute Heilungschancen, aber ein Tumor, dessen Begleiterscheinungen das gesamte Sein der Frau kompromittieren. Die Rede ist vom Vulva-Karzinom. Rund 60% sind durch chronische Hauterkrankungen der Scheide verursacht, 40% durch eine HPV Infektion. Das heißt: dieser Krebs kann durch eine Impfung gegen das Papilloma Virus verhindert werden.
Dr. Sonia Prader, seit Januar 2020 Primarin der Gynäkologie und Geburtshilfe in Brixen, hat sich intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt und Arbeiten dazu veröffentlicht, besonders im Zusammenhang mit dem Sentinel-Lymphknoten. Erst kürzlich hat sie bei einem internationalen Webinar zu diesem Thema referiert. Bevor sie nach Südtirol zurückgekommen ist, hat sie viele Jahre am Klinikum in Essen gearbeitet und geforscht.
Dr. Prader vom Prostatakrebs beim Mann ist sehr häufig die Rede, vom Vulva-Karzinom hingegen hört man zumindest in nicht-medizinischen Kreisen kaum.
Dr. Sonia Prader: Das stimmt. Nun zählt natürlich das Vulva-Karzinom zu den seltenen Krebsarten, während der Prostatakrebs eine der häufigsten Neoplasien beim Mann ist. Eine weitere Ursache ist aber sicher auch, dass es sich immer noch um ein Tabu-Thema handelt. Und wenn ich hinzufügen darf, in besonderem Maße trifft das auch auf Südtirol zu.
Weil es sich um einen Krebs in einer sehr intimen, delikaten Zone des Körpers handelt?
Dr. Sonia Prader: Das auch. Des weiblichen Körpers! Darüber spricht man nicht. Aber was schlimmer ist, Frauen, und besonders ältere Frauen, gehen sehr schamhaft mit ihrem Körper um. Das Vulva-Karzinom fällt in den Bereich der Sexualität und darüber wird nicht gesprochen. Da schaut man auch nicht hin und wenn im Bereich der Scheide etwas nicht stimmt, dann tun Frauen sich leider immer noch sehr schwer, das zuzugeben, geschweige denn darüber zu reden. Sie lassen oft zu viel Zeit vergehen, bis sie sich an einen Arzt wenden.
Dr. Sonia Prader, seit Januar 2020 Primarin der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe in Brixen
Welche Symptome weisen auf ein Vulva-Karzinom hin?
Dr. Sonia Prader: Veränderungen der Haut, Rötungen, Schwellungen, starker Juckreiz, Schmerzen beim Verkehr. Dieser Krebs ist spürbar und sichtbar. Und wie bei jeder anderen Krebserkrankung, gilt auch hier, je eher er erkannt wird, desto besser sind die Heilungschancen und desto weniger belastend ist der Eingriff. Bei der OP muss immer auch umliegendes Gewebe entfernt werden; je nachdem, wo der Tumor sitzt, kann das sehr invasiv sein: innere oder äußere Schamlippen, Klitoris… Schon während der Operation wird der entfernte Teil mit Hautlappen rekonstruiert.
Die Heilungschancen?
Dr. Sonia Prader: Bei Früh-Diagnose und wenn der Sentinel-Lymphknoten nicht befallen ist, exzellent!
Im Zusammenhang mit Prostatakrebs ist immer die Rede von den möglichen, tiefgreifenden Auswirkungen auf das Sexualleben eines Mannes. Im Allgemeinen handelt es sich dabei um einen Krebs, der vor allem Männer ab 65 aufwärts betrifft. Das Durchschnittsalter bei Frauen, die an Scheidenkrebs erkranken, liegt ebenfalls bei 65 Jahren.
Dr. Sonia Prader: Das stimmt und bei den Frauen, das ist ja auch der Fall beim Brustkrebs, werden diese Art von Auswirkungen nicht nur nicht genannt, sondern auch nicht so ernst genommen. Die Sexualität einer Frau, zumal einer nicht mehr jungen Frau, wird nicht thematisiert und nicht für wichtig erachtet. Dabei haben viele Frauen auch nach der Menopause ein sehr erfülltes Sexualleben.
Die Operation eines Vulva-Karzinoms stellt das ganze Körper- und Selbstwertgefühl einer Frau in Frage.
Dr. Sonia Prader: Nennen wir die Dinge beim Namen: Nicht nur das Körper-Gefühl, sondern bestimmte Funktionen sowie das ganze Sexualleben. Eine Operation ändert das optische Erscheinungsbild aber auch die Funktionalität des weiblichen Sexualorgans. Es kann zu Verengungen der Scheide kommen. Je nach Sitz des Karzinoms und vor allem je nach Größe bzw. Stadium kann auch eine Entfernung der Klitoris notwendig sein. In fortgeschrittenen Fällen schließt etwa drei bis sechs Wochen nach der Operation eine Strahlentherapie an. Auch diese belastet das ohnehin empfindliche Gewebe um die Scheide und verhärtet es. Die Frauen müssen sich nach dem Eingriff um ihre Scheide kümmern, wenn sie die Funktionalität wiedergewinnen möchten.
Werden diese Frauen entsprechend begleitet?
Dr. Sonia Prader: Meine Abteilung arbeitet mit Sexualtherapeuten zusammen, es braucht spezifische Kompetenzen. Diese Probleme sind auch nicht in einem einzigen Gespräch von zwei Stunden abzuhandeln.
Ein starkes Team
Es handelt es sich um eine seltene Krebsart… wenige Fälle im Jahr, unter zehn in Südtirol, etwa 45.000 weltweit. Aber es könnten noch weit weniger sein?
Dr. Sonia Prader: Rund 60% entwickeln sich aus entzündlichen Hautveränderungen wie z. B. Lichen Sklerose, Dermatosen, die heißt es unter Kontrolle zu halten. Weitere 40% sind auf eine Papillomavirus-Infektion zurückzuführen. Das heißt, wenn Frauen (und Männer) dagegen geimpft sind, könnte es noch einmal um knapp die Hälfte weniger Fälle geben! HPV wird schlechthin als Geschlechtskrankheit abgetan, deshalb steckt hinter der Ablehnung der Impfung vielleicht auch ein religiöser Aspekt. In Südtirol zirkulieren außerdem Mythen und falsche Vorstellungen von Big-Pharma, ohne konstruktives Hinterfragen. Und dann werden alle Impfungen in einen Topf geworfen.
Und dabei stellt gerade diese Impfung eine Wende dar...
Dr. Sonia Prader: Die HPV-Impfung und die Hepatitis B Impfung sind die beiden einzigen Impfungen die wir gegen Krebs haben! Der Zusammenhang von HPV-Virus und Krebs, Nobelpreis 2008, ist noch nicht in das allgemeine Bewusstsein vorgedrungen. Damit kann Krebs effektiv verhindert werden! Viren greifen vor allem dann an, wenn das Immunsystem geschwächt ist. Wir empfehlen deshalb Patientinnen unter Chemotherapie eine Impfung gegen HPV. In Katalonien und in Australien impfen sie so viel wie möglich, bis zu einem Alter von 60 Jahren. HPV ist so ähnlich wie Herpes. Es bleibt im Körper und kann im Alter, während einer Chemo oder auch in einer Krisensituation wieder in eine aktive Phase treten.
Noch einmal zurück zum Aspekt
Geschlechtskrankheit…
Dr. Sonia Prader: Wir müssen bezüglich HPV wegdenken von Sex und von einem rein gynäkologischen Problem. Dieses Virus ist auch verantwortlich für Krebs an Penis, Rektum und Anus (90%), Hals-Kopf (50%), Blase…. Auffällig ist außerdem, dass es eine Häufung von HPV assoziierten Krankheiten in Familien geben kann. Wir gehen von etwa 15% „HPV-Familien“ aus, und das weniger im Sinne von Übertragung als vielmehr von Anfälligkeit. Wobei ca. 80-90% dieser Infektionen von alleine wieder weggehen und keinen Krebs verursachen. Wenn das Gleichgewicht im Körper gestört ist, kann es hingegen zur Entwicklung von Neoplasien kommen.
In jedem Fall ist die Impfung ein
wirksamer Schutz?
Dr. Sonia Prader: Absolut. Mädchen, Frauen und auch Jungen und Männer sollten sich impfen lassen. Leider gibt es hier bei uns ein enormes Informationsdefizit!
Impfen ist ohnehin in diesem besonderen Augenblick ein umstrittenes Thema, Stichwort Covid.
Dr. Sonia Prader: Impfen hat mit Verantwortung zu tun. Sich selbst und der Gesellschaft gegenüber. Aussagen ohne wissenschaftliche Basis werden schnell und unreflektiert weitergetragen. Wichtig ist, dass wir die Impfstoffe bekommen und dann kommt es auf die korrekte Priorisierung an. Patienten in Chemotherapie, mit Vorerkrankungen und höherem Alter oder anderen Risikofaktoren haben sicherlich Priorität. Welcher Impfstoff spielt keine Rolle. Der, der am ehesten zur Verfügung steht!

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Pressekonferenz Weltkrebstag 2021

Aktuelle Daten - Impfungen als wichtiger Bestandteil der Gesundheitsvorsorge
Jedes Jahr lädt die Südtiroler Krebshilfe anlässlich des Weltkrebstages am 4. Februar zu einer Pressekonferenz ein. Neben den aktuellen Daten aus Südtirol und Italien stand in diesem Jahr das Thema Impfungen im Fokus. Nicht nur gegen Covid, sondern auch gegen HPV, eine Impfung, die massiv das Krebsrisiko senkt, aber zu wenig wahrgenommen wird. Es referierten Dr. Herbert Heidegger, Primar der Gynäkologie und Direktor des Brustkrebszentrums Meran und Dr. Guido Mazzoleni, Primar für Anatomische Pathologie und Histologie in Bozen und Direktor des Südtiroler Krebsregisters.
Sowohl Dr. Heidegger als auch Dr. Mazzoleni riefen dazu auf, sich in Bezug auf das Thema Impfungen auf die Empfehlungen der behandelnden Ärzte zu verlassen und sich nicht von den vielen Falschmeldungen beirren zu lassen. Die HPV Impfung sei neben der Hepatitis-Impfung die erste wirksame Immunisierung gegen Krebs, die Covid-Impfung hingegen eine wichtige Waffe, um der Coronavirus-Pandemie Einhalt zu gebieten. Weder eine Krebserkrankung noch eine systemische Krebstherapie stellten eine Kontraindikation gegen eine der bislang zugelassenen Covid-19-Schutzimpfungen dar. Die Entscheidung, ob eine Covid-19-Impfung durchgeführt werden soll, muss jedoch mit dem behandelnden Arzt abgestimmt und die individuelle Risikosituation des Patienten dabei immer berücksichtigt werden. Beide riefen außerdem dazu auf, die anstehenden Vorsorge-und Kontrolluntersuchungen wahrzunehmen, die Krankenhäuser seien sicher.
Zu den neuesten Daten: Im Zeitraum 2013-2017 wurden in Südtirol durchschnittlich 2.857 neue Krebsfälle pro Jahr registriert, davon 1.582 in der männlichen und 1.275 in der weiblichen Bevölkerung (ohne Berücksichtigung der nichtmalignen Hautkrebse). Der Prostatakrebs war die häufigste Krebserkrankung bei den Männern (23% der Gesamtzahl der Fälle), gefolgt von Darmkrebs (13%), Lungenkrebs (10%), Blasenkrebs (10%) und Melanomen der Haut (5%). Frauen erkrankten hauptsächlich an Brustkrebs (28%), gefolgt von Darmkrebs (11%), Lungenkrebs (7%), Hautmelanom (5%) und Gebärmutterkrebs (5%). Die letzten verfügbaren Sterbedaten (2015-2019) zeigen, dass durchschnittlich 1.142 Südtiroler pro Jahr an einer Krebserkrankung verstarben, wobei der Anteil der Männer (629 Personen) höher war als jener der Frauen (513 Personen). Im Allgemeinen bestätigt der zeitliche Vergleich allerdings einen Rückgang des Inzidenztrends für Krebserkrankungen insgesamt bei Männern und einen im Wesentlichen stabilen Trend für Krebserkrankungen bei Frauen.