Der Kommentar

Liebe Leserinnen und Leser,

Nicole Dominique Steiner
Krebs ist kein Thema, das nur ältere Menschen angeht. Nicht nur, weil diese Krankheit zunehmend auch junge Menschen betrifft, sondern auch, weil es viele junge Menschen gibt, die aus Anteilnahme heraus aktiv werden und sich einsetzen für Betroffene. Und weil sie jung sind, haben sie frische Ideen, die es schaffen, Kranken Farbe in ihren oft grau-schwarzen von der Krankheit gezeichneten Alltag zu zaubern. Der Bezirk Meran hat seit vergangenem Januar eine neue Gruppe im Passeiertal. Aufgebaut worden ist sie von drei jungen Frauen, die selbst nicht betroffen sind. Isabella Fill, Erika Gufler und Carmen Raffeiner. Sie haben Krebsfälle in der Familie und im Bekannten- und Freundeskreis miterlebt und haben beschlossen, sich einzusetzen. Sie organisieren unter dem Motto „Getraut´s enk, mir sein für enk da“, Handarbeitsnachmittage, Vorträge, Saunaabende für Frauen, Familienwochenenden, Kegelabende und Angelnachmittage für Männer u. v. a. m. Sie stecken an durch ihren Elan und ihre Ideen und schaffen es, Betroffenen Momente zu schenken, in denen die Krankheit nicht im Vordergrund steht und vielleicht sogar stundenweise ganz vergessen wird. Und sie beziehen alle mit ein, die zusammen mit den Betroffenen die Krankheit erleben: Eltern, Partner, Kinder, Freunde…
Die 28jährige Evi Weger aus Tramin, Mutter von zwei kleinen Kindern, lebt seit sechs Jahren in Holland und hat von dort aus die Haarspende-Aktion Rapunzel organisiert. Sie hat die Krebshilfe kontaktiert und für ihre Idee gewinnen können, betreut die Webseite, hat aus der Ferne zwei Friseursalons organisiert, die die Haare sammeln bzw. gratis Haare schneiden. Auslöser war bei ihr die Krebserkrankung ihrer Tante. Und zuletzt ein Blick über die Grenze: Die 29jährige Französin Julie Meunier ist vor zwei Jahren an Brustkrebs erkrankt, hat unter dem Haarausfall gelitten und sich auf originelle Weise zu helfen gewusst. Damit es auch anderen Frauen während der Chemotherapie besser gehen kann und sie trotz Haarausfall ihre Weiblichkeit leben können, hat sie ihre persönliche Lösung des Problems weiterentwickelt. Mit Erfolg! Les Franjynes, eine Wortschöpfung aus Fransen und Schwestern, heißt ihr Projekt: eine Kombination von Stirnfransen mit Tuch anstelle einer Perücke. Ich finde alle diese Ideen richtig toll und auch, dass diese jungen Menschen nicht einfach den Kopf zur Seite drehen und die Krankheit und alles was damit verbunden ist, ignorieren. Im Gegenteil, sie schauen nicht nur hin, sie schenken Zeit und Nähe und damit Lebensfreude. Ein großes Kompliment und DANKE.
Hanf oder Cannabis erlebt im Augenblick einen Boom. Nicht als Droge wohlgemerkt, sondern als Nutzpflanze und als therapeutisches Mittel. Da es sich aber immer auch um eine Droge handelt, ist Vorsicht geboten. Es gilt keine falschen Hoffnungen zu wecken und Klarheit zu schaffen. Im Gespräch mit Ärzten, mit einem Betroffenen, und einem Produzenten von Light-Hanf als Raumduft, versucht die Chance etwas Ordnung in dieses Thema zu bringen.
Zum Jahresende, in der Weihnachtszeit sind Zeit und Nähe ein wichtiges Thema. Wenn die Natur zur Ruhe geht, es draußen kalt und dunkel wird, wenn es überall glitzert und klingt in der Vorfreude auf das Familienfest par excellence, dann lasten die Krankheit und auch das oft damit verbundene Alleinsein noch mehr als sonst auf vielen Menschen.
Ich wünsche Ihnen allen eine stille Zeit mit viel zwischenmenschlicher Nähe und Mut und Zuversicht auf dem Weg ins neue Jahr.
Ihre Nicole Dominique Steiner

Aktuell

Im Mittelpunkt steht die Frau

Dr. Martin Steinkasserer ist der neue Primar der Gynäkologie in Bozen
„Draußen vor dem Krankenhaus findet das wahre Leben statt und es ist unsere Aufgabe, herauszufinden, was die Patientinnen wirklich brauchen, welche Bedürfnisse sie haben. Ich sehe es als große Herausforderung, dies in einem großen Zentral-Krankenhaus wie Bozen zu verwirklichen.“ Seit Oktober ist Dr. Martin Steinkasserer neuer Primar der Abteilung für Gynäkologie in Bozen. Er ist mit dem Ziel angetreten, seine Abteilung auf den neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu bringen und gleichzeitig zu humanisieren.
Er strahlt eine ungemeine Ruhe aus, Dr. Martin Steinkasserer. Er lässt sich ganz auf sein Gegenüber ein. Zwei Jahre war er Primar der Gynäkologie am Krankenhaus Bruneck und verantwortlich auch für den Standort Innichen, seine Spezialgebiete sind die gynäkologisch-onkologische Chirurgie sowie die Minimal Invasive Chirugie.
Chance: Von der Peripherie ins Landeskrankenhaus Bozen. Was ändert sich damit für Sie?
Dr. Martin Steinkasserer: Bozen ist natürlich ein zentrales Krankenhaus, ein Exzellenzzentrum für spezifische Bereiche. Der größte Unterschied ist vermutlich, dass die Gynäkologie hier keine Brustoperationen durchführt, weil das im Bereich der Allgemeinen Chirurgen liegt und somit werde ich mich mehr auf andere gynäkologische Bereiche der Onkologie konzentrieren, und auch auf andere Gebiete.
Chance: Konnten Sie in Bruneck nach dem Inkrafttreten der Reform der onkologischen Chirurgie 2016 noch alle Operationen durchführen?
Dr. Martin Steinkasserer: Ich bin zertifizierter onkologischer Chirurg, deshalb hat die neue Regelung - die ich gutheiße - für meine Arbeit keinerlei Einschränkungen mit sich gebracht.
Chance: Welche Pläne verbinden sie mit Ihrem neuen Aufgabengebiet?
Dr. Martin Steinkasserer: Mir geht es in jedem Fall um eine weitere qualitative Steigerung von dem, was die Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe jetzt schon leistet. Die Möglichkeit, Tumore und natürlich auch andere Erkrankungen im gynäkologischen Bereich laut neuestem medizinischen Wissen zu behandeln, neue wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen und Fenster und Türen weit aufzumachen, die Enge der Provinz zur Welt hin zu öffnen.
Der Eingang zur Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe in Bozen
Chance: Mit Blick nach Norden und nach Süden?
Dr. Martin Steinkasserer: Selbstverständlich. Südtirol ist der ideale Kristallisierungspunkt, um die zwei Welten, die zwei unterschiedlichen, aber jeder auf seine Weise sehr wichtigen Ansätze von Italien und Deutschland zusammenzuführen und - warum nicht - N eues daraus entstehen zu lassen.
Chance: Sie haben selbst beide „Welten“ in Ihrem Arbeitsleben kennenlernen können…
Dr. Martin Steinkasserer: Ich habe mein Medizinstudium in Innsbruck absolviert und war während meiner Facharzt-Ausbildung in Deutschland und Italien tätig, habe am Krankenhaus Sacrocuore in Negrar/Verona gearbeitet. Mir schwebt eine Zusammenarbeit mit bedeutenden Zentren vor und ich habe auch schon erste Schritte in dieser Richtung unternommen. Im November (das Interview fand in der ersten Novemberwoche statt, Anm. d. Red.) haben wir einen OP-Workshop mit Prof. Michael Höckel aus Leipzig über neue Techniken bei der Operation von Vulva-Tumoren. In diesem Zusammenhang ist es geplant, eine eigene Schule in Operationstechniken des weiblichen Beckenraumes zu eröffnen und einen Teil davon in Bozen anzubieten. Gute Zusammenarbeit strebe ich auf jeden Fall auch mit Prof. Scambia an der Cattolica in Rom, mit Prof. Christian Marth in Innsbruck und der Universität Verona an.
Chance: Stichwort Facharztausbildung.
Dr. Martin Steinkasserer: In Zukunft muss/ wird die Facharztausbildung auch bei uns möglich sein. Wir brauchen diese jungen Ärzte. Wir brauchen mehr Ärzte, um mehr Zeit für unsere Patienten zu haben. Es geht so viel Zeit verloren für bürokratische Angelegenheiten, dabei ist Zeit das Wichtigste, was wir unseren Patientinnen geben können. Eine Vertrauensbasis aufbauen, ist eine Voraussetzung für das Gelingen jeder Therapie.
Chance: Ihnen liegt daran, den Kontakt zu den Patientinnen wenn sie entlassen sind, auch aufrecht zu erhalten...
Dr. Martin Steinkasserer: Das wahre Leben findet draußen statt, nicht im Krankenhaus. Deshalb müssen wir wissen, welche Bedürfnisse und Wünsche unsere Patientinnen haben, wir können nicht erst ein Vertrauensverhältnis aufbauen und es dann einfach am Tag der Entlassung abbrechen.
Chance: In einem so großen Krankenhaus wie Bozen mit einem so großen Einzugsgebiet wird das nicht so leicht sein.
Dr. Martin Steinkasserer: Ich sehe das als große Herausforderung! Ich setze gerne Geräte ein, bin sehr Wissenschafts- und Technik orientiert. Aber was es braucht, ist auch eine Humanisierung des Krankenhauses. Wir müssen nicht nur Mediziner, sondern Ansprechpartner sein.
Chance: Die Gynäkologie ist ja auch ein ganz eigenes Gebiet, wo es möglicherweise noch mehr Einfühlungsvermögen als in anderen Sparten braucht und wo sich zwischen Patientin und Arzt ein ganz besonderes Verhältnis entwickelt, weil es in die tiefste Intimsphäre der Frau eingreift, in ihr Frau-Sein.
Dr. Martin Steinkasserer: Das ist nicht zuletzt auch einer der Gründe, weshalb ich mich für diese Fachrichtung entschieden habe. Gynäkologie ist in der heutigen hypermodernen Zeit ein letztes Fach, wo ich es mit dem Menschen als Ganzes zu tun habe. Es geht um Menstruation, um Schwangerschaft, um Hormone, um Vorsorge, um chirurgische Eingriffe, um Onkologie, um Fertilität, um Infektionen… Sicher man spezialisiert sich dann auf einige Gebiete, aber dieses Universum ist einfach faszinierend und das macht es so spannend.
Eine große Abteilung mit 11 stationären und sechs Day-Hospital-Betten
Chance: Sie begleiten sozusagen die Frau durch alle ihre Lebensstationen…
Dr. Martin Steinkasserer: So kann man es nennen und ich arbeite inzwischen ja auch schon seit mehr als 25 Jahren als Arzt. Es ist sicher ein Fach mit großem emotionalen Engagement, mit großer interpersoneller Wechselwirkung.
Chance: Was sehen Sie persönlich als wichtigste Eigenschaft bei einem Arzt?
Dr. Martin Steinkasserer: Ich denke, es ist die Demut. Man hat viele Instrumente zur Verfügung im Zusammenhang mit anderen Menschen und man hat die Verpflichtung, sehr behutsam mit diesen Menschen umzugehen. Man muss abwägen, darf sich nicht von einer Übertechnologisierung verführen lassen und darf nie den Menschen, in meinem Fall die Frau, aus den Augen verlieren, die im Zentrum steht.
Chance: Wie würden Sie sich selbst beschreiben?
Dr. Martin Steinkasserer: Fachlich bin ich sicher extrem zielgerichtet und arbeite daran, meine Kompetenzen ständig zu erweitern. Ich bin empathisch mit anderen Menschen. Meine Schwäche liegt im Willen, bürokratische Dinge sofort zu erledigen und ich liebe, es Momente der Ruhe zu haben, Muße, um meinen Geist ruhig zu stellen.
Chance: Schaffen Sie es (noch), sich solche Momente im Alltag herauszuschneiden?
Dr. Martin Steinkasserer: Das können auch nur fünf Minuten sein, in denen ich einfach nur zum Fenster herausschaue. Aber ich habe eigentlich jeden Tag solche Momente. Beim Operieren. Im OP bin ich ganz abgeschirmt von allem. Ich arbeite für Stunden ganz konzentriert und fokussiert, ohne dass anderes in diesem Moment an mich herankommt. Das ist zu vergleichen mit dem Geisteszustand beim Klettern oder Joggen. Man ist völlig aus seiner Welt herausgeholt. Und diese Augenblicke machen etwas mit einem. Das ist pure Energie.