Aktuell

Nutzpflanze, Droge und Arzneimittel

Hanf wird schon seit tausenden von Jahren angebaut – Wirkstoffe CBD und THC
Hanf oder Cannabis, Marihuana, Haschisch… vier Begriffe und eine Pflanze. Nutzpflanze, Arzneimittel, Lebensmittel und auch Droge. Bis in die 1950er Jahre war Italien mit 90tausend Hektar nach Russland der größte Hanfanbauer der Welt. Seit der Antike wurde diese widerstandskräftige und genügsame, schnellwachsende Pflanze angebaut, bis sie in den 1950er Jahren durch die neuen synthetischen Fasern aus den USA verdrängt wurde. Heute erlebt sie einen Boom.
Hanfprodukte sind in. Bioläden und Drogerien verkaufen Hanföl, Hanfkekse, Hanfnudeln, Hanf-Raumduft, Kosmetik aus Cannabis (der wissenschaftliche Name der Pflanze), Cannabis-Tee usw. In Südtirol gibt es mittlerweile (Bio) Hanfanbauer, immer mehr Geschäfte verkaufen Hanfprodukte. Der Verbraucher ist sich nicht immer ganz im Klaren, um was es sich dabei eigentlich handelt und ob Hanf bzw. Cannabis jetzt das Gleiche ist wie Marihuana oder Haschisch. Was es im Geschäft zu kaufen gibt, ist keine Droge, um es gleich klarzustellen.
Zu was Hanf nach der Ernte wird, hängt vor allem von den verwendeten Bestandteilen ab. Aus den Fasern der Stängel werden Seile, Stoffe oder Papier hergestellt. Aus den Samen ein hochwertiges Speiseöl, aus den destillierten Blüten und Blättern ätherische Öle. Nur aus den unter bestimmten Bedingungen gewachsenenen getrockneten Blüten und Blütenständen der weiblichen Cannabis-Pflanze erhält man die Drogen Marihuana (wird gemischt mit Tabak geraucht) bzw. Haschisch (eine Art Harzklumpen). Aber auch Medikamente.
Die Hanffaser gilt als die stärkste natürliche Faser und wurde als solche bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts als Werkstoff genutzt. Jetzt wird die Produktion langsam wieder aufgenommen. Henry Ford hatte sogar ein Auto aus Hanf entworfen. Hanf wurde als Tierfutter verwendet, während Kriegszeiten und bei armen Leuten galt en Hanfblätter früher als billiger Tabakersatz.
Was den Hanf zur Droge macht, ist vor allem ein Wirkstoff, THC, Abkürzung für Delta-9-Tetrahydrocannabinol, eine psychoaktive Substanz, die unter anderem das Zentralnervensystem des Menschen beeinflusst und eine relaxierende und sedierende Wirkung hat, aber auch gegen Brechreiz wirkt (antiemetisch). Der zweite Wirkstoff ist Cannabidiol, kurz CBD. Dieser Substanz wird eine schmerzlindernde, entzündungshemmende, appetitanregende und krampflösende Wirkung zugeschrieben. Ob Hanf nun zur Droge oder zum Arzneimittel wird, hängt unter anderem vom Gehalt dieser beiden Substanzen und von der Produktionsweise ab. Nutz- oder Industriehanf darf nach den gesetzlichen Vorschriften in Italien maximal 0,6% THC enthalten, in Deutschland maximal 0,2%. Zum Vergleich: Medizinischer Cannabis enthält allgemein zwischen 5 und 8% THC und zwischen 8 und 15% CBD. Als Rauschmittel verwendetes Marihuana enthält mehr bis zu zwanzig und mehr THC, außerdem ist das Verhältnis von THC und CBD umgekehrt wie bei den Pharmaka, d.h. mehr THC als CBD.
Pharmakologisch verwendeter Hanf muss steril und unter schärfsten Kontrollen hergestellt werden. Oberste Aufsichtsbehörde sind die Vereinten Nationen. Die Pflanzen werden unter Laborbedingungen mit Kunstlicht (die Lichtstärke beeinflusst den in den Blüten der Pflanze enthaltenen Prozentsatz an THC und CBD) in Wasser gezogen, um Verunreinigungen durch Parasiten oder Pilze auszuschließen. In Italien wird medizinischer Cannabis zurzeit nur vom Militär hergestellt, im chemisch-pharmazeutischen Labor Florenz (Stabilimento chimico farmaceutico militare di Firenze). Die Produktion liegt bei etwa 100 kg pro Jahr und soll auf 150 kg gesteigert werden. Der Bedarf liegt in Italien bei ca. 300 kg. Zusätzlicher medizinischer Hanf wird aus Holland und seit 2018 auch aus Kanada eingeführt. Neben Italien und den bereits genannten Holland und Kanada haben nur Israel, Australien sowie einige Staaten der USA die Erlaubnis medizinischen Cannabis anzubauen.
Hanf oder Cannabis wird aufgrund der krampflösenden und entzündungshemmenden Wirkung des CBD bei chronisch erkrankten Menschen eingesetzt: bei Multipler Sklerose, Migräne, Phantomschmerzen, Morbus Chron, Parkinson, Neuropathien. Bei Krebskranken und AIDS-Patienten, die auf herkömmliche Standard-Therapien nicht (mehr) ansprechen, lindert Cannabis nicht nur Schmerzen, sondern auch die Nebenwirkungen der Chemotherapie wie Übelkeit und Erbrechen und ist außerdem appetitanregend und beruhigend bei Angstzuständen. Cannabis kann als Spray, in Tabletten- oder Blütenform verschrieben werden und als Tee oder Gebäck konsumiert oder inhaliert werden.
Klinische Studien über eine Krebszellen reduzierende Wirkung von Cannabis liegen nicht vor, es ist daher wichtig, Patienten vor falschen Hoffnungen zu warnen. Cannabis kann ein wirksames Schmerzmittel sein und in Wechselwirkung mit anderen Mitteln den Zustand chronisch kranker Patienten und von Patienten in Palliativbehandlung bessern, aber es ist kein Wunderheilmittel. Als Arzneimittel, das heißt nur nach Verschreibung und unter strenger ärztlicher Kontrolle kommt Cannabis derzeit in folgenden Ländern zum Einsatz: Großbritannien, Belgien, Spanien, Portugal, Italien, Holland, Finnland, Tschechien, Israel, Kanada, Neuseeland und in 25 US-Bundesstaaten.
Es ist wissenschaftlich belegt, dass Missbrauch von Cannabis psychisch abhängig machen und Psychosen auslösen kann. Besonders gefährdet sind junge Menschen. Studien zeigen, dass sich Cannabis bei Jugendlichen negativ auf die Entwicklung des Gehirnes auswirken kann.

Aktuell

Cannabis – Was hat es damit auf sich

Info-Nachmittag in Passeier – Der erste Cannabis-Patient in Italien – Nutz-Hanf-Anbau im Labor
„Getraut's enk - mir sein für enk do“ unter dieser Formel lädt die Gruppe Passeier der Krebshilfe jeden Mittwoch in das alte Gemeindehaus von St. Leonhard ein. Am 10. Oktober ging es um Hanf als Nutzpflanze und als Medikament bei Krebskranken und Schmerzpatienten in einem Vortrag von Stefano Baldo, der erste mit Hanf behandelte (Krebs)Patient in Italien und Markus Trojer, Produzent von Raumduft-Hanf.
Wie bei allen Treffen in Passeier galt die Einladung nicht nur für Betroffene und Mitglieder der Krebshilfe, sondern auch für Freunde und Familienangehörige. Der Nutzen von Hanf ist im Augenblick sehr in Mode gekommen, da ist es gut, sich über dieses komplexe Thema zu informieren, vor allem um Sachverhalte klarzustellen und keine falschen Hoffnungen entstehen zu lassen.
Stefano Baldo, der seit 2005 mit der Diagnose Krebs lebt und auch an Multpler Sklerose und Diabetes leidet, erzählte seine Geschichte und die Teilnehmer bewunderten seinen Mut und seinen Lebenswillen.
Markus Trojer ging das Thema von der wissenschaftlichen Seite an und erklärte den Unterschied zwischen Industriehanf, medizinischem Hanf und Hanf als Rauschmittel (s. nebenstehenden Artikel, Anm. d. Red.). Er hatte Broschüren und informative Zeitschriften zum Thema mitgebracht, außerdem eine Hanfpflanze aus seinem Anbau unter Laborbedingungen von Hanf als Raumduft sowie einige Produkte, wie Öl für Aromatherapie oder Massageöl. Dem nicht als Rauschmittel geltendem Wirkstoff CBD im Hanf werden entzündungshemmende Wirkungen zugeschrieben.
Stefano Baldo – Der erste Cannabis-Patient in Italien
Heute ist er 54 Jahre alt, krank ist er seit seinem 25. Lebensjahr. Stefano Baldo ist einer jener Patienten, die einen Krankheitsverlauf haben, der sich medizinisch nicht erklären lässt. Diabetes Typ 1, Multiple Sklerose und dann 2005 auch noch die Diagnose Lymphdrüsenkrebs. Nach Operation und Chemotherapie hatte er 2008 einen Rückfall. Er ist der erste Patient in Italien, der ein THC- und CBD-haltiges Medikament auf Basis von Cannabis verschrieben bekommen hat und nimmt seither jeden Tag Cannabis zu sich, um seine krankheitsbedingten Schmerzen und Krämpfe in Schach zu halten. Dank dieser Therapie, sagt er, kann er schlafen und hat auch seine Depression besiegt. Er hat aus seiner eigenen Lebenserfahrung eine Mission gemacht. Stefano Baldo ist Vizepräsident der ACT, einer Vereinigung, die sich für den therapeutischen Einsatz von Hanf stark macht und nicht für eine Legalisierung des Hanfanbaus, wohl aber für eine andere Reglementierung eintritt. „Damit in Italien pharmazeutischer Hanf mit den Wirkstoffen THC und CBD nicht nur im chemisch-pharmazeutischen Labor des Militärs in Florenz, sondern auch von kontrollierten privaten oder öffentlichen Einrichtungen wie etwa der Laimburg, angebaut werden darf.“ Außerdem ist er Vizepräsident des Bozner Cannabis Social Club. „Ich bin mir bewusst, dass diese Therapie nicht für alle Patienten gut geht“, betont Baldo, „und dass sie unter strenger ärztlicher Kontrolle zu stehen hat.“ Er bedauert, dass es noch keine klinischen Forschungen über die Wirkungen von Cannabis gebe. Stefano Baldo bezeichnet sich selbst trotz seiner sehr behindernden Krankheit als glücklichen und heiteren Menschen. „Ich wähle mir gut die Menschen aus, mit denen ich Zeit verbringe, ich schaue mir keine brutalen Filme an, ich male, ich meditiere, ich habe ein harmonisches Privatleben und ich bin zufrieden.“
Markus Trojer – Nutz-Hanf unter Laborbedingungen
Seine Arbeit in einer Bank hat er aufgegeben, um sich auf ein Abenteuer einzulassen. Die Produktion von Hanf unter Laborbedingungen für den Nutzen als Raumduft. Hanf oder Cannabis also, der weniger als 0,6% THC enthält, wie der psychogene Wirkstoff der Hanfpflanze heißt, der zusammen mit dem Wirkstoff CBD den Hanf nicht nur zur Nutz- und Industriepflanze, sondern auch zum Arzneimittel oder zur Droge macht.
Ursache ist Trojers Schwiegermutter, die vor acht Jahren an Multiple Sklerose erkrankte. Die traditionelle Behandlung mit Interferon sprach bei ihr nicht an, sie litt unter Schmerzen, Depression und chronischer Schlaflosigkeit. Seit sie medizinischen Hanf einnimmt, hat sich ihr Gesamtzustand verbessert, die Schmerzen nachgelassen und sie schläft wieder. Markus und seine Frau Michaela haben das zum Anlass genommen, sich mehr über Hanf zu erkundigen und haben in Meran ein Geschäft mit (Nutz)Hanfprodukten, bevorzugt aus Südtiroler Produktion eröffnet und eine Produktionsstätte für Raumduft-Hanf aufgebaut.
Die Produktion unter Laborbedingungen unterliegt strengsten Auflagen und Kontrollen. Der Nutzhanf darf nicht mehr als 0,6% des psychoaktiven Wirkstoffs THC enthalten. Von jeder Ernte muss eine Probe an ein staatliches Aufsichtslabor geschickt werden und alle sechs Monate kommt ein Agronom aus einer Forschungseinrichtung in Rovereto vorbei, der alles kontrolliert. Jede Zuchtphase muss genauestens dokumentiert werden
In der freien Natur ist Hanf eine unkomplizierte, resistente Pflanze, die nicht nur schnell wächst, sondern mit ihren tiefen Wurzeln auch noch das Erdreich reinigt. Im Labor ist es eine komplexe Angelegenheit. Es braucht diverse Maschinen, Wärmetauscher, Klimaanlagen und Solarlampen sowie vier Produktionsräume. Den Motherroom, wo die Pflanzen aus Samen gezogen werden, die aus einem Samenkatalog mit 2000 Sorten ausgesucht werden, den Wurzelraum, sowie zwei Blühraume. Die Pflanzen werden von Markus Trojer und seinem Mitarbeiter Daniel Kollmann mehrmals täglich kontrolliert und von Hand vervielfältigt und umgesetzt.
Die Reifezeit bis zur Blüte beträgt 60 Tage. In den Laborräumen, wo die Pflanzen mit künstlichem Sonnenlicht verschiedener Stärke wachsen, herrschen künstliche Tag- und Nachtbedingungen und auch die Jahreszeiten werden simuliert. Die Luftfeuchte beträgt 54%, tagsüber sind es 27 Grad C, nachts 23 Grad C. Ventilatoren bewegen kontinuierlich die Pflanzen, dadurch werden die Triebe stärker und Schädlinge können sich nicht ansetzen. Die Triebe wachsen auf Steinwollblöcken und werden mit Mineraldünger genährt. In den zweiten Blühraum kommen die Pflanzen, wenn sie drei Wochen alt sind und schon eine stattliche Höhe von fast einem halben Meter erreicht haben. Geerntet werden die Blüten und die kleinen Blätter um die Blüten herum nach sechs Wochen. Anschließend werden sie getrocknet.
Markus Trojer ist an einem Austausch und an Kooperation mit Ärzten, Onkologen und Komplementärmedizinern interessiert. Er ist überzeugt davon, dass Nutzhanf eine außerordentlich nützliche, gesunde und auch ökologische Pflanze ist. Den medizinischen Hanf sieht er als wichtige Unterstützung in der Therapie von chronischen (Schmerz)Patienten. „Aber", das ist auch ihm wichtig zu betonen, „es ist sicher kein Wundermittel."
Stefano Baldo, der erste Cannabis-Patient in Italien und Markus Trojer, Nutz-Hanf unter Laborbedingungen