Aktuell

Stark wie ein Baum

Selbsthilfegruppe von Männern nach Prostataerkrankung - Krankenhaus Bruneck

Anfang Mai haben sie sich das erste Mal getroffen, die Teilnehmer der Selbsthilfegruppe „der baum“. Dass es nur Männer waren, ist kein Zeichen von Diskriminierung. Die Männer haben alle eines gemeinsam, sie sind an Prostatakrebs erkrankt. Angemeldet hatten sich fünf, beim ersten Treffen in Bruneck waren es dann aber zwölf Männer. Hinweis auf ein Unbehagen und auf Bedarf.
Am Anfang stand auch tatsächlich ein persönliches Unbehagen. Dr. Hartmann Aichner, von Oktober 1991 bis Oktober 2012 Primar der Gynäkologie am Krankenhaus Innichen, hat während seiner ärztlichen Laufbahn viele Mammakarzinome operiert. Vor dreieinhalb Jahren hat es ihn selbst getroffen: Diagnose Prostatakrebs.
„Zunächst war ich wie alle Krebspatienten geschockt, gelähmt von der Diagnose und irgendwie verloren im Strudel der Ereignisse,“ erinnert er sich. „Dann habe ich begonnen, mich umzuschauen, ob etwas angeboten wird. Von meiner Arbeit an der Gynäkologie wusste ich, dass Selbsthilfegruppen sehr gut funktionieren!“. Eine ernüchternde Suche: Die nächste Selbsthilfegruppe für Männer gab es in Innsbruck, dann Bayern. Hartmann Aichner beschloss, selbst aktiv zu werden und kontaktierte Dr. Anton Huber, Leiter des psychologischen Dienstes am Krankenhaus Bruneck.
Anton Huber begriff sofort die Chance. In den Selbsthilfegruppen, die er als Psychologe des Sanitätsbetriebs betreut, „Mein zweites Leben“ und die Schreib-Therapie-Gruppe „Verrückte Zellen“ sind Männer Randerscheinungen. „Frauen gehen grundsätzlich offener mit ihrer Erkrankung um, haben einen anderen Zugang. Ich habe auch schon vergeblich versucht, reine Männergruppen zu gründen. Ohne Erfolg.“ In einer gemischten Gruppe tun sich Männer mit Prostata-Karzinom verständlicherweise ausgesprochen schwer, über ihre intimsten Probleme zu sprechen. „Männer tun Probleme gewöhnlich ab mit einem „Mir geht´s ja eigentlich gut“ und damit ist die Sache erledigt“, sagt auch Dr. Aichner. In Wirklichkeit sitzen die Probleme und das Leid aber tief!
Dass die Sache eben nicht so einfach ist, beweist die Tatsache, dass fünf Männer sich auf die Broschüre, mit der die Gründung der Selbsthilfegruppe bekannt gemacht wurde, gemeldet haben. Zum ersten Treffen im Gymnastikraum des Brunecker Krankenhauses am 5. Mai waren es dann sogar zwölf. Eine Zahl, die die Erwartungen von Aichner und Huber weit übertroffen hat. Bis zur Sommerpause wurden drei Treffen angesetzt, Ende September geht es weiter. Die Zielgruppe sind Männer, deren Diagnose mindestens drei Monate zurückliegt.

Dr. Hartmann Aichner & Dr. Anton HuberDr. Hartmann Aichner & Dr. Anton Huber

Während des ersten Treffens wurden die Regeln der Gruppe aufgestellt.“ Wir haben uns dabei am Konzept der themenzentrierten Interaktion von Ruth Cohn orientiert“, erklärt Psychologe Anton Huber. Das heißt: Die erste Bedingung ist Respekt vor dem anderen, Reden in der Ich-Form, Schweigepflicht nach außen. Es geht darum den Selbstwert zu stärken, Lebensfreude und Selbstvertrauen zurückzugewinnen, die Sinnhaftigkeit des Lebens wiederfinden, aber auch um Informationen, um psycho-soziale Aspekte, um das Gruppenerleben, die Verbesserung der Kommunikation in der Familie, mit dem Partner, mit anderen. Es geht aber auch um Gesundheitsverhalten, um medizinische Maßnahmen, Ernährung, um Tiefenentspannung, um eine Stärkung des Bewusstseins sowie Stressmanagement.
„In der Gruppe“, so Dr. Aichner, der einerseits als Arzt, andererseits als Selbst-Betroffener die Treffen mitleitet aber auch intensiv mitlebt, „sind wir ganz offen."„Es wird ohne Hemmungen Tacheles gesprochen“, bestätigt auch Anton Huber. „Auch Probleme wie Inkontinenz, Erektionsstörungen, Hemmungen in der Partnerschaft und andere mit dieser Erkrankung verbundenen Probleme werden ganz offen auf den Tisch gelegt. Es hilft, zu sehen, dass man(n) nicht alleine ist!“
Was beiden Gruppenleitern, dem Psychologen Anton Huber und dem Arzt und Selbstbetroffenen Dr. Hartman Aichner wichtig ist: „Wir werden das Programm unterwegs entscheiden, sehen, was es braucht." Männerthemen einmal anders, die Suche nach eigenen Ressourcen, Anregungen von Seiten der Teilnehmer. Vorträge, Tiefenentspannungsübungen. Dr. Hartmann Aichner: „Männer können im Allgemeinen gar nicht, schlecht oder blöd über diese Sphäre reden. Viele müssen erst lernen, sich zu öffnen.“
„der baum – Aktiv nach Prostataerkrankung“ ist eine halb-offene Gruppe, die bis maximal 15 Männer aufnehmen kann. Halb-offen deshalb, weil die Interessenten gebeten sind, mindestens dreimal zu kommen, bevor sie entscheiden, ob sie bleiben oder nicht. „Sonst kommt zu viel Unruhe hinein“. Wer verhindert ist, wird gebeten, sich rechtzeitig abzumelden. Im Augenblick sind die Mitglieder über 50 und kommen aus dem gesamten Pustertal bis Brixen. Die Treffen sind alle zwei - drei Wochen. Das letzte Treffen vor der Sommerpause war im Juni, im Herbst geht es wieder los.

Aktuell

Prävention ein Flop?

Nicht in Südtirol – Aber immer noch zu wenig
Einwohner beteiligen sich

Fotos: Othmar SeehauserFotos: Othmar Seehauser

Tumor-Prävention ein Flop titelte die Tageszeitung Repubblica Ende Mai. Ein Vergleich der Regionen Italiens ergab eine große Diskrepanz im Angebot dieser Untersuchungen, aber auch in der Antwort der Bevölkerung. Immer noch zu viele – und das gilt auch für Südtirol - nehmen die Einladung zu den Untersuchungen nicht wahr.
Gegenstand der Untersuchung waren die Aufforderung und Beteiligung an den Screenings im Jahr 2014: Mammographie, Paptest und die Untersuchung auf Blut im Stuhl zur Früherkennung von Dickdarmkrebs. Italienweit werden 74% der Frauen zur Brustkrebsvorsorge eingeladen, 72% zum Paptest. 67% der Bevölkerung über 50 Jahre erhält hingegen die Einladung zum Dickdarm-Krebs-Vorsorgetest. 57% der Frauen nehmen laut Statistik die Brustkrebsvorsorge wahr, 41% lassen einen Paptest vornehmen. Bei der Dickdarmkrebs-Vorsorge sind es 41% der Bevölkerung im entsprechenden Alter, die den einfachen, zuhause vorzunehmenden Test auf verstecktes Blut im Stuhl vornehmen.
Was bei der Statistik auffällt und kaum überrascht, ist ein starkes Nord-Süd-Gefälle. Aber nicht nur. Einige Regionen im Süden Italiens, wie Z. B. das Molise oder Apulien liegen zumindest was die Zahl der Mammographien betrifft bei 51%. In Ligurien und auf Sardinien sind es 49% bzw. 38%. Verallgemeinern kann man also nicht!
Kampanien, Kalabrien und Sizilien sind die Schlusslichter. Hier präsentieren sich (der Reihe nach) 27%, 38% und 33% zur Mammographie. 33%, 17% bzw 18% der Frauen machen einen Paptest und 28%, 17% bzw. 22% beteiligen sich am Dickdarm-Krebs-Screening. Allerdings wird dort auch nicht die gesamte Bevölkerung eingeladen. In Kalabrien z. B. erhalten nur 8% der Frauen eine Einladung vom öffentlichen Sanitätsdient zur Mammographie, zum Paptest werden gar nur 6% der Frauen eingeladen. Das heißt, jede muss sich selbst um ihre Vorsorge kümmern. Die Basilikata hingegen steht überraschenderweise gut da: Zu Mammographie und Paptest werden hundert % der in Frage kommenden Frauen eingeladen, zum Dickdarm-Krebs-Screening immerhin 80%. Die Teilnahme ist dort auch entsprechend höher: 59% der Frauen machen eine Mammographie, 43% einen Paptest und 61% der Bevölkerung nimmt am Dickdarm-Krebs-Screening teil.
Im Norden und in Mittelitalien sieht es anders aus: In vier Regionen bzw. Provinzen erreicht der öffentliche Aufruf hundert Prozent der in Frage kommenden Personen. Friaul, Emilia Romagna, Aostatal und Südtirol. Im Friaul liegt die Beteiligung zwischen 56 und 62%, in der Emilia Romagna sind es 71% der Frauen, die sich der Brustkrebsvorsorge unterziehen, aber nur 50% lassen einen Paptest vornehmen, 56% machen den Stuhltest. Im Aostatal sind es 71% bzw 64% der Frauen (Brust und Paptest) bzw. 72% der Bevölkerung über 50 Jahre (Stuhltest). Südtirol ist Schlusslicht: 50% der Frauen gehen zur Brutskrebs-Vorsorge, 39% lassen einen Paptest vornehmen und 28% nehmen die Dickdarm-Krebs-Vorsorgeuntersuchung wahr. In der Nachbarprovinz Trient werden je 100% der Frauen zur Brustvorsorge und zum Paptest eingeladen; 73% bzw. 58% der Frauen folgen dieser Einladung. Die Aufforderung zur Dickdarm-Krebs-Vorsorge erreicht 84%, 42% der Bevölkerung nimmt diese wahr.
Wenn man bedenkt, wie wenig invasiv diese Untersuchungen sind, dass sie kostenlos angeboten werden und zumindest ein Großteil der Bevölkerung daran erinnert wird, zur Vorsorge zu gehen, dann sind diese Zahlen ernüchternd. Mit Sicherheit müsste noch mehr in die Information investiert werden, damit Vorsorge so selbstverständlich wird wie der jährliche Zahnarztbesuch oder der halbjährliche Reifenwechsel!

Man kann nichts falsch machen, jeder Schritt ist beschrieben.Man kann nichts falsch machen, jeder Schritt ist beschrieben.

Was überrascht hat bei dieser Statistik, ist das relativ schlechte Abschneiden Südtirols. Der öffentliche Sanitätsbetrieb lädt 100% der in Frage kommenden Personen zu den regelmäßigen Screenings ein. Die Untersuchungen können in allen Krankenhäusern vorgenommen werden, das Kit für den Dickdarm-Krebs-Test gibt es kostenlos in jeder Apotheke. Die Beteiligung ist laut Statistik ernüchternd: 50% der Frauen gehen zur Mammographie, 39% lassen sich einen Paptest machen und 28% nehmen gar nur am Dickdarm-Krebs-Screening teil. Kann das sein? Oder stimmt das Sprichwort, trau keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast!
Ein Grund, zum Telefonhörer zu greifen und mit dem Primar des Dienstes für Anatomie und Histologie am Krankenhaus Bozen, Guido Mazzoleni, zu sprechen. In der Tat rückt Mazzoleni die Zahlen zurecht. „Die Einladung zum Paptest wird bei uns von fast 80% der eingeladenen Frauen wahrgenommen, tatsächlich ist der Gebärmutterhalskrebs auch sehr zurückgegangen, es sind landesweit etwa zwanzig Fälle im Jahr.“ Anders sieht es bei Brustkrebs aus. Offiziell folgen nur etwa 54% der Frauen der Einladung des Sanitätsbetriebs zur Mammographie. Aber, sagt Mazzoleni: „Diese Zahl berücksichtigt nicht jene Frauen, die von sich aus zur Mammographie gehen, die sie nicht im Krankenhaus, sondern in einer privaten Struktur durchführen lassen. Und auch die Frauen, die einen privaten Frauenarzt haben, der bei jeder Visite einen Tast-Test und eine Ultraschall-Untersuchung der Brust vornimmt, sind nicht in diesen 54% enthalten.“
Was das erst vor drei Jahren eingeführte Reihenscreening für Dickdarm-Krebs betrifft, könnten die Zahlen effektiv höher liegen, sagt auch Primar Guido Mazzoleni. Von den Personen (weniger als 50%) die 2013 diesen Test vorgenommen haben und nach einem positiven Ergebnis zur Dickdarmspiegelung eingeladen wurden, hatten immerhin 47% eine Vorstufe oder bereits Dickdarmkrebs entwickelt. Der Test hat ihnen das Leben gerettet! In einem frühen Stadium ist Darmkrebs sehr gut heilbar.
Fazit. Südtirol ist besser als die Statistik aufzeigt, aber weit davon entfernt, Klassenbester zu sein. Immer noch zu viele Menschen haben die Bedeutung der Vorsorge nicht verstanden. Vor allem auf dem Land, sagt Primar Mazzoleni, stünden die Menschen diesen Untersuchungen mit Skepsis gegenüber.
Was man dagegen tun kann? Informieren, informieren und noch mehr informieren. Ein Weg, den die Südtiroler Krebshilfe schon lange eingeschlagen hat.
Das trotz allem beste Instrument

Umberto Veronesi: Es braucht eine kapillare Informationsstrategie


Umberto Veronesi, Gründer und langjähriger Direktor des Europäischen Krebsinstituts in Mailand und ehemaliger Gesundheitsminister hat 2000 das Brustkrebsscreening eingeführt. „Mittlerweile müsste das Programm den neuesten Erkenntnissen angepasst werden, aber es ist nach wie vor das beste Instrument im Kampf gegen den Krebs.“
Laut Umberto Veronesi, Onkologe, der 1972 als erster die brustschonende Methode der Quadranten-Operation anstelle der Brustamputation anwendete, sind die präventiven Vorsorgeuntersuchungen die wichtigste Initiative des öffentlichen Gesundheitssystems gegen den Krebs. Das Konzept sei etwas in die Jahre gekommen und müsste den neuesten Erkenntnissen angepasst werden. So sei beispielsweise das Alter von 50 Jahren für die erste Mammographie bei weitem zu spät. Immer mehr junge Frauen erkrankten an Brustkrebs. Denkbar sei die Einführung eines jährlichen Ultraschalls ab 35, der ab 40 mit einer Mammographie im Zweijahres-Abstand zu ergänzen sei.
„Für Brustkrebs“, so Umberto Veronesi in einem Artikel der Repubblica am 27. Mai, „muss unser Objektiv Sterblichkeit Null sein!“ Bei Früherkennung und sofortiger chirurgischer Therapie sei dieser Krebs zu 99% heilbar. Das gleiche Objektiv nennt Veronesi für den Gebärmutterhalskrebs. „Die Diagnostik ist heute schon über den Paptest hinaus. Die Forschung hat erwiesen, dass der Gebärmutterhalskrebs zu fast 100% vom HPV Virus verursacht wird. Dieses Virus kann man heute mit einem Test nachweisen und damit schon frühe Vorstufen dieses Krebses erkennen.“
Die Impfkampagne der Mädchen ab zwölf (und bald hoffentlich auch der Jungen) zeitige noch nicht den gewünschten Erfolg, aber wenn sich diese Impfung durchsetze, werde es keinen Gebärmutterhalskrebs oder andere Krankheiten, die von diesem Virus hervorgerufen werden, mehr geben.
Für den Dickdarm-Krebs empfiehlt Veronesi die Einführung der Dickdarmspiegelung als Screening im Abstand von fünf Jahren Heute wird dies z. B. schon jenen Personen empfohlen, die familiär vorbelastet sind. Diese Untersuchung kann nicht nur Vor- und Frühformen erkennen, sondern diese auch schon während der Untersuchung entfernen (Polypen). Das derzeitige Screening weist Blutspuren im Stuhl nach, eine Methode, die nicht hundertprozentig ein Indikator für Krebs ist, da Tumore nicht immer bluten, außerdem hängt es von der Position des Tumors ab.
In Zukunft müsse zudem die Vorsorge auf weitere Krebsarten erweitert werden. „Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, Raucher zur jährlichen Computertomographie einzuladen“, sagt der bekannte Onkologe. „Damit könnte die Sterblichkeit von derzeit 70% auf 30% reduziert werden.“
Die von Repubblica veröffentlichten Zahlen über das Screening in Italien sind jedenfalls laut Umberto Veronesi, kein Grund zur Sorge, sondern im Gegenteil eine Motivation. „Die Screenings sind der richtige Weg, aber sie müssen den neuesten Erkenntnissen angepasst werden und es müssen noch effektivere und kapillarere Informationskampagnen gestartet werden!“
(aus Repubblica, 27. Mai 2016)