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„Meine schwerste Entscheidung“

Ulrich Seitz verlässt das Amt für Krankenhäuser

Ulrich SeitzUlrich Seitz

Er hat bei keiner Landesversammlung der SKH gefehlt und war auch sonst treuer Begleiter vieler Initiativen. Ulrich Seitz, seit 2002 stellvertretender und seit 2009 geschäftsführender Direktor des Amts für Krankenhäuser verlässt nach vielen Jahren den öffentlichen Dienst.
Sprachenlyzeum, Zivildienst, Ausbildung und Arbeit als Hotelsekretär, Studium der Rechtswissenschaften und Arbeit im Landesdienst in der Abteilung Gesundheitswesen. Ulrich Seitz hat schon einiges in seinem Leben ausprobiert. Nun wird er nach über 20 Jahren das Gesundheitswesen verlassen und einen neuen Weg einschlagen.
Chance: Sie haben die Arbeit der Südtiroler Krebshilfe von jeher begleitet. Was schätzen Sie besonders an der Vereinigung?
Ulrich Seitz: Die SKH ist für mich ein unverzichtbarer Partner. Sie ist landesweit vernetzt und sie hat verstanden, dass man den Kranken nur dann richtig helfen kann, wenn man auch ihr Umfeld miteinbezieht.
Chance: Für den Sanitätsbetrieb ist es gut zu wissen, dass es jemanden gibt, der dort hinkommt, wo die öffentliche Hand eben nicht mehr helfen kann?
Ulrich Seitz: Ganz genau. Es gibt immer mehr Probleme, die nicht direkt mit der Krankheit zu tun haben, aber durch sie bedingt sind. Die mitunter langen Therapien erschweren die Rückkehr ins „normale" Leben. Die Menschen geraten in Notsituationen, wo es schnelle und unbürokratische Hilfe braucht. Die Patienten brauchen psychologische, menschliche, emotionelle Unterstützung, brauchen jemanden, der nachfragt.
Chance: Das alles kann eine öffentliche Institution so nicht leisten?

Ulrich Seitz: Sicher nicht, und das ist ja auch nicht ihre Aufgabe. Der Sanitätsbetrieb muss danach trachten, den Patienten den höchsten Standard zu bieten. Muss nach den neuesten Gesichtspunkten eingerichtete und ausgerüstete Strukturen bereitstellen. Die beste medizinische Versorgung gewährleisten, Know-How ins Land holen und binden, Expertisen einholen, jedem die gleiche Versorgung garantieren. Die Krebshilfe hingegen kann individuelle Betreuung bieten.
Chance: Der Sanitätsbetrieb hat in den vergangenen Jahren zum Teil recht unpopuläre Maßnahmen ergriffen, die auch entsprechend kritisiert wurden. Und die Krebshilfe hat sich offen dazu bekannt.
Ulrich Seitz: Sie sprechen die Zertifizierung der Tumorchirurgie an und die Neuordnung der Krankenhausdienste? Ich muss schon sagen, da war die Krebshilfe sehr couragiert. Hat sich gegen den Strom gestellt. Ich habe das sehr geschätzt. Das war auch ein Zeichen der, wie soll ich es nennen, der Professionalität und Seriösität dieser Vereinigung!
Chance: Die Südtiroler Krebshilfe hat einen wissenschaftlichen Beirat, der sich sehr kritisch mit aktuellen Themen und wissenschaftlichen Belangen auseinandersetzt und dazu ganz offen Stellung bezieht. Sie holt Zweitmeinungen ein und ermutigt die Patienten dazu, dies zu tun.Haben Sie das nie als Einmischung empfunden?
Ulrich Seitz: Absolut nicht. Im Gegenteil! Gerade das unterscheidet die Krebshilfe von einer reinen Freizeit-Interessengemeinschaft. Die SKH will, dass ihre Mitglieder mündige und aktive Patienten sind. Sie arbeitet landesweit gezielt mit Partnern zusammen, LILT, mamazone usw., die das gleiche Ziel verfolgen.
Chance: Was ist Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung für das öffentliche Gesundheitswesen?
Ulrich Seitz: Den Patienten - und es werden auch aufgrund der demographischen Veränderungen immer mehr - müssen die besten Therapien garantiert werden, die den fotschrittlichsten wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. Die veränderte wirtschaftliche Lage darf sich nicht auf die medizinische Versorgung auswirken. Die Information und die Vorsorge müssen verbessert werden. Und hier kommt der SKH eine wichtige Rolle zu.
Chance: Nach zwanzig Jahren haben Sie sich entschieden, in die Privatwirtschaft zu wechseln...
Ulrich Seitz: Das war die schwerste Entscheidung meines Lebens! Mein Herz bleibt bei den Vereinigungen und bei den Verbänden, nicht nur im Gesundheitswesen.

Wege der Hoffnung

Schach dem Krebs

Neue Therapieansätze im renommierten Vesalius Forschungscenter in Löwen

Er war Anatom und Chirurg, lehrte in Padua und Venedig, sezierte öffentlich in Bologna, war der Leibarzt Kaiser Karls V. und starb während einer Pilgerreise ins Heilige Land auf Zakynthos. Andreas Vesalius (1514 – 1564), der Begründer der neuzeitlichen Anatomie. Im belgischen Löwen ist ein hochrenommiertes internationales Forschungsinstitut nach ihm benannt, das Vesalius Research Center, VRC.
Dem internationalen Forschungszentrum für Angiogenese (Wachstum von Blutgefäßen) und Zell-Metabolismus (Stoffwechseleigenschaften), wo um die achtzig Wissenschaftler aus ganz Europa und Übersee zusammen forschen, steht der belgische Mediziner Peter Carmeliet vor. Das Labor ist dem Universitätsklinikum Löwen, bzw. Leuven angeschlossen.
Er heißt ebenfalls Andreas, allerdings Pircher und ist seit einem Jahr am VRC tätig. Der aus Dorf Tirol stammende Internist und Hämato-Onkologe hat in Innsbruck Medizin und molekulare Onkologie (PhD) studiert, dort auch an der Uniklinik gearbeitet und wollte nach Abschluss seiner Facharztprüfung seine Ausbildung noch mit einem Auslandsaufenthalt abrunden. Schon seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit der vermehrten Gefäßbildung im Lungenkrebs und hat dazu viele wissenschaftliche Arbeiten verfasst und bereits diverse renommierte Forschungspreise erhalten.
Der Schwerpunkt der Forschung im belgischen Löwen liegt auf dem Gebiet der Blutgefäße und deren Eigenschaften zu wachsen und neue Gefäß-Netzwerke auszubilden, was eine entscheidende Rolle in der Krebsforschung spielt. Seit vielen Jahren weiß man, dass Tumore nur über eine bestimmte Größe hinaus wachsen und metastasieren können, wenn sie ein eigenes Blutgefäß-Netzwerk aufbauen können. Dabei dreht sich alles um die sogenannten Endothel-Zellen, verantwortlich für das Bilden funktionstüchtiger Gefäß-Bäume und somit der zentrale Punkt in der Forschung. Das Team von Prof. Carmeliet, ein Mix aus Ärzten und Biologen, arbeitet in kleinen Forschungsgruppen an verschiedensten Fragestellungen zu diesem Thema. In der Gruppe von Dr. Andreas Pircher sind neben drei Ärzten auch Grundlagenforscher und Biologen tätig. Alles hochkarätige Wissenschaftler aus China, Polen, Belgien, Frankreich, der Schweiz, Deutschland und auch Italien. Pircher ist in der Tat nicht der einzige Italiener am Institut. Der Experte in Biotechnologie Massimiliano Mazzone aus Turin arbeitet seit 2009 am VRC. Er beschäftigt sich in seinen Versuchen mit dem Zusammenspiel von Blutgefäßen und Immunzellen und wie dadurch das Tumorwachstum beeinflusst werden kann.
Wenn Andreas Pircher von seiner Arbeit erzählt, klingt das alles sehr kompliziert. Fachbegriffe und äußerst komplexe Zusammenhänge, die einem Laien nur den Kopf verdrehen. Schlussendlich geht es darum, herauszufinden, wie das physiologische Gefäßwachstum in der Tumorbekämpfung eingesetzt werden kann.
In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends, erklärt Pircher, gingen die Krebsforscher noch davon aus, dass Strategien gefunden werden müssten, um das Gefäßwachstum im Tumor zu hemmen und ihn damit gewissermaßen auszuhungern. Die Tumoren haben aber schnell Resistenzen gegen diese Wirkstoffe entwickelt und letztlich wurde nur das umliegende gesunde Gewebe geschädigt. Eine Sackgasse also.
„Heute verfolgen wir Forschungen, die in die entgegengesetzte Richtung führen“, erklärt Pircher. „Wir untersuchen, wie wir das Gefäßsystem heilen können, damit das Gewebe im Tumor nicht geschwächt wird und damit die Gefäße, die Chemo-, Hormon- oder Immuntherapie-Substanzen noch besser in das Tumorgewebe bringen können“.

Besprechung der Darstellung eines Gefäßnetzwerks mit Stefan Vinckier (Experte für Mikroskopie)Besprechung der Darstellung eines Gefäßnetzwerks mit Stefan Vinckier (Experte für Mikroskopie)

Die Forscher des belgischen Labors haben herausgefunden, dass die sogenannten Endothel-Zellen, die die Gefäßwände innen auskleiden, vom Tumor dahingehend beeinflusst werden, dass sie in seine Richtung wachsen, und dabei ihren Stoffwechsel (Metabolismus) anpassen müssen. Dabei verbrauchen sie im Speziellen mehr Glukose, das heißt Zucker, den sie für ihr Wachstum und Ausbildungen eines Gefäß-Baumes brauchen. „Dabei weisen die Endothel-Zellen ähnliche Stoffwechseleigenschaften wie der Tumor selbst auf“, so der junge Forscher, „und durch Blockade der vermehrten Zuckerverbrennung könnte ihr wildes Wachstum gehemmt werden, ohne deshalb das normale Zellwachstum zu stören.“ Es geht also darum, eine gezielte Blockade des Zuckerstoffwechsels zu erreichen.
Im Labor wird mit Zellgeweben auf Nährlösung experimentiert, aber auch mit Mäusen, um die Wirksamkeit der verschiedenen in Frage kommenden Wirkstoffe zu testen. Prof. Peter Carmeliet ist berühmt für seine genetischen Versuche mit sogenannten Knockout-Mäusen, d. h. genetisch manipulierten Mäusen. Da einige Medikamente, die das Gefäßsystem blockieren bereits für die Therapie verschiedenster Krebsformen zugelassen sind, geht es darum deren Wirksamkeit und Dauer des Therapienutzens zu verlängern. „Wir glauben, dass eine Kombination der herkömmlichen Therapien ggf. in anderer Dosierung in Kombination mit den neuen Therapiestrategien, welche speziell die Stoffwechsel Aktivität von Endothelzellen beeinflussen, den Krebs noch wirksamer bekämpfen kann. Im Augenblick suchen wir nach dem optimalen Einsatz und sehr spezifisch wirkenden Stoffen, die den Glukose-Stoffwechsel in der Endothelzelle unterbinden können.“ Allerdings, so Pircher, kann es noch Jahre dauern, bis diese Grundidee voll entwickelt ist und ein entsprechendes Medikament zur Zulassung kommt.
„Wir Forscher arbeiten nicht zuletzt auch aus diesem Grund gerne schon mit bereits vorhandenen Medikamenten, die aber für ganz andere Pathologien eingesetzt werden.“ Sollte sich ein solches Mittel als erfolgversprechend erweisen, kann die neue Therapie schneller an Patienten eingesetzt werden, ohne dass der lange Weg zur Zulassung eines völlig neuen Medikaments eingeschlagen werden muss. Ein weiterer Vorteil ist auch, dass bei Verwendung bereits vorhandener Medikamente die pharmazeutische Industrie in die Forschung investiert. Und dank dieser Mittel kann die Forschung noch intensiver weitergeführt werden.
Dr. Andreas Pircher befasst sich in seiner Arbeit mit den Gefäßzellen von Lungenkrebspatienten. Er isoliert sie, legt Kulturen an, untersucht ihren Stoffwechsel und sucht nach Unterschieden zum Stoffwechsel von nicht entarteten, gesunden Zellen. „Dabei vermuten wir, dass der Stoffwechsel der Gefäßzellen, der alles entscheidende Motor ist- wenn man diesen blockiert, kann möglicherweise längerfristig das Tumorwachstum unterdrückt werden.“
Dieser neue Ansatz, die Endothelzellen bei ihrer Wurzel und ihrem Motor zu schwächen, wurde bisher noch nicht gezeigt und scheint erfolgsversprechend zu sein, jedoch wird es noch viele viele Versuche und viele viele Stunden Arbeit brauchen, bis dieser wissenschaftliche Ansatz vielleicht einmal im klinischen Alltag realisiert werden kann. "Dieser Gedanke allein lässt aber das Forscherherz höherschlagen und ist um so mehr Ansporn und Motivation weiter zu arbeiten"., betont Andreas Pircher
Interview mit Dr. Andreas Pircher

Andreas PircherAndreas Pircher

Jeder gibt hier alles - Forschung auf höchstem Niveau


Belgien ist zwar sehr klein, aber ein sehr internationales Land. Idealer Standort für ein weltweit eingebundenes Forschungszentrum wie das Vesalius Research Center.

Leuven ist Sitz der Katholischen Universität, die weltweit zu den renommiertesten Universitäten zählt, in einem internationalen Ranking belegt sie Platz 35. Derzeit studieren dort über 55.000 Studenten, etwa 16% kommen aus dem Ausland. Die KUL hat 15 Fakultäten. Die Universitätskliniken genießen einen ausgezeichneten Ruf und das Vesalius Research Center gehört zum Vlaams Instituut voor Biotechnologie (VIB), dem flämischen Institut für Biotechnologie, wo mehr als 1.200 Wissenschaftler aus über 60 Ländern Grundlagenforschung zu den molekularen Bausteinen des Lebens betreiben.
Chance: Wie lebt es sich in Belgien?
Dr. Andreas Pircher: Belgien ist offen und bietet eine ausgesprochen gute Lebensqualität, ich genieße das internationale Flair. Vielleicht braucht es ein wenig, um sich an das Wetter und den doch etwas anderen Lebensstil zu gewöhnen. (Er lacht) Das fängt beim Essen an, in Italien sind wir es nicht gewöhnt, Muscheln mit Pommes zu essen.
Chance: Sie haben vorher an der Universitätsklinik in Innsbruck gearbeitet und haben jetzt einen zweijährigen Forschungsauftrag. Was ist der Unterschied?
Dr. Andreas Pircher: Mit Sicherheit ist es hier eine ungemein produktive Zeit. Es wird viel verlangt, eigentlich ist man fast rund um die Uhr aktiv. Jeder gibt alles und ist voll fokussiert auf sein Forschungsgebiet. Die Richtung ist vorgegeben, aber innerhalb dieses Rahmens sind wir frei.
Chance: Eine sehr anspruchsvolle und auch emotionsgeladene Arbeit…
Dr. Andreas Pircher: Ja, wir fühlen uns fast wie ein Team von Journalisten, die einen Scoop vorbereiten oder wie Detektive, die eine heiße Spur verfolgen. Es heißt schnell und konzentriert am Ball zu bleiben. Die Konkurrenz schläft nicht und der internationale Wettkampf ist spürbar. Wer zuerst kommt, erhält Mittel für die Forschung, kann seine Ergebnisse publizieren. Deshalb sind wir immer im Einsatz. Von 8 Uhr morgens bis 19 oder 20 Uhr im Labor und danach von zuhause aus noch am Computer. Ab und zu wird auch Nachtschicht einlegen muss, speziell vor Fertigstellung von Arbeiten und Anträgen, wo der Druck doch deutlich ansteigen kann! Aber wenn man in so einem hoch-motivierten Team arbeitet, dann belastet das nicht.
Chance: Und die Ergebnisse?
Dr. Andreas Pircher: …lassen auf sich warten. Was ich damit sagen will, ist, dass der Alltag der Forschung auch mit sehr viel Frustration verbunden ist. Mit vielen Sackgassen und Leerläufen. Der Anspruch darf nicht der Umbruch sein, sondern das geduldige Zusammensetzen vieler vieler kleiner Puzzleteile, die eines Tages vielleicht,

aber nicht sicher ein Ganzes ergeben. Das ist dann natürlich eine unglaubliche Emotion! Nicht jeder realisiert auf Anhieb Top-Ergebnisse. Der Alltag der Forschung heißt, immer wieder von vorne beginnen zu können, mit der gleichen Begeisterung und Neugierde und ja, ein Stückweit auch Besessenheit.

Chance: Was werden Sie nach Ablauf der zwei Jahre tun?


Dr. Andreas Pircher: Ich bin sehr glücklich, dass ich über ein Schrödinger Stipendium für junge Wissenschaftler die Gelegenheit habe, hier an diesem Top-Labor Forschung auf höchstem Niveau durchzuführen. Hier ist alles sehr tiefgründig, sehr standardisiert, wirklich absolut very high level. Die Möglichkeit mit Forschern aus aller Welt auf Du und Du zu sein, Schulter an Schulter zu arbeiten, ist ungemein spannend. Aber was mich am Ende doch noch mehr interessiert, ist der direkte Kontakt mit Patienten, ist die Grundlagenforschung in die Praxis umzusetzen. Ich werde also mit Sicherheit nach zwei Jahren wieder in einem Krankenhaus arbeiten. Was ich hier gelernt und gelebt habe, ist auf jeden Fall wichtig, um mich noch besser in den klinischen Alltag einbringen zu können.