Hospiz und Palliative Care

Der Schmerz so tief in mir

Martina Torggler hat im August 2012 ihren Bruder Markus verloren
Es gibt Menschen, die bringen die Sonne mit ins Leben und lassen Wärme zurück, wenn sie gehen. Markus Torggler war so ein Mensch und dieser Satz stand neben seinem Totenbild. Am 26. August, knapp einen Monat vor seinem 52. Geburtstag ist Markus Torggler nach nur zwei Monaten Krankheit gestorben.
Markus war das dritte Kind und einziger Bruder von drei Schwestern, Theresia, Martina und Philomena, allen drei war er auf´s Innigste verbunden. Mit Martina, die nur wenig älter als er selbst war, verband ihn ein ganz besonderes Verhältnis. „Wir waren ein Herz und eine Seele“, sagt Martina und an manchen Tagen weiß sie nicht, wie sie diesen Schmerz so tief in ihr überwinden soll. „Es ist, wie wenn ein Stückvon mir weg wäre, ich fühle mich innerlich gelähmt.“ Um schlafen zu können, muss sie Tabletten nehmen. Ein Psychologe hilft ihr dabei, die Trauer zu leben und den Verlust zu überwinden.
Sie hat jeden Moment der Krankheit ihres Bruders miterlebt und hat bis zum letzten Moment, bis drei Tage vor seinem Tod, die Hoffnung nicht aufgeben wollen. Nach den vernichtenden Diagnosen vom Krankenhaus Brixen und Bozen, kontaktierte sie Klinik über Klinik, München, Mailand… suchte im Internet nach immer neuen Therapien, immer neuer Hoffnung.
„Er hatte fast bis zum Schluss dieses ihm so eigene Strahlen. Ich konnte einfach nicht glauben, dass es keine Hoffnung geben sollte.“ Ein Strahlen, das selbst auf den Fotos von Markus Torggler erkennbar bleibt. Ein ganz besonderer Mensch.
Noch drei Tage vor seinem Tod war sie mit ihm in der Klinik von Aviano bei Pordenone. Aber schon nach einer Stunde wurden sie wieder nachhause geschickt. Hoffnungslos. „Nicht einmal die Nacht über wollten sie ihn dabehalten. Ich glaube, da habe ich mich ergeben, da habe ich erkannt, dass es wirklich vorbei ist.“
Was für sie am schlimmsten ist: „Mein Bruder hat nicht gelebt. Das heißt, er hat nur für andere gelebt.“ Vor allem für seine drei Töchter Vivien (19), Natalie (21) und Tamara (23), die er nach dem Weggehen seiner Frau vor mehr als zehn Jahren alleine großgezogen hat. „Sie hätten keine bessere Mutter haben können, als meinen Bruder.“ Aber der Preis war hoch. Der selbständige Montage-Tischler arbeitete pausenlos, um seinen Töchtern alles bieten zu können und wenn er nicht arbeitete, dann war er für sie da. Er selbst, seine Hobbys, seine Musik, die Gitarre, die er über alles liebte, ein Privatleben – dafür blieb ihm kaum Zeit. Seine Freundin Rosi akzeptierte diese absolute Hingabe an seine Töchter. Auch sie weiß heute nicht, wie die Leere füllen, die Markus hinterlassen hat.
Als er im Juni nach einer Woche Bauchschmerzen für einen Ultraschall ins Krankenhaus kam und die Diagnose hörte, fiel er aus allen Wolken. „Er hatte nie etwas gehabt, es ging ihm gut und er sah blendend aus. Voller Leben.“ Eine dreifach vergrößerte Leber, voller Metastasen. „Sie fragten ihn, wie viel er trinke, das hat ihm wehgetan.“ Markus Torggler trank keinen Alkohol, er rauchte nicht, er hatte nur ein einziges Laster: zu viel Arbeiten, zu gewissenhaft und zu pflichtbewusst zu sein.
DerKrebs selbst saß im Dickdarm. Auch in der Lunge hatte er bereits gestreut. Eine hoffnungslose Diagnose, der er aber voll Lebensmut entgegentrat. „Während der Chemotherapie im Krankenhaus erzählte er mir immer, wie gut es ihm ginge. Wie er es genießen würde, sich ausruhen zu können. Die Spaziergänge am Nachmittag im Park. Das nicht an die Arbeit denken müssen...“
Martina hat ihrem Bruder alles abgenommen, sie wollte, dass die Alltagslasten ihn nicht von seiner Heilung ablenkten. Er hat alles mit großer Dankbarkeit angenommen. „Auch wenn ich ihm jeden Tag wiederholt habe, dass es doch selbstverständlich sei. Jeden Tag, wenn ich mich verabschiedete, rief er mir Danke nach.“
Was sie sehr beeindruckt hat, war der Beistand der Freunde. „Mein Bruder hatte immer Besuch im Krankenhaus, alle dachten an ihn, zeigten ihm ihre Verbundenheit.“ Auch an der Beerdigung nahmen unzählige Menschen teil. Freunde, Bekannte, Kunden. Menschen, die Markus Torggler geschätzt hatten und ihm die letzte Ehre erweisen wollten. „Auch vom Landhaus 5 in Bozen, wo ich arbeite, kamen viele, Vorgesetzte und Kollegen.“ Martina hätte nie gedacht, wie tröstlich diese Anteilnahme sein kann.
Sechs Wochen nach dem frühen Tod ihres Bruders (zum Zeitpunkt unseres Gesprächs, Anm. d. Red.) fühlt sich Martina immer noch benommen. In manchen Augenblicken, kann sie es noch nicht fassen, will es nicht wahrhaben. Sie sucht Trost in der Natur, im Wald. Und sie hat angefangen über ihr eigenes Leben nachzudenken. „Ich glaube, das bin ich meinem Bruder Markus schuldig. Ich möchte nicht so sterben wie er, ohne gelebt zu haben. Ich möchte auch für ihn leben. Vieles in meinem Leben sehe ich jetzt in einem anderen Licht. Die kleinen Dinge, die das Leben bereichern. Nicht das, was wir haben ist wichtig, sondern das, was wir erleben, was wir fühlen. Auf seine eigenen Bedürfnisse hören.“
Und vor allem eines hat sie verstanden. Das letzte Geschenk ihres Bruders: den unendlichen Wert der Zeit.
Markus Torggler im Mai 2012 mit seiner Freundin Rosi
Markus Torggler im Mai 2012 mit seiner Freundin Rosi
Erinnerungsfoto zum 50. mit den Schwestern Theresia, Martina und Philomena

Erinnerungsfoto zum 50. mit den Schwestern Theresia, Martina und Philomena


Hospiz und Palliative Care

Man kann den Menschen nicht alles abnehmen

Dr. Adolf Engl, Hausarzt und Präsident der Südt. Akademie für Allgemein-Medizin
E r ist einer der Wegbereiter des Palliativgedankens in Südtirol, Dr. Adolf Engel, seit 30 Jahren Hausarzt in Brixen und Präsident der SAkAM, der Südtiroler Akademie für Allgemein-Medizin. Begonnen hat alles 1999 im Rahmen des Ersten Kongresses
der Allgemeinmedizin unter dem Thema: Hoffnung oder Resignation – Hausärztliche Begleitung von Schwerkranken. Südtirol ist von einem großen Stadt-Land-Gefälle geprägt. Auf dem Land ist der Hausarzt noch lebenslanger Begleiter und auch Vertrauter des Patienten. Laut einer Umfrage, ziehen es die meisten Südtiroler vor, zuhause gepflegt zu werden und zuhause zu sterben.„In unserer täglichen Arbeit gibtes fast immer Palliativpatienten. Sie müssen nur ab und zu ins Krankenhaus zur Überbrückung. Wir arbeiten eng mit dem Sprengelpersonal und den Familien zusammen“, erklärt Dr. Adolf Engl. Von größter Bedeutung sei für ihn, ein persönliches Vertrauensverhältnis zum Patienten und zu seinen Angehörigen. „Die Bereitschaft vermitteln, immer da und ganz offen zu sein.“ Jeder Patient habe je nach Krankheit und Charakter ganz eigene Bedürfnisse. “ Eine anstrengende Tätigkeit. Auch an Wochenenden. Eine Arbeit mit einer großen emotionalen Belastung, mit der man lernen muss umzugehen.Adolf Engl hat für sich persönlich diese Lehre aus seiner langjährigen Tätigkeit gezogen: „Die Zeit zu nutzen, die bleibt. Sich auf die wesentlichen Dinge im Leben konzentrieren ohne sich in Unwichtigkeiten zu verlieren.“ Nicht jeder Palliativpatient geht dem Sterben entgegen. Aber natürlich ist auch das Sterben eine Konstante in der Arbeit eines Hausarztes. „Und Sterben ist für jeden von uns das größte Problem im Leben. “, fasst Adolf Engl zusammen. „Wichtig ist in diesem Augenblick nicht in leeren Aktionismus zu verfallen. Man kann den Menschen nicht alles abnehmen, man muss jedem Menschen sein Sterben zumuten, das gibt ihm Würde.“ In den letzten 30 Jahren habe sich viel geändert. Für die Patienten und für die Allgemeinmediziner. Lebensqualität könne auch Patienten mit chronischen, unheilbaren Krankheiten gewährleistet werden. Andererseits, so Dr. Engl,"steigt die Belastung für die Allgemeinmediziner im Territorium zusehends, auch durch vermehrte bürokratische Belastung.“ Auch gehen die Menschen häufiger zum Arzt als noch vor zwanzig Ahren. „Mündiger Patient, ja. Weil jeder sich heute über alles informieren kann. Aber gleichzeitig werden die Menschen auch immerhilfloser im Umgang mit Krankheit und mit Beschwerden.“ Die Änderungen in der Gesellschaft bedingen, dass der Hausarzt für viele Menschen eine wichtige Vertrauensperson werde. „Für nicht wenige auch die einzige!“