Die Neuregelung der Tumorchirurgie

Die umstrittene Reform

Die Neuordnung der Tumorchirurgie in Südtirol sorgt für Aufregung
In Sterzing, Schlanders und Innichen dürfen keine Tumoroperationen mehr vorgenommen werden. Das ist die eingreifendste Neuerung im Zuge der Neuordnung der Tumorchirurgie in Südtirol. In Bozen wird auch weiterhin alles angeboten, Meran darf keine Kopf-Hals-Tumoren und keine Pankreastumoren mehr operieren, Brixen liegt an der Schwelle zwischen klein und groß, dort dürfen beispielsweise keine Tumore der weiblichen Genitalien mehr operiert werden.
Die Ende Januar von der Landesregierung beschlossene Neuregelung der Tumorchirurgie gibt allerdings nicht a priori grünes Licht für bestimmte Operationen. Jedes Krankenhaus oder besser, jede Abteilung muss sich einer Zertifizierung unterziehen, die an internationalen Standards ausgerichtet ist. Nur wer diese Hürde überwindet, darf Tu-moroperationen durchführen.
Die Zertifizierung orientiert sich nicht nur an der Kapazität des jeweiligen Chirurgen und auch nicht nur an den in Zukunft vorgeschriebenen Mindestzahlen für die unterschiedlichen Tumoroperationen. Auch das Team der Abteilung und die In-frastrukturen werden in die Bewertung mit einbezogen.
Verschiedene Abteilungen der Südtiroler Krankenhäuser unterziehen sich schon seit mehreren Jahren einer regelmäßigen Zertifizierung, weil dies mittlerweile zum internationalen Standard gehört. So z. B. die Chirurgie in Meran, das Brustgesundheitszentrum Brixen Meran oder die Hämatologie in Bozen und die Gynäkologie in Bruneck, was Brustkrebsoperationen anbelangt.
In Südtirols Krankenhäusern ist die Neuordnung mit gemischten Gefühlen aufgenommen worden. In den großen Häusern ist man davon nicht betroffen, d. h. für die Chirurgen ändert sich konkret nichts. In den kleineren und den kleinen Häusern sind viele Ärzte empört und werfen der Landesregierung vor, mit dieser Maßnahme nur einen Vorwand gesucht zu haben, um den kleinen Krankenhäusern endgültig den Garaus zu machen. Erfahrene Chirurgen, die in Sterzing, Bruneck, Innichen und Schlanders, aber auch in Brixen tätig sind, sehen ihre bisherige Tätigkeit in Frage gestellt und fühlen sich zu Chirurgen zweiter Klasse degradiert.
Landesrat Theiner verteidigt die Neuordnung und streitet ab, dass diese Maßnahmen nur aus Spargründen durchgeführt worden seien (siehe Interview, Anm. d. Red.), es gehe ausschließlich um das Wohl der Patienten. Die Südtiroler Krebshilfe, die italienische Krebsliga LILT sowie die Südtiroler Ärztekammer haben sich überzeugt hinter die Reform gestellt. Viele der betroffenen Ärzte fühlen sich alleingelassen.
Tatsache ist, dass mit Sicherheit das Interesse der Krebspatienten, die ein Recht auf den höchsten Standard der Behandlung haben, im Vordergrund stand. Andererseitsist nicht abzuleugnen, dass auch taktische Interessen eine Rolle gespielt haben. Innerhalb von Europa haben die Patienten ab 2015 freie Ärztewahl. Wenn sich die Südtiroler Krankenhäuser nicht an die gängigen internationalen Standards anschließen, und die basieren eben zum Teil auch auf Nummern,könnte Südtirols Sanität bald im Abseits landen. Auch Kostengründe dürften eine Rolle spielen. Sieben Krankenhäuser in einem Land mit gerade einer halben Million Einwohner, ein Fünftel von Mailand, das ist heute, in Zeiten der Wirtschaftskrise, Luxus pur.
Die Verbitterung der Ärzte kommtaber hauptsächlich daher, dass sie das Gefühl haben, diese Reform sei von oben, von Politikern und nicht von Leuten vom Fach aufgedrückt worden. Sie fragen sich, ob es nicht andere Wege gegeben hätte, um jedem Chirurgen die Möglichkeit zu geben, auch weiterhin jeden Eingriff durchzuführen, zumBeispiel im Rahmen eines mobilen Tumorboards, in dem Ärzte aller Krankenhäuser zusammengefasst sind. Es wurde auch die Frage aufgeworfen, ob das Zentralkrankenhaus Bozen überhaupt in der Lage sein werde, den Mehraufwand an Operationen zu bewältigen. Die Zukunft wird zeigen, wie sich die Reformkonkret auswirken wird.
Die Chance hat mit Ärzten aller Südtiroler Krankenhäuser gesprochen, mit Gesundheitslandesrat Richard Theiner, mit Dr. Alfred Königsrainer, der dem wissenschaftlichen Beirat, der die Reform erarbeitet hat, angehörte, mit den Präsidenten von LILT und Südtiroler Krebshilfe, dem Vorsitzenden der Südtiroler Ärztekammer, Dr. Andreas von Lutterotti sowie mit dem Obmann der Fachgruppe Chirurgie der österreichischen Ärztekammer, Dr. Gerhard Wolf. Es war uns ein Anliegen dieses brisante Thema von allen Seiten zu beleuchten, um den Lesern die Möglichkeit zu geben,sich selbst ein Urteil zu bilden.

Die Neuregelung der Tumorchirurgie

„Gleiche Überlebenschancen für alle“

Interview mit Gesundheitslandesrat Richard Theiner
Die Neuordnung der Tumorchirurgie ist ein wichtiger Punkt im Rahmen der 2010 von der Landesregierung beschlossenen Klinischen Reform. Gesundheitslandesrat Richard Theiner ist immer noch erstauntüber die heftigen Reaktionen, die die Bekanntmachung der von einer Expertenkommission erarbeiteten Eckdaten hervorgerufen haben.
Chance: Ein heißes Eisen, dass Sie da im Wahljahr angepackt haben …

LR Theiner: Ich habe diese Neuordnung mit Sicherheit nicht initiiert, um Applaus einzuholen, sonst hätte ich klarerweise in einem Wahljahr die Finger davon gelassen. Aber hier geht es weder um Wählerstimmen, noch um Bezirksinteressen. Hier geht es ausschließlich um das Wohl der Krebspatienten. Da stehen alle politischen Überlegungen hintan. Und ich möchte betonen: Es geht auch nicht um Kosten-Einsparungen. Es geht um mehr Qualität für die Patienten und um die Anpassung an die europäischen Standards.

Chance: Ärzte, die in den Peripherie-Krankenhäusern Südtirols arbeiten, sprechen von Diskriminierung, von einer Abwertung ihrer Professionalität.

LR Theiner: Davon ist überhaupt keine Rede. Ich bin doch sehr erstaunt, wie einzelne Ärzte – und ich betone einzelne – ihre ganz persönlichen Interessen überdas Wohl der Patienten zu stellen scheinen. Und mehr noch: Ich finde es sträflich, wenn einzelne Lokalpolitiker auf diesen Karren aufspringen, mit der klaren Absicht, sich profilieren zu wollen.

Chance: Es werden Argumente vorgebracht wie „Ein Chirurg ist kein Chirurg, wenn er nicht alles operieren kann“ „Wir werden keinen Nachwuchs für die kleinen Krankenhäuser finden“, „Das ist nur ein Manöver, um die kleinen Krankenhäuser zu schließen“,"Das ist eine Abwertung unserer Professionalität"…

LR Theiner: Es geht doch überhaupt nicht um eine Beurteilung der Ärzte. Wir haben ausgezeichnete Ärzte in den Grundversorgungskrankenhäusern und ich hoffe, das wird auch so bleiben. Auch von einer Schließung dieser Krankenhäuser kann überhaupt nicht die Rede sein. Sie sind ungemein wichtig im Rahmen der Krebsbehandlung. Die Diagnostik und der gesamte postoperative Bereich sind schließlich dort angesiedelt.

Chance: Wie wirkt sich diese Reform denn konkret auf die Tätigkeit der Chirurgen aus?

LR Theiner: Das ist genau der Grund, warum ich diese ganze Aufregung nichtverstehe. Wenn sie die Zahlen von 2011 hernehmen, dann wird ersichtlich, dass 93 % der Krebsoperationen ohnehin schon in den Schwerpunktkrankenhaushäusern bzw. im Zentralkrankenhaus in Bozen vorgenommen wurden. Das heißt in Schlanders, Sterzing und Bruneck sind nicht einmal 7 % der Krebsoperationen durchgeführt worden! Diese Peripheriekrankenhäuser sind in keinem einzigen Fall auch nur annähernd an die nun vorgeschriebenen Schwellenwerte für die Zertifizierung herangekommen. So viel wird ihnen demnach nicht weggenommen. Außerdem: Wenn ein Arzt, der in einem kleinen Krankenhaus arbeitet,entsprechend qualifiziert ist, dann kann er Teil eines OP-Teams in einem der großen Krankenhäuser sein.

Chance: Das heißt, ein Arzt, der in Sterzing arbeitet, kann seinen Patienten in Brixen operieren, wenn dieser das wünscht?

LR Theiner: Nein, das nicht. Aber das OP-Team in Brixen oder in Bozen oder in Meran kann ihn hinzuziehen. Im Rahmen des Tumorborads sind ohnehin alle Beteiligten, also Ärzte und medizinischen Mitarbeiter vernetzt und in ständigem Dialog.

Chance: Es geht also nicht um eine Diskriminierung oder Deklassierung der Grundversorgungskrankenhäuser?

LRTheiner: Absolut nicht. Sie sind ein wichtiger Teil unseres Sanitätssystems.
Chance: Wie stehen ihrer Ansicht nach die Direkt-Interessierten, also die Patienten zu dieser Neuordnung?

LR Theiner: Sehen Sie, ich werde oft von Bürgern angesprochen. Sie fragen immer, „Wo ist die beste Behandlung, nie, wo ist die nächste!“ Und ich habe auch mit Lokalpolitikern gesprochen, die jetzt der Neuordnung kritisch gegenüberstehen und sie gefragt, von wem sie einen Angehörigen operieren lassen würden, von einem Chirurgen, der sieben Fälle pro Jahr operiert oder von einem, der 70 OPs durchführt. Kein einziger würde die erste Möglichkeit wählen. Das nenne ich Wasser predigen und Wein trinken. Es ist doch ganz klar, dass wer mehr macht auch über die größere Erfahrung verfügt. Das ist evident und wird überall so gehandhabt. Wir wollen jedem Patient das Maximum an Qualität garantieren.

Chance: Apropos Zahlen. Im Rahmen der Zertifizierung muss jeder Chirurg, jedes Zentrum bestimmte Schwellenwerte erreichen. Sind diese allen zugänglich?

LR Theiner: Größtmögliche Transparenz ist eine der Voraussetzungen für diese Neuordnung. Das sind wir den Patienten schuldig.Jeder soll die Möglichkeit haben, sich zu erkundigen, wo welcher Eingriff, wie oft und mit welchen Ergebnissen durchgeführt wird.

Chance: Wann startet diese Neuordnung?

LR Theiner: Sie ist schon im Gange und wird sukzessive durchgeführt. Und glauben Sie mir, in ein paar Jahren wird man nur mehr den Kopf schütteln, über diesen Sturm im Wasserglas.