Die Neuregelung der Tumorchirurgie

Mindestmengen flexibel handhaben

Stellungnahme von Dr. Walther Thaler, Primar der Chirurgie in Bruneck
Dr. Walter Thaler ist Vorsitzender desÄrztebeirats der Südtiroler Krebshilfe und Primar der Chirurgie am Krankenhaus Bruneck. Seine Abteilung ist von der Neuordnung der Tumorchirurgie besonders betroffen. Er hat eine mehrseitige Stellungnahme verfasst, worin er eine flexiblere Handhabung der Mindestmengen fordert. Wir veröffentlichennachstehend Auszüge.
„Mit der Wegnahme der Schilddrüsen-, Rektum- und Mammapathologie wird das Krankenhaus Bruneck zu einer viertgradigen Institution abgewertet, wobei es bisher als Schwerpunktkrankenhaus konzipiert war. (…) Bei den neu festgelegten Schwellenwerten geht es nur um die Quantität. Andere Parameter werden nicht berücksichtigt.
Die Mindestmenge der Kropfoperationen wurde mit 70 festgelegt. In den letzten drei Jahren liegen wir deutlich darunter, nimmt man die letzten 15 Jahre kommen wir auf 46.8 Eingriffe im Jahr. Das Chirurgenteam in Bruneck hat sich an der Uniklinik Innsbruck in der Operationstechnik für Schilddrüsenchirurgie weitergebildet, seit vergangenem Jahr verfügen wir über den Apparat für das Neuromonitoring der Stimmbandnerven während der Operation. Damit können wir die Nerven Schritt für Schritt lokalisieren und schonen. Pro Jahr fallen bei uns ein bis drei Schilddrüsenkarzinome an; es handelt sich dabei um Zufallsbefunde. Bei gesichertem Vorliegen eines solchen Karzinoms schicken wir den Patienten in ein entsprechendes Zentrum.
Rektum und Kolon (Mast- und Dickdarm) gehören anatomisch zusammen, die Operationstechnik ist standardisiert. Nach vielen Anstrengungen sind wir in der Lage, den linken Teil des Dickdarmes und den Mastdarm laparoskopisch zu operieren. Wir haben ein Vierer-Team gegründet, wovon drei operieren und einer zusieht. Jeder agiert gleich oft als erster Operateur. Wir möchten diesen Teil unserer Tätigkeit nicht verlieren. Die Behandlung von Erkrankungen des Anus und Mastdarms (Proktologie) spielt in der Allgemeinchirurgie eine ganz große Rolle. Wir haben diesem Trend Rechnung getragen. Unsere Bemühungen, durch selbstlosen Einsatz, Erlernen neuer Techniken, Verlagerung der Schwerpunkte auf einzelne Mitarbeiter (Motivierung) und wissenschaftlichen Austausch mit Chirurgen im In- und Ausland werden mit der Neuordnung ad absurdum geführt.
Ich selbst befasse mich schwerpunktmäßig mit der Struma* und mit dem kolorektalen Karzinom und habe das Memorial Cancer Center in New York, das St. Marks Hospital in London sowie dasKrankenhaus von Castelfranco Veneto (Laparoskopie) frequentiert und in den 15 Jahren meiner Tätigkeit in Bruneck 617 Eingriffe am Kolorektum und 703 Schilddrüsenoperationen durchgeführt bzw. beaufsichtigt.
Keinesfalls darf die Kropf- und Rektumchirurgie in einem Schwerpunktkrankenhaus fehlen,wenn dieses nicht in die Bedeutungslosigkeit schlittern soll. Diese Perspektiven lassen Konsequenzen für den chirurgischen Nachwuchs befürchten, d. h., es wird niemand mehr nach Bruneck kommen wollen. Eine Facharztausbildung wäre mit einer reduzierten Fragment-Chirurgie nicht mehr möglich.“
* Als STRUMA wird eine krankhaft vergrößerte Schilddrüse bezeichnet. Der Begriff kommt aus dem Lateinischen und bedeutet"Drüsenschwellung"oder"Geschwulst". Im Volksmund wird eine Struma auch"Kropf"genannt.

Die Neuregelung der Tumorchirurgie

Es bleiben noch genug Eingriffe in der Peripherie

Dr. Cristiano Mazzi, geschäftsführender Primar der Gynäkologie in Innichen
„Ich halte die Zentralisierung der Tumorchirurgie nicht unbedingt für eine gute Idee. Für einige Tumore mag das angehen, aber nicht für alle.“ Laut Cristiano Mazzi, geschäftsführender Primar der Gynäkologie am Krankenhaus Innichen, gebe es für die eine oder andere Tumor-Art in ganz Südtirol nicht die erforderliche Anzahl an Fällen im Jahr.
„Durch die Neuordnung besteht die Gefahr, dass Chirurgen während eines Eingriffs mit einer Situation konfrontiert werden, der sie nicht (mehr) gewachsen sind.“ Die Beschränkungen im Rahmen der Neuordnung der Tumorchirurgie und dem Zertifizierungszwang sieht er als Vergeudung von Kapazitäten.„Wenn dann tatsächlich im Laufe einer banalen Operation ein Problem auftritt, ein Tumor entdeckt wird, was soll dann der betreffende Chirurg machen? Einfach zunähen und den Patienten weiterreichen oder die Operation fachgerecht zu Ende führen, wenn er das noch nicht verlernt hat?“ fragt Mazzi.
Cristiano Mazzi sieht sich selbst und seine Tätigkeit als Chirurg nicht in Frage gestellt. „Die Chirurgie ist weitläufig, es bleiben noch genug Eingriffe, die ich auch in Zukunft durchführen kann, es geht hier nicht um persönliche Überlegungen und Betroffenheiten,“ stellt der Primar klar. „Wenn ich einen bestimmten Eingriff nicht mehr vornehmen darf, bleibt mir doch noch das ganze Follow-up.“
Für Mazzi ist auch die Trennung von Operation und Vor- bzw. Nachbehandlung ein Problem. Das sollte alles in engstem Kontakt der beteiligten Fachkräfte erfolgen. In Südtirol können man zudem seiner Meinung nach nicht die gleichen Kriterien anwenden, wie in einer Großstadt. „Es ist wahr, dass wir nur ein Fünftel von Mailand sind, aber die Struktur ist doch ganz anders als in einer Stadt.“
Cristiano Mazzi sieht die Beschränkungen im Rahmen der Neuordnung als Vergeudung von Kapazitäten, die effektiv vor Ort vorhanden sind. „In der täglichen Praxis war es ohnehin schon so, dass bestimmte Eingriffe von vorneherein weitergeleitet wurden, wie z. B. die Brustoperationen an das Brustgesundheitszentrum Brixen oder auch besonders komplizierte Eingriffe, die einen bestimmten Apparat voraussetzen.“
Er hätte eine Reform vorgezogen, die die gesamten auf dem Territorium vorhandenen Kräfte in ein Netzwerk einbaut und dementsprechend nutzt. „Anstelle des Patienten würden sich dann die Ärzte bewegen. Für jede Operation könnte man eine Equipe zusammenstellen,mit den Ärzten, egal in welchem Krankenhaus sie stationiert sind, die diesen Eingriff am besten beherrschen.“