Die Neuregelung der Tumorchirurgie

Warum nicht ein mobiles Onko-Board?

Dr. Christian Gozzi, Primar Urologie Brixen
Brixen ist das drittgrößte Krankenhaus in Südtirol. Ein Schwerpunktkrankenhaus, dessen Chirurgie in besonderem Maß von der Neuordnung der Tumorchirurgie betroffen ist; bei verschiedenen Eingriffen werden die Schwellenwerte nur knapp unterschritten. Ein Gespräch mit Dr. Christian Gozzi, Primar der Urologie.
Dr. Christian Gozzi würde am liebsten gar nichts sagen. „Ich bin von dieser Neuordnung betroffen. ich habe versucht, mich dagegen zu wehren, und nicht nur dagegen, sondern auch gegen andere Dinge. Ich habe aufgegeben und meine Konsequenzen gezogen.“ Am 28. Februar hat Dr. Gozzi seine Kündigung eingereicht.
Die Begründung? „Ich habe – und das nicht erst seit gestern - zu wenig Personal. Wir werden nicht entsprechend ausgestattet. Ohne entsprechende Ressourcen sind viele Dinge nicht mehr machbar oder müssen in der halben Zeit gemacht werden, der Dienstplan ist hoffnungslos überfüllt, das Personal frustriert, die Wartezeiten werden länger und länger.“ Onkologische Operationen seien zudem oft nicht vorplanbar, sondern ergäben sich nicht selten zufällig während eines Routineeingriffs.
Christian Gozzi hat in drei Jahren seine Abteilung aufgebaut. „Eine tolle Abteilung mit tollen Mitarbeitern. Jetzt muss ich zusehen, wie sie immer mehr die Köpfe hängen lassen.“ Gozzi war vor Brixen in sieben großen Kliniken tätig, immer in führender Position. „Ich bin 53 Jahre alt, ich kann es mir aussuchen. Meine Vorschläge wollte man nicht anhören; ich habe die Konsequenzen gezogen.“Gozzi stellt klar, dass er nicht gegen eine Zertifizierung an sich ist. Aber seiner Ansicht nach kann man nicht davon ausgehen, dass die besten Chirurgen nur in Bozen sitzen. „Abgesehen davon, dass ich kaum glaube, dass Bozen alles alleine machen kann, schon jetzt fehlen auch dort Personal und Infrastrukturen.“
Laut Gozzi werden von der Politik Entscheidungen aufoktroyiert, ohne entsprechende Rücksprache mit den Fachkräften. Seiner Vorstellung nach wäre die Lösung nicht das Verbot von Operationen gewesen, sondern die Bildung eines mobilen Onko-Boards, das in ganz Südtirol tätig ist.
Er selbst habe seinen Vater von Primar Pfitscher in Sterzing am Darm operieren lassen. „Ich habe der Operation beigewohnt, eine erstklassige Arbeit. Einen solchen Chirurgen von hochqualifizierten Eingriffen auszuschließen, halte ich persönlich für einen unverzeihlichen Fehler.“ In der Chirurgie, so Gozzi, zähle nicht nur das Volumen der durchgeführten Operationen, sondern auch die die individuelle Kapazität, das Schneiden, Knüpfen, das Auge …“

Die Neuregelung der Tumorchirurgie

Mindestmengen flexibel handhaben

Stellungnahme von Dr. Walther Thaler, Primar der Chirurgie in Bruneck
Dr. Walter Thaler ist Vorsitzender desÄrztebeirats der Südtiroler Krebshilfe und Primar der Chirurgie am Krankenhaus Bruneck. Seine Abteilung ist von der Neuordnung der Tumorchirurgie besonders betroffen. Er hat eine mehrseitige Stellungnahme verfasst, worin er eine flexiblere Handhabung der Mindestmengen fordert. Wir veröffentlichennachstehend Auszüge.
„Mit der Wegnahme der Schilddrüsen-, Rektum- und Mammapathologie wird das Krankenhaus Bruneck zu einer viertgradigen Institution abgewertet, wobei es bisher als Schwerpunktkrankenhaus konzipiert war. (…) Bei den neu festgelegten Schwellenwerten geht es nur um die Quantität. Andere Parameter werden nicht berücksichtigt.
Die Mindestmenge der Kropfoperationen wurde mit 70 festgelegt. In den letzten drei Jahren liegen wir deutlich darunter, nimmt man die letzten 15 Jahre kommen wir auf 46.8 Eingriffe im Jahr. Das Chirurgenteam in Bruneck hat sich an der Uniklinik Innsbruck in der Operationstechnik für Schilddrüsenchirurgie weitergebildet, seit vergangenem Jahr verfügen wir über den Apparat für das Neuromonitoring der Stimmbandnerven während der Operation. Damit können wir die Nerven Schritt für Schritt lokalisieren und schonen. Pro Jahr fallen bei uns ein bis drei Schilddrüsenkarzinome an; es handelt sich dabei um Zufallsbefunde. Bei gesichertem Vorliegen eines solchen Karzinoms schicken wir den Patienten in ein entsprechendes Zentrum.
Rektum und Kolon (Mast- und Dickdarm) gehören anatomisch zusammen, die Operationstechnik ist standardisiert. Nach vielen Anstrengungen sind wir in der Lage, den linken Teil des Dickdarmes und den Mastdarm laparoskopisch zu operieren. Wir haben ein Vierer-Team gegründet, wovon drei operieren und einer zusieht. Jeder agiert gleich oft als erster Operateur. Wir möchten diesen Teil unserer Tätigkeit nicht verlieren. Die Behandlung von Erkrankungen des Anus und Mastdarms (Proktologie) spielt in der Allgemeinchirurgie eine ganz große Rolle. Wir haben diesem Trend Rechnung getragen. Unsere Bemühungen, durch selbstlosen Einsatz, Erlernen neuer Techniken, Verlagerung der Schwerpunkte auf einzelne Mitarbeiter (Motivierung) und wissenschaftlichen Austausch mit Chirurgen im In- und Ausland werden mit der Neuordnung ad absurdum geführt.
Ich selbst befasse mich schwerpunktmäßig mit der Struma* und mit dem kolorektalen Karzinom und habe das Memorial Cancer Center in New York, das St. Marks Hospital in London sowie dasKrankenhaus von Castelfranco Veneto (Laparoskopie) frequentiert und in den 15 Jahren meiner Tätigkeit in Bruneck 617 Eingriffe am Kolorektum und 703 Schilddrüsenoperationen durchgeführt bzw. beaufsichtigt.
Keinesfalls darf die Kropf- und Rektumchirurgie in einem Schwerpunktkrankenhaus fehlen,wenn dieses nicht in die Bedeutungslosigkeit schlittern soll. Diese Perspektiven lassen Konsequenzen für den chirurgischen Nachwuchs befürchten, d. h., es wird niemand mehr nach Bruneck kommen wollen. Eine Facharztausbildung wäre mit einer reduzierten Fragment-Chirurgie nicht mehr möglich.“
* Als STRUMA wird eine krankhaft vergrößerte Schilddrüse bezeichnet. Der Begriff kommt aus dem Lateinischen und bedeutet"Drüsenschwellung"oder"Geschwulst". Im Volksmund wird eine Struma auch"Kropf"genannt.