Die Neuregelung der Tumorchirurgie

Die Zertifizierung ist die Zukunft

Interview mit Dr. Paolo Coser, Präsident der italienischen Krebsliga, LILT
Die Zertifizierung ist unerlässlich, um den Patienten eine immer bessere Behandlung zu garantieren. Davon ist Dr. Paolo Coser, der ehemalige Primar der Hämatologie und des Rückenmarktransplantationszentrums am Krankenhaus Bozen überzeugt. Es zähle eben nicht nur der einzelne Chirurg, sondern das ganze Team, die Häufigkeit, mit der ein Eingriff durchgeführt werde sowie die Ausstattung der Abteilung
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Dr. Paolo Coser ist Präsident der italienischen Krebsliga, LILT, die ebenso wie die Südtiroler Krebshilfe, die Neuordnung der Tumorchirurgie unterstützt und begrüßt. “Es ist richtig und im Interesse des Patienten, dass er nicht nur von einem Arzt behandelt wird, der alles entscheidet, sondern von einem Team, dem sogenannten Tumorboard”, betont Coser. Dem Tumorboard gehören der Onkologe, der Facharzt, der die Diagnose gestellt hat, der Anästhesist, der Chirurg, das Pflegeteam und der Hausarzt an. „Gemeinsam entscheiden sie die jeweils beste Therapie für jeden einzelnen Patienten und mir erscheint es nur logisch, dass zehn Köpfe besser denken als einer“, so Coser.
Die Zertifizierung sei außerdem keine Meinung, sondern beruhe auf Faktoren, die weltweit kodifiziert worden sind. Zudem werde sie von hochspezialisierten Ärzten internationalen Kalibers durchgeführt. „Überall in Europa und auch außerhalb Europas, tendiert man dazu, spezialisierte oder besser hochspezialisierte Zentren zu gründen und die Therapien dort zusammenzufassen, um den Patienten die bestmögliche Behandlung angedeihen zu lassen“, unterstreicht der emeritierte Primar der Hämatologie, Abteilung, die sich schonseit Jahren der jährlichen Zertifizierungsprozedur unterzieht.
LILT steht als Sprachrohr und Interessenvertreter der Patienten voll hinter der Neuordnung der Tumorchirurgie. “Eine perfekt durchgeführte Operation ist Voraussetzung für die Heilung und man kann nicht von der Hand weisen, dass wer 50 Fälle operiert, dies besser kann als wer nur fünf operiert.“ Davon ist der Präsident von LILT überzeugt. Eine Abteilung, die nicht zertifiziert sei, könne sicherlich genauso gut arbeiten, wie eine zertifizierte. „Aber die Zertifizierung ist eine Garantie mehr für den Patienten.“
Als Arzt, so Coser, könne er die Verbitterung und Frustration der betroffenen Chirurgen natürlich verstehen. „Aber es ist doch ganz klar, dass diese Neuordnung nichts anderes will, als das Beste des Patienten. Sie ist weder als Abwertung noch als Vertrauensentzug zu interpretieren.“ Ebenso wenig wie sie die Fähigkeiten der einzelnen Chirurgen in Frage stelle. „Man darf auch nicht vergessen, dass den Peripherie-Krankenhäusern eine wichtige Rolle in der postoperativen Phase zukommt.“

Die Neuregelung der Tumorchirurgie

Ein europaweiter Trend

Stefan Hofer, Präsident des Südtiroler Dachverbands für Gesundheit und Soziales
„Seit fünf Jahren wissen wir, dass ab 2015 auf EU-Ebene internationale Krankenhaus-Mobilität herrscht“, stellt Stefan Hofer, Präsident des Dachverbands für Gesundheit und Soziales fest.
„Wenn wir jetzt im Rahmen der klinischen Reform Exzellenz-Zentren für Tumorchirurgien bilden, so ist das keine Südtiroler Erfindung, sondern entspricht einem europaweiten und internationalen Trend.“
Im Dachverband für Gesundheit und Soziales sind die 50 gemeinnützigen Organisationen Südtirols des Sozial- undGesundheitswesens organisiert. Er sieht sich als Lobby für soziale Anliegen. Auch die Südtiroler Krebshilfe gehört dem Verband an.
Der Dachverband hat sich eindeutig hinter die Entscheidung für die Neuordnung der Tumorchirurgie in Südtirol gestellt. „Diese Entscheidung“, so Stefan Hofer, der auch Mitglied der 26köpfigen Kommission war, die die klinische Neuordnung vorantreibt, „ist mit großer Mehrheit getroffen worden.“ Zwanzig Jastimmen, zwei Enthaltungen und vier Gegenstimmen. Eine Kommission, die mehrheitlich aus Ärzten zusammengesetzt war.
Er sei erstaunt gewesen, so Hofer, dass im Nachhinein so viele negative Stimmen aufgekommen seien. „Bei dieser Entscheidung ging es vornehmlich um das Interesse, um das Wohl der Patienten und erst in einem zweiten Schritt auch um notwendige Einsparungen. Ich finde es tragisch, dass auf dem Rücken der Patienten lokalpolitische und Lobby-Interessen ausgetragen werden.“ Südtirolhabe eine halbe Million Einwohner, im Schnitt sei jeder 11,2 Km vom nächsten Krankenhaus entfernt. „Knapp 62 %
der Bevölkerung“, erklärt Stefan Hofer weiter, „sind sogar nur zehn Km entfernt.“ Er sei sich hundert Prozent sicher, dass die Reform der Tumorchirurgie kein versteckter Versuch sei, den kleinen Peripherie-Krankenhäusern den Garaus zu machen.
„Wir werden die Krankenhäuser behalten, aber sicher nicht in dieser Form, das ist nicht mehr finanzierbar.“ Die Menschen müssten umdenken lernen. „Zum Einkaufen fahren sie 100 und mehr Km, aber ins Krankenhaus sind schon30 Km zu viel.“
Die Operation selbst sei laut Hofer, ja auch nur ein kleiner Teil der Tumorbehandlung. „Das Follow-up, der postoperative Bereich nimmt wesentlich mehr ein und dieser ist ja nach wie vor in den wohnortnahen Krankenhäusern angesiedelt.“
Wir müssen bei den Protesten auch berücksichtigen, dass die Primare einen Schlüssel haben, der an Betten gebunden ist, gibt der Präsident des Dachverbands für Gesundheit und Soziales zu bedenken. „Und es kann doch niemand sagen, dass es keinen Unterschied macht, ob ein Chi-rurg in Innichen drei Mammakarzinome in einem Jahr, in Bruneck 41 und in Brixen 53 operiert.“