Die Neuregelung der Tumorchirurgie

Die Ressourcen bündeln

Interview mit Professor Dr. Alfred Königsrainer
Er zählt zu den erfolgreichen Südtirolern im Ausland. Professor Dr. Alfred Königsrainer wurde in St. Leonhard in Passeier geboren und ist seit 2004 ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemeine, Viszerale und Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Tübingen.
Königsrainer war 2012 federführendes Mitglied der wissenschaftlichen Expertenkommission, die den Rahmen für die Neuordnung der Tumorchirurgie in Südtirol vorgegeben hat. Vor seiner Berufung nach Tübingen war der Transplantationsexperte stellvertretender Leiter der Klinischen Abteilung für Allgemein- und Transplantationschirurgie an der Uni-Klinik für Chirurgie in Innsbruck. Vom 1. Juli bis Ende Dezember 1995 war Königsreiter Primar der Abteilung für Chirurgie am Krankenhaus Bozen.

Chance: Worum ging es bei der Erstellung des Konzepts für die Neuordnung der Tumorchirurgie?

Dr. Alfred Königsrainer: Mehr als das Konzept für die Neuordnung haben wir vor allem einen Erhebungsbogen für die Zertifizierung in Anlehnung an italienische Vorgaben und den Richtlinien der Deutschen Krebshilfe erarbeitet. Daneben wurde durch die Sanitätsdirektion die Ist-Situation in Südtirol erhoben und der aktuelle Status im Wesentlichen an die erarbeiteten Richtlinien angepasst. Herausgekommen ist dabei eine Mischung zwischen der italienischen Realität und den Kriterien der deutschen Zertifizierungsauflagen. Erhebungsbögen werden durchwegs von interdisziplinären Expertenkommissionenerstellt, die sich aus Vertretern der Arbeitsgemeinschaften, der Berufsverbände, der Fachgesellschaften und Patientenvertretern zusammensetzen.

Chance: Da geht es auch um Zahlen…

Dr. Königsrainer: Ja, aber nicht nur. Natürlich braucht es für Qualität auch gewisse Mindestmengen. Das Ganze ist aber viel komplexer. Zertifizierte Zentren müssen jährlich bei einer Begutachtung vor Ort nachweisen, dass sie die fachlichen Anforderungen an die Behandlung der Tumorerkrankung erfüllen und zudem über ein etabliertes Qualitätsmanagementsystem verfügen. Die fachlichen Anforderungensind in Form von Erhebungsbögen zusammengefasst, die die quantitativen und qualitativen Voraussetzungen für die Zentren enthalten. Die Anforderungen werden in interdisziplinären Kommissionen erarbeitet und in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Chance: Wie beurteilen Sie die Ausgangssituation in Südtirol?

Dr. Königsrainer: Gut. Südtirol verfügt über gut ausgerüstete Krankenhäuser und in den Krankenhäusern über gute Mediziner. Optimiert werden muss die interdisziplinäre Vernetzung in und unter den Krankenhäusern.

Chance: Und wie sehen Sie die künftige Entwicklung?

Dr. Königsrainer: Es geht jetzt darum – und das ist ja das Ziel der Neuordnung – die Ressourcen zu bündeln, um den Patienten eine hochqualifizierte medizinische Versorgung gemäß den internationalen Standards garantieren zu können. Die Anpassung an diese Standards hat noch einen weiteren Zweck: In Europa können die Patienten zukünftig frei wählen, wo sie sich behandeln lassen wollen. Wenn Südtirol den Anschluss nicht verlieren will, ist die Zertifizierung ein wichtiger Baustein.

Chance: Es geht also nur um Qualität und nicht auch um Kosten?

Dr. Königsrainer:Es geht in erster Linie um Qualität. Dass eine Bündelung auch mit einer gewissen Kosteneinsparung verbunden ist, liegt auf der Hand. Komplexe Untersuchungen und Behandlungen erfordern eine entsprechend ausgerüstete Infrastruktur; diese Apparaturen sind sehr teuer. Es ist ein Unterschied ob ich sie sieben Mal oder nur drei Mal finanzieren muss.

Chance: Mit Bekanntgabe der Ergebnisse der Arbeitsgruppe hat sich in Südtirol ein Sturm der Entrüstung erhoben. Einige Ärzte aus den Peripheriekrankenhäusern reden von Deklassierung. Wie stehen Sie dazu?

Dr. Königsrainer: Ich denke, wenn die Politik in Belange eingreift, die sehr fachspezifisch sind, ist es fast eine logische Konsequenz und nicht sehr verwunderlich, wenn eine gewisse Missstimmung aufkommt. Andererseits ist die Zertifizierung ein Mittel, um Qualität langfristig zu etablieren. Und um Qualität zu messen, sind gewisse Mindestmengen erforderlich.

Chance: Sie sind Südtiroler, leben und arbeiten aber schon lange in Deutschland. Wie wird die Chirurgie und insbesondere die Tumorchirurgie in Deutschland gehandhabt?

Dr. Königsrainer: In Deutschland sieht es so aus, dass nicht zertifizierte Krankenhäuser vermutlich zukünftig gewisseLeistungen nicht mehr bezahlt bekommen. Zertifizierung ist deshalb unumgänglich geworden. Wenn Sie vor unserer Tür stehen (Universitätsklinikum Tübingen, Anm. d. Red.), sehen Sie ein Zertifikat neben dem anderen hängen. Und nicht nur die Krankenkassen, auch die Patienten fragen vermehrt danach.Die Zertifizierung ist außerdem ein gutes Mittel, um ständig das eigene Vorgehen, die Kooperationen, die Logistik etc. zu hinterfragen, um einen ständigen Prozess der Verbesserung zu gewährleisten.

Chance: Südtirol hat knapp 500.000 Einwohner. Sieben Krankenhäuser. Jeder Bürger ist lauteiner Statistik im Schnitt weniger als 12 Km vom nächsten Krankenaus entfernt …

Dr. Königsrainer: Das klingt nach Paradies… und nicht von dieser Welt.

Die Neuregelung der Tumorchirurgie

Fallzahlen sind ein zweischneidiges Schwert

Interview mit Prof. Gerhard Wolf, Obmann der Fachgruppe Chirurgie
Österreich ist der direkte Nachbar von Südtirol. Viele Gebiete Österreichs weisen eine ähnlich ländlich geprägte Struktur auf wie Südtirol.
Wie wird die Tumorchirurgie dort gehandhabt, fragten wir Professor Dr. Gerhard Wolf, Experte für Endokrine Chirurgie an der Universitätsklinik für Chirurgie in Graz und Obmann der Fachgruppe Chirurgie der Österreichischen Ärztekammer.
Die Zertifizierung und eine Qualitätskontrolle der chirurgischen Abteilungen stehen aktuell auch in Österreich zur Diskussion. Im Augenblick wird laut Professor Wolf nach internen Regeln vorgegangen. „Es gibt Abmachungen, denen zufolge bestimmte Krankenhäuser oder Abteilungen gewisse Operationen nicht durchführen, sondern diese abgeben an größere Zentren bzw. an Krankenhäuser, wo diese Eingriffe zur Routine gehören.“ In der Diskussionum Zertifizierungsbestimmungen gehe es auch in Österreich um die Festlegung von Zahlen. „Die Festlegung von Qualität an Fallzahlen ist allerdings ein zweischneidiges Schwert“, so Professor Wolf. „Es könnte im Extremfall dazu führen, dass bestimmte Operationen durchgeführt werden, obwohl sie nicht unbedingt notwendig wären, nur um auf die Fallzahlen zu kommen.“
Aus diesem Grund, unterstreicht Professor Gerhard Wolf, müsse jede Zertifizierungsbestimmung mit einer umfassenden Qualitätskontrolle verbunden werden, die Fallzahlen, Infrastrukturen, Teamarbeit, Ergebnissen, Management und viele anderen Aspekten Rechnung trage.
Schon jetzt, so der Obmann der Fachgruppe Chirurgie, gebe es in Österreich wie auch in Deutschland eine natürliche Tendenz zur Bildung von hochspezialisierten Schaltstellen. „Diese Exzellenz-Zentren sind mit der Peripherie verbunden; Patientenflüsse hin zu diesen Kliniken sind schon jetzt Realität.“