Die Neuregelung der Tumorchirurgie

Ein Chirurg möchte den ganzen Körper operieren

Dr. Peter Georg Stecher, Primar der Chirurgie am Krankenhaus Schlanders
Er ist frustriert. So hätte er sich den Abschluss seiner Karriere nicht vorgestellt. Dr. Peter Georg Stecher ist Primar der Chirurgie am Krankenhaus Schlanders. Mit der Neuordnung der Tumorchirurgie hat sich sein Leben geändert.
„Wir haben zwei Jahre gekämpft. Umsonst. Wir fühlen uns alleingelassen. Von den Politikern, von der Ärztekammer, von unserem Landesrat. Der Vinschgau ist doch ein recht großes Gebiet, im Pustertal und in Sterzing, da haben viele mitgekämpft. Bei uns nicht.“
Das Paradoxe an der Reform sei,laut Stecher, „dass wir auch weiterhin Akut-Operationen durchführen dürfen, die viel schwerer sind, als die uns nun verbotenen Tumoroperationen. Eine Dickdarmperforation, einen Magendurchbruch, das operieren wir.“ Im Jahr werden in Schlanders 50 bis 100 Operationen wegfallen. „Und zwar gerade die interessantesten. Sie sollten meine fünf Jungärzte sehen, die ich für unser Krankenhaus gewinnen konnte. Alles gute Leute. Sie lassen die Köpfe hängen.“ Laut Stecher gebe es weit wichtigere Faktoren als Zahlen, um zu beurteilen, ob eine Abteilung gut arbeite oder nicht.
Dr. Peter Georg Stecher: „Um als Chirurg zu arbeiten, braucht es schon mehr als hundert Prozent Begeisterung. Wenn jemand eine zehnjährige Ausbildung absolviert, dann möchte er nicht nur Krampfadern, Mandeln und Blinddarme operieren. Wenn die Politiker uns schließen wollen, dann sollen sie es ehrlich sagen!“
Stecher kommt selbst aus dem Vinschgau. „Ich werde auch bleiben, das bin ich schon meinen Ärzten schuldig. Wir haben ja auch viel Unfallchirurgie. Aber trotzdem, wer ein echter Chirurg ist, der möchte Operationen am ganzen Körper durchführen.“ Schwierige und große Operationen hätteseine Abteilung ohnehin schon seit zehn Jahren immer nach Meran geschickt. „Aber jetzt haben sie uns alles genommen, auch den Dickdarm und die Kropfoperationen.“

Die Neuregelung der Tumorchirurgie

„Ein Instrument der Zentralisierung“

Stellungnahme von Dr. Robert Pfitscher, Primar der Chirurgie in Sterzing
Dr. Robert Pfitscher ist Primar der Chirurgie am Krankenhaus Sterzing und hat sich von Anfang an gegen die Neuordnung der Tumorchirurgie und die damit verbundene Konzentration der Tumoroperationen auf die Schwerpunktkrankenhäuser Brixen, Meran und Bruneck sowie das Zentralkrankenhaus Bozen gestellt. Er suchte dabei auch nach Unterstützung von Lokalpolitikern.
Primar Pfitscher hat der Chance folgende Stellungnahme zukommen lassen, die wir nachstehend leicht gekürzt veröffentlichen.
„Das Projekt der onkologischen Zertifizierung ist aus Sicht der Peripherie ein Zentralisierungsinstrument, das von der Führung des Südtiroler Sanitätsbetriebes in sehr geschickter Weise ausgearbeitet und von der Südtiroler Landesregierung gegen die Bedenken von gezählten 35 Abteilungs- und Dienstleitern aus den Krankenhäusern Schlanders, Sterzing, Innichen, Bruneck und Brixen letzthin genehmigt wurde.
Es fußt ganz wesentlich auf der Annahme eines direkten Zusammenhanges zwischen Behandlungsmenge und Behandlungsqualität chirurgischer Interventionen, einerAnnahme, die in der Durchsicht der bestehenden, nahezu ausschließlich retrospektiven Analysen in der Literatur für die Tumorchirurgie des Magen-Darm-Traktes und der Schilddrüse schlichtweg nicht haltbar ist.
Leider wurde dieses Märchen von der positiven Beziehung zwischen Anzahl der Operationen und deren Ergebnisqualität in der Tumorchirurgie des Magen-Darm-Traktes und der Schilddrüse, um die es in den erwähnten kleinen und mittleren Krankenhäusern geht, von kaum jemandem hinterfragt; nicht von unseren Landesräten, nicht von unseren Sozialverbänden, nicht von den Beamten des Gesundheitsressorts und offensichtlich auch nicht von den Mitgliedern des sogenannten wissenschaftlichen Komitees. Die oben erwähnten 35 Primarärzte blieben mit ihren Bedenken und Sorgen um die Zukunft der kleinen (und mittleren) Spitäler ungehört.
Ungehört blieb auch deren Forderung nach einer südtirolbezogenen,rückblickenden Aufarbeitung der bisherigen Ergebnisqualität nach Tumoroperationen in den diversen Abteilungen unseres Landes. Eine derartige Analyse könnte aus unserer Sicht am ehesten zu einer Grundlage für etwaige Kompetenzzuweisungen führen, wurde aber bisher von den Verantwortlichen strikt abgelehnt, wohl in der Befürchtung „überraschender“ Ergebnisse zugunsten der peripheren Krankenhäuser.
Auf der Strecke bleiben die Entscheidungsfreiheit des einzelnen Patienten, die (kostengünstige) wohnortnahe Betreuung, vor Allem des betagten und unbeholfenen Patienten (und dessen Angehörigen). Auf der Strecke bleiben sekundär die kleinen, womöglich aber auch die mittelgroßen Krankenhäuser von Bruneck und Brixen, die durch das vollständige bzw. für die Häuser von Brixen und Bruneck Teilverbot der Tumorchirurgie und dessen weitreichender Folgen einen massiven Attraktivitätsverlust als Arbeitsstätte für begabte künftige Chirurgen hinnehmen müssen.
Dies mit fatalen Folgen für das gesamte Behandlungsangebot der kleinen Spitäler und letztlich auch mit negativen Auswirkungen auf die globale Krankenhausversorgung Südtirols."