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Interview mit Primar Michael Aigner – Kompetenz und psychologisches Einfühlungsvermögen – „Bollino Azzurro“
Foto: Kurt Bouda / Pixabay

Prostata-Patienten rechtzeitig herausfischen

In seinem Fachgebiet braucht es neben Kompetenz und einer ruhigen Hand auch viel Empathie und eine große Menschenkenntnis, vor allem wenn es um Patienten mit Prostata-Krebs geht. Wie die Gynäkologie bei Frauen ist auch die Urologie ein Fachgebiet, das einen sehr intimen Teil des menschlichen Körpers betrifft, die Fortpflanzungsorgane und damit die Sexualsphäre. Dr. Michael Aigner ist seit drei Jahren Primar der Abteilung für Urologie am Krankenhaus Brixen. Tätig ist er dort schon seit 23 Jahren, seit 2010 bekleidete er mit Unterbrechungen die Position des Vizeprimars. Dr. Aigner ist stolz auf sein starkes Team aus allen Teilen Italiens, dem es gelingt, jedes Jahr die Anzahl der komplexen onkologischen Eingriffe zu steigern.
Im Frühjahr wurde seiner Abteilung von der italienischen Vereinigung Onda der „Bollino Azzurro“ verliehen, eine Auszeichnung für kompetente, multi- und interdisziplinäre Zusammenarbeit im Zusammenhang mit der Behandlung von Prostata-Karzinomen, dem häufigsten Krebs bei Männern.
Sie sind eines von drei urologischen Zentren in Südtirol
Dr. Michael Aigner: Genau, wir diagnostizieren und behandeln wie auch Meran etwa 30% der Südtiroler Prostata-Patienten, die restlichen 40% wenden sich an Bozen. Unsere Abteilung zählt zehn Ärzte, die Pflege besteht aus 17 Mitarbeitern und wir nehmen im Jahr in Brixen rund 15.000 Visiten vor, hinzu kommen noch die Visiten in den Ambulatorien von Bruneck, Sterzing und Innichen. Wir sind viel eine „mobile“ Abteilung!
Wie viele Prostata-Erkrankungen fallen bei ihnen im Jahr an? Gibt es Unterschiede zwischen Vor- und Nach-Covid?
Dr. Michael Aigner: Wir haben es mit etwa 100 – 120 neuen Fällen pro Jahr zu tun und diese Zahl ist auch während Covid gleichgeblieben. Ich muss dazu auch sagen, dass wir hier in Brixen bis auf die Lymphknotenentfernung nach einer Hodenresektion alle onkologischen Eingriffe durchführen. Insgesamt – weil sie Covid angesprochen haben – ist während der Pandemie die Anzahl der Gesamteingriffe sogar gestiegen.
Bei der Prostatatherapie gilt es die Grundentscheidung zu treffen zwischen einer chirurgischen und einer Strahlen- und chemotherapeutischen Therapie, bzw. bei Niedrig-Risikopatienten zugunsten eines strengen Regimes von Kontrollvisiten ohne Therapie.
Dr. Michael Aigner: Eine Entscheidung, die wir mit dem Patienten gemeinsam treffen und die psychologisches Einfühlungsvermögen voraussetzt. Es gilt den Patienten sehr gut einschätzen zu können. In etwa 50% der Fälle nehmen wir eine radikale Prostataresektion vor. Und die Tendenz ist steigend. Etwa 20% der Patienten streben eine Strahlentherapie als Primärbehandlung an, weil sie aus verschiedenen Gründen keine Operation wünschen. Dann gibt es, wie sie schon sagten, die Niedrigrisiko-Patienten, bei denen auf eine Therapie (zunächst) verzichtet werden kann, vorausgesetzt, sie lassen sich auf ein strenges Kontrollregime ein.
Primar Dr. Michael Aigner am Eingang seiner Abteilung im Krankenhaus Brixen
Und hier gilt es zu beurteilen, ob der Patient, das packt…?
Dr. Michael Aigner: Ja, wenn ein Patient sich für eine aktive Überwachung entscheidet, bedeutet das regelmäßige Kon-trolluntersuchungen im Abstand von drei Monaten. Das muss man aber verkraften. Wenn der Patient dem behandelnden Arzt volles Vertrauen schenkt und in den drei Monaten zwischen einer Untersuchung und der anderen ruhig ist und seinem Leben wie gewohnt nachgeht, ist dies sicher eine gute Lösung. Wenn er von Angst und Panik bestimmt ist, dann nicht. Hier geht es um Lebensqualität.
Ein kleiner Teil der Patienten weist bei der ersten Diagnose bereits Metastasen auf?
Dr. Michael Aigner: Das stimmt, aber im Gegensatz zu früher wird das immer seltener. Erfreulicherweise entwickeln auch Männer zunehmend ein aktives Gesundheitsbewusstsein (wie Frauen es schon seit langem haben).
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Vorsorgeuntersuchung. Früher wurden Männer angehalten, sich regelmäßig einem PSA-Test zu untersuchen, der aber falsch interpretiert werden kann. Heute rät man ihnen fast davon ab, oder?
Dr. Michael Aigner: Das stimmt. In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin heißt es, ein Arzt sollte den Patienten nicht aktiv auf die Prostata-Vorsorge ansprechen, wenn er nicht von selbst dieses Thema anspricht. Ich persönlich tue mich allerdings schwer damit. Unser Ziel ist es schließlich, die Patienten rechtzeitig herauszufischen!
Weil bei Früherkennung die Heilungschance sehr hoch ist! Gibt es einen Unterschied, was den kurativen Ansatz betrifft, also Operation versus Bestrahlung?
Dr. Michael Aigner: Nein. Was die Heilungschancen betrifft sind sie gleichberechtigt.
Der Unterschied liegt in den Folgen? Erektionsstörungen, Impotenz und Inkontinenz?
Dr. Michael Aigner: Interessanterweise ist Impotenz für Männer fast weniger belastend als Inkontinenz. Es gibt heute viele „technische“ Möglichkeiten bei Erektionsstörungen. Bei nicht aggressiven Tumoren wird bei jungen/jüngeren Männer nach dem Prinzip des nerv-sparings vorgegangen. Man muss auch dazu sagen, dass viele Patienten schon vorher Probleme in diesem Bereich haben. Einen Performance-Fragebogen über die Situation vorher – nachher verteilen wir nur an jüngere Patienten. Bei Erektionsstörungen gehen die Daten weit auseinander, sie reichen von 20-80%. Allerdings ist das ein Tabuthema und die Antworten entsprechen nicht immer der tatsächlichen Situation…
Die Daten für Inkontinenz?
Dr. Michael Aigner: Die internationalen Leitlinien sprechen von 10% Patienten mit Inkontinenz nach einem Jahr, unsere eigene Statistik liegt bei 8%.
Ihre Abteilung wurde nun mit dem „Bollino Azzurro“ ausgezeichnet. War es schwierig, die geforderten Kriterien dafür zu erfüllen?

Dr. Michael Aigner: Ganz und gar nicht. Multi- und interdisziplinäre Zusammenarbeit ist bei uns eine Selbstverständlichkeit. Die Mindestanzahl von 50 Prostataentfernungen pro Jahr übersteigen wir weit. Die geforderten Abläufe sind bei uns daily best practice. Die Therapieleistungen sind mittlerweile so vielfältig und das nicht nur bei metastasierenden Tumoren, dass es ohne den Konsens einer Fachgruppe, ohne Tumorboard ohnehin nicht mehr geht. Wir sind alle vernetzt. Nicht zuletzt beugt das auch einem gewissen Krankenhaustourismus vor!
Aber sie haben es ja nicht nur mit Prostatapatienten zu tun, und damit auch nicht nur mit männlichen Patienten.
Dr. Michael Aigner: Nein, natürlich nicht. Wir werden oft bei gynäkologischen Tumoren hinzugezogen und Blasen- und Nierentumore betreffen Frauen ebenso wie Männer.
Bei diesen beiden Tumoren spielt Rauchen eine große Rolle, oder? Gilt das auch für den Prostatakrebs?
Dr. Michael Aigner: Bei Prostatakarzinomen nur in besonderen Fällen. Bei Blasenkarzinomen kann man von 50% und mehr ausgehen, bei der Niere liegen die Zahlen noch etwas im Dunklen. Sicher spielen insgesamt Giftstoffe eine Rolle. Interessanterweise hatten wir es während der Pandemie mit einer deutlichen Steigerung an fortgeschrittenen Blasentumoren zu tun, die aufwändige Operationen von sechs bis sieben Stunden erforderten. Erklären konnten wir uns das bisher nicht. Vor Covid waren es 8 – 10 Fälle im Jahr, 2021 hatten wir 28 und auch 2022 setzt sich dieser Trend fort. Im ersten Vierteljahr hatten wir schon 5 Fälle.
Was ist bei Blasenkrebs das erste Alarmzeichen?
Dr. Michael Aigner: Blut im Harn ohne Schmerzen, also nicht aufgrund einer Blasenentzündung.
Wie sieht es bei den Nierentumoren aus?
Dr. Michael Aigner: Die Zahl ist seit Jahren konstant, zirka 25 – 30 Fälle im Jahr, die mit wenigen Ausnahmen operabel sind, stark fortgeschrittenen Tumoren mit Metastasen in Lunge und Knochen sind selten, Die meisten Diagnosen beruhen allerdings auf Zufall. Wenn ein Nierenkarzinom Symptome zeigt, ist es schon sehr fortgeschritten. Hier sind mehr Frauen als Männer betroffen, das Verhältnis liegt bei 70% zu 30%.
Und dann behandeln sie natürlich auch nicht-onkologische Erkrankungen.
Dr. Michael Aigner: Grundsätzlich werden in der Urologie Inkontinenz behandelt, nebenbei sind wir FINCO zertifiziert (italienische Gesellschaft für Inkontinenz), onkologische Erkrankungen von Prostata, Blase und Niere sowie entzündliche Erkrankungen von Blase und Nierenbecken und neurogene Blasenstörungen. Bei Nierenversagen sind die Nephrologen zuständig. Unsere Abteilung zählt 22 Zweibettzimmer, Pflegekoordinatorin ist Elena Innerhofer, Vizeprimar Dr. Federico Busetti. Bei sehr komplizierten Fällen ziehen wir den Primar der Urologie in Bozen hinzu, Dr. Armin Pycha.
Das Krankenhaus Brixen. Hier werden 30% der Südtiroler Prostatapatienten behandelt.

Wir über uns

Exzellente medizinische Betreuung

Ida Schacher, Präsidentin
Liebe Leserinnen und Leser
nun war es also doch nicht mein letztes Editorial, das sie in der Chance 1/2022 gelesen haben. Ich hatte eigentlich entschieden, nicht mehr zu kandidieren, aber habe ich mich auf der ersten Sitzung des Zentralvorstands nach der Landesversammlung im April doch bereit erklärt für eine Übergangszeit das Amt der Landesvorsitzenden zu übernehmen. Mir zur Seite als Stellvertreterin steht Maria Claudia Bertagnolli, Vorsitzende des Bezirks Bozen. Ich werde mich bemühen, auch in dieser dritten, zeitlich begrenzten Amtszeit der Südtiroler Krebshilfe nach bestem Wissen und Gewissen zu dienen und werde mich für alle Belange einsetzen. Landesweit und natürlich auch in meinem Bezirk.
Wir haben in dieser Chance wieder einen Themenfächer zusammengestellt, der nicht nur die Tätigkeiten unserer Vereinigung widerspiegelt, sondern auch die exzellente medizinische Betreuung, die wir in Südtirol haben. Von der mit dem Gütezeichen „Bollino Azzurro“ ausgezeichneten Abteilung für Urologie in Brixen, der Neu-Zertifizierung des Brustkrebszentrums Brixen-Meran bis zum Vorsorgetag für Mundhöhlenkrebs in Bozen und einem Kochbuch für Menschen, die an Dysphagie, also an Schluckstörungen leiden wie z. B. Kehlkopfoperierte. Besonders stolz sind wir auf den Erfolg des Pilotprojektes APEO im Bezirk Bozen, medizinisch-kosmetische Behandlungen für Patienten, die an besonderen Therapie-Nebenwirkungen leiden, die Hände und Füße betreffen. Seit vielen Jahren schon sammeln wir im Oberpustertal Plastik-Stöpsel zugunsten des Krebszentrums in Aviano und verbinden damit Spenden mit Umweltschutz. Ein Thema, das immer wichtiger wird und jeden betrifft. Nun möchten wir alle Bezirke miteinbeziehen. Plastikstöpsel fallen schließlich in jedem Haushalt an: Milch, Wasserflaschen, Zahncreme und Cremetuben. Abgegeben werden können sie in jedem Bezirksbüro oder natürlich direkt bei uns in Toblach.
Der Sommer steht vor der Tür. Ganz leicht ist uns dabei aber nicht ums Herz. Abgesehen von der persönlichen Situation jedes Mitglieds gehen unsere Gedanken immer wieder in die Ukraine und den dort herrschenden Krieg. Ich hoffe sehr, dass sich eine politische Lösung finden lässt und endlich wieder Frieden herrscht.
Ihnen allen trotz allem schöne und unbeschwerte Sommertage mit Freude und Hoffnung im Herzen.
Eure Ida Schacher