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Herausforderungen haben mich nie geschreckt

Dr. Michele Comberlato, der neue Primar der Abteilung für Gastroenterologie in Bozen
Dr. Michele Comberlato hat die Leitung einer Abteilung übernommen, die er seit jeher kennt: Gastroenterologie, Physiopathologie und Verdauungsendoskopie in Bozen. Es gibt viele Probleme zu lösen, allen voran den Personalmangel und dann alle Schwierigkeiten, die sich im Zusammenhang mit der Pandemie ergeben.
Wie ist es, Chef eines Teams zu werden, in dem man schon immer gearbeitet hab?
Dr. Michele Comberlato: Natürlich ändern sich die Dinge, wenn man von einem unter vielen plötzlich Primar wird. Meine Kandidatur erfolgte aufgrund der ausgezeichneten Beziehungen, die ich zu allen meinen Kollegen habe, und aufgrund einer gewissen Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, aber auch zu vermitteln, die ich in den Jahren, in denen ich Präsident und Vizepräsident der Ärztekammer war, entwickeln konnte. Natürlich ändern sich die Beziehungen innerhalb der Abteilung, aber ich bin bemüht, diese Veränderung auf sanfte Art und Weise umzusetzen, und die wichtigsten Entscheidungen werden ohnehin im Team getroffen.
Die Aufgaben Ihrer Abteilung sind sehr komplex, ein Problem seit jeher sind die langen Wartelisten für endoskopische Untersuchungen.
Dr. Michele Comberlato: Wartelisten sind ein Problem, nach wie vor, das will ich nicht beschönigen, aber diese Situation rührt auch zumindest teilweise daher, dass nicht alle Untersuchungen immer angemessen sind. Manchmal sind bestimmte „Dringlichkeiten“ nicht wirklich so dringend, wir müssen versuchen, die Zuweisungen besser zu filtern.
Was ist für Sie von absoluter Priorität?
Dr. Michele Comberlato: Der Personalmangel. Qualifizierte Gastrologen mit profunder endoskopischer Erfahrung zu finden. Ich habe mich mit Erfolg an einige wissenschaftliche Fachgesellschaften gewandt. Zwei außerordentlich motivierte junge Kollegen habe ich bereits gefunden. Natürlich, für das Team ist es eine zusätzliche Aufgabe, wir müssen Zeit in die Schulung investieren, und das so schnell wie möglich. Aber es ist eine Investition in die Zukunft der Abteilung, wir müssen unseren Ärzten mit langjähriger Erfahrung rechtzeitig kompetente junge Kollegen zur Seite stellen. Zwei junge Kollegen sind bereits vor ein paar Jahren zum Team gestoßen, sie haben die Zweisprachigkeitsprüfung mit Bravour bestanden und haben sich perfekt integriert - wir sind ein tolles Team! Und jetzt haben wir zwei junge Ärzte, die im Oktober ihre Facharztausbildung abgeschlossen haben.
Was hat Sie dazu bewogen, Arzt zu werden?
Dr. Michele Comberlato: Ich hatte nie einen starken inneren Antrieb in Form einer „Berufung“, das nicht. Mich interessierte das Studium einer so komplexen Disziplin wie es die Medizin ist und meine Begeisterung wuchs mit dem Studium. Zur Gastroenterologie bin ich durch Zufall gestoßen. Ich komme aus einer bescheidenen Familie, und ich bin stolz darauf. Um meinen Eltern zusätzliche Kosten zu ersparen, habe ich meine Facharztausbildung in Bozen mit dem damaligen Primar der Gastroenterologie, Professor Dobrilla, gemacht, der einen Lehrstuhl an der Universität von Verona innehatte. Wenn ich zurückdenke war es eine außerordentlich fordernde Zeit, Professor Dobrilla ist ungemein anspruchsvoll. Ich habe viel gelernt und bin ihm heute noch dankbar.
...sie haben aber nicht nur in Bozen gearbeitet?
Dr. Michele Comberlato: Natürlich nicht. Professor Dobrilla drängte uns immer, unser Wissen und unsere technischen Fähigkeiten zu erweitern, ich habe die besten Abteilungen für Gastroenterologie und Endoskopie in Italien und im Ausland besucht, hauptsächlich in Europa: München, Oxford, Amsterdam, Hamburg, Lyon...
Was würden Sie einem jungen Kollegen, der heute sein Arbeitsleben aufnimmt, mit auf den Weg geben?
Dr. Michele Comberlato: Es ist ein harter Job und der Erfolg stellt sich mit zunehmendem Engagement ein. Es ist ein sehr langer Weg, der viel von einem fordert, aber mit vielen wunderbaren Erfolgserlebnissen. Man lernt nie aus, muss sich immer wieder auf Neues einstellen. Heute sind sieben von zehn Ärzten Frauen, auch meine Frau ist Ärztin. Es ist nicht einfach, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bekommen.
Hat sich Ihr Arbeitspensum verändert, seit Sie Chefarzt sind?
Dr. Michele Comberlato: Sagen wir mal so: weniger ist es sicher nicht geworden! Nach so vielen Jahren ist es mitunter auch sehr anstrengend, aber ich arbeite immer noch mit dem gleichen Enthusiasmus. Ich betreue Patienten sowohl ambulant als stationär und habe auch meine Tätigkeit in der Endoskopie beibehalten, zusätzlich zum Management und der Sicherstellung, dass die gesamte Abteilung perfekt funktioniert. Seit Ausbruch der Coronavirus-Pandemie sind zudem komplexe Prozeduren einzuhalten. Mittlerweile führen wir viele Visiten auch online durch. Für eine Korrektur der Therapie oder eine Kontrolle von Laborergebnissen muss ich die Patienten nicht ins Krankenhaus kommen lassen. Für den Patienten ist es so sicherer, für uns ist es allerdings ein erheblicher Mehraufwand.
Wie interpretieren Sie die mangelnde Beteiligung der Bevölkerung am Dickdarmkrebs-Screening?
Dr. Michele Comberlato: Offensichtlich haben wir es hier mit einem Informationsmanko zu tun. Wir müssen wieder Sensibilisierungskampagnen starten. Und wir müssen verstehen, warum die Sensibilität der Bevölkerung für dieses Thema so gering ist. In fünf Jahren Screening haben wir Tausende von Koloskopien durchgeführt und dabei Hunderte Fälle von Dickdarmkrebs entdecken können. In dieser frühen, unauffälligen Phase kann dieser Krebs sehr gut behandelt werden, nach dem Auftreten von Symptomen kann es spät sein…
Nach einem auffälligen Stuhltest-Ergebnis sollte innerhalb von dreißig Tagen eine Koloskopie durchgeführt werden. Können Sie das heute, mitten in der Pandemie, noch garantieren?
Dr. Michele Comberlato: Vielleicht sind es nicht dreißig Tage, aber wir geben unser Bestes, um die Wartezeit so gering wie möglich zu halten.
Und wie schaffen Sie das? Aufgrund der Covid Bestimmungen haben sie einen Endoskopie-Raum weniger.
Dr. Michele Comberlato: Ich habe um die Möglichkeit angesucht, Dienste außerhalb der normalen Arbeitszeiten zu gewährleisten, und meine Kollegen haben mit großer Bereitschaft darauf reagiert. Auf diese Weise gelingt es uns, die Wartezeiten zu reduzieren und die geplanten Intervalle einhalten.
Ihre Arbeit wird auch dadurch belastet, dass Sie sich wegen Covid mit mehreren zusätzlichen Schichten wie Tiefsee-Taucher kleiden müssen.
Dr. Michele Comberlato: Sagen wir, einfacher ist es sicher nicht geworden ist. Das stimmt. Wir haben ja auch mit Covid-positiven Patienten zu tun. Hierfür stehen zwei isolierte Räume zur Verfügung, die wir aber mit der Chirurgie teilen müssen. Mitunter müssen wir längere Zeit auf die Patienten warten… Nach jeder Untersuchung muss gelüftet und alles sanifiziert werden. Aber ich will mich nicht beschweren. Es ist alles überschaubar, die erste Welle hat uns überrannt, jetzt haben wir uns darauf eingestellt und alles entsprechend organisiert. Wir arbeiten sicher und geschützt, mit Einwegkitteln, hochfilternden Masken und Schutzvisieren. Natürlich ist es eine schwierige Zeit und nicht immer fällt es leicht, die Motivation hoch zu halten. Aber kein Vergleich zu den Kollegen auf der Intensivstation! Sicher, die Abläufe sind komplexer geworden, aber im Team schaffen wir das und die Zusammenarbeit ist ausgezeichnet!
Und was machen Sie in Ihrer Freizeit?
Dr. Michele Comberlato: Viel ist mir nicht geblieben… Ich gehe viel mit meiner Frau und mit meinem Boxer Sasha spazieren. Ich bin gerne draußen. Als es noch möglich war, bin ich auch gerne Ski gefahren… Ich höre gerne Musik, Jazz, Klassik, Rock, allerdings ziehe immer noch CDs vor, ich höre mir gerne ein musikalisches Projekt in seiner Gesamtheit an.

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Krebs - Reden wir darüber

Die Brunecker Krebsgespräche im Film – Drei Schicksale im Fokus
Wenn die Menschen nicht zu uns kommen können, gehen wir eben zu ihnen, dachten sich die Veranstalter der Brunecker Krebsgespräche. Und so wurde anstelle der vierten Ausgabe der Krebsgespräche am 5. Februar im RAI Sender Bozen „Krebs - Reden wir darüber“ übertragen.
Ein Film von Verena Duregger, Moderatorin der Brunecker Krebsgespräche und Regisseur
Stefan Ghedina.
Die Covid-Pandemie hat auch vor den Brunecker Krebsgesprächen nicht Halt gemacht. Nach drei erfolgreichen Veranstaltungen 2018, 2019 und 2020 und der Reihe, Krebs im Theater, sind die Brunecker Krebsgespräche während des Lockdowns flexibel auf ein anderes Medium umgestiegen. Anstelle der durch die Anti-Covid-Bestimmungen ausgefallenen Veranstaltung im Brunecker UFO gab es in diesem Jahr anlässlich des Weltkrebstages einen Film zu sehen. Ausgestrahlt im Rai Sender Bozen und dort herunterzuladen in der Mediathek.
Reden wir darüber: www.raisudtirol.rai.it/de/
Der Film ist ganz im Stil der Krebsgespräche. Tabus gibt es nicht. Die Krankheit Krebs und was sie mit den Menschen macht, wird offen angesprochen. Sensibel hat sich Verena Duregger ihren Gesprächspartnern angenähert, ebenso einfühlsam ist die Kameraführung von Regisseur Stefan Ghedina und Zak Mairhofer. Eine Reise durch Südtirol, vom Pustertal ins Vinschgau, eine Reise durch drei vom Krebs gezeichnete Leben und durch drei Lebensalter. Die junge Mutter von zwei Kindern, Evelyn Tasser ist 27, der sportliche Leopold Larcher 70 und Astrid Fleischmanns Mann, Georg Gerstl, ist vor elf Jahren im Alter von nur 44 Jahren gestorben. Drei ganz unterschiedliche Geschichten mit einem gemeinsamen Nenner: Krebs.
Die Dreharbeiten am Hof von Evelyn Tasser
Zu Wort kommen wie immer bei den Krebsgesprächen auch die Experten. Der Onkologe und Direktor des Brunecker Dayhospitals, Dr. Christoph Leitner, zusammen mit Verena Duregger und ihrem Mann Andreas Leiter einer der Gründer der Brunecker Krebsgespräche. Er beschreibt die Entstehung von Krebs, was die Krankheit bewirken kann und erklärt das Prinzip der Chemotherapie. Der Berliner Internist und Palliativmediziner Dr. Matthias Gockel spricht über das Tabu Krebs, warum es wichtig ist, ihm eine Bühne zu geben.
Dr. Lorenz Larcher, Facharzt für ästhetische, plastische und rekonstruktive Chirurgie, weist auf einen Aspekt hin, der ebenso wichtig für den Patienten ist wie die Therapie: Das Wiedererlangen eines positiven Körpergefühls dank der modernen Rekonstruktionstechniken, um mit der Krankheit abschließen zu können. Ihm kommt im Film eine Doppelrolle zu.
Leopold Larcher ist sein Vater. Im Behandlungszimmer ist er ihm Arzt. Vor der Tür wird er zum mitbetroffenen Sohn.
„Ich pack das.“ Das war die Reaktion von Evelyn Tasser. Sie hat gespürt, dass etwas mit ihr nicht stimmt und hat letztlich ihre Diagnose ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken. Nach dem Befund hat sie nicht weiter über das Thema nachdenken wollen, versucht, so normal wie möglich zu leben. „Ich habe mir gesagt, ich könnte auch morgen die Stiegn runterkugeln und nimmer da sein… mein Partner ist super, die Kinder sind bei ihm und auch bei den Großeltern bestens aufgehoben.“ Der Tumor und 13 Lymphknoten sind entfernt, nach der Chemo- und der Strahlentherapie hat sie sich für eine sichere Radikallösung entschlossen: die Mastektomie beider Brüste. Das Haareschneiden zu Beginn der Chemotherapie wurde zu einem Friseur-Spiel mit den Kindern. Dass Evelyn immer noch ohne Haare ist, merkt der Zuseher erst, wenn sie sich plötzlich die Langhaarperücke vom Kopf zieht. Auch das ein Tabu. Vor dem, was die Leute im Dorf denken, hatte sie mehr Angst als vor der Diagnose selbst. Auf Instagram hat sie gezielt nach jungen Frauen gesucht, die auch Krebs haben. Sie selbst möchte jungen Frauen in Südtirol ein Beispiel sein. Sie nennt den Krebs nie beim Namen. „Ich will ihn nicht in mein Herz hineinlassen.“
Filmstudio im Krankenhaus
Leopold Larcher ist Sportlehrer und Sommelier. Seine erste Szene im Film zeigt ihn draußen, im Wald, mit Rucksack und Fernglas. Bevor er im vergangenen Jahr seine Diagnose erhielt, fuhr er im Jahr 10.000 Km mit dem Rennrad. Er hat zwei sehr aggressive Tumore, an Knochen- und Prostata. „Man muss an sich glauben“, sagt Leopold Larcher, „muss fest entschlossen in Richtung Heilung gehen. Wie wenn ich auf das Stilfser Joch hinauffahre, da darf ich auch auf den letzten Metern das Ziel nicht aus den Augen verlieren.“ Er hatte Schwierigkeiten, die Krankheit anzunehmen, vor allem, weil er als Sportler immer sehr bewusst und gesund gelebt hat. Im Gegensatz zu Evelyn Tasser sind für ihn die Krankheit, die Folgen, der Ausgang - ein Thema, mit dem er sich durchaus und sehr intensiv auseinandersetzt. Leopold Larcher spricht sehr offen über seine Situation, auch das Problem mit der Männlichkeit und der Erotik, die durch die Therapien auf null reduziert werden. Als Sommelier ist er glücklich, dass Geschmack und Geruchssinn nicht beeinträchtigt wurden. Er ist Nationaler Verkostungstechniker und Kursdirektor sowie Mitglied einer DOC-Kommission. Heute sieht Leopold Larcher auch einen Vorteil in seiner Erkrankung: Man lerne, sich den Menschen anders zu nähern, leichter Zugang zu allen Menschen zu finden.
„Die Hoffnung ist das, was dich weiterbringt. Und wir haben Hoffnung gehabt, fast bis zum Schluss.“ Astrid Fleischmann hat lange um ihren Mann getrauert, bevor sie fähig war, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Mit 44 Jahren hat er die Diagnose, bösartiger Gehirntumor erhalten. „Georg war ein Kämpfer. Das packen wir!“, sagte er. Am Anfang ging es von einem Arzt, von einer Visite zur anderen, bis ein Onkologe in Innsbruck dem Paar sagte, „Lebt´s jeden Moment, jede Minute, die ihr habt.“ Wer nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung hat und diese damit verbringt, von Arzt zu Arzt und von Therapie zu Therapie zu gehen, der lebt nicht. Nach dem Tod ihres Mannes lag sie oft stundenlang auf dem Boden, weinte, war zornig, haderte. Der Gedanke an ihre Tochter, die mit Panikattacken auf die Trauer ihrer Mutter reagierte, half ihr wieder ins Leben zurück. Krankheit und Tod haben in unserer Gesellschaft keinen Platz, wir schieben das ganz weit weg, sagt sie. Heute arbeitet sie als psychosoziale Lebensberaterin und Trauerbegleiterin. Zum Schluss stellt der Film die Frage, was ist Krebs. Die Antworten fallen sehr unterschiedlich aus. Evelyn Tasser will ihn nicht beim Namen nennen, für sie ist er ein ungebetener Gast. Für den Onkologen Christoph Leitner sind diese außer Kontrolle geratenen Zellen das Ergebnis von genetischer Veranlagung, Mutationen, ungesundem Lebensstil oder einfach Pech. Leopold Larcher sieht im Krebs eine Herausforderung, der es sich mit Sportsgeist zu stellen gilt. Für seinen Sohn und Arzt, Dr. Lorenz Larcher, „ist Krebs ein Thema, das alle angeht, eine omnipräsente, hinterfotzige Erkrankung.“ Für Astrid Fleischmann heute nurmehr „eine Krankheit. Punkt.“ Der Palliativmediziner Matthias Gockel hat das letzte Wort. Damit Krebs, der Tod an Schrecken verliert, darf man kein Tabu darüberlegen. „Reden wir darüber!“