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Gut Überleben!

Steigende Überlebenszahlen und Langzeitnebenwirkungen bei (Brust)Krebs
Brustkrebs ist nach wie vor mit 29% das häufigste Krebsleiden, an dem Frauen erkranken. In der EU ist Brustkrebs neben Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache bei Frauen zwischen 35 und 55 Jahren. Jede 8. Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs, die Überlebensrate liegt bei 88 %. Tendenz steigend. Laut Statistik erkranken in Italien jährlich 48.000 Frauen an Brustkrebs; in Südtirol sind es 400. Die Erkrankungen steigen, nicht zuletzt durch eine immer kapillarere Vorsorge, die Mortalität nimmt kontinuerlich ab, dank der neuen Therapien. Damit stellt sich nun das Problem der Langzeitnebenwirkungen der Brustkrebstherapie.
Vor zwanzig Jahren waren Brustamputation und eine Chemotherapie die Standardtherapie bei Brustkrebs. Heute ist die Krebsbehandlung zunehmend individuell auf den/die jeweilige Patientin abgestimmt.
Kein Brustkrebs gleicht dem anderen. Die Krebszellen vermehren sich unterschiedlich rasch, sie haben unterschiedliche Zelleigenschaften, reagieren unterschiedlich stark oder gar nicht auf Hormone und ebenso unterschiedlich auf die verschiedenen Medikamente. Nicht zuletzt hängt die Therapieentscheidung auch vom Zeitpunkt ab, zu dem die Erkrankung diagnostiziert wird. Dank der modernen Molekular- und Antikörpermedizin können Krebszellen bis ins einzelne Detail bestimmt werden. Die Arbeit des Onkologen gleicht zusehends einem sensiblen Spurenlesen. Für jede(n) Patient(in) wird eine individuelle Therapie zusammengestellt. Die Überlebensquoten steigen. Gerade der Brustkrebs, wenn auch immer noch die häufigste Krebsart bei Frauen, hat bei Früherkennung ausgezeichnete Heilungschancen.
Damit stellt sich nun aber ein anderes Problem, auf das es Antworten zu finden gilt und das noch (zu) wenig erforscht ist: die Langezeitnebenwirkungen der Krebstherapie. In der Vergangenheit war das kein Thema, weil die Überlebenszeiten weit unter den heutigen lagen. Neben dem Langzeit-Überleben liegt der Fokus heute auf der Garantie einer zufriedenstellenden Lebensqualität. Und hier sind enorme Fortschritte gemacht worden. Die Chance hat mit zwei Onkologen, Dr. Manfred Mitterer, Leiter der Internistischen Tagesklinik in Meran und Dr. Christoph Leitner, Leiter des onkologischen Day Hospitals in Bruneck gesprochen. Nachstehend lesen sie die zwei Interviews.

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Neue Front: Cancer-Survivorship

Interview mit Dr. Christoph Leitner zu (Langzeit)Nebenwirkungen der Krebstherapien
Cancer-Survivorship, die Betreuung von Patienten, die eine Krebsbehandlung abgeschlossen haben, ist ein immer wichtigeres Thema. Hier besteht Nachholbedarf. Ein Interview mit Dr. Christoph Leitner, leitender Arzt des Onkologischen Dayhospitals in Bruneck über (Lang)Zeitnebenwirkungen der Krebsbehandlung.
Die Prognosen der an Krebs erkrankten Patienten haben sich in den letzten Jahren drastisch verbessert.
Dr. Christoph Leitner: Das stimmt. Es gibt weniger Rezidive, die Patienten überleben wesentlich länger als noch vor zehn Jahren. Gleichzeitig: je mehr Patienten gesunden, desto mehr Langzeitnachwirkungen gibt es zu behandeln.
Was sagen die Studien darüber?
Dr. Christoph Leitner: Die Studienlage ist bisher sehr schlecht und unübersichtlich. Es besteht hier in meinen Augen ein enormer Nachholbedarf. Das Feld ist zudem sehr weit, die modernen Therapien sind sehr unterschiedlich, sehr heterogen und dasselbe gilt auch für die Langzeitnebenwirkungen.
Welcher Art sind die Nebenwirkungen?
Dr. Christoph Leitner: Wir müssen prinzipiell unterscheiden, zwischen somatischen, organischen Nebenwirkungen und psychisch-sozialen. Erstere sind zum Beispiel Schädigungen des Herzmuskels und neurologische Beeinträchtigungen wie eine Polyneuropathie. Es gibt auch die sehr seltenen (!) Zweittumore, die weder Metastase noch Rezidiv sind, sondern durch die zytostatische Krebstherapie verursacht sind. Es können Hormon-bedingte, vegetative Nebenwirkungen auftreten, wie vorgezogenes Klimakterium oder eine Osteoporose. Wieder andere Nebenwirkungen sind hingegen psychischer Natur, wie zum Beispiel Depressionen, Schlaflosigkeit, Antriebsarmut, Angstzustände… Und es ist nicht gesagt, dass diese Störungen unmittelbar, direkt im Anschluss an die Therapie auftreten.
Stimmt das: Je mehr Therapien – desto mehr Nebenwirkungen?
Dr. Christoph Leitner: Ja, das kann man so sagen. Es gibt natürlich auch große Unterschiede zwischen den Nebenwirkungen.
Im Sinne von akut und chronisch?
Dr. Christoph Leitner: Genau. Wir haben es mit akuten Nebenwirkungen wie Erbrechen usw. zu tun. Aber die sind nur temporär und es gibt mittlerweile sehr gute Medikamente dagegen. Was heute viel wichtiger ist, ist die Verhinderung und die Kontrolle jener Nebenwirkungen, die bleibende und wie bereits gesagt, nicht vorhersehbare Schäden bewirken.
Von was hängen die Langzeitnebenwirkungen ab?
Dr. Christoph Leitner: Zum einen natürlich von der Konstitution und eventuellen Vorbelastungen des Patienten, es kommen Faktoren ins Spiel wie Alter, Bewegung, Stress, Alkohol, Rauchen, genetische Konstellationen. Es gilt grundsätzlich: Je gesünder der Lebensstil, desto weniger Risiken zu erkranken, desto bessere Heilungschancen und desto bessere Chancen auf weniger Nebenwirkungen. Zum anderen spielt auch die jeweilige Art der Therapie, das verabreichte Medikament, die Kombination der Medikamente und die verabreichte Dosis eine große Rolle.
Gibt es auch, ich nenne es jetzt „gewöhnliche“ Nebenwirkungen einer Krebstherapie, wie Lähmungserscheinungen, Brennen, Schmerzzustände, die chronisch werden können?
Dr. Christoph Leitner: Diese von ihnen angesprochenen Symptome können auf eine Polyneuropathie hinweisen. Eine solche tritt bei ungefähr 40 % der Patienten auf. Bei 80 % sind sie reversibel, d. h. nach Beendigung der Therapie verschwinden sie wieder. Bei 20 % der Patienten können sie einen chronischen Verlauf nehmen.
Was heißt das für den Onkologen?
Dr. Christoph Leitner: Es heißt, dass wir eine noch genauere Anamnese vornehmen müssen und alle möglichen Risiko-Faktoren vor Beginn der Therapie mit dem Patienten/ der Patientin abklären müssen. Die Patienten müssen offen aufgeklärt werden, nicht nur über die Therapie, sondern auch über die nicht erwünschten Wirkungen, über alle möglichen Komplikationen einer Therapie. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die moderne Krebstherapie, die neuen molekularen Behandlungen vor allem eines tun: Leben retten. Krebs ist dank der neuen Therapiemöglichkeiten und bei Früherkennung heute in den meisten Fällen keine todbringende Krankheit mehr, sondern eine chronische Erkrankung. Und es stimmt: Eine chronische Erkrankung bringt eine ständige ärztliche Kontrolle mit sich. Aber sie gewährleistet eine gute Lebensqualität.
Das heißt, das Um und Auf ist eine gute Kommunikation.
Dr. Christoph Leitner: Wir Ärzte sind längst nicht mehr nur Wissenschaftler, nur „Mediziner“. Wir müssen auch Kommunikatoren sein, im Idealfall auch Psychologen. Vor allem aber sind wir ja nicht allein, sondern arbeiten im Team. Mit dem Pflegepersonal, den Breast-Care-Nurses, dem Onko-Psychologen, dem Onko-Kardiologen, Sexual-Therapeuten, dem Strahlenmediziner, dem spezifischen Facharzt…Und die Kommunikation bezieht das ganze Lebens-Umfeld und die gesamte Lebenssituation des Patienten mit ein. Den Partner, die Familie. Krebs und auch seine Nebenwirkungen wirken sich auf den ganzen Menschen, auf den Körper und auf den Geist, das psychologische Befinden sowie auf sein gesamtes Umfeld aus. Und das gleiche gilt für die Langzeitnebenwirkungen. Eine Antihormon-Therapie beispielsweise kann, radikal ausgedrückt, ein Scheidungsgrund sein, sie kann massive Einwirkungen auf den Hormonhaushalt der Patientinnen und Patienten mit sich bringen, mit allem, was damit verbunden ist: Von Stimmungsschwankungen bis zu Trockenheit der Schleimhäute, Verlust der Libido, Potenzstörungen usw. Darauf müssen wir alle unsere Patienten und deren Partner/ Partnerinnen vorbereiten. Erklären, dass es sich dabei nicht nur um eine übertriebene „Spinnereien“ handelt, sondern um ernst zu nehmende Nebenwirkungen, für die der Patient gar nichts kann. Und da können wir unseren Patienten auch helfen.
Haben Sie entsprechende Angebote in Bruneck?
Dr. Christoph Leitner: Wir haben hier im Day-Hospital eine Onko-Psychologin, die auch Sexualpsychologin ist. Sie ist therapiebegleitend eingesetzt, führt Partnergespräche und gibt praktische Hilfen.
Gibt es, was (Langzeit)Nebenwirkungen betrifft, Unterschiede, ob es sich um eine Patientin oder um einen Patienten handelt?
Dr. Christoph Leitner: Ja, Frauen tun sich einfach leichter zu sprechen und sich zu öffnen. Gerade bei so delikaten Themen.. Und das hilft. Nicht nur, die Nebenwirkungen früh zu erkennen, sondern auch rechtzeitig einzugreifen.
Zum Abschluss eine letzte Frage zur Covid-Situation in Bruneck und wie Sie die Auswirkungen auf die Patienten beurteilen (das Interview wurde in der zweiten Novemberwoche geführt, Anm. d. Red.).
Dr. Christoph Leitner: Wir unterziehen mittlerweile alle, nicht nur die Hochrisiko-Patienten, einem sogenannten Antigen-Schnelltest. Wir sind, sowohl bei den Patienten als auch bei uns selbst, äußerst sorgsam in der Kontrolle von kleinsten Anzeichen, beim allerkleinsten Verdacht werden weitere diagnostische Schritte und eventuell Isolations-Maßnahmen veranlasst. Was unsere onkologischen Systemtherapien betrifft, gibt es derzeit keinerlei Einschränkung. Was mich hingegen mit Sorge erfüllt, sind die drastischen Einschränkungen der chirurgischen Eingriffe. Ich hoffe, dass sich das nicht auch auf die onkologischen Fälle ausweiten wird, denn da ist ein Zeitverlust ausschlaggebend. Welche Folgen die eventuell reduzierten Vorsorgeuntersuchungen haben werden, das werden wir erst in den nächsten Jahren sehen können.