Wir über uns

Weihnachten steht vor der Tür

Eure
Ida Schacher, Präsidentin
Ida Schacher
Präsidentin
Liebe Leserinnen und Leser,
Weihnachten steht vor der Tür und ein neues Jahr. Eine Zeit der Stille und der Besinnung. Eine Zeit der familiären Nähe und Wärme. Eine Zeit, in der uns die Freude über das Leben, aber auch die Nachdenklichkeit über die Endlichkeit von allem nahe geht. Die Natur ruht, nackte Baumäste ragen in den Himmel und lassen nichts vom nächsten Frühjahr ahnen. In diesem Jahr ist meine Freude über das bevorstehende Weihnachtsfest und über die weiße Schneedecke etwas getrübt. Wenn ich in den Nachrichten verfolge, was in der Welt, in Europa, in Italien und auch in Südtirol passiert, bin ich besorgt und betroffen. Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen und auf der Suche nach einem neuen Leben ohne Krieg und ohne Not auf verschlossene Türen und Herzen stoßen, der verzweifelte Kampf eines Volkes ums Überleben, die Kurden. Und auch hier bei uns in Südtirol unnötige Polemiken, die das friedliche Zusammenleben stören wollen. Die Südtiroler Krebshilfe macht keine Unterschiede. Welche Sprache unsere Mitglieder und Ärzte und das Pflegepersonal, die uns versorgen, sprechen, ist uns egal. Wir sind eine Familie, vereint durch das gemeinsame Schicksal der Krankheit und getragen von der Mission, unseren Kranken und ihren Angehörigen zur Seite zu stehen. Ärzte und Pflegepersonal sind wir dankbar für ihren täglichen und unermüdlichen Einsatz. Uns in Südtirol geht es gut. Das heißt, auf den ersten Blick geht es uns gut. Es gibt auch hier Not und Armut, meistens so gut versteckt, dass man es gerne übersieht. Aber das ist wieder ein anderes Thema. Wir haben aber grundsätzlich das Glück, in einer Region zu leben, in der sich die Politik vornehmlich den Interessen der Menschen widmet, in der ausreichend Mittel vorhanden sind, um allen Bürgern den Zugang zu angemessener medizinischer Behandlung zu ermöglichen. Wir haben eine medizinische und medizinisch-technische Versorgung, die den modernsten Standards entspricht. Wir leben inmitten einer wunderschönen Natur… Wir sollten uns für das nächste Jahr Zufriedenheit und auch ein bisschen Demut als Vorsatz fassen, den Respekt des anderen und all jenen, die Hilfe brauchen unsere Herzen öffnen!
Ich wünsche allen Mitgliedern der Südtiroler Krebshilfe ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein Neues Jahr im Zeichen der Hoffnung, der Zuversicht und der Gemeinschaft.

Thema

Kein Grund zur Sorge…

…Südtirol steht gut da – Im Gespräch mit Florian Zerzer, Generaldirektor des Sanitätsbetriebs
Er war ab 2004 für zwei Legislaturperioden Direktor des Ressorts für Gesundheit, Sport, Arbeit und Soziales unter Landesrat Richard Theiner, seit 15. Oktober 2018 ist Florian Zerzer General-Direktor des Südtiroler Sanitätsbetriebs.
Chance: Nicht nur in Südtirol, auch in Italien und Deutschland herrscht Ärztemangel. Wie will der Sanitätsbetrieb auf diese große Herausforderung reagieren?

Florian Zerzer: Es mangelt ja nicht nur an Ärzten, sondern auch an Pflegepersonal und grundsätzlich an Hochschulabgängern. Sie haben Recht, das ist eine der großen Herausforderungen, der wir uns stellen müssen, und wir haben auch schon darauf reagiert. Es ist ein eigenes Büro für Fachkräfteanwerbung eingerichtet worden, wir sind auf Messen und Fachbereichstreffen mit entsprechenden Informationsständen präsent.
Chance: Was kann Südtirol bieten? Junge Ärzte wollen in ihr Kurrikulum investieren, sie wollen forschen, in der Lehre tätig sein, suchen die Nähe zur Universität …
Florian Zerzer: Wir veranstalten dieses Jahr schon zum zweiten Mal ein Jungärzte-Treffen, wo wir uns als Sanitätsbetrieb darstellen. Wir sind die Einzigen in Italien, die in der Facharztausbildung das österreichische Modell anwenden. Das heißt, die Studienabgänger werden angestellt, sie erhalten ein ordentliches Gehalt, sind versichert. Im restlichen Italien hingegen gelten sie weiterhin als Studenten und erhalten ein Stipendium von der Universität. Wir werden bis Ende 2019 hundert auszubildende Ärzte in unseren Krankenhäusern beschäftigen, im Trentino sind es nur fünf. Diese jungen Menschen bringen frischen Wind in die Abteilungen! Und was junge Fachärzte betrifft: Wir sind ein familienfreundlicher Betrieb, bieten Teilzeit und unbezahlten Wartestand, Erziehungsgeld und haben eine KiTa im Betrieb. Wir fördern die Weiterbildung. Wir haben zwar keine Unikliniken, aber dafür bieten wir insgesamt ein hohes Niveau…
Das Landeskrankenhaus Bozen, ein Exzellenzzentrum
Chance: Zweite Herausforderung: Die Kosten für die neuen Therapien. Wird das öffentliche Gesundheitswesen auch in Zukunft für diese Spesen aufkommen können? Bei den letzten Krebsgesprächen im Februar 2019 sagten der Primar der Onkologie in Bozen, Dr. Carnaghi, und sein Meraner Kollege, Dr. Manfred Mitterer, dass bereits ab 2020 fraglich sei, wie die neuen Molekulartherapien finanziert werden könnten. In der Hämatologie in Bozen wird voraussichtlich noch dieses Jahr mit der Behandlung von Leukämiepatienten mit Kymriah oder Yescarta begonnen (genetisch umprogrammierte T-Zellen), eine einzige Infusion kostet um die 275.000 Euro…
Florian Zerzer: Diese Diskussion kenne ich seit dem ersten Tag, als ich angefangen habe in der Sanität zu arbeiten! Aber man hat immer wieder gesehen, dass schlussendlich doch alles finanziert werden kann. Sie haben Recht, es kommen neue Therapien, die sehr kostspielig sind, aber gleichzeitig fallen dafür andere Therapien weg. Es stimmt natürlich, die Tendenz geht immer mehr in Richtung personalisierte Medizin, und diese ist sehr teuer. Dieses Problem stellt sich nebenbei nicht nur bei Krebs, sondern auch bei anderen (chronischen) Erkrankungen, wie z. B. Rheuma. Ich sehe diese Entwicklung aber insgesamt nicht als dramatisch an. Es gilt sich vorzubereiten. Italien liegt mit seinem öffentlichen Gesundheitswesen zudem weit unter dem was z.B. Deutschland pro Jahr und Kopf ausgibt und schneidet dabei besser ab: in Italien sind es 1.800 Euro im Jahr, in Deutschland 3.600 Euro. Wir in Südtirol liegen mit 2.600 Euro in der Mitte, und hier möchte ich der Landesregierung danken, dass sie uns dieses Geld zur Verfügung stellt!
Chance: In diesem Kontext ist auch die Demographie ein Thema. Die Gesellschaft wird immer älter, mit zunehmendem Alter steigt die Möglichkeit an Krebs zu erkranken und es steigen generell die Kosten für ärztliche Behandlungen.
Florian Zerzer: In einem öffentlichen Gesundheitssystem ist es schwierig, allen die bestmöglichen Therapien zukommen zu lassen. Es stellt sich ein ethisches Problem. Es gilt zu entscheiden, wer was wirklich braucht. Wir müssen auch in die Palliativmedizin investieren. Die Radioonkologie ist um ein Vielfaches günstiger als medikamentöse Behandlungen und wird zum Großteil auch besser vertragen. Die Frage ist, wie können wir unsere Dienste verbessern und synergetisch aufstellen. Ich glaube nicht, dass wir kurz vor einem Kollaps stehen. Unsere Patienten können beruhigt sein!
Chance: Die Kommunikation zwischen Krankenhaus und Territorium/ Hausarzt und auch im Krankenhaus zwischen den einzelnen Abteilungen bzw. zwischen Krankenhaus und Krankenhaus ist immer noch ein Problem. Es gibt zu viele verschiedene EDV-Systeme, die nicht kompatibel sind.
Florian Zerzer: Hier ist in der Zwischenzeit einiges passiert. Wir verfügen über klinische Fachgruppen, die im Austausch stehen und die z. B. in der Urologie oder in der Chirurgie in Bozen, Schlanders oder Meran eine gleichwertige Behandlung bieten. In den nächsten Wochen definieren wir eine betriebsinterne Qualitätssicherungsstrategie, um einen gleichwertigen klinischen Standard in Krankenhaus und Territorium zu gewährleisten.
Chance: Die Onkologie ist zertifiziert…
Florian Zerzer: Ja und hier ist die Zertifizierung am weitesten fortgeschritten. Mindestmengen, Fallzahlen und so weiter werden regelmäßig auditiert. Bei der Allgemeinchirurgie ist die Diskussion über die Mindestzahlen noch nicht abgeschlossen. Einer der wichtigsten Fortschritte, der in den letzten Jahren erzielt wurde, ist sicherlich, dass jeder Patient dem Tumorboard vorgestellt wird.
Chance: Menschen mit einer BRCA1 oder BRCA2 Mutation, die also ein ungleich höheres Krebsrisiko als nicht mutierte Personen haben, müssen sich in wesentlich engeren Zeitabschnitten Vorsorgeuntersuchungen unterziehen. Zweimal im Jahr Mammographie und Ultraschall, sowie eine Magnetresonanz. Sie sind aber nicht ticketbefreit und haben oft Schwierigkeiten mit der rechtzeitigen Vormerkung der Vorsorgetermine. Manche weichen deshalb auf private Strukturen aus, die noch mehr kosten. Wir haben bereits im April 2018 darüber in der Chance berichtet.
Florian Zerzer: Im Augenblick sieht es so aus, dass diese Personen, wenn sie noch nicht erkrankt sind, tatsächlich nicht ticketbefreit sind. Das ist sicher eine Frage, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.
Chance: Welches sind für Sie die Stärken des Südtiroler Sanitätssystems?
Florian Zerzer: Unser System ist öffentlich zugänglich und territorial organisiert. Jeder Bürger hat die Möglichkeit, alle notwendigen Leistungen aus einer Hand zu bekommen. Es bietet dem Bürger eine hohe Sicherheit. Allerdings ist es als öffentliches System etwas schwerfälliger als z. B. das Krankenkassensystem in Deutschland. Wenn eine neue Behandlungsart herauskommt, ist sie in Deutschland innerhalb von einer Woche finanziert, bei uns sind die Wege länger.
Chance: Und wo sehen Sie die Schwächen unseres Systems?
Florian Zerzer: In der Angemessenheit. Unser System weckt die Erwartung, dass jederzeit alles zum Fast-Nulltarif in Anspruch genommen werden kann. Das verleitet zu einem leichtfertigen Umgang mit Verschreibungen von Medikamenten und Untersuchungen. Und dann ist die Compliance der Patienten, also das kooperative Verhalten im Rahmen einer Therapie, oft ein Problem. Gerade auch bei chronischen Erkrankungen.
Chance: Sie meinen damit, dass z. B. Nachsorge-Untersuchungen nicht wahrgenommen werden, dass verschriebene Medikamente nicht eingenommen werden oder dass sich Patienten zu viele Medikamente verschreiben lassen. Dass sie Untersuchungsergebnisse nicht dem Hausarzt oder weiterbehandelnden Ärzten mitteilen…
Florian Zerzer: Genau. Der Patient ist der erste Verantwortliche für seine Gesundheit. Er muss Hand in Hand mit dem Arzt arbeiten und seine Gesundheit – in seinem eigenen Interesse - durch verantwortlichen Umgang mit sich selbst schützen. Dieses Problem haben nicht nur wir. In der Lombardei z. B. erhalten die Patienten jedes Jahr einen Plan für ihre Jahresuntersuchungen.
Chance: Ähnlich wie in Südtirol. Seit 2018 wird jede Frau über 50 zweimal angeschrieben, wegen eines Termins für die Mammographie.
Florian Zerzer: Genau. Und bedenken Sie allein die Portokosten dafür!
Florian Zerzer: „Südtirol bietet Jungärzten zwar keine Unikliniken, aber dafür ein insgesamt hohes Niveau.“

Chance: Wenn Sie in die Zukunft schauen…

Florian Zerzer: Sehe ich zwei Dinge, die wir schon angesprochen haben: Fachkräfte und Fachkräfteplanung. Die freie Arztwahl ist heute schon stückweise ein Wunschtraum. Der Zugang zum Universitätsstudium muss überdacht werden. Und dann natürlich die Finanzierbarkeit. Auf das Gesundheits- und das Sozialsystem kommen hier große Anforderungen zu, ein hoher Bedarf an Leistungen. Es muss darüber nachgedacht werden, wie das zu garantieren ist. Über Versicherungen, Fonds…? Und dann ist da natürlich die ethische Dimension. Wie gehen wir mit den Patienten um, Themen wie Palliativ-Betreuung, Bio-Testament, Komplementär-Medizin…
Chance: Stichwort Komplementär-Medizin. In Meran gibt es eine ganze Abteilung. Phantastisch für Patienten, die dort leben. Aber sollte es nicht in jeder onkologischen Abteilung Komplementärmediziner geben?
Florian Zerzer: Unsere Abteilung für Komplementärmedizin ist einzig in Italien. Viele Unikliniken schauen mit großem Interesse auf dieses Modell. Sicher müssen wir über eine Ausdehnung der komplementären Behandlung nachdenken. Wir müssen die klinische Betriebsordnung überdenken und anpassen. Die Mehrheit der Mediziner befürwortet heute den palliativen und komplementären Ansatz, den würdevollen Umgang mit Patienten, jenseits der Heilung. Lebensqualität ist die absolute Priorität.
Chance: Wenn Sie das Südtiroler Gesundheitssystem von null auf neu gestalten könnten?
Florian Zerzer: Gottseidank bin ich nicht in dieser misslichen Lage! Es gäbe viele Baustellen: Wartezeiten, der Zugang zur Vormerkzentrale, die Verbesserung der Notaufnahme, vor allem in Bozen, Wartezeiten von über einem Jahr für Reha, ein Servicetelefon, die Schaffung einer Dienstleistungskultur…
Chance: Die sieben Krankenhäuser?
Florian Zerzer: Ich unterstütze die periphere Aufteilung. Nur muss jeder dabei seine genau definierte Rolle haben. Das Landeskrankenhaus alleine würde es gar nicht schaffen. Je kleiner das Krankenhaus, desto größer die Patientenzufriedenheit. Aber natürlich, bei ernsthaften Erkrankungen braucht es dann ein Exzellenzzentrum.